Читать книгу Mörderischer Urlaub am Teufelssee Berlin 1968 Kriminalroman Band 49 - Wolf G. Rahn - Страница 10
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ОглавлениеBernd hatte alles erledigt und fuhr gegen 15.00 Uhr hinaus. Er versuchte während der Fahrt, sich seinen Klienten vorzustellen. Als er Jörg Diekmann gegenüberstand, stellte er fest, dass seine Erwartungen von der Wirklichkeit nicht wesentlich abwichen. Der Mann mochte ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt sein. Sein Haar war schlohweiß, sein Gesicht von der Sonne gegerbt. Ein Paar tiefschwarze Augen musterten den Detektiv. In ihnen spiegelte sich Unruhe. Der Mann wirkte gebrechlich, doch als er mit ausgestreckter Hand auf Bernd zuging, strafte er diesen Eindruck Lügen. Er bewegte sich sicher und zielstrebig. Als Geschäftspartner war er bestimmt nicht zu unterschätzen. Vermutlich hatte ihn das harte Landleben vorzeitig altern lassen.
„Ich bin so froh, Herr Schuster“, sagte er zur Begrüßung, „dass Sie gekommen sind. Sie glauben gar nicht, was in der kurzen Zwischenzeit alles passiert ist. Ich fürchte, ich werde noch verrückt.“
„Wieder ein Mordanschlag?“, fragte Bernd.
Sein Klient schüttelte den Kopf.
„Das nicht. Dafür habe ich das Haus voller Leute, die ich natürlich überhaupt nicht kenne. Heute Mittag traf auch ein Fräulein Machkowiak ein, die mich beerben will. Sie behauptet, ich sei ein Vetter ihres verstorbenen Vaters. Außerdem konnte sie ein notarielles Schreiben vorweisen, aus dem hervorgeht, dass ich unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen bin. Ist das nicht beängstigend? Irgendjemand tut so, als wäre ich bereits tot. Auch ein Geistlicher wurde bestellt. Und ein Arzt für den Totenschein. Kurz vor Ihrem Eintreffen hat nun auch noch der letzte Stammgast den Campingplatz verlassen. Ich habe außer den mir unbekannten Leuten also keine anderen Gäste mehr hier – aber alles ist sehr, sehr seltsam.“
„Nun gut“, meinte Bernd. „Dann kennen sich aber die anderen untereinander?“
„Nein, offenbar nicht. Aber sie verlangten, bis zur Klärung der Geschichte, die Bungalows für sich zu nutzen. Als ich erklärte, dass Sie als möglicher Käufer des Platzes ohnehin anders entscheiden konnte, hörte ich, dass niemand bereit war, vor dem morgigen Tag wieder abzufahren. Dabei kamen nur die beiden Frauen mit dem Zug aus Hannover, alle anderen müssten in Berlin wohnen.“
„Ich denke mal, diese ungeladenen Gäste können sich getrost wieder verabschieden“, erwiderte Bernd Schuster.
„Wenn das so einfach wäre. Diese Geier wittern Geld. Der Verdacht wurde laut, dass ich gar nicht der richtige Jörg Diekmann bin und nur dessen Rolle spiele, um mich in den Besitz seiner Grundstücke in Berlin zu bringen.“
„Was aber nicht stimmt.“
„Na, hören Sie! Ich kann Ihnen meine ganze Lebensgeschichte erzählen. Zugegeben, hier kennt man mich bislang kaum, nur meine Nachbarn in Schleswig-Holstein kennen mich und könnten meine Identität bestätigen. Außerdem besitze ich eindeutige Dokumente. Ich glaube aber nicht, dass diese Beweisführung erforderlich ist. Diese Menschen wissen sehr genau, dass ich nicht geschickt genug wäre, die Rolle eines Schwindlers und Betrügers zu spielen. Einer von ihnen ist hergekommen, mich umzubringen. Davon bin ich mehr denn je überzeugt.“
Bernd wischte sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Nacken. Die Mittagshitze des heutigen Sommertages machte ihm zu schaffen. Es wurde schwül, und über den Bäumen zogen die ersten, dunklen Wolken auf.
