Читать книгу Du hast es mir versprochen! - Wilma Burk - Страница 8
5. Kapitel
ОглавлениеDoch ihre Wege trennten sich nicht. Als Vera das Krankenhaus verlassen konnte, ein Bein noch im Gehgips, wurde sie nicht nur von ihrer Mutter abgeholt, sondern auch Georg Söllner stand mit seinem Auto vor der Tür. Wie selbstverständlich kroch ihre Mutter auf den Rücksitz, während er Vera half, sich auf den Beifahrersitz zu setzen und das Bein richtig zu lagern. Es tat ihr höllisch weh. Doch was war das gegen das Gefühl, in einem Auto sitzen zu können und zu wissen, dass sich oben am Fenster die Mitpatientinnen die Nasen an den Fensterscheiben platt drückten.
Danach kam er oft zu ihr nach Hause, abends oder auch sonntags. Er brachte Blumen und sogar Strickwaren aus seiner Fabrik für sie und ihre Mutter mit. Als der Gips von ihrem Bein abgenommen wurde und sie Gehübungen machen musste, fuhr er mit ihr dazu an einen See. Hier stützte er sie bei jedem Schritt, den sie den Weg am Ufer entlanggingen. Er achtete besorgt darauf, dass sie sich nicht überanstrengte. Er lud auch Mutter und Tochter zu einer Fahrt in ein Ausflugslokal ein. Eigentlich fragte er nie viel. Wenn er sagte: „Heute machen wir das“, empfand sie es als wohltuend, nicht überlegen zu müssen, ob sie zustimmen oder ablehnen sollte.
Er wurde ihr immer vertrauter. Nein, Abneigung gegen ihn verspürte Vera nicht. Kam er einmal später als erwartet, wurde sie bereits ungeduldig. Es gefiel ihr, von ihm umworben zu werden. Sie ließ sich gerne von ihm in seiner sicheren Art führen. Sie hatte nichts dagegen, dass er vieles für sie erledigte. Dass dies auch Besitz ergreifend sein könnte, daran dachte sie nicht, war doch auch die Mutter der Meinung: „Das ist ein Mann, der weiß, was er will, nicht so ein Hallodri, wie es der Bernd Reuter gewesen ist.“
War es auch keine himmelstürmende Liebe, die Vera für ihn empfand, so wuchs doch eine Zuneigung für ihn in ihr. Sie fühlte sich wohl in seiner Nähe. Onkel Achim, mit dem sie darüber sprach, sagte: „Das ist nicht die schlechteste Voraussetzung für eine dauerhafte Beziehung.“
So wehrte sie ihn nicht ab, als er sie eines Abends zum Abschied in die Arme nahm und küsste. Sacht und vorsichtig tat er es, nichts in ihr lehnte sich dagegen auf, im Gegenteil, es war schön für sie, in den Arm genommen zu werden. Sie fühlte sich geborgen.
Zu Marita, die ein kleines Mädchen auf die Welt gebracht hatte, fuhr Vera bereits zusammen mit Georg Söllner in die Klinik, um den kleinen Erdenbürger zu begrüßen. Gab es überhaupt noch etwas, das sie ohne ihn tat?
Marita war Mutter geworden und unsagbar glücklich über ihr kleines Mädchen Sabine. Christian, der junge Vater saß schlaksig daneben, warf seine langen Haare zurück und wirkte unbeholfen. Er wusste wohl mit seiner neuen Rolle als Ehemann und Vater noch nichts anzufangen. Aber Marita sagte ihm, was zu tun war. Nur klang es etwas ungeduldig und gereizt.
Als Vera und Georg an diesem Tag zurückfuhren, sprach er zum ersten Mal von einer gemeinsamen Zukunft. „Ich möchte auch einmal Kinder mit dir haben.“ Er sah sie dabei nicht an, sondern lenkte das Auto durch die Straßen, als erwarte er keine Antwort darauf, als könne auch das nicht mehr anders sein. War er sich ihrer so sicher? In diesem Augenblick wurde Vera bewusst, auch sie konnte sich nichts anderes mehr vorstellen, als mit ihm in eine gemeinsame Zukunft zu gehen. Was aber würde geschehen, wenn er mehr von ihr wollte? Würde sie dann, noch unfähig dazu, zurückschrecken?
