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Auf- und Schiffbruch

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Am dritten Oktober eines nicht allzu weit zurückliegenden Jahres stürzte ein Flugzeug mit dreihundert Passagieren ins Meer, das man das kretische nennt. Viele ertranken, einige wurden gerettet und auf der Insel Milos wieder an Land gesetzt, aber einer wurde von einem Segler aufgefischt, dem diese Liebesmüh jedoch nicht gedankt wurde.

Nachdem sich der Mann, der anfänglich, wie man sich denken kann, noch etwas grün aussah und den Skipper an einen deutschen Ministerpräsidenten erinnerte, etwas von den Strapazen seines unfreiwilligen Schwimmens erholt hatte, reichte er seinem Lebensretter an Deck zum Dank die Hand, dankte ihm jedoch nicht wirklich, sondern riss ihn mit einem kräftigen Zug von Bord seines eigenen Schiffes.

Der Gerettete aber, erwies sich sogleich als kundiger Segler und noch bevor die Sonne im Kretischen Meer versank, hatte er sein Meisterstück vollbracht. Er lenkte das stolze Schiff, es trug den reizenden Namen Samantha , in eine Bucht an der Nordseite der ebenso stolzen Insel Antikythira . Und noch während er sein Anlegerbier, der brave, aber unfreiwillig von Bord gegangene Skipper hatte davon genug im Kühlfach gelagert, in großen Zügen die Kehle hinunter rinnen ließ, erhielt im fernen Berlin die Galeristin Gerlinde Körner, deren Mann, wie der Vielbelesene nun schon ahnen mag, der Gerettete war, die unheilvolle Botschaft vom Absturz eines Flugzeuges, das auf dem Wege von Heraklion nach Berlin keine fünfzig Meter über der an diesem Tag spiegelglatten Oberfläche des Kretischen Meeres explodiert war.

Der psychologisch weder in der Tiefe noch in der Höhe des Wissens geschulte Überbringer der Botschaft, wusste zunächst nichts Besseres hervorzubringen als den Satz: Entschuldigen Sie die Störung, Frau Körner, ich bin vom Kriseninterventionsdienst für Angehörige abge-stürzter Familienmitglieder. Mein Name ist Hümmer, Sigbert Hümmer, und ich muss Ihnen zu meinem und Ihrem Bedauern mitteilen, dass Ihr Mann zu den Passagieren gehörte, über deren Aufenthalt wir momentan noch immer nichts wissen. Alles deutet darauf hin, dass er im Meer ertrunken ist.

Die auch am späten Abend durchaus noch aparte Galeristin zeigte sich, nein, man muss sagen hörte sich, gefasst, ja fast ein wenig abgeklärt an, als sie sagte, dass der Tod ein Meister aus Deutschland gleichzeitig aber auch schwächer als die Liebe sei. Der literarisch wenig gebildete, jedoch in schlechten Nachrichten ebenso wenig geübte Krisen-interventionspsychologe reagierte verständnislos und zeigte sich sogar ein ganz klein wenig beleidigt, da ganz offensichtlich seine Dienste hier weder geschätzt noch benötigt wurden. Trotzdem wollte er nicht sogleich aufgeben, wusste er doch noch von seinem zweiwöchigen Kriseninterventionslehrgang her, dass schlechte Nachrichten den Menschen nicht selten verzögert und auf hinterhältige Weise in den seelischen Abgrund ziehen können. Er fand daher ganz gegen seinen kurzfristig einsetzenden inneren Groll um die verletzte, erst kürzlich erworbene Berufsehre, doch noch tröstliche Worte, bevor er den Telefonhörer auflegte, um sich dem nächsten Angehörigen zuwenden zu können: Frau Körner, wir werden Sie sofort verständigen, wenn Ihr Mann in welcher Verfassung auch immer gefunden werden sollte. Vielleicht mag es Ihnen jetzt ein Trost sein, wenn ich Ihnen sage, was mir ein erfahrender Kapitän einmal unter vier Augen anvertraute: Wen das Meer einmal zu sich genommen hat, den gibt es nie wieder her.

