Читать книгу Der Wiedergänger - Winfried Wolf - Страница 4
Antikythira
ОглавлениеGraf Egling entschloss sich nun, da es Zeit für ein Abendessen war und er gehörigen Hunger verspürte, den österreichischen Kollegen, dessen Familie, eine Frau und zwei erwachsene Kinder, er auf dem Nachbarboot sitzen sah, aufzusuchen.
Die Begrüßung war herzlich, wenn auch Herr Piontek, so hieß der Familienvorstand, fast einen Lachanfall bekam, als sich unser Graf mit Titel und Namen vorstellte. Wissen’s, bei uns in Österreich gibt es seit 1919 kein „von“ mehr im Namen. Von daher hab’ ich jetzt lachen müssen.
Egling wusste zu kontern: Bei uns in Deutschland ist es nicht viel anders, da ist die Adelsbezeichnung nur Teil des Namens und Adelstitel dürfen ohnehin nicht mehr verliehen werden. In meiner Familie hat das „von“ keine Bedeutung, aber es gehört halt zum Namen. Nennen sie mich einfach Graf , das wäre mir das liebste.
Damit waren die Brücken geschlagen und Herr Piontek lud den niederbayerischen Grafen mit freundlicher Geste ein, auf seine Yacht zu kommen.
Dass sich die beiden Herren sogleich in ein seemännisches Fachgespräch vertieften, versteht sich von selbst. Der Graf musste nur darauf achten, nicht allzu viel von seiner Unwissenheit preiszugeben. Er beschränkte sich daher im Wesentlichen auf bewundernde Ausrufe, heftiges Kopfnicken und abwägende Gesten, wenn ihm Piontek Schiff und Gerät vorstellte.
Vor Einhandseglern habe ich den größten Respekt, sagte Piontek, und Ihr Schiff, verehrter Graf, er wies auf die vor ihnen liegende Samantha, ist ja auch nicht gerade klein, ich schätze es sind 14 Meter.
Graf Egling nickte: Ja, für mich ist das eine ganz neue Sache. Ich habe das Boot erst vor zwei Monaten übernommen und nun versuche ich, mich im Mittelmeer an das Boot zu gewöhnen. Wenn Sie wollen, können wir uns bei Gelegenheit die Yacht einmal gemeinsam ansehen. Ich will allerdings nur bis übermorgen bleiben.
Piontek nickte: Auf Ihr Angebot komme ich gerne zurück. Wenn es Ihnen passt, schaue ich morgen am späten Nachmittag bei Ihnen vorbei. Eine solche Gelegenheit lasse ich mir doch nicht entgehen, Einhandsegler in dieser Größe sind selten zu sehen.
Der angekündigte Besuch eines erfahrenen Seglers kam Egling durchaus gelegen. Piontek würde ihm sicher noch das eine oder andere erklären können.
Frau Piontek, eine füllige Wienerin, trug griechischen Salat auf, Sohn und Tochter hatten Sardinen auf den Grill gelegt. Bei Sardinen muss fast nichts gemacht werden, das ist das Schöne, sagte Piontek. Doch Frau Piontek widersprach sogleich ihrem Mann: Das stimmt so nicht, mein Lieber. Die Fische müssen vorher eingelegt werden. Wer auf puren Geschmack steht, salzt die Fische und gibt sie zusammen mit etwas Rosmarien für ca. 2 Stunden in den Kühlschrank zum Durchziehen. Wer es etwas aromatischer mag, kann zusätzlich noch etwas Öl hinzu geben und die Sardinen noch mit Pfeffer und Thymian würzen. Wer will, kann sich mit Knoblauch einen zusätzlichen Kick verschaffen.
Und wie lange bleiben die Fische auf dem Grill, fragte Graf Egling interessiert.
Er wusste, über das Essen kam man an die Leute heran. Auskunft erhielt unser Graf aber jetzt von Sabine, der zwanzigjährigen Tochter Pionteks. Ca. 10 Minuten, aber das hängt natürlich von der Temperatur des Grills ab.
Noch ein Tipp von mir, ergänzte Piontek: Wer zerrissenen Fisch vermeiden will, sollte die Grillstäbe mit etwas Öl bestreichen. Das verhindert zumindest etwas das Ankleben. Und bitte kein Olivenöl! Erdnussöl ist besser, bei den Temperaturen kann es nicht direkt verdampfen.
Sie sehen, Herr Graf, bei uns an Bord gibt es nur Experten, lächelte Frau Piontek. Aber jetzt erzählen Sie uns mal, was Sie so mutig macht, allein um die Welt zu segeln.
Na, ob mein Mut für eine Weltumseglung ausreicht, weiß ich noch nicht, lachte Graf Egling. Ich übe noch, aber es bereitet mir ein ungeheureres Vergnügen, mich den Naturkräften auszusetzen.