Nichts geschah! Auch diesem Wunsch wusste er sich so rücksichtsvoll zu nähern, das eigene Verlangen in ihr zu wecken, dass sie hinterher erstaunt feststellte, auch nicht die leiseste Spur von Abwehr gespürt zu haben. Es war anders als mit Bernd. Nicht Leidenschaft loderte zwischen ihnen, aber sie lernte bei ihm eine befriedigende Sexualität kennen. Sie fühlte sich wohl in seinen Armen, begann auch ihrem eigenen Körper zu lauschen und nachzugeben.
So widersprach sie nicht, als er bald die Hochzeit plante, auch nicht, als er, ohne viel zu fragen, den Mai 1974 dazu bestimmte. Genau ein Jahr war es her, dass sie ihm mit ihrem Fahrrad ins Auto gefahren war.
*
Georg wohnte längst nicht mehr im Haus seiner Eltern. Er hatte sich dicht bei der Strickwarenfabrik ein eigenes Appartement gemietet. Da nun feststand, dass sie heiraten würden, wollte er Vera seinen Eltern vorstellen.
Eines Abends holte er sie dazu ab. Aufgeregt saß Vera neben ihm im Auto. Er amüsierte sich darüber. „Komm, sie beißen nicht“, spottete er. Er konnte aber nicht verhindern, dass Vera sich befangen fühlte, als sie das imposante Haus der Eltern betrat. Unübersehbar drückte es in jedem Winkel Wohlhabenheit aus.
Die natürliche Art von Georgs Mutter jedoch machte es ihr leicht, ein wenig ihre Scheu zu verlieren. So, als würden sie sich bereits kennen, kam die kleine pummelige Frau auf Vera zu. Dabei hielt sie sich so gerade wie Veras eigene Mutter, aber sie wirkte nicht so ernst und reserviert. Mit einem Lächeln, das die feinen Falten um ihren Mund vertiefte, begrüßte sie Vera. Freundlich neigte sie sich ihr zu, wobei ihre grauen Locken über ihren braunen Augen wippten, und erfasste mit einem fürsorglichen Griff ihren Arm. „Kommen Sie, mein Mann wartet im Salon“, sagte sie und zog Vera an der Treppe vorbei auf eine Tür zu.
Als sie den Raum betraten, sah Vera am Fenster einen schwerer Sessel stehen, den eine Wolke von Zigarrenrauch umgab. Ein groß gewachsener Mann erhob sich daraus. Schwer stemmten kräftige Arme seine breiten Schultern empor, bis sich die Uhrenkette auf seinem sich wölbenden Bauch zwischen Westenknopf und -tasche spannte. „So, so! Also Sie wollen meinen Sohn bändigen.“ Seine buschigen weißen Augenbrauen unter dem sonst dünnen Haar hoben sich einen Augenblick. Er musterte sie. Vera wollte am liebsten im Boden versinken. Sie kam sich vor, als werde sie taxiert. Dann aber kniff er zwinkernd die Augen zusammen, seine Augenbrauen senkten sich wieder und er sagte: „Ich denke, das wird Ihnen gelingen. Es wird auch Zeit!“ Ehe er seinen Zigarrenstummel in den Aschenbecher zurücklegte, zog er noch einmal genießerisch daran. „Ich habe Hunger. Gibt es endlich etwas zu essen?“, forderte er. Es klang, als wäre er gewöhnt, dass gemacht wurde, was er wollte.