Ob dieser Satz die künftige Witwe nun in eine gewisse Anteilnahme um die Ausbildung eines Kriseninterventionspsychologen im Allgemeinen oder auch im Besonderen stürzte, können und wollen wir an dieser Stelle nicht weiter verfolgen, gewiss aber ist, dass die Galeristin Körner nach dem Gespräch mit, wie hieß der Mann noch mal, Herrn Hümmer, zum Telefonhörer griff, ihn aber sogleich wieder sinken ließ, da sie sich in eben diesem Moment daran erinnerte, dass die von ihr verlangte Laura Christ, ja nur einen Stock unter ihr die herrschaftliche Villa in Berlin-Zehlendorf teilte und um diese Zeit, es war noch nicht Mitternacht, vermutlich die Hängung der Schnaittenbachschen Werke in einer räumlichen Skizze, die einem Oberflächensurvey ähnelte, festhielt.

Gerlinde Körner entschloss sich daher, die Freundin umgehend aufzusuchen, um ihr, wir wagen es kaum zu sagen, die freudige Botschaft vom meerumschlungenen Rudolf sozusagen auf dem Silbertablett zu servieren, doch auf selbiges stellte sie jetzt eine Flasche Rotwein mit zwei Gläsern.

Als ehemaliges Mannequin hatte die Galeristin gelernt, wie man effektvoll eine Treppe heruntersteigt ohne auf hohen Absätzen die Balance zu verlieren, doch mit einem Tablett in der Hand, das mit schwerem Wein und zerbrechlichen Gläsern beladen war, hätte man ihr mehr Zuschauer gewünscht, als tatsächlich vorhanden waren.

Laura Christ sah also ihre Freundin in außergewöhnlich graziler Art die Treppe zum Foyer des Hauses, das ihr auch als Arbeitszimmer diente, herunterschweben und noch bevor sie mit einer Frage das unergründliche Lächeln im Gesicht ihrer Freundin entschlüsseln konnte, sagte Gerlinde mit einem Anflug schnell verhuschender Trauer: Rudolf ist nicht mehr .

Verlassen wir nun aber für einen Moment wieder die Zehlendorfsche Villa, denn Scham und Abscheu zwingen uns, die Hände für einen Moment vors Gesicht zu halten. Es ist nicht jedermanns Sache, wenn sich Menschen freudig in den Armen liegen, die den Tod eines anderen Menschen als glücklichen Neubeginn feiern.

Überdies müssen wir dem Totgeglaubten nun doch wieder etwas mehr Aufmerksamkeit widmen, denn so holterdiepolter, wie dies eben im schnoddrigen Stil eines Journalisten berichtet wurde, war es denn doch nicht.

Es stimmt, Prager, der nun Körner und vormals Schmidt hieß, wurde tatsächlich gerettet. Ein gräflicher Segler aus dem Niederbayerischen fischte ihn auf und wollte ihn, wie es sich für einen braven Lebensretter gehört hätte, umgehend nach Kissamo zurückbringen. Mir scheint, sagte Graf Egling zu dem Geretteten, Sie könnten jetzt ein paar Tage Pflege gebrauchen. Aber jetzt muss ich erst einmal die Küstenwache verständigen, dass ich einen Überlebenden des Flugzeugabsturzes geborgen habe.

Überstürzen Sie nichts, Herr Graf, säuselte der etwas angeschlagen wirkende Körner, mir geht es den Umständen entsprechend gut. Wenn Sie erlauben, würde ich gern selbst die entsprechenden Stellen benachrichtigen, ich kenne die richtigen Leute.

Wie ich gerade auf Ihrer Seekarte erkennen konnte, befinden sich Herr Graf auf dem Wege nach Malta. Nach Valletta wollte ich ohnehin in den nächsten Wochen fliegen. Es sind wichtige Bankgeschäfte zu erledigen, wenn Sie wissen, was ich meine.