„Keine Sorge, Herr Schuster“, tröstete Jörg Diekmann. „Auch, wenn es nur ein Holzbau ist – bei mir ist es kühl, es gibt kalte Getränke, und einen Deckenventilator.“
Das bestätigte sich bei ihrem Eintritt, und verwundert sah sich Bernd Schuster um.
„Und Ihre unliebsamen Gäste? Wie wollen wir verfahren?“
Diekmann deutete auf eine Reihe von Bungalows gegenüber.
„Ich habe sie ja nicht gewaltsam vertreiben können und ihnen angeboten, zunächst bei mir wohnen zu können, bis wir gemeinsam diese Geschichte aufklären können.“
„Sehr großzügig, Herr Diekmann, und sehr nobel gedacht!“, antwortete Bernd. „Dann sollten Sie die Leute mal hier herüberbitten.“
Er war schon auf die seltsamen Gäste seines Klienten gespannt. Mehr und mehr setzte sich nämlich bei ihm die Vermutung durch, dass Diekmann lediglich an einer Art Verfolgungswahn litt.
„Ich will alle Grundstücke in Berlin verkaufen und nicht mehr nach Schleswig zurück. Hier am Rand von Berlin möchte ich eines der Grundstücke behalten und mit meinem Traumhaus bebauen lassen – und mich hier zur Ruhe setzen. Allerdings hatte ich nicht mit diesen Menschen gerechnet, die mir irgendjemand auf den Hals geschickt hat.“
„Sie sagten etwas von der Tochter Ihres Vetters?“, meinte Bernd.
Der ehemalige Bauer wurde zornig.
„Alles Schwindel! Ich habe nie einen Vetter gehabt. Und es existiert auch kein Testament zugunsten dieses Mädchens. Sie ist eine raffinierte Betrügerin, was sich jetzt bestätigt, wo ich von meinem Onkel tatsächlich geerbt habe. Onkel mit Vermögen ja – Vetter mit Familie jedoch nicht. Ich habe überhaupt keine Verwandten mehr.“
„Wer lebt noch auf dem Campingplatz?“
„Ich habe natürlich kein richtiges Personal hier draußen“, erklärte Diekmann. „Lediglich Gerda, meine Köchin und Reinigungskraft. Sie hat bis heute die Bungalows gesäubert. Außerdem bieten wir für angemeldete Gäste auch einen Mittagstisch an. Und dann ist da noch Egon, der Hausmeister, für die gröberen, anfallenden Arbeiten. Mehr brauche ich nicht, und wenn dieser Zirkus hier hoffentlich bald mit Ihrer Hilfe beendet ist, nehme ich auch keine Gäste mehr auf. Zurzeit schien es mir sicherer zu sein, wenn hier ein paar Menschen sind.“
„Nur sind es derzeit wohl nicht die richtigen“, fand Bernd.
„Ja, ja, da haben Sie recht. Aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt doch nicht ahnen. Kommen Sie, ich stelle Sie meinen nicht eingeladenen Gästen vor.“
Sie waren übereingekommen, dass Bernd als Kaufinteressent für das Anwesen auftreten sollte. Dadurch erhielt er gleichzeitig ein Motiv, sich überall genau umsehen zu können.
Die Vorstellung klappte nicht so recht. Fast alle Gäste hatten sich in ihre Bungalows zurückgezogen oder durchstreiften das Gelände rund um den Teich. Lediglich ein Mann von etwa sechzig Jahren tauchte auf und strahlte, als sähe er in Bernd einen alten Freund und wurde von Diekmann vorgestellt. Der Mann trug ein Kollar und gab sich wie ein Priester, wurde aber von Diekmann mit den Worten vorgestellt:
„Das ist Herr Zingel, ein freier Prediger der Kirche der drei Heiligen, der sich um mein Seelenheil kümmern will.“
„Sie wollen also dieses Stück von Gottes Erde kaufen, junger Mann? Daran tun Sie recht. Ich hoffe nur, dass Sie sich nicht mit der Absicht tragen, hier ein Ferienzentrum mit hässlichen Betonklötzen zu errichten. Dieses Land darf nicht vergewaltigt werden.“
„Da kann ich Sie beruhigen, Prediger“, sagte Bernd, der bewusst diese Anrede gewählt hatte, weil er schon auf den ersten Blick an einer kirchlichen Tätigkeit des Mannes zweifelte. „Ich werde hier nichts verändern, falls ich mich zum Kauf entschließe.“
Zingel war erleichtert. Zumindest gab er sich den Anschein. Dann erzählte er, dass er in Wilmersdorf eine freie Gemeinde pflege und dort im Büro einen Anruf erhielt, der ihn an das Sterbelager Jörg Diekmanns rief. Bei seinem Eintreffen wurde er von Egon in Empfang genommen.