Mochte jetzt, in den siebziger Jahren, auch der Rausch des Wirtschaftswunders vorüber sein, mochte mancher Betrieb um seine Existenz kämpfen und die Arbeitslosigkeit zunehmen, in diesem Hause war nichts davon zu spüren. Sie saßen bei Tisch zusammen und ließen sich von einer diskreten Bedienung das Essen auftragen. Für Vera war es neu, dass eine Hausfrau bei ihren Gästen sitzen bleiben konnte und nichts tun musste. Georgs Mutter war leise und umsichtig, doch Vater und Sohn beherrschten das Gespräch. Zuerst hatte der Vater viele Fragen an Vera. Sie kam sich vor, wie auf einem Prüfstand. Doch als er wohl genug erfahren hatte, sprachen Vater und Sohn nur noch vom Geschäft. Heimisch wurde Vera hier nicht. Ob sie dieses Gefühl der Fremdheit den Eltern gegenüber jemals loswerden konnte? Alles schien sich hier nur um die Firma zu drehen.
Später lernte Vera auch die Fabrik kennen. Sie stand mit Georg vor einem alten roten Backsteinbau auf einem ziemlich großen Grundstück. „Früher, als nach dem Krieg der wirtschaftliche Aufschwung begann und Vater das hier alles gekauft hatte, gab es zu der Zeit in zwei Etagen noch einen alter Buchbinder mit seiner Buchbinderei. Bald aber hatte Vater ihn rausgesetzt. Er brauchte den Platz für mehr Strickmaschinen, weil nach der Fresswelle der Nachkriegszeit die nun satten Menschen wieder mehr Geld für Kleidung ausgaben. Da war es aufwärts gegangen, und Vater hatte daraus etwas gemacht“, erklärte Georg und lächelte stolz.
Nachdenklich sah Vera ihn an. Wie selbstbewusst er mit breiten Schritten auf das Tor zuging. ‚Er hat einen alten Buchbinder einfach rausgesetzt’, ging ihr im Kopf herum. Wenn die Söllners etwas wollten, dann wurde wohl nicht lange gefackelt? Was im Wege stand, wurde weggeräumt. Bis jetzt war Georg bemüht, alles in ihrem Sinne zu tun, und sie war froh, über nichts lange nachdenken zu müssen. Doch wie würde es sein, wenn sie einmal etwas anderes wollte als er? Sie fröstelte, verschränkte die Arme am Körper und sah sich um. Bewegten sich die Zweige der Bäume am Straßenrand vor dem Tor? Wehte ein kühler Wind?
Er stutzte. „Ist dir kalt? – Komm her!“ Er nahm sie fest in seine Arme und lachte. „So groß hast du es dir nicht vorgestellt. Das hast du nicht erwartet, nicht wahr? Warte, wenn du erst siehst, wie es drinnen aussieht, dann wird dir warm werden.“ Damit zog er sie durch das breite Tor des Grundstücks zum Aufgang die Stufen hoch und vorbei am Pförtner, der achtungsvoll den Juniorchef grüßte und zugleich Vera neugierig musterte.
Stolz führte er sie durch die Hallen mit den ratternden Strickmaschinen. Unverhohlen neugierige Blicke folgten ihr von den hier arbeitenden Menschen. Was dachten sie? Von Etage zu Etage fuhren Vera und Georg hoch mit einem stöhnenden und ächzenden Aufzug, bis sie oben unter dem Dach waren. Hier durchquerten sie kurz das Vorzimmer vor seinem Büro. Freundlich sah Frau Borgmann, seine Sekretärin, Vera entgegen. Einen Moment blieb Georg bei ihr stehen. Ein vertraulicher schneller Gruß, dann erklärte er wie beiläufig, dass Vera seine Braut sei, und schon zog er sie weiter. Vera konnte ihr gerade noch lächelnd zunicken. Georg konnte es wohl nicht erwarten, ihr sein Büro zu zeigen. Er öffnete die Tür und sah sie erwartungsvoll an, als sie eintraten. Beeindruckt verhielt Vera ihren Schritt. Durch eine Glasfront über die ganze Außenwand des Raumes sah sie hinaus auf die Dächer der Stadt. Die Sonne schien herein. Ein breiter Schreibtisch stand davor und dahinter ein hoher Chefsessel. Georg ging um den Schreibtisch herum und ließ sich in den Sessel fallen. „Na, was sagst du?