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1. Kapitel / Erster Teil

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Eine Liebe anderer Art

Vielleicht wäre Veras Leben anders verlaufen, wenn sie in ihren Kinderjahren nicht so abgöttisch an ihrem Vater gehangen hätte. Sie war das einzige Kind ihrer Eltern und fühlte sich von ihm besonders geliebt. Glücklich lebte sie in einer für sie heilen Welt, bis sie zu spüren glaubte, dass sich die Eltern nicht mehr so gut verstanden. ‚Liebten sie sich nicht mehr?’, fragte sie sich da beklommen. Obgleich beide versuchten, es vor ihr zu verstecken, blieben ihr die Streitigkeiten und heftigen Worte nicht verborgen. Angst befiel sie und ließ sie befürchten, dass ihre kleine Welt bedroht war, in der sie sich geborgen fühlte.

Vera war neun Jahre alt, als sie eines Tages den Vater zornig zur Mutter sagen hörte: „Wenn du so weitermachst, gehe ich!“ Da erfasste sie Panik. Hilflos vor Furcht, der Vater könnte sie verlassen, verkroch sie sich hinten im Hof des Wohnhauses in einem Schuppen mit Kaninchenställen. Zitternd vor Angst hockte sie hier und glaubte, ihr ganzes kleines Leben, eingebettet in die Liebe von Vater und Mutter, gehe verloren.

So fand sie der Vater. „Vera, was hast du?“, fragte er besorgt.

Sie klammerte sich an ihn. „Warum willst du weggehen?“

Erschrocken sah er sie an. „Wer sagt das?“

„Du! - Ich habe es gehört.“

„So etwas sagt man mal im Zorn.“ Beschwichtigend strich er ihr übers Haar.

Doch sie ließ sich nicht beruhigen. Sie drängte sich an ihn, als könnte sie ihn festhalten. „Versprich mir, dass du nie, nie, wirklich nie weggehst“, forderte sie von ihm. Beschwörend sah sie ihn dabei an. Tränen glänzten in ihren Augen. Der Vater wand sich, doch Vera ließ nicht locker. „Versprich es mir! Du musst es versprechen!“, drängte sie. Da versprach er es ihr, auch noch hoch und heilig, so, wie sie es verlangt hatte, nur um sie zu beruhigen. Und Vera glaubte daran.

*

Dann aber kam doch der Tag, an dem er sich von Vera verabschieden wollte, weil er wegging, fort aus ihrem Leben.

„Nein, nein!“, schrie sie. Alles Blut schien aus ihr zu weichen und machte ihr den Kopf leer. Sie begriff es nicht, wehrte sich verzweifelt dagegen, wollte es nicht wahrhaben. „Du hast mir versprochen, bei mir zu bleiben!“ Schluchzend hielt sie ihn fest, klammerte sich an ihn, wollte ihn nicht gehen lassen. „Du hast es mir versprochen, du musst es halten!“

„Es geht nicht!“, sagte er leise.

Er versuchte sie tröstend in die Arme zu nehmen, während die Mutter, trotzig den Kopf erhoben, mit verschlossenem Gesicht und verschränkten Armen abseits stand. Nur ihre braunen Augen verrieten, wie es sie schmerzte und wie verletzt sie war.

Vera stieß den Vater weg. „Wenn du nicht bei mir bleibst, hasse ich dich!“ Sie war außer sich vor Enttäuschung und Schmerz und wusste doch nicht, was sie da sagte. Sie schlug wütend mit ihren kleinen Fäusten auf ihn ein. Er wollte sie fassen. Sie aber riss sich los, rannte aus dem Haus, über den Hof zu den Kaninchenställen und verkroch sich.

Der Vater ging.

Als die Mutter sie aus ihrem Versteck holte, war er nicht mehr da. Vera war ratlos. Wie glücklich war sie all die Jahre vorher mit Mutter und Vater gewesen.

*

Die Mutter war eine ernste Frau, was ihre schlanke Gestalt in stets gerader Haltung und die streng zurückgekämmten dunklen Haare noch besonders betonten. Der Krieg und die Flucht aus ihrer Heimat hatten sie geprägt. Neunzehnhundertfünfzig, fünf Jahre nach Kriegsende hatte sie, bereits dreiunddreißig Jahre alt, Vera zur Welt gebracht. Damals, im westlichen Teil Deutschlands, der gerade gegründeten Bundesrepublik, begann das Leben leichter zu werden. Um Essen und Trinken brauchte man sich nicht mehr zu sorgen.

