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4. Kapitel
ОглавлениеVor dem Reichstag demonstrierten die Menschen gegen die Blockade. Es kam zu Tumulten. Der Oberbürgermeister Ernst Reuter sprach seine Worte an die Welt: „Seht her, auf diese Stadt!“ und ohne Pause donnerten die Flugzeuge der Luftbrücke über unser Haus hinweg.
Doch mich interessierte das alles wenig, an diesem wunderschönen Tag Anfang September. Ich stand vor dem Spiegel in meinem Jungmädchenzimmer, schlüpfte in mein langes Kleid aus weißer Seide und ließ mir Myrtenkranz und Schleier aufstecken. Draußen schien die Sonne, als hätten wir sie bestellt. Ich war voller Erwartung. Es war der Tag meiner Hochzeit.
Mama hatte die letzten Tage kaum noch geschlafen. Jede Stunde, die der Strom jetzt nicht abgeschaltet war - aus Versorgungsgründen der Stadt während der Blockade - hatte sie ausgenutzt, um vorzukochen und zu backen, was für die Festtafel nötig war.
„Beruhige dich, wir schaffen das!“, hatte sie mich jedes Mal beschwichtigt, wenn ich durchdrehen wollte und befürchtete, dass alles nur schiefgehen könne.
Und Mama schaffte es. Alles verlief wie geplant, als würde es nicht das ganze politische Geschehen geben. Ausreichend Wachskerzen für die Stromsperren lagen auch bereit. Natürlich wurden sie von Onkel Anton besorgt. Papa hatte seinen alten Smoking ausgemottet, der ihm sogar noch passte. Bruno dagegen fühlte sich in seinem Einsegnungsanzug sichtlich unwohl. „Wenn nur schon alles vorbei wäre“, stöhnte er. Doch Traudel in ihrem kurzen rosa Kleidchen, mit einem Kranz aus weißen Blüten im Haar, sah süß aus. Die Feier konnte beginnen.
Nachdem wir am Morgen mit Trauzeugen zum Rathaus gegangen waren, in dem unschönen Anbau „Standesamt“, und in einer profanen Zeremonie vor dem Gesetz zu Mann und Frau erklärt wurden, konnte nun die kirchliche Trauung folgen. Fertig angezogen und geschmückt wartete ich auf Konrad, erregt und voller Spannung.
Und dann stand er vor mir. In seiner Hand hielt er einen Strauß von zwanzig Teerosen. Zwei weiße Seidenbänder hingen davon herab, an deren Enden kleine Myrtenkränze baumelten. Gut sah er aus und feierlich in dem ausgeliehenen Smoking. Leise zog Mama die Tür meines Jungmädchenzimmers hinter sich zu. Wir waren allein. Er traute sich nicht, mich in den Arm zu nehmen, aber sein warmer liebevoller Blick umarmte mich viel mehr. Oh, Konrad, ich liebe dich! Nichts sonst erfüllte mich.
„Weißt du, dass du schön bist“, sagte er und reichte mir die Rosen.
Er sagte es so, dass ich es glauben musste. Mochten die andern auch geteilter Meinung sein, für ihn war ich schön.
Hinter der Tür in der Diele wurde es unruhig und holte uns in die Gegenwart zurück.
Gäste, die zu uns gekommen waren, brachen auf und fuhren mit bestellten Taxis zur Kirche. Es wurde auch Zeit für uns. Jetzt sah ich doch, dass die Revers an Konrads geliehenem Smoking schon ziemlich blank waren, dass seine Fliege schief saß. Es war nicht zu übersehen, wie fremd und unbequem er sich in diesem Aufzug fühlte. Ich war glücklich, dass er dies mir zuliebe auf sich nahm.