Graf Egling schüttelte den Kopf: Ich fürchte, dass ich Sie nicht mit nach Malta nehmen kann, Herr Körner. Ich will vorher noch eine kleine griechische Insel im Ionischen Meer aufsuchen und erst dann nach Malta übersetzen und im Übrigen muss ich den Vorfall umgehend melden. Sicher werden sich Ihre Angehörigen schon Sorgen machen. Ich kann mir vorstellen, dass der Absturz des Flugzeuges bereits überall auf der Welt durch die Nachrichten gegangen ist..

Körner hob resigniert die Schultern, nun gut, Herr Graf, wenn Sie das unbedingt selbst erledigen wollen, will ich Sie nicht weiter daran hindern. Bevor Sie aber Ihre Meldung absetzen, spendieren Sie mir doch einen kleinen Korn und stoßen Sie mit mir oben auf Deck unter freiem Himmel auf meine Rettung an. Dann können wir gemeinsam alles Weitere in Ruhe besprechen.

Diesen Wunsch konnte der Graf, der immer Verständnis für eine gewisse Etikette aufbrachte, dem Geretteten schlecht absprechen und so holte er denn eine Flasche Zwieseler Bärwurz aus der Kombüse, das war der niederbayerischen Heimat geschuldet, goss zwei Gläser voll und folgte, ein leises „ Kruzifix “ vor sich hin fluchend, dem Geretteten nach oben.

Das aber war, wie sich gleich herausstellen sollte, ein unbedachtes Manöver, denn Körner stieß nicht das Glas seines Retters an, sondern gleich den ganzen Mann. Der Graf stürzte ob des heftigen Anstoßes rücklings über die Reling seiner stolzen Samantha , schrie und ruderte noch eine Weile mit den Armen im Wasser und befand sich aber bald außer Reichweite des Bootes.

Körner konnte nicht erkennen, ob der ertrinkende Graf dabei noch immer sein Glas, wie es seinem Stande entsprochen hätte, in Händen hielt. Das wäre sicher eine schöne Geste gewesen, die einem Adeligen weiß Gott zur Ehre gereicht hätte, dachte Körner, als er den Mann versinken sah. Doch auf solche Äußerlichkeiten der Etikette wollte Körner jetzt keine weiteren Gedanken verschwenden. Er musste sich nun umgehend um das Schiff kümmern.

Wir hatten zwar erwähnt, dass es sich bei Körner um einen „kundigen Segler“ handelte, dabei aber geflissentlich vergessen, dass Körner in seiner Jugend lediglich eine Jolle zu segeln gelernt hatte. Es war auf dem Müggelsee bei Berlin, wo er sein kleines Patent erworben hatte. Er verfügte über das notwendige Wissen, um unter einfachen Wetterbedingungen mit einer Jolle segeln zu können. Jedem Laien dürfte jedoch klar sein, dass zum Segeln einer Hochseeyacht mehr gehörte, als unser „Held“ hier an Kenntnissen und Erfahrung vorzuweisen hatte.

Wir kennen aus der Literatur etliche Beispiele, wie beherzte Mitreisende dem eingeschlafenen Busfahrer in letzter Sekunde das Steuer aus der Hand nahmen bevor dieser den Bus samt Ladung in den nächsten Graben setzte. Wie oft haben wir in Filmen gesehen, wie Passagiere den Steuerknüppel eines Flugzeuges an sich reißen mussten, weil der Pilot eine Unpässlichkeit zeigte. Uns stockte der Atem, als wir mitansahen, wie das Flugzeug ins Trudeln geriet und der Absturz in abgeschiedener Bergwelt unvermeidlich schien. Aber, auch das konnten wir immer wieder an diesen Beispielen erkennen, es gibt selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen immer wieder Menschen, die eine Katastrophe auch verhindern können. Warum sollte nicht auch Herr Körner, der in seinem Leben schon so manche heikle Angelegenheit zu seinen Gunsten entschieden hatte, nicht auch dieses Mal das Rad des Schicksals zu seinem Vorteil wenden können?