“ Stolz sah er sie fragend an, wartete nicht ihre Antwort ab und redete gleich weiter: „So wünsche ich mir einmal unser Wohnzimmer, mit einem Blick durch so eine Glaswand in einen Garten. Später bauen wir uns bestimmt ein eigenes Haus. Vater will sich jetzt zur Ruhe setzen. Bald übernehme ich alles, dann werde ich die Fabrik vergrößern und anbauen. Denn Söllner-Strickwaren sind heute schon ein Begriff und ich werde dafür sorgen, dass dies bis in den letzten Winkel des Landes und darüber hinaus bekannt wird. Mach dich auf ein spannendes Leben mit mir gefasst.“
Vera setzte sich in einen der tiefen, weichen Klubsessel der Couchgarnitur, die in einer Ecke des Raumes stand. Sie sah Georg wie eine Silhouette vor dem riesigen Fenster hinter seinem Schreibtisch in dem Bürosessel mit der hohen Lehne sitzen. Es überwältigte sie. „Ja, es ist alles größer, als ich es erwartet habe“, gab sie zu. Zum ersten Mal wurde ihr bang. Das würde ja ein ganz anderes Leben werden, als sie es bisher geführt hatte. Fühlte er sich so sicher, alles was er plante, erreichen zu können, jetzt in dieser Zeit, wo so mancher Betrieb um seine Existenz kämpfen musste? Sie hatte doch Augen und Ohren, um das in der Firma zu erkennen, in dessen kaufmännischem Büro sie tätig war. Und bei ihm spürte sie nur, dass er viel für die Zukunft plante und alles kaum erwarten konnte. Oh, ja, er musste schon sehr genau wissen, was er wollte.
*
Der Winter ging vorüber, ein Winter, in dem Georg oft auf Geschäftsreisen war. Dann fuhr Vera manchmal abends zu Marita. Sabine war nun bald ein Jahr alt. Sie bekam ihre ersten Zähne, brabbelte die ersten Worte und begann vergnügt auf dem Boden herumzukriechen. Wenn Christian zu Hause war, fläzte er sich auf die Couch, während Marita nervös in der Küche wirtschaftete oder der lebhaften Sabine hinterher war. „Kannst du nicht auch mal auf die Kleine aufpassen!“, fuhr sie ihn mitunter an.
Nein, nach dem großen Glück sah das hier nicht aus. Marita war bereits wieder in ihrem Beruf als Verkäuferin tätig, während Christians Mutter Sabine betreute.
„Tut es dir nicht Leid, die Kleine schon so zeitig einem andern zu überlassen?“, wunderte sich Vera.
„Wie stellst du dir das vor? Das Geld reicht bei uns vorn und hinten nicht. Was Christian nach Hause bringt, kannst du vergessen. Der wird es nie zu etwas bringen. Würde mich nicht wundern, wenn er zu denen gehört, die zuerst arbeitslos werden. Ist doch bei der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung nur noch eine Frage der Zeit, wann auch sein Betrieb Entlassungen vornimmt.“ Zum ersten Mal ließ Marita erkennen, wie unzufrieden sie war. Da schwang auch so etwas mit, als wollte sie darauf hinweisen, dass sie eben nicht so ein Glück hatte wie Vera, einen reichen Mann zu finden. Das machte Vera sehr nachdenklich. Was war aus der lachenden, locker lebenden Marita geworden?
Bei all den Vorbereitungen zu ihrer Hochzeit hatte Vera allerdings nicht viel Zeit, um darüber nachzugrübeln. Wenn Georg bei ihr war, war er stets aufmerksam um sie herum. Sie mochte ihn mehr und mehr. Er schien zu erraten, was sie sich auch wünschte, und besorgte oder arrangierte es sofort. Es gab keinen Moment, in dem sie sich gegen ihn hätte auflehnen können. Sie verließ sich auch ganz auf ihn, als er einen Ehevertrag zwischen ihnen beim Notar aufsetzen ließ. Ohne zu zögern, unterschrieb sie. Es war doch klar, dass er Gütertrennung wollte, schließlich gehörte ihm alles und ihr nichts.
