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VORWORT

Gärten bekommt man wie Kinder: Beides sind Früchte der Liebe.

Max Mezger

Zurzeit schwimmt die Weltwirtschaft in Öl. Neue Quellen werden in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und in Afrika erschlossen. Die Verschwendung kann weitergehen. In den Siebzigerjahren gab es die Ölkrise. Das Öl wurde knapp, und die Ökonomen gaben sich um die Weltwirtschaft besorgt. Plötzlich stand das boomende amerikanische Agrobusiness und überhaupt die auf fossilen Brennstoffen basierende, technokratische Landwirtschaft – trotz fantastischer Überschussproduktion - gar nicht mehr in einem so guten Licht da. Pestizide, Kunstdünger, Maschinenparks, Kühllagerung und die endlosen Transportwege in die Supermärkte wurden nicht nur als Umweltzerstörer, sondern auch als Energieverschwender erkannt. Die bange Frage kam auf: Wie soll sich die Menschheit in einigen Jahrzehnten ernähren, wenn es so weitergeht? Man suchte nach neuen Energiequellen und beauftragte Ethnologen und Kulturanthropologen, die unterschiedlichen Landwirtschaftssysteme unter die Lupe zu nehmen und bezüglich ihres Energieverbrauchs zu untersuchen. Die in diesem Zusammenhang erstellten »Energie-Input/-Output-Studien« hielten eine Überraschung bereit. Wenn man den Energie-Input (in Kilokalorien quantifiziert) mit dem Output verglich, zeigte sich, dass die industrialisierte Landwirtschaft bis zu zehnmal mehr Energie verbraucht, als sie erzeugt. Allein der Transport der Nahrungsmittel benötigt mehr Energie, als diese selbst enthalten. Am besten schnitt die traditionelle chinesische Landwirtschaft ab: Sie beruht vor allem auf einer effizienten, arbeitsintensiven gartenbauähnlichen Praxis. Durch hervorragende Nutzung der Sonnenenergie (Photosynthese) erzeugt sie zweieinhalbmal so viel Kalorien, wie sie verbraucht (Allaby/Allen 1974: 39).

Zu beantworten war auch die Frage, wie es mit der traditionellen europäischen Landwirtschaft steht. Um dies zu erforschen, verließ ich mein College in Oregon und machte mich auf den Weg ins Emmental in der Schweiz, zu einem Hof, auf dem man noch die Kühe von Hand melkte, mit dem Pferdegespann pflügte und eggte, das Gras meist noch mit der Sense oder einem einfachen Mähbalken mähte, wo im Winter das Holz im Wald geschlagen wurde und die Bäuerin noch ihr eigenes Brot im Holzofen buk, den Gemüsegarten und die Hühner von Hand besorgte. Auf diesem Hof lernte ich, was »chrampfe« und »dürehebe« bedeutet. Ich war Knecht, gerade so, wie es bei Gotthelf beschrieben wird, und meine Frau war Magd. So hart hatten wir noch nie gearbeitet, so gesund waren wir aber auch seit langem nicht gewesen. Den in Zahlen umgerechneten Kalorienverbrauch – wie viel wurde gegessen, wie viel fraßen die Tiere, wie viel Strom und Sprit wurden verbraucht – notierte ich so sorgfältig wie möglich und verglich ihn mit dem Energiegewinn, der durch Holzfeuer und Landwirtschaftsprodukte erzeugt wurde.

Jeden Donnerstag zog ich Anzug und Schlips an und nahm den Zug nach Bern, um am Institut für Ethnologie eine Vorlesung zum Thema »Kulturökologie« zu halten. Für den Bauern hätte ich ebenso gut in ein Ufo steigen können; die Verwandlung passte einfach nicht in seine Auffassung der Realität. Sicherlich wussten auch die Studenten nicht, was sie von mir halten sollten, immer erschöpft von der harten Arbeit, wie ich jeweils war. Zur Erholung und Entspannung ging ich manchmal in die nächstgelegene Buchhandlung. Ich las zwar nichts, sondern blätterte nur wahllos in den Büchern. Ein charmanter Jungverleger, der dort arbeitete, sprach mich dabei an: »Sicherlich haben Sie ein interessantes Manuskript für meinen Verlag.« Nein, das hatte ich beileibe nicht! Für Schriftstellerei hatte ich sowieso keine Zeit. »Machen Sie doch einmal, was Ihnen wirklich Spaß macht!«, beschwor er mich das nächste Mal. Und da es mir inzwischen vor den trockenen Zahlentabellen der Input-Output-Studien grauste, begann ich über das zu schreiben, was mir mehr am Herzen lag: über naturnahes Gärtnern, wie ich es einige Jahre zuvor in einem biodynamischen Garten gelernt hatte; von dem Garten, in dem ich unverhofft ins Reich der Heinzelmännchen gestolpert war, wo die Natur meine Seele wieder mit Licht erfüllt hatte und wo die Beklemmung, das Gefühl der Entfremdung, das sich notwendigerweise durch die anerzogene kalte, objektive Sichtweise einstellt, von mir abgefallen war. Das Buch zu schreiben, war eine Entscheidung des Herzens, nicht des berechnenden Verstandes. Und so kam dieses Buch »Der Garten als Mikrokosmos« zustande, dessen aktualisierte Neuauflage hier vorliegt.