Für mich war es nicht einfach, mit dem ungewohnt langen Kleid an Konrads Arm die enge Treppe hinunterzugehen. Vor der Haustür drängten sich Kinder, Nachbarn und Neugierige. Sie reckten die Köpfe und hielten Ausschau nach uns. Mit Ah und Oh wurden wir empfangen. Konrad hielt mich fest, damit ich vor Aufregung nicht stolperte. So schwebte ich mehr als dass ich ging durch das Spalier der Neugierde und Bewunderung zur Kutsche, die vor dem Haus auf uns wartete. Es war eine weiße, hohe und geschlossene Hochzeitskutsche mit zwei Schimmeln davor, die ungeduldig schnaubten. So eine Kutsche konnte man bei einem Fuhrunternehmen im alten Rixdorf in Neukölln seit einiger Zeit bestellen - wenn man Glück hatte. Ohne Onkel Anton hätten wir auch das sicherlich nicht geschafft, aber er machte es möglich - ich weiß nicht wie! Ohne Onkel Anton hätte wohl diese ganze Hochzeitsfeier nicht stattfinden können.
Konrad ließ sich aufseufzend in die alten, leicht abgeschabten Polster der Kutsche fallen. Er war froh, den neugierigen Blicken entronnen zu sein. Von der Sonne aufgeheizt, war es stickig in der geschlossenen Kutsche. Konrad wedelte sich ein wenig Kühlung mit seinem Zylinder zu - mit dem Zylinder, der beinahe einen Familienkrach ausgelöst hätte. Erst nach langem Überreden hatte er sich dem allgemeinen Wunsche der Familie gebeugt und bereit erklärt, einen Zylinder zu tragen. Doch was er heute der Familie mit pfiffigem Gesicht präsentierte, war ein geliehenes Exemplar, das wenigstens zwei Nummern zu klein war. „Es war unmöglich, etwas anderes aufzutreiben“, versicherte er treuherzig. So trug er, dem Wunsche der Familie entsprechend, einen Zylinder, aber nur in der Hand.
Mit ihren Hufeisen auf dem Asphalt der Straße klappernd trabten die Pferde mit unserer Kutsche zur Kirche. Auf dem Bock saß ein jüngerer Mann, der in dem für ihn viel zu weiten grauen Frack fast verschwand. Auf dem Kopf trug er einen grauen Zylinder, der ihm aber passte. Konrad grinste, als er ihn sah. Sicher stammten die Sachen aus einem Bühnenverleih, der den Krieg überstanden hatte. Vielleicht war der junge Mann arbeitslos und verdiente sich etwas Geld nebenbei mit diesen Fahrten. Jedenfalls verstand er es, höflich die Tür für uns aufzuhalten und mit den Pferden umzugehen. Links und rechts der Straße unterbrachen die Menschen ihre Geschäftigkeit - so eine Kutsche erregte Aufsehen -, sie blieben stehen und versuchten mit fröhlichen Gesichtern durch die Scheiben zu uns hereinzuschauen. „Alles Gute!“, rief uns so manch einer laut nach. Ich begann vor Aufregung in der Wärme zu schwitzen und befürchtete, dass meine Locken unter dem Schleier sich auflösen könnten. Konrad sah von der Seite her zu mir. Amüsierte er sich über mich? Behutsam nahm er meine Hand und sein warmer Händedruck sagte mir, dass er mich beruhigen wollte. Es gab keinen Grund, aufgeregt zu sein. Er war ja bei mir. An ihm konnte ich mich festhalten.
Kurz bevor wir die Kirche erreicht hatten, setzte das Glockengeläut ein. Mein Herz schlug bis zum Hals. Welch ein tiefes Gefühl von Feierlichkeit überkam mich. Fast drohte es mir Tränen in die Augen zu treiben. Das fehlte noch, vor Rührseligkeit zu heulen. Dann würde Konrad lachen, vermutete ich und unterdrückte sie mit Erfolg.
Die Kutsche hielt. Wieder öffnete uns der Kutscher höflich die Tür und war mir behilflich, all den Stoff des Kleides und den Schleier heil durch die enge Tür der Kutsche herauszubekommen. Jetzt dröhnten die Glocken über uns, man konnte kein Wort mehr verstehen. Wieder gingen wir durch ein Spalier. Diesmal waren es unsere Gäste mit Blumen in den Händen.