Auch die Mutter sah darin keinen Fehler. „Du hast Glück, du bekommst einen sehr vorsorglichen Mann“, meinte sie.
Doch Onkel Achim mahnte: „Erwarte nicht zu viel, Vera. Du magst ihn, das ist ein gutes Fundament, aber erst in der Ehe wirst du ihn wirklich kennenlernen“, mahnte Onkel Achim.
*
Als die Sonne die Erde erwärmte, die Natur erwachte, an Bäumen und Sträuchern Knospen aufbrechen ließ und alles mit einem zarten Grün überzog, war es so weit. Mai, was für ein Monat, um zu heiraten!
Der Tag der Hochzeit war gekommen. Vera erlebte alles wie einen Traum. Die ernsten Worte des Standesbeamten, dass man sie nun Frau Söllner nannte, wie sie als Braut, geschmückt im prachtvollen Kleid an der Seite von Georg durch das Kirchenschiff dem Altar fast entgegenschwebte, alles schien so unwirklich zu sein. Georg hielt sie fest, stützte sie, ließ sie nicht stolpern. Sie fühlte sich beschützt und ganz tief in ihrem Innern spürte sie, sie liebte ihn, jetzt, in diesem Augenblick, da sie sich das Versprechen gaben, zueinander zu halten, bis das der Tod sie scheide. Ja, das war der wichtigste Moment für sie. Aus vollem Herzen wandte sie sich ihm zu und gelobte ihm Liebe und Treue, so, wie auch er es ihr schwor. Und Gott war ihr Zeuge!
Es war ein großes Fest. Die Eltern von Georg hatten es sich etwas kosten lassen, da ihr einziger Sohn heiratete. „Nun lasst euch nur nicht zu viel Zeit mit Enkelkinder für uns“, sagte der Vater mit Augenzwinkern und handelte sich einen sanften Stoß der Mutter in seine Seite ein. Georg lachte. Doch wie der Vater das sagte, klang es fast schon wie ein Befehl, und Vera fühlte sich unbehaglich dabei. Das aber blieb der einzige Moment an diesem Tag.
Das Fest war noch in vollem Gange, als sie sich davonstahlen, ins Auto setzten und ihre Hochzeitsreise antraten. Nicht Venedig war ihr Ziel, sondern ein wunderschön gelegener See in den Bergen der Alpen. Hier in einem Hotel, so vornehm, dass sich Vera wohl bisher gescheut hätte, es zu betreten, hatte Georg ein Appartement gebucht. Noch unsicher betrat sie an seiner Seite eine Welt, in der sie sich in Zukunft bewegen sollte.
In den nächsten Tagen verwöhnte sie Georg sehr. Nichts war ihm zu teuer. Er ließ es sie auskosten, wohlhabend zu sein. Er machte es ihr leicht, sich in diese für sie ungewohnt neue Rolle zu finden.
Irgendwann in dieser Zeit, Georg schlief noch, stand sie auf der Terrasse ihres Appartements, streckte glücklich die Arme aus, sah über den in der Morgensonne funkelnden See hoch zu den Bergen und dachte, wie gut es das Leben mit ihr meinte. War es am Anfang auch nicht die große Liebe gewesen, jetzt war es für sie nicht mehr schwer, ihn zu lieben und es würde mehr und mehr werden. Sie hatte es gelobt und sie würde ihn nicht enttäuschen. Erst letzte Nacht wieder hatte er zu ihr in zärtlicher Stunde gesagt: „Ich möchte mit dir alt werden, ewig bei dir sein. Versprich mir, dass du mich nie verlässt, egal was kommt!“ Sie würde es ihm hundertmal versprechen, was sollte sie von ihm trennen? Die Nächte mit ihm waren ein Rausch. Er nahm sie voller Liebe, ließ ihr nicht Zeit, zu denken, ließ sie ihren Körper erleben, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Das Leben war ein Traum.