Als von einer Neuauflage die Rede war, wurde mir bewusst, wie viel Wasser inzwischen die Aare hinabgeflossen war. Im Gärtnern und in der Landwirtschaft haben Veränderungen stattgefunden, auf die es einzugehen gilt. Auch die mit Fremdwörtern gespickte akademische Spitzfindigkeit galt es abzulegen, ebenso wie das viel zu schwere, überflüssige, esoterisch-metaphysische Gepäck. Dazu gehört auch die Alchemie. So bildhaft und bunt die Alchemie auch ist, sie setzt voraus, dass die Schöpfung unvollkommen, mangelhaft und hilfsbedürftig ist. Es bedarf des Adepten, des Eingeweihten, der aus seinem überlegenen Wissen heraus die Natur verbessert, sie zur Vollendung führt. Dies schmeichelt nicht nur dem Ego, sondern ist auch ein Aufruf zur Manipulation, zum »Machen«. Begegnungen mit traditionellen Stämmen, deren Grundsatz es ist, in Harmonie mit der beseelten Natur zu leben, und das Studium der Weisheiten der Upanischaden haben in mir inzwischen die Überzeugung reifen lassen, dass die Natur keiner Verbesserung bedarf, keine noch so gut gemeinte Manipulierung braucht. Sie ist göttlich, ohne Fehler. Kosmische Weisheit durchflutet sie. Es ist unser Verstand, verdüstert durch egoistische Bedürfnisse, der mangelhaft ist und der Läuterung bedarf. Wenn wir still werden und der weisen Natur, der Göttin, lauschen, dann wird sie uns inspirieren, und wir werden das Richtige tun.

Noch immer gärtnere ich mit unverminderter Freude. Nur ist der Garten inzwischen – wie auch ich selbst – ein anderer geworden. Er ist wilder geworden. Noch immer messe ich die Beete für das Gemüse sorgfältig aus, pflanze und säe zur rechten Zeit, mulche im Sommer und streue die Holzasche aus dem Herd im Winter auf die schneebedeckten Beete. So ist es möglich, die Familie das ganze Jahr mit gutem, naturbelassenem Gemüse und Kartoffeln zu versorgen. Aber, wie gesagt, der Garten ist wilder geworden, seine Grenzen sind schwerer auszumachen. Er hat keinen Zaun, der ihn einhegt. Auf der einen Seite geht er unmittelbar in Sumpfland über. Da habe ich Rohrkolben und Wassernuss angebaut, da wuchern Bachehrenpreis, Wasserkresse und Sumpfweidenröschen, da schwimmt die grüne Wasserlinse – alles wertvolle Wildgemüse, die in einer Zeit denaturierter Lebensmittel wichtig sind –; da habe ich Fieberklee, Helmkraut und Kalmus gepflanzt, wertvolle Heilmittel für jene, die der seelenlosen Apparatemedizin misstrauen; im Morast leben Frösche, Kröten, Salamander, die nachts mitunter im Garten spazieren gehen und das heilsame Naturgleichgewicht erhalten helfen. Gelegentlich singen sogar die Unken ihre zarten elfenhaften Lieder.

Rund um den Garten wuchern die Brennnesseln, zwischendrin Haselsträucher, Obstbäume, Essigbäumchen – die Indianer brauten aus den sauren roten Beeren eine vorzügliche »Limonade« und aus der Rinde ein adstringierendes Wundheilmittel. Auch Himbeeren breiten sich aus, Topinampurhorste, Johannisbeeren, Elsbeeren, Brombeeren und andere Pflanzen, die man essen oder anders nutzen kann. Wo die Grenzen des Gartens sind, weiß ich nicht zu sagen. Der »Garten« verläuft sich in einer Wiese, die im Frühling blutreinigenden, entschlackenden Löwenzahn, Sauerampfer, Scharbockskraut, zarte Schafgarbenblätter, Wiesenschaumkraut und manch anderes Geschenk der Apotheke Gottes bereithält. Einige wenige Besucher stört es, dass sie nicht klar erkennen können, wo der Garten beginnt und wo er aufhört; und wenn sie denken, das sei unordentlich, dann sehen sie eben die »höhere Ordnung« nicht. Nicht ein nach unseren beschränkten Vorstellungen aufoktroyiertes Schema bezwingt hier die wilde Natur, sondern eine ihr eigene, innewohnende harmonische Gesetzmäßigkeit darf zur Geltung kommen.

»Kein Zaun? Wieso fressen die Rehe euren Garten nicht kahl? Zauberst du etwa?«, fragte ein Nachbar aus dem Tal. Nun, versicherte ich ihm, die Rehe mögen einfach nicht durch die hohen Brennnesseln laufen.

Natürlich lässt sich ein solcher »grenzüberschreitender« Garten nicht überall anlegen, sondern nur an einem abgelegenen Ort auf dem Land. Aber jeder kann, egal wo er wohnt, so naturnah und naturfreundlich wie möglich seinen Garten bestellen. Zum Glück gibt es inzwischen den Begriff »Permakultur«, mit dem man derartige wilde Gärten bezeichnen kann. Sogar in der Stadt ist solch verwegenes Gärtnern möglich.


Der Kosmos im Garten

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