Im Erzählen von Geschichten konnte man dem falschen Grafen eine gewisse Meisterschaft nicht absprechen. Er verstand es auf geschickte Weise mit Witz und Ironie und ohne sich in Anekdoten zu verlieren über sein erfundenes Leben zu sprechen, das nun, wie es schien, einem weiteren Höhepunkt, einer Weltumseglung, zustrebte. Indem er gleich zu Beginn seine Interessensschwerpunkte klarlegte, schränkte er mögliche Nachfragen auf ein paar überschaubare Gebiete ein und so wussten denn die Pionteks bald, worüber sie mit ihren Gast sprechen konnten und wo man besser die Klappe hielt.
Über seine Familie verstand es der Graf einen geheimnisvollen Schleier zu legen, hier waren Nachfragen also vorerst nicht gestattet. Was seine Vergangenheit als Bierbrauer und Landbesitzer anging, das hatte der Graf, wie er mehrfach betonte, hinter sich gelassen und es war klar, dass auch darüber jetzt nicht gesprochen werden sollte.
Anders stand es mit seinen Interessen für gutes Essen, feine Weine und alte Geschichte. Hätte mir mein Vater die Wahl gelassen, hätte aus mir ein Archäologe werden können, sagte der Graf. Den Griechen und Römern, der antiken Welt galt seit jeher mein größtes Interesse. Und eines habe ich gelernt: Man muss sich den Resten der Vergangenheit auf adäquate Weise nähern. Nicht mit dem Auto und schon gar nicht mit dem Flugzeug. Meine Philosophie ist: wer sich zu schnell den Dingen nähert, wird das Geheimnis der Dinge nicht ergründen. Stellen Sie sich vor, Sie wollen die antike Stadt Palmyra erkunden. Als Tourist fahren Sie mit dem Bus vor die Ruinen. Sie haben zwei Stunden Zeit für die Bewunderung der antiken Bauwerke und fahren dann wieder ab. Was bleibt da in Ihnen zurück? Ein paar schöne Bilder, sonst nichts. Aber jetzt stellen Sie sich einmal vor, sie würden sich der Stadt mit einer Kamelkarawane nähern. Den Baaltempel sehen Sie schon am Horizont, bevor Sie ihn ein oder zwei Stunden später erreichen. Das frische Wasser der Oase ist noch meilenweit entfernt, aber vor ihrem geistigen Auge entfaltet sich bereits das reinste Labsal.
Für mich ist mein Schiff wie ein Kamel: es trägt mich manchmal schnellen, manchmal gemächlichen Schritts bis an mein Ziel. Auf seinem Rücken schaukelt es mich auf und nieder, wiegt mich in Schlaf und schärft gleichzeitig meine Sinne. So steigert es meine Erwartung auf das Neue. So erlebte ich es gestern, als ich das Schiff in die Hafenbucht von Potamos steuerte. Mit einem Segelschiff erreicht man das Neue auf menschliche Art. Das macht den Gegensatz zu meinem früheren Leben aus, das ganz und gar dem Geschäft verschrieben war.
So, nun hatte sich Graf Egling als reicher Aussteiger mit philosophischer Attitüde eingeführt und kaum dass er es ausgesprochen hatte, begann er schon selbst an das zu glauben, was er da eben von sich gab.
War es Höflichkeit oder aufrichtige Bewunderung, die Österreicher jedenfalls schienen ihm seine schwammigen Gedanken abzunehmen, denn als der Graf seine Betrachtungen unterbrach, um einen kräftigen Schluck Cabernet Sauvignon zu sich zu nehmen, konnte er befriedigt feststellen, dass alle an Bord der österreichische Yacht, die übrigens auf den Namen „ Elisabeth “ getauft worden war, ihn ehrfurchtsvoll ansahen und nur darauf zu warten schienen, dass ihnen Graf Egling nach der Philosophie Beispiele aus dem praktischen Leben nachreichte. Das hätte unseren Grafen wahrlich nicht in Verlegenheit gebracht, sein Leben war ja angefüllt mit Erlebnissen der kuriosesten Art, doch jetzt fühlte er sich, der Wein hatte das Seine dazu beigetragen, etwas müde und wollte zurück auf sein Schiff.
Die Anstrengungen der zurückliegenden zwei Tage forderten ihren Tribut und so erkundigte sich der Graf bei seinen Gastgebern nur noch nach der nächsten Einkaufsmöglichkeit für Wasser und Obst, fragte nach empfehlenswerten Tavernen und wiederholte seine Einladung, demnächst auf einen kleinen Umtrunk auf seine Yacht zu kommen.
Kurz vor Mitternacht verabschiedete sich Graf Egling von seinen Gastgeben. Ein Küss die Hand, gnä’ Frau konnte er sich jetzt nicht verkneifen, wenngleich ihm im Augenblick des Aussprechens nicht klar war, wie weit er die Hand von Frau Piontek an seine Lippen führen durfte.