*
Doch Träume gehen zu Ende. Der Alltag begann. Er begann in einer kleinen, luxuriösen Wohnung, in die sie zogen. Alles war vorhanden, nichts fehlte darin. Vera sah wohl den Blick von Marita, als sie einmal mit Sabine zu Besuch kam. Nicht Neid war es, nein, das nicht, eher ein wenig Trauer, Bedrücktheit darüber, wie mühsam sie ihren kleinen Hausstand zusammenbekommen hatte. Christian war tatsächlich arbeitslos geworden. „Jetzt liegt er mir auf der Tasche. Denkst du, der macht mal den Versuch, eine neue Stellung zu finden. Lange bleibe ich nicht mehr bei ihm.“
„Aber Sabine ist erst ein gutes Jahr alt.“ Vera war erschrocken.
„Na und? Für uns beide reicht mein Geld, das ich verdiene.“ Marita lachte fast befreit.
Nachdenklich sah Vera ihr nach, als sie ging. Kam da nicht gerade für einen Moment die Marita durch, die das Leben leicht und locker nahm. Sollte sie sich wirklich so schnell über das Versprechen hinwegsetzen können, das sie Christian am Altar gegeben hatte?
Für Vera war das undenkbar. Darum musste sie sich ja auch nicht sorgen. Sie ging weiter in ihre Firma arbeiten, Georg in seinen Betrieb. Manchmal war er abends noch nicht zu Hause, wenn sie heimkam. Doch das war ihr recht. Die ganze ungewohnte Hausarbeit wartete noch auf sie. „Er wird dir sicher bald eine Putzfrau zugestehen, bei seinem Lebensstandard. Bei seinen Eltern gab es schließlich auch Hausangestellte“, vermutete die Mutter. Für sie war es bereits verwunderlich, dass Vera noch weiter arbeiten ging.
Das änderte sich bald. Als sie am Monatsende ihr kleines Gehalt auf dem Tisch ausbreitete, ihr selbst verdientes Geld, lachte er. „Und dafür plagst du dich einen ganzen Monat lang? Hör auf damit. Gib die Stelle auf und komm zu mir in die Firma, ich kann gut eine rechte Hand brauchen.“
So kam es, dass sie bald gemeinsam morgens zur Firma fuhren. Vera bekam in das Vorzimmer zwischen den Büros von Vater und Sohn einen Schreibtisch zur langjährigen Sekretärin gestellt und wurde in alles Notwendige von ihr eingeführt. Frau Borgmann saß seit undenklicher Zeit hier. „Sie ist eine bewährte und unverzichtbare Stütze der Firma, nicht wegzudenken“, lobte der Vater sie. Und Georg betonte, dass sie ihm so manchen ersten Schritt in die Firma leicht gemacht und ihn vor so manchem Donnerwetter seines Vaters bewahrt hatte. Nun stand sie, hilfsbereit wie immer, Vera zur Seite. Vera lernte die Buchhaltung kennen und wurde von Georg zu Verkaufsgesprächen hinzugezogen. Sie begriff alles schnell. Es gefiel ihr, zu sehen, wie geschickt Georg verstand die Firma zu leiten. Es tat ihr gut, wenn ihr Schwiegervater, der Seniorchef, sie lobte. Dass sie nun kein Gehalt mehr bekam, darüber dachte sie zunächst nicht nach, bis Georg einmal sagte: „Was soll ich dir jeden Monat Geld zahlen, du kannst dir ja jederzeit von unserm Haushaltskonto bei der Bank so viel abheben, wie du brauchst.“ Und er lachte selbstgefällig dabei, fühlte sich wahrscheinlich sehr großzügig.