Zugegeben, und jeder Fachmann würde bei diesem Vergleich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, eine Jolle auf dem Müggelsee ist nicht mit einer 14-Meter-Yacht in der Agäis zu vergleichen. Aber die Beherrschung der Winde folgt doch den gleichen Regeln und so war denn unser selbsternannter Schiffsführer guten Mutes, die Yacht in die gewünschte Richtung steuern zu können.

Im Logbuch war als nächstes Ziel Potamos , ein kleiner Hafen auf der Nordseite der Insel Antikythira eingetragen. Der Graf hatte für die Strecke von Falarsarna nach Antikythira zehn Stunden Fahrzeit berechnet und wollte, wie Körner der Karte entnehmen konnte, in der Hafenbucht von Potamos seinen Anker setzen.

Folgende Koordinaten hatte der Graf als letzte eingetragen: 35,8901 N – 23,3072 E, der Steuerkurs war mit 337 Grad angegeben. Auf der Karte hatte Graf Egling noch nach alter Seefahrerart mit Zirkel und Lineal den Schnittpunkt von Breiten- und Längengrad ermittelt. Das Boot musste sich demnach jetzt etwa drei bis vier Seemeilen vor dem Südkap der Insel Antikythira befinden.

Körner ließ sich die Position des Schiffes auf dem Plotter ausdrucken und trug den neuen Standort auf der Karte ein, die der Graf über den großen Tisch in der Kombüse ausgebreitet hatte. Das moderne Schiff war mit einer Selbststeueranlage ausgerüstet, so dass er sich etwas Zeit nehmen konnte, erst einmal die vorhandenen Geräte in Augenschein zu nehmen. Er hatte den Wind im Rücken und musste zu seiner großen Erleichterung vorerst kein aufwändiges Segelmanöver durchführen.

Körner konnte seine Wiederauferstehung also in relativer Gelassenheit angehen. Trotzdem durfte er sich jetzt nicht zu lange dem Studium der Seefahrt widmen, denn wie der Wetterbericht meldete, würde ihm an der Ostseite der Insel Antikythira ein leichter Nordwind mit 2-3 Beaufort entgegenblasen

Körner ließ sich die Seewettervorhersagen des Deutschen Wetterdienstes für das östliche Mittelmeer ausdrucken. Gegen das Höhentief, das noch am Mittwoch über Italien stand hatte sich ein Keil des Azorenhochs durchgesetzt. Für die Ägäis hatte sich der Wind auf NW-N gedreht, wobei die Windstärke mit schwachen 3-4 Beaufort angegeben wurde und eine Wellenhöhe von mehr als 0,6m noch recht moderat war.

Man musste also ein wenig gegen den Wind aufkreuzen, was die Ankunftszeit im Hafen von Potamos ordentlich nach hinten schieben konnte.

Die Segel hatte Prager zu einem Drittel gerefft. Er wusste wohl, dass ein Segler bei diesem lauen Wind mit vollen Segeln fuhr, aber die fehlende Erfahrung ließ Vorsicht walten. Sollte der Wind stärker aufbrisen, würde sich Körner nicht scheuen, den Motor anzuschalten.

Etwas flau im Magen wurde ihm, als er an das bevorstehende Anlegemanöver dachte.

Das Segeln selbst ist ja nicht das Problem, wenn man alleine unterwegs ist; das Hauptproblem ist das Anlegen. Das wusste er noch aus seinen Jugendtagen: Wenn die Windverhältnisse ungünstig sind und keine Hilfe an Land vorhanden ist, kann das Anlegen schnell in die Hose gehen. Und dieses Schiff war keine Jolle, die bei einem zu forschen Aufschießen noch mit den Beinen zu korrigieren war, sondern eine 14 Meter lange Yacht!