Vor uns stand der Kirchendiener mit einem einstudiert feierlichen Gesicht und hielt uns ein kleines silbernes Tablett entgegen. Ich zitterte vor Aufregung, als ich den schmalen Silberreif vom Finger der linken Hand zog und darauf legte. Wieder spürte ich den vertrauten beruhigenden Händedruck von Konrad. Beeindruckte ihn das alles wirklich so wenig, dass er so ruhig bleiben konnte?
Um uns herum fluteten die Gäste in die Kirche hinein. Dieser oder jener nickte mir dabei im Vorübergehen ermutigend zu. Der Pfarrer in seinem langen schwarzen Talar kam gemessenen Schrittes auf uns zu. - War das nicht der Mann, der eben noch auf dem Fahrrad unsere Kutsche überholt hatte? - Dröhnendes Orgelspiel setzte ein. Ich ergriff Konrads Arm und hielt mich daran fest. Feierlich und langsam folgten wir dem schwarzen breiten Rücken des Pfarrers durch den Gang der Kirchenbänke dem Altar entgegen. Durch die hohen bunten Fenster neben dem Altar mit dem goldenen Kreuz, fielen ein paar Sonnenstrahlen in das sonst dämmerige Kirchenschiff unter der sich darüber mächtig wölbenden Decke. Das also war der Moment, der große Tag, von dem ich so oft erwartungsvoll geträumt hatte. Und neben mir ging Konrad, den ich über alles liebte, der nun zu mir gehören würde wie ich zu ihm.
Drei Stufen, die mit einem schon abgetretenen Teppichläufer belegt waren, führten zu den beiden bekränzten Stühlen vor dem Altar hoch. Mein Kleid war ungewohnt lang. Bereits auf der ersten Stufe stand ich auf meinem Saum. O Schreck! Mit jeder Stufe stieg ich weiter in mein Kleid hinein und wurde immer kleiner neben Konrad. Er sah erstaunt zu mir. Da, auf der dritten Stufe hörte ich es Krachen. Geräuschvoll war der Stoffsaum meines Kleides geplatzt. Erschrocken darüber, fielen mir die Rosen aus der Hand. Blitzschnell bückte sich Konrad, hob sie auf und gab sie mir. Sichtlich belustigt schaute er mich dabei an. Wäre ich nicht sowieso schon rot vor Aufregung gewesen, jetzt spürte ich, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Dabei wurde mir in diesem Augenblick erneut bewusst, dass Konrad die ganze feierliche Zeremonie dieses Festes als unnützes Getue betrachtete, als einen großen Spaß, den er mir zuliebe mitmachte.
Der Pfarrer predigte und predigte. Was sagte er? Ich weiß es nicht. Immer wieder holte er aus dem schwarzen Talar ein großes weißes Taschentuch, womit er sich die Nase wischte. Ob er erkältet war? - Komisch, was einem von solchen, doch feierlichen Momenten, in Erinnerung bleibt. - Hinter uns hörte ich ab und an ein Schniefen und Schnäuzen. Da flossen wohl Tränen der Rührung. Dann befiel mich noch die Angst, an der falschen Stelle mein Jawort zu sagen. Feierlich still war es, als wir die Ringe an die rechten Hände wechselten. Sogar Konrad war ernst. Auch er empfand wohl, was diese Stunde für uns bedeutete.
Unter Glockengeläut verließen wir dem Pfarrer folgend die Kirche. Alle umringten uns und gratulierten, so mancher mit Tränen in den Augen. Als wir wieder in der Kutsche saßen, ergriff ich Konrads Hand und lehnte mich an ihn. Ich war glücklich.
*
Es gab noch eine kurze Rast bei einem Fotografen. „Bitte recht freundlich! - Die Rosen etwas höher zum Gesicht. - Rücken sie näher an ihre Braut, mein Herr, sie beißt nicht, haha! - Lächeln sie sich an. Achtung!“ - Das Bild war gemacht. In fünfzig Jahren, zu unserer goldenen Hochzeit, wird es eingerahmt und geschmückt Erinnerung daran sein, wie mit uns alles begann.