Bevor jedoch der Graf ermattet in Orpheus’ Arme fallen konnte, quälte ihn die Frage, was Piontek wohl mit „ Anlegen auf römisch-katholisch “ gemeint haben könnte. Solche Wissenslücken mussten umgehend geschlossen werden. Im Skipper-Guide fand er folgende Erklärung: In vielen Mittelmeerländern muss man sein Schiff mit dem Heck zur Pier fest machen. Diese Art des Festmachens wird häufig auch als römisch-katholisch bezeichnet. Jetzt verstand unser Graf den Zusammenhang. Auch Piontek war froh, nicht im kleinen Hafenbecken auf die hier übliche Weise festmachen zu müssen. An der Pier längsseits gehen zu können, war erheblich komfortabler. Der Graf schloss zufrieden die Augen und es dauerte nicht lange, da war er eingeschlafen.
Wer nun geglaubt hätte, dass sich Graf Egling am nächsten Tag ausschließlich der Ruhe und Erholung hingegeben hätte, könnte sich mit einem Blick auf seine Logbucheintrage vom Gegenteil überzeugen. Nach dem Frühstück, das er bereits gegen 7 Uhr einnahm, machte er sich an eine Inspektion seines Bootes und konnte befriedigt feststellen, dass der vormalige Besitzer der Yacht alles in Schuss gehalten hatte. Die Gasflaschen waren ebenso wie die Wasserbehälter bis oben hin gefüllt. Unser Graf musste lediglich noch einmal die Toilette mit Seewasser spülen, den Fäkalientank konnte er später auf See entleeren.
Er las nach, wie man die Lenzpumpen zu bedienen hatte und überzeugte sich vom guten Zustand der Segel. Die Rettungsinsel war leicht zugänglich in einer Backskiste verstaut. Er besah sich die Anker und nahm sich vor, bei passender Gelegenheit in einer einsamen Bucht das Ankern zu üben. Er überprüfte den Aktiv-Radarreflektor auf seine Funktion, sah nach, wo die pyrotechnischen Seenotrettungssignale lagen und fand auch die beiden Feuerlöscher in der Pantry. Er probierte eine Rettungsweste an und nahm sich vor, sie auch zu tragen, wenn er wieder auslaufen würde.
Die NAVTEX-Geräte hatte er schon nutzen können, musste sich aber noch näher mit ihnen befassen.
Das Boot war erst im letzten Jahr gekauft worden, es war daher nicht weiter verwunderlich, dass sein neuer Besitzer nichts finden konnte, was zu beanstanden gewesen wäre.
Nach der Inspektion des Bootes stellte Graf Egling eine Liste für seine Einkäufe zusammen. Er brauchte Brot, Wasser und frisches Obst, alles andere war fast im Überfluss vorhanden. In einem Weinkühlschrank fanden sich 50 Flaschen des erlesensten Weines.
Der Einkauf war rasch erledigt und Graf Egling erkundigte sich in Annas Taverne , ob man für eine kleine Inselerkundung ein Fahrzeug mieten könne. Man stellte ihm ohne lange zu verhandeln, einen Pickup zur Verfügung, den er bis zum Abend nutzen konnte. Er packte Tomaten, Brot, Wasser und Käse in seinen Rucksack, vergaß auch nicht Stift und Schreibblock und machte sich auf den Weg. Die Insel hatte mehr zu bieten als Google Earth zu zeigen vermochte.
Als er am späten Nachmittag den Pickup vor Annas Taverne wieder abstellte, konnte er mit seiner Ausbeute zufrieden sein. Die kleine Inselerkundung genügte, um einen Bericht für die Passauer Neue Presse zusammenzustellen.
Wenn auch der Bericht erst am nächsten Tag mit einer Mail nach Deutschland abging, so wollen wir doch dem Leser bereits an dieser Stelle die Einlassungen des Grafen nicht vorenthalten.
Egling hatte gelesen, in welch unprätentiösem Stil sein Vorgänger die Berichte verfasst hatte. Seinem ersten Schreiben hatte der echte Graf allerdings ein paar schwülstige Worte vorangestellt:
Ich will mit meinen Berichten nach dem Abendessen oder dann im Bett vor allem denjenigen Gesellschaft leisten, die gern einen Text zur Hand nehmen, der ferne Inseln, antike Ruinen und einsame Leuchttürme vor dem geistigen Auge erstehen lässt. Meine Reiseberichte richten sich an alle verhinderten Weltenbummler, die jetzt oder in naher Zukunft keine Gelegenheit finden, ihren Traum zu leben, aber mit ihren Gedanken in der Welt unterwegs sein wollen.
Der falsche Graf seufzte: Nun denn, packen wir es an. Aber halt, zählte die Passauer Neue Presse nicht zu den Hetzblättern des Klassenfeinds? Wie hieß denn gleich der Verleger? Krampfinger oder Kapfinger, na egal, der wird nicht mehr unter den Lebenden weilen. Und ich bin kein Kommunist und war nie einer, lachte der Graf in sich hinein.
Der Reisebericht des Grafen Egling für die niederbayerische Zeitung Passauer Neue Presse .