Graf Egling hatte es so einrichten lassen, dass alle Fallen, Strecker, Reffleinen und Schoten aus der Pflicht bedient werden konnten. Sowohl Vorsegel als auch das Großsegel konnten gerefft werden, ohne dass man das Cockpit verlassen musste, das machten allein die elektrischen und hydraulischen Hilfen. Der Graf musste ein Vermögen in sein Boot gesteckt haben. Und auch das hatte Körner schon gesehen: Autopilot und elektrische Ankerwinsch gehörten im Boot des Grafen zur Standardausrüstung.

Gegen 16.00 Uhr hatte Körner die Südspitze von Antikythira vor sich liegen. Deutlich konnte er mit dem Fernglas den Leuchtturm von Apolytares erkennen, ein architektonisch außergewöhnliches Bauwerk aus dem Jahr 1926. Außergewöhnlich war auch sein Standort: er fand sich nicht wie sonst üblich in erhöhter Lage, sondern vor einer Felswand. Interessant, murmelte Körner nur, als er das Fernglas absetzte. Er musste jetzt eine Wende einleiten, wenn er vom Land wegkommen und nicht in einen Legerwall geraten wollte.

Er steuerte zunächst einen Amwindkurs bis der Bug durch den Wind drehte und auf die andere Seite der Segel schlug.

Der Abstand zwischen Süd- und Nordspitze der Insel betrug fast 8 Kilometer, das waren zu Wasser etwas mehr als vier Seemeilen. Körner überschlug im Kopf, wie lange er dazu brauchen würde. Mit vier Stunden sollte er mit seinem eingeschlagenen Zickzackkurs gen Norden auskommen.

In Höhe des Nordkaps wechselte Körner noch einmal die Richtung und zog einen großen Bogen nach links, um von Norden her in die Bucht einlaufen zu können. Bevor er jedoch in die Hafenbucht einfahren konnte, mussten die Segel geborgen werden. Er drehte bei, ließ die Maschine laufen und ließ elektrisch die Segel einholen. Er rief sich in Erinnerung, was er beim letzten Segeltörn auf der Yacht seines Immobilienhändlers auf Kreta gesehen hatte: Zuerst den Baum andirken, die Fallklemme öffnen und dann das Segel mit Knopfdruck elektrisch einholen lassen. Es klappte alles wie am Schnürchen und Körner klopfte sich auf die Schultern und lachte: Das haben der Herr Graf sehr gut gemacht!

Auf der Karte hatte Körner gesehen, dass in der Bucht ein Ankerplatz für Yachten vorgesehen war. Sollte die Hafenbucht jedoch auch Platz zum Anlegen haben, um so besser.

Da die Hafenbucht von Potamas nur mäßig mit Booten besetzt und Körner nur einen größeren Segler entdecken konnte, entschloss er sich, ein Anlegemanöver zu wagen. Es blieb ihm noch etwas Zeit, das geplante Manöver vorher geistig durchzuspielen. Er sah sich um: An der großen Pier schien hinter einer anderen Yacht noch genügend Raum zu sein, um längsseits gehen zu können. Das kleine Hafenbecken daneben war mit Fischerbooten belegt und war nur über eine enge Einfahrt zu erreichen.

Körner lief mit langsamer Fahrt in den Hafen ein und zog erst einmal einen Kreis, um zu schauen, wie das „Einparken“ am günstigsten zu bewerkstelligen sei. Er hatte Glück, der Hafenkapitän oder einer, der so aussah, als würde er hier die Regie führen, stand am Pier und deutete auf einen Liegeplatz hinter der anderen Segelyacht. Es war eben der Platz, den auch Körner schon ins Auge gefasst hatte. Er hatte schon alle erforderlichen Leinen vorbereitet und hängte jetzt die Fender auf die Steuerbordseite. Ein Flugzeug herunterzubringen, ist kein Kunststück, dachte Körner. Es aber ohne Bruch zu landen, dazu gehören Ausbildung und Erfahrung, beides steht mir bei meinem Anlegemanöver leider nicht zur Verfügung. Na dann, Mast und Schotbruch.

