Читать книгу Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) - William Shakespeare, William Shakespeare - Страница 62

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ZWEITE SZENE

Inhaltsverzeichnis

Ein Zimmer in Capulets Hause

Julia tritt auf.

JULIA

Hinab, du flammenhufiges Gespann,

Zu Phöbus' Wohnung! Solch ein Wagenlenker

Wie Phaethon jagt' euch gen Westen wohl

Und brächte schnell die wolkige Nacht herauf.

Verbreite deinen dichten Vorhang, Nacht,

Du Liebespflegerin, damit das Auge

Der Neubegier sich schließ und Romeo

Mir unbelauscht in diese Arme schlüpfe.

Verliebten gnügt zu der geheimen Weihe

Das Licht der eignen Schönheit, oder wenn

Die Liebe blind ist, stimmt sie wohl zur Nacht.

Komm, ernste Nacht, du züchtig stille Frau,

Ganz angetan mit Schwarz, und lehre mich

Ein Spiel, wo jedes reiner Jugend Blüte

Zum Pfände setzt, gewinnend zu verlieren!

Verhülle mit dem schwarzen Mantel mir

Das wilde Blut, das in den Wangen flattert,

Bis scheue Liebe kühner wird und nichts

Als Unschuld sieht in innger Liebe Tun.

Komm, Nacht! Komm, Romeo, du Tag in Nacht,

Denn du wirst ruhn auf Fittichen der Nacht

Wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken.

Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib

Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,

Nimm ihn, zerteil in kleine Sterne ihn:

Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,

Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt

Und niemand mehr der eitlen Sonne huldigt. -

Ich habe Lieb erworben wie ein Haus,

Und durfte noch nicht einziehn; bin verkauft,

Doch noch nicht übergeben. Dieser Tag

Währt so verdrießlich lang mir wie die Nacht

Vor einem Fest dem ungeduldgen Kinde,

Das noch sein neues Kleid nicht tragen durfte.

[Die Wärterin mit einer Strickleiter.] Da kommt die Amme ja, die bringt Bericht, Und jede Zunge, die nur Romeo Beim Namen nennt, spricht so beredt wie Engel. Die Amme tritt auf mit einer Strickleiter. Nun, Amme? Sag, was gibts, was hast du da? Die Stricke, die dich Romeo hieß holen?

WÄRTERIN

Ja, ja, die Stricke!

Sie wirft sie auf die Erde.

JULIA

Weh mir! Was gibts? Was ringst du so die Hände?

WÄRTERIN

Daß Gott erbarm! Er ist tot, er ist tot, er ist tot!

Wir sind verloren, Fräulein, sind verloren!

O weh uns! Er ist hin! Ermordet! Tot!

JULIA

So neidisch kann der Himmel sein?

WÄRTERIN

Ja, das kann Romeo; der Himmel nicht.

O Romeo, wer hätt es je gedacht?

O Romeo, Romeo!

JULIA

Welch Teufel bist du, daß du so mich folterst?

Die grause Hölle nur brüllt solche Qual.

Hat Romeo sich selbst ermordet? Sprich!

Und sagt du »Ja«, vergiftet dieser Laut

Mehr als des Basilisks todbringend »Aug«.[Ein Wortspiel mit den Wörtern »aye« (ja), »I« (ich) und »eye« (Auge), die alle gleich ausgesprochen werden.]

Ich bin nicht »ich«, wenns gibt ein solches »Ja«,

Dies Auge zu, das dich zwingt zu dem »Ja«.

Ist er entleibt, sag ja, wo nicht, sag nein!

Ein kurzer Laut entscheidet Wonn und Pein.

WÄRTERIN

Ich sah die Wunde, meine Augen sahn sie

- Behüte Gott! - auf seiner tapfern Brust;

Die blutge Leiche, jämmerlich und blutig,

Bleich, bleich wie Asche, ganz mit Blut besudelt,

Ganz starres Blut - weg schwiemt ich, da ichs sah.

JULIA

O brich, mein Herz, verarmt auf einmal, brich!

Ihr Augen, ins Gefängnis! Blicket nie

Zur Freiheit wieder auf! Elende Erde, kehre

Zur Erde wieder! Pulsschlag, hemme dich!

Ein Sarg empfange Romeo und mich!

WÄRTERIN

O Tybalt, Tybalt! O mein bester Freund!

Leutselger Tybalt, wohlgesinnter Herr!

So mußt ich leben, um dich tot zu sehn?

JULIA

Was für ein Sturm tobt so von jeder Seite?

Ist Romeo erschlagen? Tybalt tot?

Mein teurer Vetter? Teuerster Gemahl?

Dann töne nur des Weltgerichts Posaune!

Wer lebt noch, wenn dahin die beiden sind?