„Von mir hatte er bestimmt keinen Auftrag, zumal ich den Prediger ebenso wenig kenne wie die anderen Menschen“, sagte Diekmann. „Wären da nicht diese Drohungen, die mich veranlassten, Sie anzurufen – ich glaube, ich hätte einen Knüppel geschnappt und alle vom Hof geprügelt. Aber das fast gemeinsame Auftreten dieser Leute hielt mich davon ab, zumal ich ja wusste, dass Sie unterwegs waren. Und Egon, mein Helfer, ist leider ein wenig schwer von Begriff.“
„Ich unterhalte mich leidenschaftlich gerne mit Menschen, die schwer von Begriff sind“, behauptete Bernd. „Wo finde ich denn diesen Egon?“
„Wahrscheinlich hackt er drüben bei den Schuppen Holz“, vermutete Diekmann. „Geben Sie Acht! Leuten gegenüber, die er nicht kennt, ist er manchmal misstrauisch und ziemlich aggressiv.“
Bernd verließ das Blockhaus und wandte sich den Schuppen zu. Er brauchte nicht lange zu suchen, denn das Krachen der Holzscheite wies ihm den Weg.
Egon erwies sich als kräftiger Mann, der die Axt schwang, als handelte es sich um ein Plastikspielzeug. Sein Oberkörper war nackt. Dicke Muskelstränge bedeckten Brust und Rücken. Seine bizepsbepackten Arme hätten jeden Bodybuilder vor Neid erblassen lassen.
Als Bernd sich ihm näherte, hob er nur flüchtig den Kopf und nickte ihm zu. Dann wandte er sich gleich wieder seiner Arbeit zu und spaltete mit kräftigem Hieb einen Kloben, der in zwei Hälften davonprellte und um ein Haar Bernd gegen die Kniescheibe donnerte.
Bernd versuchte sein Glück mit geschickten Fragen, doch der Mann beachtete ihn überhaupt nicht. Mit wahrer Verbissenheit schlug er auf das Holz ein. Seine Kraft war beängstigend. Bernd hatte keine Angst, und er nahm sich auch vor, aus Egon die Wahrheit herauszuholen, sobald er die Axt beiseitelegte. Im Moment interessierte ihn aber etwas ganz Anderes.
Er hatte einen Mann in einen der Bungalows gehen sehen, den er zu kennen glaubte. Mit ihm verbanden sich jedoch keine sehr erfreulichen Erinnerungen. Es handelte sich um Friedhelm Gruner, einen Halunken, dem Bernd ein paar Monate Gefängnis verschafft hatte.
Friedhelm Gruner hatte den Privatdetektiv seither so ins Herz geschlossen, dass er geschworen hatte, ihn umzubringen, falls es der Zufall wollte, dass sie sich jemals wieder trafen. Dieser Zufall war nun eingetreten.
Gruner verschwand rasch im Haus, verschloss hinter sich die Tür und trat ans Fenster.
Tatsächlich! Er hatte sich also nicht getäuscht. Dieser Kerl, der da drüben bei dem Hausmeister stand, war kein anderer als Bernd Schuster, der Schnüffler. Der Mann mit den gelblichen Haaren und den katzenhaften Bewegungen verbarg sich hinter dem Vorhang. Er ballte seine Hände.
Was hatte dieser Schuft hier verloren? Suchte er ihn schon wieder? Wollte er ihm wieder etwas anhängen, wofür er büßen sollte?
Friedhelm Gruner hatte gelernt, die Gefängnisse zu hassen. Er hasste jeden, der ihn wieder hineinbringen wollte. Schuster würde das nicht schaffen. Diesmal nicht. Dafür würde er schon sorgen.