Endlich waren wir zu Hause. Ich war doch froh, dass nun all dies Spannende und Aufregende der Zeremonie hinter uns lag. Im Wohnzimmer war eine lange Tafel gedeckt. Mama und Papa hatten einige Möbel und alles, was überflüssig war, aus dem Zimmer auf den Boden des Hauses geräumt, um dafür Platz zu schaffen. Als ich hier neben Konrad vor unseren umkränzten Tellern auf umkränzten Stühlen saß, stieß ich als Erstes meine drückenden Schuhe von den Füßen.
Mama und Papa hatten all unsere Verwandten und Bekannten eingeladen, ob sie nun im Westen lebten oder im Osten. Auch aus Ost-Berlin und der Ostzone konnten sie ja trotz der Blockade noch zu uns kommen –nur für uns war der Weg zu ihnen versperrt. Und sie kamen alle. Sie füllten mit fröhlichem Lärm die Räume. Wie viele waren es? Dass so viele Menschen in dieser kleinen Wohnung überhaupt Platz fanden? Manche gingen aufeinander zu und begrüßten sich laut. Man sah sich nur zu Hochzeiten oder Beerdigungen. Doch alle waren vergnügt. Die Männer in Anzügen, die sie über den Krieg gerettet hatten, während die Frauen modernisierte Kleider trugen, als wären es die teuersten und neuesten Modelle.
Onkel Antons „Haushälterin“ hatte, wo sie ging oder stand, eine auffällige, kleine Handtasche bei sich. Sie erzählte jedem, der es hören wollte oder auch nicht, dass es eine „Echt Lederne“ sei. „So ein sündhaft teures Geschenk von Anton! Nein, ihr glaubt nicht, wie überrascht ich war“, beteuerte sie.
Bemerkte sie es nicht oder übersah sie absichtlich, wie frostig die Familie darauf reagierte? Sobald sie den Frauen den Rücken zugewandt hatte, verschwand deren höfliches Lächeln. Nach einem fast neidischen Blick auf die am drallen Arm der Haushälterin baumelnden „Echt Ledernen“ tuschelten sie: „Kein Wunder bei den Geschäften, die der Anton macht! Das weiß man doch: Die einzigen Geschäfte, die heute gut gehen, sind Schwarzmarktgeschäfte. Und er ist gewissenlos genug dazu.“
Onkel Anton war der Einzige unter den Gästen, dessen alter Smoking sich straff über seinen vollen Leib spannte. Alle anderen sahen aus, als hätten sie die viel zu weiten Anzüge größerer Brüder angezogen. Wenn Onkel Anton sich auf seinem Stuhl weit zurücklehnte, sein Bauch dabei gegen die Tischkante stieß, er seine Jacke öffnete und die Daumen unter die Hosenträger schob, dann schien er sich über die ganze Gesellschaft lustig zu machen.
Ich glaube, in jener Zeit war bei einer Hochzeit das Brautpaar weniger wichtig als das, was auf die festlich gedeckte Tafel aufgetragen wurde. Traudel vergaß über ein leckeres Stück Torte sogar, Konrad anzuhimmeln. Dabei zählte sie jedes Stück Kuchen, das in Brunos unersättlichem Jungenmund verschwand.
Kuchen und Sahne, das war nichts für Onkel Anton. Als aber der, durch seine Beziehung teuer erstandene Schweinebraten gegen Abend auf den Tisch kam, da langte er als Erster zu. Freude am Essen verratend, stieß er die Gabel in das Fleisch und stopfte sich Bissen um Bissen in den Mund. Er lobte laut Mamas Kochkünste, während auf seinem blanken, nur noch von einem dunklen Haarkranz umrahmten Kopf der Schweiß perlte.
Tante Emmy dagegen saß steif auf ihrem Stuhl. Ihre schmalen Hände lagen ruhig auf dem Tisch und griffen beim Essen nur dann zu, wenn sie es für angebracht hielt. Ihr schwerer dunkler Haarknoten im Nacken schien ihren Kopf noch höher zu heben. Er war wie ein Gegengewicht zu all dem Wissen darin. Hinter ihren dicken Brillengläsern konnte man ihre Augen nur ahnen. Sie wirkte wie ein Haus ohne Fenster.