WÄRTERIN

Dahin ist Tybalt, Romeo verbannt;

Verbannt ist Romeo, der ihn erschlug.

JULIA

Gott! Seine Hand, vergoß sie Tybalts Blut?

WÄRTERIN

Sie tats, sie tats! O weh uns, weh, sie tats!

JULIA

O Schlangenherz, von Blumen überdeckt!

Wohnt' in so schöner Höhl ein Drache je?

Holdselger Wütrich! Engelgleicher Unhold!

Ergrimmte Taube! Lamm mit Wolfesgier!

Verworfne Art in göttlichster Gestalt!

Das rechte Gegenteil des, was mit Recht

Du scheinest: ein verdammter Heiliger,

Ein ehrenwerter Schurke! - O Natur!

Was hattest du zu schaffen in der Hölle,

Als du des holden Leibes Paradies

Zum Lustsitz einem Teufel übergabst?

War je ein Buch, so arger Dinge voll,

So schön gebunden? Oh, daß Falschheit doch

Solch herrlichen Palast bewohnen kann!

WÄRTERIN

Kein Glaube, keine Treu noch Redlichkeit

Ist unter Männern mehr. Sie sind meineidig,

Falsch sind sie, lauter Schelme, lauter Heuchler! -

Wo ist mein Diener? Gebt mir Aquavit!

Die Not, die Angst, der Jammer macht mich alt.

Zu Schanden werde Romeo!

JULIA

Die Zunge

Erkranke dir für einen solchen Wunsch!

Er war zur Schande nicht geboren; Schande

Weilt mit Beschämung nur auf seiner Stirn.

Sie ist ein Thron, wo man die Ehre mag

Als Allbeherrscherin der Erde krönen.

O wie unmenschlich war ich, ihn zu schelten!

WÄRTERIN

Von Eures Vetters Mörder sprecht Ihr Gutes?

JULIA

Soll ich von meinem Gatten Übles reden?

Ach, armer Gatte! Welche Zunge wird

Wohl deinem Namen Liebes tun, wenn ich,

Dein Weib von wenig Stunden, ihn zerrissen?

Doch, Arger, was erschlugst du meinen Vetter?

Der Arge wollte den Gemahl erschlagen.

Zurück zu eurem Quell, verkehrte Tränen!

Dem Schmerz gebühret eurer Tropfen Zoll,

Ihr bringt aus Irrtum ihn der Freude dar.

Mein Gatte lebt, den Tybalt fast getötet,

Und tot ist Tybalt, der ihn töten wollte.

Dies alles ist ja Trost: was wein ich denn?

Ich hört ein schlimmres Wort als Tybalts Tod,

Das mich erwürgte; ich vergäß es gern!

Doch ach, es drückt auf mein Gedächtnis schwer

Wie Freveltaten auf des Sünders Seele.

Tybalt ist tot und Romeo verbannt!

O dies »Verbannt«, dies eine Wort »Verbannt«

Erschlug zehntausend Tybalts. Tybalts Tod

War gnug des Wehes, hätt es da geendet!

Und liebt das Leid Gefährten, reiht durchaus

An andre Leiden sich, warum denn folgte

Auf ihre Botschaft: tot ist Tybalt, nicht:

Dein Vater, deine Mutter, oder beide?

Das hätte sanftre Klage wohl erregt.

Allein dies Wort: verbannt ist Romeo,

Aus jenes Todes Hinterhalt gesprochen,

Bringt Vater, Mutter, Tybalt, Romeo

Und Julien um! Verbannt ist Romeo!

Nicht Maß noch Ziel kennt dieses Wortes Tod,

Und keine Zung erschöpfet meine Not. -

Wo mag mein Vater, meine Mutter sein?

WÄRTERIN

Bei Tybalts Leiche heulen sie und schrein.

Wollt Ihr zu ihnen gehn? Ich bring Euch hin.

JULIA

So waschen sie die Wunden ihm mit Tränen?

Ich spare meine für ein bängres Sehnen.

Nimm diese Seile auf. - Ach, armer Strick,

Getäuscht wie ich! Wer bringt ihn uns zurück?

Zum Steg der Liebe knüpft' er deine Bande,

Ich aber sterb als Braut im Witwenstande.

Komm, Amme, komm! Ich will ins Brautbett! Fort!

Nicht Romeo, den Tod umarm ich dort.

WÄRTERIN

Geht nur ins Schlafgemach! Zum Troste find ich

Euch Romeo: ich weiß wohl, wo er steckt.

Hört, Romeo soll Euch zur Nacht erfreuen;

Ich geh zu ihm; beim Pater wartet er.

JULIA

O such ihn auf! Gib diesen Ring dem Treuen;

Bescheid aufs letzte Lebewohl ihn her!

Beide ab.

Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch)

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