Wenn die Mutter auch nicht so lachen konnte wie der Vater, auf sie war Verlass. Bittere Erfahrungen hatten sie gelehrt einzugreifen, wenn es nötig war. Von der heranwachsenden Vera und allen anderen erwartete sie Gewissenhaftigkeit. „Hat man sein Wort gegeben, so muss man es auch halten“, forderte sie. Und sie ließ sich von ihr versprechen, dass sie nach der Schule gleich nach Hause käme, dass sie nicht lügen würde, auch wenn es Strafe geben könnte, und dass sie die Mutter immer lieb haben werde. Wenn Vera es versprach, gab es eine kurze Umarmung und ein Streicheln als Belohnung. Sonst ging die Mutter mit Zärtlichkeiten sparsam um.

Wie anders war dagegen der Vater, Umarmungen hatte es von ihm für Vera nach Laune gegeben, nie als besondere Belohnung. Er war kurz nach dem Krieg unversehrt in seine Heimatstadt zurückgekehrt und hatte das Lachen nicht verlernt. Vielleicht hatte es ihn, einen Mann Ende dreißig, deshalb zu dieser ernsten, auch nicht mehr so jungen Frau hingezogen. Vielleicht wollte er ihr ihre Fröhlichkeit zurückgeben. Doch es gelang ihm wohl nicht.

Mit den Jahren war das Leben wieder leichter geworden und der Krieg immer mehr zu einer fernen Vergangenheit. Nur die zunehmenden politischen Spannungen zwischen dem Ostblock und den Westmächten trübten noch das Leben im geteilten Deutschland. Sie hielten aber das Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre im Westen nicht auf. Der Vater hatte eine gute Stellung, welche die kleine Familie ernährte. Die Mutter widmete sich ganz dem Haushalt und der Erziehung von Vera. Ein anständiges Mädchen sollte sie werden, das hielt, was es versprach. Hatten sie auch keine Reichtümer, das Geld, das der Vater für seine Arbeit heimbrachte, verstand sie so einzuteilen, dass es ihnen an nichts fehlte.

Alles hatte sich bei ihnen um Vera gedreht, ihr einziges Kind. Die Mutter brachte ihr bei, was sie zum Leben brauchte, während der Vater sie mit Fröhlichkeit verwöhnte. In seinem breiten Gesicht unter den dünner werdenden blonden Haaren prägten sich mit den Jahren Lachfalten ein. Zunehmend verriet ein kleines schwabbelndes Bäuchlein seine Lust am Genuss. Er nahm das Leben nicht so schwer. „Wenn du groß bist, reisen wir zusammen nach Honolulu!“, konnte er zu Vera sagen und die gleichen blauen Augen, wie Vera sie hatte, sahen sie dabei spitzbübisch an. Sie hatte das ernst genommen und gefragt: „Versprichst du es mir?“ Und er hatte es ihr versprochen - einfach so.

Jeden Tag hatte sie auf ihn gewartet. War er dann abends von der Arbeit heimgekommen, in die kleine Wohnung eingetreten und hatte gerufen: „Ist mein Goldschatz wieder brav gewesen?“, so hatte sie ihre blonden Haare zurückgeworfen, war ihm entgegengelaufen und in seine Arme gesprungen. Dicht hatte sie sich an ihn geschmiegt und den vertrauten Geruch seiner Nähe tief eingeatmet. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, so einmal ihrer Mutter entgegenzulaufen.

Sie wohnten am Rand einer größeren Stadt. Die war umgeben von sanften, grünen Höhen. Es gab Wälder, Wiesen, und viele Seen. Manchmal hatte der Vater sie vor sich in einen Kindersitz auf sein Fahrrad gesetzt, war mit ihr durch die Natur gefahren und hatte sie dabei auf dieses oder jenes aufmerksam gemacht. Manchmal war er mit ihr auch zu einem See gegangen und hatte sie dort die Schwäne und Enten füttern lassen. Selten war die Mutter dabei gewesen. Ja, er hatte sich viel Zeit für Vera genommen und nichts schien ihm dabei wichtiger zu sein als seine kleine Tochter. Am schönsten aber war es für Vera gewesen, wenn er mit ihr hinunter in den Hof des Wohnhauses zu dem Schuppen mit den vielen Kaninchenställen ging. Hier hatte sie jedes Jahr in einem Stall ein junges Kaninchen, das ihr allein gehörte.