Er sah, wie der Detektiv das Haus betrat. Suchend blickte er sich im Zimmer um. Wenn der Bursche bei ihm aufkreuzte, sollte er sein blaues Wunder erleben. Er war jünger als Schuster und deshalb vermutlich auch schneller.
Als es an der Tür klopfte, zuckte er zusammen, obwohl er damit gerechnet hatte.
„Verschwinden Sie!“, schrie er. „Gehen Sie mir aus dem Weg! Einen besseren Rat kann ich Ihnen nicht geben.“
Er ergriff einen Stuhl und stellte sich damit neben die Tür. Sobald Schuster gewaltsam eindrang, sollte er erleben, wie gut es tat, wenn man ein aus Hartholz gefertigtes Sitzmöbel über den Schädel gezogen bekam.
Es wurde ungeduldig an der Tür gerüttelt.
„So machen Sie doch auf, Gruner. Ich habe Ihnen doch nichts getan. Ich suche Herrn Diekmann. Ist er bei Ihnen?“
„Der Teufel soll Sie holen, Schuster. Machen Sie, dass Sie wegkommen! Oder Sie bereuen es.“
„Sorry! Sie haben meinen Namen nicht richtig behalten. Ich heiße nicht Schuster, sondern Kahn. Ich bin der Arzt. Erinnern Sie sich denn nicht?“
Friedhelm Gruner ließ grinsend den schweren Stuhl sinken. Doktor Kahn! Das war natürlich etwas Anderes. Gegen den für seine Begriffe leicht vertrottelten Mediziner hatte er nichts.
Er drehte den Schlüssel herum und öffnete die Tür. Es war tatsächlich der Arzt. Seine Miene drückte Ratlosigkeit aus, als er sich erkundigte: „Warum schließen Sie sich denn ein, Herr Gruner? Glauben Sie etwa auch an diesen angeblichen Mörder, den uns Herr Diekmann einreden möchte?“
Gruners Augen wurden eng.
„Warum sehen Sie mich denn dabei so merkwürdig an?“, fauchte er. „Ich bin kein Mörder.“
Kahn hob beschwichtigend die Hand.
„Sie sind mir keine Rechenschaft schuldig. Wenn mir auch, mit Verlaub gesagt, der Grund Ihrer Anwesenheit auf dem Campingplatz sehr fragwürdig erscheint. Aber das ist nicht meine Angelegenheit. Solange Herr Diekmann Sie duldet, wird es schon seine Richtigkeit haben.“
Die Augen des Jüngeren blitzten böse, als er konterte: „Und Sie? Können Sie mir vielleicht einen vernünftigen Grund nennen, warum Sie noch immer hier sind? Herr Diekmann braucht keinen Totenschein. Warum fahren Sie nicht in die Stadt zurück?“
Der Arzt verzog gekränkt sein Gesicht.
„Soll ich etwa laufen? Was glauben Sie, warum ich den Mann suche? Ich will von ihm verlangen, dass er für mich eine Taxe ruft.“
„Dann lassen Sie sich nicht aufhalten. Meistens hält er sich neben dem Kamin auf, obwohl darin gar kein Feuer brennt.“
Der Arzt bedankte sich für den Tipp und wollte sich zurückziehen. Friedhelm Gruner hielt ihn am Arm fest.
„Wissen Sie, was der Detektiv hier will?“
Doktor Kahn nahm seine randlose Brille ab und putzte sie umständlich. Danach setzte er sie wieder auf die Nase und meinte: „Detektiv? Ich habe keine Ahnung. Ist ein Detektiv eingetroffen?“
„Er heißt Schuster. Ich kenne ihn flüchtig. Ich meine, ich habe schon von ihm gehört. Was sucht er hier?“
„Vermutlich Diekmanns Mörder.“
„Blödsinn!“
Der Arzt warf Gruner einen zweifelnden Blick zu, als ob dieser nicht ganz richtig im Kopf wäre. Dann entfernte er sich.
Friedhelm Gruner trat noch einmal ans Fenster, aber Schuster war nicht mehr zu sehen. Auch Egon hatte die Axt beiseitegelegt und war verschwunden.
Gruner kratzte sich unschlüssig am Kopf. Dann verließ auch er das Zimmer.