Das war das erste Mal, dass sie ihm gerne widersprochen hätte, weil ihr bewusst wurde, dass sie nun kein eigenes Geld mehr hatte, obgleich sie weiterhin den ganzen Monat arbeitete wie vorher. Doch sie schwieg, denn schlecht ging es ihr nicht dabei. Auch eine Haushaltshilfe für einen Tag in der Woche konnte sie einstellen, obgleich noch genug für sie zu tun blieb. Nein, unzufrieden wollte sie nicht sein, von nichts kam nichts, Wohlstand bekommt man nicht umsonst. Es machte ihr sogar Spaß, mit Georg zusammenzuarbeiten. Gegen das, was sie bisher getan hatte, war die Arbeit hier viel abwechslungsreicher. Sie gab sich große Mühe und war mit Eifer dabei. Bald wandte man sich an sie, wenn Georg geschäftlich unterwegs war.
*
So verging ein Jahr, alles lief reibungslos. Vera kam gut mit Frau Borgmann aus, sie ergänzten sich, bis Georg eines Tages feststellte: „Jetzt bist du genug eingearbeitet. Nun brauchen wir Frau Borgmann nicht mehr. Das, was sie macht, kannst du leicht mit erledigen.“ Ohne weiter zu fragen, kündigte er ihr von einem Tag auf den andern. Es rührte ihn nicht, dass Frau Borgmann in Tränen ausbrach und sich verzweifelt um ihre Existenz sorgte.
Vera war erschrocken. „Das kannst du nicht machen! Frau Borgmann ist nicht mehr jung. Sie wird keine neue Stelle finden. Wie viele Jahre ist sie hier bei deinem Vater gewesen? Sie hat einen guten Teil ihres Lebens für die Firma gegeben und hier verbracht. Wie kannst du sie jetzt einfach vor die Tür setzen. Man hat einem Menschen gegenüber auch eine Verpflichtung, wenn man so lange mit ihm zusammengearbeitet hat.“ Zum ersten Mal widersprach sie ihm.
Überrascht sah Georg sie an. Adern schwollen an seiner Stirn. „Was verstehst du davon? Sie ist eine Angestellte wie alle andern.“
„Ich hatte bisher den Eindruck, du hast sie besonders geachtet. Sie war für dich eben nicht eine Angestellte wie die andern. Wie kannst du dich so leicht von jemand trennen, zu dem du, wie ich meine, mehr als eine geschäftliche Beziehung hattest, den du magst und der dir wichtig war? Wie einen Sohn hat sie dich behandelt.“
„Willst du hier ein Wohltätigkeitsinstitut aufmachen? Wir haben nichts zu verschenken. Sie geht, basta!“
Vera zuckte unter der Härte seiner Worte zusammen. Ein ungutes Gefühl kroch in ihre hoch. Konnte es sein, dass Georg fähig war, etwas von einem Moment zum andern wegzuwerfen, was ihm eben noch wertvoll war?
Es war das erste Mal, dass er ärgerlich auf sie reagiert hatte. Danach wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie für ihn auch nur eine billige Arbeitskraft war. Und noch etwas hatte es zur Folge: Schlagartig war sie wieder da, die längst vergessen geglaubte Verlustangst aus der Kindheit, als der Vater sie so einfach verlassen hatte. Danach hatte sie sich lange Zeit nicht getraut gegen die Mutter aufzulehnen, aus Angst, auch noch ihre Liebe zu verlieren.
Als Georg merkte, wie verschreckt sie war, nahm er sie am Abend tröstend in die Arme. „Liebes, so etwas musst du mir überlassen. Zerbrich dir nicht deinen hübschen Kopf darüber. Das steht dir nicht. Also lach wieder! Du hast ja nichts zu befürchten, denn dich liebe ich“, versicherte er ihr und wollte damit ihre Sorgen weglachen. Aber etwas blieb bei Vera hängen, so sehr sie auch versuchte, es zu verdrängen.
Irgendwann begann der Schwiegervater zu fragen, ob denn nicht endlich ein Kind bei ihnen käme. Er zwinkerte zwar mit dem Auge dabei, aber es traf Vera doch. Warum wurde sie nicht schwanger, Georg tat nichts dagegen, sie sahen sich nicht vor.