Fünf Mietparteien bewohnten dieses alte Haus mit den knarrenden Stufen im Treppenaufgang. Jeder kannte jeden, und über alles wachte der Hausmeister Beier, der unter ihnen im Erdgeschoss wohnte. Er hatte die so begehrten Kaninchen nach dem Krieg gezüchtet, als Lebensmittel noch knapp waren. Doch nun, fast am Ende der fünfziger Jahre, war er in einem Kleintierverein und tat es hauptsächlich zu seiner Freude. Jedes Jahr durfte sich Vera ein Junges aussuchen, ihm einen Namen geben und es in einen eigenen Stall setzen. Sie liebte diese Kaninchen, die so kuschelig weich im Arm waren und mit denen man schmusen konnte. Am liebsten hätte sie es mit in die Wohnung genommen, in ihr Zimmer. Doch die Mutter protestierte: „Kommt nicht in Frage, das macht nur Schmutz!“

So war der Vater mit ihr zu ihrem Kaninchen gegangen. Sie brachten ihm Futter, machten gemeinsam den Stall sauber und dann durfte Vera es über den Hof hoppeln lassen. Währenddessen hatten sie sich unter die breiten Äste einer alten Linde gesetzt, die neben dem Kaninchenschuppen stand. Vera hatte diese gemeinsamen Stunden mit dem Vater gemocht. Wenn die dicht belaubten Zweige des Baumes ihnen im Sommer Schatten spendeten, ein leichter Wind durch die Blätter strich, der betäubende Duft der Lindenblüten sie umgab und Bienen summend von einer Blüte zur andern flogen, dann hatte sie sich an ihn gelehnt, dem hoppelnden Kaninchen zugesehen und war so glücklich gewesen, wie ein Kind nur sein kann. Der Vater konnte spannend Geschichten erzählen. So hatte er ihr phantasievoll ausgemalt, was ein Kaninchen alles in der Freiheit erleben könnte, wenn es diese jemals erreichen sollte. Nur seltsam war es, jedes Jahr verschwand irgendwann Veras nun groß gewordenes Kaninchen wieder. Es sei weggelaufen, erzählte man ihr. Wenn sie dann weinte, hatte der Vater gesagt: „Was weinst du? Gönn’ ihm die Freiheit! Ich habe dir doch erzählt, was es alles erleben kann. Du solltest verstehen, dass es nicht sein Leben lang in einen Stall eingesperrt sein will. Würde dir das gefallen? – Mir nicht!“

Aber Marita, ihre Freundin, hatte gemeint: „Was glaubst du da? Es ist schon längst als Braten gegessen worden.“ Doch Vera wollte das nicht hören. „Mein Vater lügt nicht!“, hatte sie wütend behauptet und drei Tage lang nicht mit ihrer besten Freundin geredet.

*

Marita und Vera kannten sich von klein auf. Sie wohnte mit ihren Eltern in der Wohnung neben ihnen im ersten Stock des Hauses. Sie hatte junge Eltern, die sich zanken und schnell wieder vertragen konnten. Leichte Fröhlichkeit und Lachen war dort zu Hause. Vera war gern bei ihnen, bei dieser jungen Mutter, die nie verlegen wurde, ihnen lustige Spiele vorzuschlagen.

Nur bei Onkel Achim, einem Bruder von Veras Mutter, waren die Mädchen noch lieber. Er hatte nicht weit von ihnen entfernt ein Papierwaren- und Spielzeugladen, gleich bei ihrer Schule. Er war ein ewiger Junggeselle, hatte nie geheiratet und wollte nie heiraten. Wenn er so hinter seinem Ladentisch stand, zwinkernd mit seinen hellen Augen über den Rand der Brille auf seiner spitzen Nase sah, dann wussten die beiden, dass er wieder etwas für sie bereithielt. Schon griff er unter den Ladentisch und holte vielleicht ein Spiel, eine Puppe, Bücher oder sonst irgendetwas hervor. Sie liebten es auch, in dem Laden herumzustöbern. Onkel Achim war sehr geduldig und nahm sich Zeit für sie. Nie schienen sie ihm ungelegen zu kommen.