Körner brachte die Samantha in einem Abstand von wenigen Metern parallel zur Pier zum Stehen und tastete sich dann wieder unter Maschine an die Pier heran. Gut, dass ihm jetzt der Hafenkapitän zu Hilfe kam und die geworfenen Leinen aufnehmen konnte. Doch Körner hatte die Technik des Leinenwerfens nicht ausreichend geübt und so ging denn schon der erste Wurf daneben, was ihm aber in der fast windstillen Bucht sogleich wieder verziehen wurde.

Mit Vorleine und Achterleine konnte Körner mit Hilfe des Hafenmeisters an der Pier das Boot in die richtige Lage zwischen zwei Poller treideln. Die Fender saßen an der richtigen Stelle, so dass keine Gefahr bestand, das Boot zu beschädigen.

Nun konnte Körner im Büro des Hafenkapitäns seinen Papierkram erledigen. In einer blauen Segeltasche lag alles bereit: der Sportküsten-schifferschein, der Sportbootschein C, sowie Ausweis und SRC-Schein. Blöd, dass das Bild im Ausweis so gar keine Ähnlichkeit mit ihm zeigte und Körner hatte sich schon bei Nachfrage den folgenden Satz zurechtgelegt: It’s three years ago, now I’m a business man with white hair and no beard . Er musste jedoch den Satz nicht aufsagen und der Hafenmeister hätte ihn vermutlich auch gar nicht verstanden.

Bevor Körner wieder an Bord der Samantha ging, wandte er sich den neugierigen Leuten zu, die sich am Pier versammelt hatten und fachmännisch seine Yacht in Augenschein nahmen. Die Männer machten Augen wie kleine Jungs, die einen Ferrari vor sich sahen und die Frauen sahen in ihm einen Weltenbummler, den sie vom Film her zu erkennen glaubten.

Ein tolles Fahrzeug sagte einer auf Deutsch und einer anderer ergänzte: nicht unter einer Million zu haben. Körner nickte geschmeichelt, wollte aber nicht angeberisch wirken: Wenn man ohne eine Crew auskommen will, kann man auf Technik nicht ganz verzichten, sagte er seemännisch. Die Männer nickten und die Frauen bewunderten ihn. Nun wurde schnell ausgetauscht woher man kam und wohin man wollte und Körner versprach, später noch bei den Seglern aus Österreich, denn um jene handelte es sich bei den Leuten, vorbeizuschauen.

Bis zum Sonnenuntergang würde es noch etwa eine Stunde dauern und so hatte Körner endlich etwas Zeit, sich mit dem Schiff näher bekannt zu machen.

Aus der Lektüre des Bordtagebuchs sowie einiger anderer persönlicher Papiere konnte Körner ersehen, wer eigentlich der Mann war, den er nördlich von Kap Spatha von Bord gestoßen hatte.

Graf Egling war wie er ein rüstiger Mittsechziger, der sich auf seine alten Tage vorgenommen hatte, die Welt kennenzulernen. Er schien, wie Körner einem Brief an einen Notar in Eggenfelden entnehmen konnte, keine leiblichen Nachkommen zu haben.

Graf Egling, ehemaliger Brauerei- und Schlossbesitzer aus Adlersbach bei Passau, hatte beides, Brauerei und Schloss sowie ausgedehnte Ländereien, die er in Niederbayern besaß, verkauft. Mit dem Geld wollte er sich nun offenbar einen Kindheitstraum erfüllen. Im Falle seines Ablebens, so hatte der brave Mann verfügt, sollte das verbliebene Vermögen an die katholische Kirche gehen. All diese Informationen konnte der in solchen Sachen flinke Körner aus den vorhandenen Papieren herauslesen und da Graf Egling offenbar vorhatte, länger Zeit von zuhause wegzubleiben, lagen die wichtigsten Papiere alle schön säuberlich geordnet in einer Seemannskiste zusammen.