Auch er wurde ungeduldig und begann von Mal zu Mal zu fragen, ob nicht endlich ihre Menstruation weggeblieben sei. In Vera baute sich ein Schuldbewusstsein auf. Man erwartete von ihr einen Erben und sie blieb ihnen diesen schuldig.
„Nun spiele nicht verrückt! Bei uns hat es auch zwei Jahre gedauert, bis du auf die Welt gekommen bist“, versuchte die Mutter sie zu beruhigen.
*
Doch als sie zwei Jahre verheiratet waren, war immer noch kein Erbe in Sicht. „Da kann etwas nicht stimmen. Geh mal zum Arzt!“, verlangte Georg.
Vera ließ sich untersuchen. Nein, bei ihr war alles in Ordnung. „Und wenn du ...?“ Vera kam gar nicht dazu, diese Frage zu stellen. Georg lachte, wie er immer alles weglachte, was ihm unangenehm war. „Daran brauchst du gar nicht erst zu denken, was du da fragen willst. Das ist ausgeschlossen!“ Vera jedoch konnte nicht aufhören, daran zu denken, dass er seit einiger Zeit manchmal im Bett versagte. „Ach, das kommt eben mal vor“, tat er es ab. Nur, ob das nicht doch etwas damit zu tun hatte?
Eines Tages nahm die Schwiegermutter sie beiseite, weil sie so bedrückt darauf regierte, als der Schwiegervater erneut drängend nach einem Enkelkind gefragt hatte. „Kind, lässt du dich von den Männern deswegen verrückt machen? Wenn eine Frau zu angestrengt darauf wartet, schwanger zu werden, bringt sie damit ihren Körper in einen solchen Stress, dass es nicht geschehen kann.“
Ja, das wird es wohl sein, dachte Vera. Doch da war noch etwas, worüber sie aber mit niemanden reden konnte. Wenn sie sich den Tag errechnet hatte, an dem ihre Chance am größten war, schwanger zu werden, dann versagte Georg. „Auf Bestellung kann ich nicht! Das ist eben so“, wehrte er unwirsch ab.
Zehrte auch an ihm die Erwartung, ein Kind zu zeugen? Wie sollte sie schwanger werden, wenn das nicht ging, er sogar auch sonst immer seltener zu ihr kam. Vorbei war die Zeit, wo er sich behutsam um ihre Befriedigung kümmerte. Jetzt war er nur noch auf seine eigene Erfüllung bedacht. Vergessen schien, die Übereinstimmung der ersten Zeit zu sein. Mitunter versagte er mittendrin. Vera nahm alles hin. O Gott, nein, hier wollte sie wirklich nichts falsch machen, denn er liebte sie doch. In hundert kleinen Gesten, teilte er ihr das mit, nur wenn sie aufbegehrte, änderte sich sein Verhalten.
*
Bad war ein Kind kein dringendes Thema mehr. Er begann Pläne zu schmieden für ein Haus, das er bauen wollte. Er konnte ihr das alles so richtig ausmalen. Natürlich sollte es ein Wohnzimmer mit einer breiten Glasfront zu einer großen Terrasse im Garten davor haben; ein Kinderzimmer wurde auch nicht vergessen und wie die Küche aussehen sollte, das durfte Vera sogar allein bestimmen. Er lachte, wenn sie das zu bescheiden plante. „Mädchen, so bald bauen wir kein neues Haus mehr. Die Küche muss dir für viele Jahre genügen, also denke an alles.“ Da steckte er sie mit seiner Begeisterung an. Mit roten Wangen stöberte sie in Prospekten herum und stellte Listen von allem zusammen, was sie sich wünschte. Georg schlug ihr nichts ab. „Liebes, es macht mich glücklich, dich so froh zu sehen.“
Und sie war froh. Alles, was ihr vorher Sorgen bereitet hatte, verdrängte sie in dieser Zeit, in der ihr Haus entstand. Vielleicht würde sie ja ein Kind bekommen, wenn sie erst darin wohnten, und auch alles ganz anders werden.