Mama lief mit roten Wangen zwischen Küche und Tafel hin und her und trug auf, was sie an essbaren Schätzen hatte auftreiben können. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Wegen der Rationalisierung von Gas und der Absperrzeiten von Strom hatte sie den alten Kachelherd geheizt. Die beiden Nachbarinnen, die ihr in der Küche halfen, stöhnten unter der Hitze, die er verbreitete. Ob Mama überhaupt etwas aß? Ich sah sie kaum einmal an der Tafel sitzen.
Auch Papa saß selten. Er sorgte dafür, dass die Gläser der Gäste gefüllt waren. Nebenan, im zum Tanz ausgeräumten Schlafzimmer, stand ein kleines Fässchen Bier. Sogar ein paar Flaschen Wein konnte er anbieten. Mama hatte seit ein paar Wochen Likör selbst aufgesetzt, dem gern zugesprochen wurde. Das hob die Stimmung. Waren alle nach dem Kaffee noch höflich verhalten gewesen, so wurde die Unterhaltung nach der Abendtafel immer unbeschwerter.
Das war ein Stimmengewirr und Gemurmel, ein Klappern mit Tellern und Gläsern. Doch schließlich war auch das letzte Geschirr abgeräumt und jeder lehnte sich satt und zufrieden zurück. Die Männer griffen zu den teuer erstandenen Zigaretten oder stopften sich die Pfeifen mit „Marke Eigenbau“. Während sie den grauen Qualm genüsslich in die Luft pafften, war auch das Zeitgeschehen im Gespräch wieder gegenwärtig.
Onkel Anton neigte sich zu Papa, der endlich am Tisch saß. „Und ich sage dir, Heinrich, jetzt ist die Spaltung Berlins endgültig.“ Seine Worte unterstreichend klopfte er mit derber Hand dabei auf den Tisch, so dass die anderen neugierig aufsahen.
„Wie soll das nur werden?“, rief einer ängstlich dazwischen. Es war ein Verwandter aus dem Ostsektor der Stadt.
„Unmöglich“, versuchte Papa die Bedenken mit einer Handbewegung wegzuwischen, „So kann es nicht bleiben. Dafür werden die Amis sorgen.“
„Da irrst du dich, Heinrich! Die Versorgung mit der Luftbrücke werden die Westmächte schaffen, aber die Teilung der Stadt können sie nicht verhindern. Das bleibt noch Jahre so“, widersprach Onkel Anton und seine Augen blitzten.
Papa zog nachdenklich an seiner Pfeife und schwieg.
Wir Jungen hatten uns bald aus dem Kreis der Debattierenden zurückgezogen ins Nebenzimmer zum Tanz. Ein Akkordeonspieler war zum Abend gekommen und spielte uns fleißig auf. Konrads Arm hielt mich fest umfangen und wir tanzten und tanzten. Alles um uns drehte sich, bis uns die Füße wund wurden.
Wenn das Licht ausging, weil der Strom vom Werk wieder abgeschaltet wurde, so machte uns das nichts aus. Eilig waren die Wachskerzen aufgestellt und angezündet. Und in ihrem warmen flackernden Schein tanzten wir weiter. Wir fanden das sogar romantisch. Dabei merkten wir nicht, wie die Nacht verging.
Als das erste Rot des beginnenden Morgens sich zeigte und das Licht des anbrechenden Tages durch das Fenster hereinkroch, fand es eine müde Hochzeitsgesellschaft vor. Die lange Tafel mit dem nun befleckten Tischtuch, den leeren Gläsern und der verstreuten Zigarettenasche, war stummer Zeuge eines gelungenen Festes. Da saßen sie alle in ihren zerdrückten Kleidern, sich mühsam munter haltend.
Und ein Gespräch schleppte sich dahin.
Mama hielt jetzt ihre Hände müßig im Schoß, sah noch einmal über die Tafel und sagte: „Müssen wir nicht dankbar sein, kurz nach dem Krieg und in dieser Zeit, eine Hochzeit so feiern zu können?“
Traudel lag längst in Papas Stuhl mit der hohen Lehne und schlief. Der Kranz mit den verwelkten Blumen hing ihr tief in die Stirn.
