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Die philosophische Disziplin, die mit der Frage nach der Existenz Gottes befasst ist, trug und trägt mehrere Namen. Am verbreitetsten sind ›philosophische Theologie‹, ›natürliche Theologie‹ und ›Rationaltheologie‹/›rationale Theologie‹. Wenn im Folgenden der Terminus ›rationale Theologie‹ bevorzugt wird, ist damit keine Positionierung in der Sache angezeigt. Denn im Kern sind diese Bezeichnungen gleichbedeutend. In allen Fällen ist das Vorhaben gemeint, mit ›bloßer Vernunft‹, also ohne jeden Rekurs auf religiöse Offenbarung, wahre und begründete Aussagen über Gott, seine Existenz und seine Eigenschaften zu treffen. Dieser Begriffsgebrauch hält sich von der mittelalterlichen, aber schon in der Patristik vorbereiteten theologia naturalis bis zur Gegenwart durch (vgl. Schröder: Religion, natürliche). In der klassischen Disziplineneinteilung der Philosophie ist die rationale Theologie eine Sektion der ›speziellen Metaphysik‹, also eine der drei ›Bereichsmetaphysiken‹ neben der ›rationalen Psychologie‹ und der ›rationalen Kosmologie‹. Wie Metaphysik überhaupt, hat die rationale Theologie nichts mit Glauben zu tun, sondern zielt auf Wissen über ihren Gegenstand. Auch heute fragt sie danach, welche Aussagen über die Existenz und die Eigenschaften Gottes sich als wahr oder wahrscheinlich ausweisen lassen. Wenn wir ›die rationale Theologie‹ durch diese Fragen definieren, sind ihr auch atheistische oder agnostische Theorien zuzurechnen.

Wichtig für die folgenden Überlegungen ist das Verhältnis, in dem die rationale Theologie zu den im eigentlichen Sinne religiösen Lehren steht, die nicht aus bloßer Vernunft gewonnen, sondern durch Offenbarungstexte göttlichen Ursprungs bekannt gemacht und beglaubigt worden sind. Die klassische, auch gegenwärtig zumeist als angemessen betrachtete Verhältnisbestimmung sieht die Aufgabe der rationalen Theologie darin, die Grundlagen der geoffenbarten Glaubenswahrheiten mit philosophischen Argumenten zu sichern und zu verteidigen. Der Glaube an eine göttliche Offenbarung setzt ja voraus, dass es Gott, ihren Urheber, gibt. Thomas von Aquin bezeichnet in diesem Sinne die Aussagen der rationalen Theologie (der theologia naturalis) als »praeambula fidei«, also als rational gesicherte Annahmen über Gott, die den Glaubenswahrheiten als deren Voraussetzungen ›vorausgehen‹.3 Dabei handelt es sich um Aussagen über die Existenz, Allmacht, Allgüte, Allwissenheit sowie die Schöpfertätigkeit und die Vorsehung Gottes. Über diese können wir Thomas und der Tradition zufolge, gestützt auf Beweise, Wissen erwerben.4 Manche Philosophen sagen es vorsichtiger: Wir können zeigen, dass sie wahrscheinlich oder rational zulässig sind. Nur dann kann ein rationaler Adressat der Offenbarung den eigentlichen Glaubensinhalten, von denen auch aus theologischer Sicht kein Wissen möglich ist (die Dreifaltigkeit, die zwei Naturen Christi, das Jüngste Gericht, die Verheißung ewigen Lebens), glaubende Zustimmung geben bzw. eine »vernünftige Hoffnung«5 auf sie richten. In diesem Sinne kann man von einer fundierenden Beziehung von rationaler Theologie und Offenbarungsreligion sprechen.

Ein Blick auf das Großprojekt Richard Swinburnes, eines der führenden Rationaltheologen der Gegenwart, macht die Plausibilität dieser Verhältnisbestimmung von rationaler Theologie und Offenbarung anschaulich. In einem ersten Schritt bemüht sich Swinburne darum, die Nichtwidersprüchlichkeit des standardtheistischen Gottesbegriffs aufzuzeigen (The Coherence of Theism; 1977). Erst dann entwickelt er Gottesbeweise (The Existence of God; 1979). Schließlich versucht Swinburne zu zeigen, dass göttliche Offenbarung möglich ist und ihren Lehren Glauben geschenkt werden kann (Revelation; 1991). Die rationale Theologie gelangt jedoch nicht mit eigenen Mitteln zu Aussagen über Gott, die über seine Existenz und seine basalen Eigenschaften wie Allgüte, Allwissenheit und Allmacht hinausgehen.

Mit dieser auch aus atheistischer Perspektive angemessenen Verhältnisbestimmung ist der rationalen Theologie eine klare Grenze gesetzt: Sie hat nicht die Mittel und ist aus theologischer Sicht auch nicht befugt, freihändig über Eigenschaften Gottes zu spekulieren, die jenseits der Fassungskraft der Vernunft liegen. Wie sollte sie auch dazu imstande sein, rational gerechtfertigte Aussagen über den trinitarischen Gott, die Bedingungen des Heils oder über Lohn und Strafe im Jenseits zu machen? Dennoch haben nicht wenige Philosophen versucht, diese Grenze in freier Spekulation zu überschreiten. Nicht alle haben wie Michael Theunissen (Philosophie der Religion oder religiöse Philosophie?) mit der gebotenen Klarheit festgehalten, dass eine solche »religiöse Philosophie« von rationaler Theologie und Religionsphilosophie strikt unterschieden ist.

Aus der Beschränktheit rationaler Theologie folgt ihre Ergänzungsbedürftigkeit. Denn wenn es gelingen sollte, die Existenz und die basalen Eigenschaften Gottes argumentativ zu sichern, wäre ein Theist damit noch nicht am Ziel angelangt. Es sind weitere Schritte zu tun, um das zu erreichen, worum es ihm letztlich zu tun ist: eine konkrete Orientierung für die Lebensführung und ein konkretes Heilsversprechen. Das kann die rationale Theologie mit ihren »kärglichen Präambula fidei« (Wagner: Religionsbriefe, 125), die lediglich Aussagen über einen allgütigen und allmächtigen Weltschöpfer beinhalten, keineswegs bieten. Aussagen über die Bedingungen der Erlösung oder über das Schicksal der Menschen nach dem Tode können allenfalls aus übernatürlicher Offenbarung bezogen werden. Die von ihren Vertretern eingestandene, ja betonte inhaltliche Beschränktheit der rationalen Theologie und ihre Ergänzungsbedürftigkeit durch Offenbarung (vgl. Ricken: Glauben weil es vernünftig ist, 41 ff.) werden im Folgenden mehrmals wichtig werden.

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