In groben Zügen hatte der Graf aus Niederbayern bereits die geplante Weltreise, deren Ausgangspunkt der Yachthafen von Piräus war, in einem Törnplan skizziert. Für das Mittelmeer waren folgende Stationen aufgeführt: Piäus – Nauplia – Monemvasia – Heraklion – Falsarna - Antikythira – Pylos – Ithaka – Syrakus – Malta . Weiter hatte der Graf noch nicht geplant, aber ganz offensichtlich wollte er dann hinter Gibraltar in südlicher Richtung die Welt umsegeln.

Immerhin war er schon, wie aus dem Logbuch zu ersehen war, seit Anfang Mai unterwegs. Die herumliegenden Prospekte ließen darauf schließen, dass Graf Egling immer wieder längere Pausen an Land eingelegt hatte. Körner sah einige Hotelrechnungen. Geld schien für den Grafen tatsächlich keine Rolle zu spielen.

Im Safe der Yacht, den zu öffnen Körner keine große Mühe bereitete, hatte Egling eine Reihe von Konten hinterlegt, die auch im Ausland leicht zugänglich waren und nur die Vorlage eines gültigen Personalausweises erforderlich machten, wenn man größere Beträge abheben wollte.

Wie Körner hatte auch der Graf bei der Volksbank Malta Limited , einer Filiale der Österreichischen Volksbanken, ein Girokonto. Die Maltesische I.D. Karte sowie andere Bankkarten lagen ebenfalls griffbereit im Safe. Durchaus möglich, dass er als ehemaliger Brauereibesitzer auch einen geschäftlichen Ableger auf Malta eingerichtet hatte, damit konnte, wie Körner wusste, auch schwarzes Geld in ruhige Gewässer gebracht werden.

Körner rieb sich die Hände und lehnte sich zufrieden zurück. Wieder einmal hatte ihm der Zufall eine Glückskarte zugespielt. Jetzt, da es schwierig war, an sein eigenes Geld heranzukommen, bot ihm ein abermaliger Identitätswechsel erneut die Chance, neu anzufangen.

Wenn er körperlich etwas zulegte, sich das Kopfhaar rasierte und sich stattdessen einen Backenbart wachsen ließ, war die Verwandlung nahezu perfekt. Doch das war nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Er dachte daran, wie lange es gedauert und welche Mühen es gekostet hatte, ein pensionierter Geschichtslehrer aus Freiburg zu werden. Am Ende hatten ihm fast alle den Altertumsforscher abgenommen. Und es war ihm sogar gelungen, als Gelehrter ernst genommen zu werden, so gut hatte er sich in seine neue Rolle hineingefunden.

Nun aber war Prager ertrunken und dabei sollte es vorläufig auch bleiben. Damit konnte er sich mit einem Schlag die lästige Archäologiestudentin vom Hals schaffen. Dieser Göre war es doch tatsächlich gelungen, seine Frau Gerlinde auf ihre Seite zu ziehen. Gerlindes Zweifel an ihm waren neu aufgeblüht, das konnte sie, wenn sie wollte, auch gegen ihn verwenden. Jetzt war er auf nahezu natürliche Weise beide Frauen losgeworden, aber nicht nur das, auch die Leute um Hessler und seine Tochter Margot konnten ihm jetzt nichts mehr anhaben.

Körner, den wir von jetzt an, einmal probeweise schon Graf Egling nennen wollen, schlug sich auf die Schenkel. Was hatte ihm dieses Leben nicht alles zu bieten. Am Schluss war er sogar noch geadelt worden. Vom Agenten zum Bundeswehrbeamten, vom Geschichtslehrer zum gräflichen Segler! Josef, was willst du mehr?

Josef, das war sein neuer Vorname und wenn man es genau nehmen wollte, hieß er jetzt Josef, Gotthelf Graf von Egling. Daran musste er sich erst einmal gewöhnen.

Der Wiedergänger

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