Ich hatte mir unter dem Tisch wieder die Schuhe von den schmerzenden Füßen gestreift. Kranz und Schleier waren von meinem Kopf verschwunden. Nun war ich also „Frau Katrina Haideck“. Ich war müde, hatte genug von der Feier und sehnte mich nur noch danach, mit Konrad allein zu sein.
Aus dem Nebenzimmer drang dröhnendes Gelächter. Dort gaben die männlichen Verwandten Konrad bierselig die letzten Ratschläge hinsichtlich seines neuen Familienstandes.
Ich zwängte meine Füße wieder in die Schuhe und ging zu ihm hinüber. Ein breites Grinsen lag auf seinem Gesicht, ehe er mich bemerkte. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich gehen wollte, und er nickte zustimmend.
Unbemerkt schlüpfte ich in mein Zimmer, mein Jungmädchenzimmer, das ich nun für immer verließ. Ein bisschen wehmütig war mir zumute. Was hatte ich hier alles geträumt? Würden sich meine Träume erfüllen? Ich bemerkte, dass es eigentlich nicht mehr mein Zimmer war. Traudel zog jetzt hier ein. In dem Rahmen, der bisher ein Bild von Konrad enthielt, war bereits das Bild eines Schauspielers, den Traudel mit der ganzen Begeisterungsfähigkeit ihrer zwölf Jahre verehrte. Nun würde sie hier all die Träume träumen, genauso wie ich vor ihr.
Mich fröstelte ein wenig, wenn ich diesen freundlichen hellen Raum mit dem dunklen Zimmer bei der Witwe Willinger verglich. Dort sollte nun mein Zuhause sein. Aber dort war Konrad und bei ihm wollte ich sein. Da war ja auch noch der kleine Schrebergarten mit der hölzernen Laube. Darauf freute ich mich. Zuerst wollten wir dort einen kurzen Hochzeitsurlaub verbringen.
Noch gedankenverloren öffnete ich die enge Taille des Hochzeitskleides und wollte es gerade ausziehen, da ging die Tür auf, Konrad kam herein. Beklommen hielt ich inne. Er sah es, ein unsicheres Flackern war in seinen trunkenen Augen. Ich wurde Rot. Mit unsicheren Schritten kam er zu mir, drückte mir einen Kuss auf die Stirn, wandte sich schnell wieder ab und griff nach seinen Kleidungsstücken, die hier für ihn bereitlagen.
„Es ist wirklich Zeit zu gehen. Ich bin so müde, kann mich kaum noch auf den Beinen halten“, sagte er und ging wieder hinaus, ohne mich noch einmal anzusehen. Seine Schritte entfernten sich nach nebenan zum Bad hin.
„Aber, Konrad!“, hörte ich da Mama rufen. „Ihr seid doch jetzt verheiratet. Warum ziehst du dich nicht in Katrinas Zimmer um?“
Kichern begleitete ihre Worte. Die Hochzeitsgesellschaft schien auf einmal aufgewacht zu sein und die Diele vor meinem Zimmer zu füllen.
Erschrocken drückte ich mein bereits ausgezogenes Kleid gegen meine nackten Schultern. Von sanfter Gewalt wurde Konrad in mein Zimmer zurückgeschoben, so dass er torkelte.
„Verzeihung, höhere Gewalt“, stammelte er etwas hilflos und zeigte auf die Tür.
Zorn überkam mich in dieser seltsamen Situation mit den feixenden Verwandten draußen vor der Tür. In der kurzen Verlobungszeit hatte man uns kaum einmal Zeit zu einem Händedruck gelassen, doch jetzt konnte man uns offenbar nicht schnell genug zusammensperren.
„Das fängt ja gut an, der wollte jetzt schon vor seiner Frau kneifen“, dröhnte Onkel Antons tiefer Bass. Verhaltenes Gelächter begleitete seine Worte. Da fehlte wohl nicht einer der Gäste vor der Tür.