Marita und Vera waren unzertrennlich; wo die eine war, war auch die andere. Wenn der Hausmeister Beier Grund hatte zu schimpfen, dann immer mit beiden. Er mochte es nicht, wenn sie auf der alten Klopfstange neben den Müllkästen im Hof herumturnten oder ihren Ball gegen das breite Holztor warfen, das neben dem Haus vom Hof zur Straße führte. Dabei machte den beiden das gerade besonders Spaß, weil das Tor dabei so richtig krachte, dass man es bestimmt bis unter das Dach des Hauses hören konnte. Während Veras Mutter dem Hausmeister recht gab und ihr Vorhaltungen machte, sagte Maritas Mutter nur: „Es sind doch Kinder!“

Nur einmal, da hätte ihre Freundschaft beinahe Schaden genommen. Neidisch hatte Marita zugesehen, als der Vater Vera das Radfahren beibrachte.

Eines Tages war er mit einem kleinen Fahrrad nach Hause gekommen, gerade passend für Vera. „Jetzt soll mein Goldschatz auf einem eigenen Rad mit mir durch die Welt fahren. Komm, du bist groß genug dazu!“, hatte er vergnügt gesagt. Und Vera hatte es schnell gelernt.

Danach hatte Vera für Marita wenig Zeit gehabt, um mit ihr zu spielen oder gemeinsam zu Onkel Achim zu gehen. Sie konnte nicht genug davon bekommen, wohl behütet und bewacht, stolz mit ihrem eigenen kleinen Fahrrad vor dem Vater her zu fahren. O ja, da war sie sich schon sehr groß vorgekommen. Und der Vater hatte ihr dabei gezeigt, wie schön die Welt sein konnte. Von allen Menschen, die Vera damals kannte, hatte sie ihn am meisten geliebt, diesen Vater, der immer Zeit für sie hatte, dem sie nie zu viel wurde, der nie böse mit ihr war; der es sogar verstand, eine Ermahnung noch lachend auszuteilen. Immer war er es gewesen, an dessen Hand sie ging und von dem sie sich voller Vertrauen durchs Leben führen ließ.

Doch manchmal, wenn sie von so einer Fahrt fröhlich wieder nach Hause gekommen waren, hatte sie nicht gewusst, warum die Mutter sie so seltsam ansah. Musste sie sich schuldig fühlen, weil sie mit dem Vater so vergnügt sein konnte? Noch wusste sie nicht, was Eifersucht war.

„Überanstrenge das Kind nicht!“, hatte die Mutter den Vater oft gemahnt.

„Ach, was!“, hatte er es gereizt abgetan.

Da hatte Vera bereits ängstlich von einem zum andern gesehen.

*

Und nun war der Vater fort. Warum hatte er ihr das angetan? Vera konnte nicht aufhören zu weinen, lustlos saß sie herum, sie fühlte sich verlassen.

Schaffte es die Mutter nicht oder wollte sie Vera nicht trösten? Sie ging zusehends ungeduldiger mit ihr um. „Was soll das? Was trauerst du dem nach? An so einem Vater hast du nichts verloren. Niemand hat ihn gezwungen zu gehen. Außerdem hast du immer noch mich.“

Nein, Vera fand keinen Trost bei der Mutter. Sie suchte ihn auch nicht bei ihr. Sie ging ihr lieber aus dem Weg. Zu Onkel Achim schlich sie sich, bei ihm suchte sie die Anlehnung, die sie mit dem Vater verloren hatte.

Ja, der Vater war einfach gegangen - einfach so, hatte sie im Stich gelassen, sein Wort nicht gehalten. Nichts anderes konnte Vera mehr denken. Ganz langsam wandelten sich Zorn und Enttäuschung in Hass auf den wortbrüchigen Vater und verdrängte ihre Trauer. Sie war zutiefst verletzt.

Als er kurz darauf noch einmal kam, rannte Vera weg und weigerte sich, mit ihm zu reden. „Du bist ein Lügner!“, schleuderte sie ihm entgegen. Sie wollte ihn nicht sehen und versteckte sich. Doch sie litt. All ihr Zorn auf den Vater war nur Ausdruck ihrer Hilflosigkeit einem Geschehen gegenüber, das sie nicht verstand. Und die Mutter, selbst verbittert, tat nichts dazu, es ihr zu erklären.

Schlimm war die Zeit für Vera, als die Scheidung der Eltern lief. Fast über Nacht durchzogen einzelne weiße Fäden das dunkle Haar der Mutter. Mit verkniffenem Mund saß sie oft gedankenverloren da, so dass Vera nicht wagte, sie anzusprechen. Liebte die Mutter sie überhaupt? Sie hatte doch nur noch die Mutter. Was sollte sie tun? Schuldgefühle machten sich in ihr breit. War sie zu innig verbunden mit dem Vater gewesen und hatte damit die Mutter gekränkt? War der Vater das überhaupt wert gewesen? Angst, auch noch die Mutter zu verlieren, erfüllte sie mehr und mehr. Alles tat sie, um ihre Aufmerksamkeit zu erreichen. Wenn die Mutter bat, ihr etwas zu holen, rannte sie sofort los und holte es. Was Vera ihr auch versprach, sie hielt es. Nein, die Liebe der Mutter wollte sie nicht riskieren, nachdem sie die Liebe des Vaters verloren hatte. So glaubte sie. Sie bemühte sich, ein braves und folgsames Mädchen zu sein. Nur die Mutter so zu umarmen wie den Vater früher, das konnte sie nicht.

Wenn sie die Sehnsucht nach liebevoller Beachtung überkam, lief sie zu Onkel Achim. Auch er konnte sie zwar nicht umarmen, wie der Vater es getan hatte, aber ein Blick, ein Bonbon, ein Streicheln übers Haar, war schon viel für Vera geworden. Sie wartete nicht mehr darauf, bis Marita mitkam. Sie mochte es sogar fast lieber, allein zu ihm zu gehen, seine Freundlichkeit nicht teilen zu müssen. Es tat ihr gut, den Laden zu betreten, wenn dass melodische Klingeling der Türglocke erklang und Onkel Achim leicht gebeugt hinter einem Vorhang hervor in den Laden schlurfte. Ihr ganz allein gehörte es dann, wenn er ihr mit seinen freundlichen hellen Augen über den Brillenrand zuzwinkerte und sie sich von seiner Zuneigung umfangen fühlte. Doch den Vater ersetzen konnte er ihr nicht.

*

Als der Tag der Scheidung der Eltern gekommen war, erklärte ihr die Mutter: „Jetzt gehört er nicht mehr zu uns. Aber er will dich einmal im Monat zu sich holen, das hat er beim Gericht durchsetzen können.“

„Ich will nicht!“, antwortete Vera.

Und als er kam, um sie zu holen, weigerte sie sich, mit ihm zu gehen. Auch sein trauriger Blick konnte sie nicht umstimmen. Die Mutter tat nichts dazu, sie zu überreden. Nein, sie unterstützte ihre Ablehnung sogar noch. Für sie schien es dem Vater gegenüber ein Triumph zu sein, dass seine geliebte Tochter nichts mehr von ihm wissen wollte.

„Da siehst du es, wie es ist, wenn jemand nicht hält, was er verspricht“, stachelte sie Vera auf. „Doch dein Vater war ja schon immer so leicht mit dem Wort. Gewissenlos ist das, einfach gewissenlos! Versprich mir, dass du stets daran denkst, und nicht so wirst wie er.“

Nein, so gewissenlos wollte Vera nicht werden. So nahm sie es sehr ernst, wenn sie etwas versprach und war es auch nur nebensächlich. „Auf Vera kann man sich verlassen“, sagte man ihr in der Schule und unter Freunden bald nach. Das wollte sie, dass man so über sie dachte. Nichts hasste sie mehr, als Menschen, die mühelos Versprechen geben und sie dann vergessen können. Wenn einer ja sagt, dann sollte er auch dazu stehen, egal was käme, davon war sie überzeugt. Nichts kränkte sie mehr, als wenn man ihr vorwarf, sie hätte auch nur in einer Belanglosigkeit ihr Wort nicht gehalten.

Marita dagegen, ihre Freundin, lachte darüber und sagte: „Du nimmst die Dinge zu ernst. Nicht alles muss man halten, was nur schnell versprochen wird.“ Vera aber blieb dabei und wurde böse, wenn ihr gegenüber auch nur einer ein leicht gegebenes Versprechen vergaß. Marita bekam das manchmal zu spüren, denn sie war lustig, lebte leicht, nahm nichts schwer, genau wie der Vater von Vera. Das war es wohl auch, was Vera zu ihr hinzog, was die Freundschaft bestehen ließ, trotz so mancher Auseinandersetzung.

Du hast es mir versprochen!

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