Читать книгу Mörderischer Urlaub am Teufelssee Berlin 1968 Kriminalroman Band 49 - Wolf G. Rahn - Страница 6

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Der Mann im Keller wartete genau zehn Minuten, bevor er sich herauswagte. Er durfte jetzt keinen Fehler begehen. Bisher hatte alles geklappt. Kein Mensch war auf die Idee gekommen, hier unten nachzusehen. Damit hatte er gerechnet.

Heiko Gerstner grinste triumphierend. Was nützte die raffinierteste Alarmanlage, die Schaufenster und Tür sicherte, wenn sie nicht ausgelöst wurde. Er würde das Geschäft sogar unangefochten verlassen können, denn natürlich schaltete er die Anlage vorher aus.

Er schlich zur Treppe und lauschte. Nein, alles blieb ruhig. Er befand sich allein hier. Nicht einmal eine Putzfrau würde ihn stören. Er wusste, dass Müller die Frauen nie unbeaufsichtigt ließ. Sie mussten ihre Arbeit während der Geschäftszeit verrichten.

Der Einbrecher stieg lautlos die schmale Treppe nach oben. Er trug einen zusammengefalteten Ledersack in der linken Hand. Der war für die Beute bestimmt. Er durfte gar nicht daran denken, was ihm in dieser Nacht alles in die Hände fallen würde. Er hatte sich den günstigsten Termin ausgesucht.

Seine Jeansjacke wurde auf der rechten Seite ein wenig heruntergezogen. In der Tasche steckte die Pistole, die er eigentlich nur mitgenommen hatte, weil sie nun mal zu seiner Ausrüstung gehörte. Er wollte nicht damit schießen. Auf wen denn? Es war ja niemand da. Außerdem war er kein Mörder. Einbrechen und einen Menschen töten waren zweierlei Dinge. Heiko Gerstner hatte sich berufsmäßig für Ersteres entschieden. Er hatte sich alles genau überlegt. So leid es ihm auch tat, aber er durfte nichts aus den Vitrinen in den Verkaufsräumen oder gar aus den Auslagen mitnehmen. Man hätte ihn von der Straße her beobachten können. Er musste sich auf den Safe beschränken, den er im Büro wusste. Hier konnte er sicher sein, nicht entdeckt zu werden. Er durfte sogar seine Lampe benutzen.

Heiko Gerstner lachte in sich hinein. Wenn man etwas richtig anpackte, war es ganz einfach. Er dachte an Chris. Sie würde Augen machen, wenn er ihr die Perlenkette um den Hals legte. Sie hatte nicht geglaubt, dass er es schaffte.

Er brauchte sich nicht zu beeilen. Theoretisch blieben ihm zehn Stunden für die Ausführung seines Supercoups, aber so lange wollte er sich natürlich nicht aufhalten. In längstens einer Stunde war alles erledigt.

Der Einbrecher betrat das Büro. Er wusste, hinter welchem Bild sich der Tresor befand. Es gab noch einen zweiten, kleineren Safe in dem Juweliergeschäft, doch der enthielt nur Dokumente und einen Bargeldbetrag. Nicht hoch genug, um sich deswegen anzustrengen.

Vorsichtig nahm er das Gemälde von der Wand und stand nun seinem Gegner gegenüber: einem Gegner aus Stahlblech von einer der renommiertesten Geldschrankfabriken der Bundesrepublik Deutschland. Er kannte die Firma gut. Schließlich hatte er zweieinhalb Jahre für sie gearbeitet. Der Lohn war nicht besonders hoch gewesen, doch das Wissen, das er sich während dieser dreißig Monate angeeignet hatte, glich das wieder aus. Einen Safe dieser Bauart zu öffnen, stellte ihn vor keinerlei Probleme.

Heiko Gerstner begann mit der Arbeit. Drei Zahlentrommeln waren in der richtigen Reihenfolge zweimal auf die gültige Kombination einzustellen. Es gab 720 Millionen verschiedene Möglichkeiten, aber nur eine war die richtige.

Er trug hauchdünne Lederhandschuhe. Es war nicht nötig, dass die Polizei morgen seine Abdrücke fand. Man sollte es den Jungs nicht zu leichtmachen. Es klickte leise, als er die mittlere Trommel drehte. Für einen Laien hörte sich ein Klick wie das andere an, aber Heiko Gerstner hörte feinste Unterschiede. Nach drei Minuten ließ er von der Trommel ab und wandte sich der darüber liegenden zu.

Auf seiner Stirn bildete sich ein feiner Schweißfilm. Nicht vor Angst. Es lag an der gewaltigen Konzentration. Fünfzig Minuten brauchte er für fünf Ziffern. Dann nahm er sich die letzte vor. Gleich war er am Ziel.

Da schreckte er auf. Dieses Knacken kam nicht aus dem Tresor, sondern aus den vorderen Räumen. War es denkbar, dass jemand auf eine ähnliche Idee gekommen war wie er? Sollte er ausgerechnet heute auf einen Konkurrenten stoßen?

Heiko Gerstner löschte seine Lampe und verhielt sich ruhig. Er hoffte immer noch, dass ihn ein Straßengeräusch genarrt hatte. Doch schon wenig später erhielt er Gewissheit. Jemand machte sich an der Eingangstür zu schaffen. Gleich würde die Alarmanlage losheulen. Sie würde den Halunken zwar verjagen, aber auch ihn selbst verraten.

Schöner Mist!

Was konnte er tun, um die Katastrophe zu verhindern?

Ihm kam die rettende Idee. Er brauchte doch die Anlage nur jetzt schon auszuschalten. Das musste er ohnehin tun, wenn er das Geschäft verließ. Erleichtert sprintete er in den Nebenraum, entriegelte eine Klappe neben der Tür und legte einen kleinen Hebel um. Aufatmend kehrte er ins Büro zurück.

Doch noch hatte er keinen Grund zur Freude. Wenn auch die Polizei nicht angelockt wurde, so hatte er es immerhin mit dem Unbekannten zu tun. Mit etwas Glück interessierte sich der Bursche nur für den Schmuck in den Vitrinen. Wahrscheinlicher aber war, dass auch er wegen der wesentlich kostbareren Stücke im Safe hier war.

Es blieb keine Zeit mehr zum Überlegen. Der Kerl befand sich bereits im Geschäft. Und er steuerte zielsicher auf das Büro zu.

Heiko Gerstner schluckte. Jetzt musste er alles auf eine Karte setzen. Wenn er dem Typ seine Pistole unter die Nase hielt, würde der wohl schleunigst abhauen. Mit einer solchen Überraschung rechnete er kaum.

Die Schritte kamen heran.

„Ist da jemand?“, fragte der Fremde unsicher.

Gerstner erkannte seine Silhouette. Und er sah noch etwas. Der andere hielt ebenfalls eine Schusswaffe in der Faust. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er sah, wie der Bursche zum Lichtschalter tastete.

„Licht aus!“, warnte er wütend. „Verschwinde von hier, sonst knallt’s!“

Der Unbekannte zuckte zusammen. Licht flammte auf. Heiko Gerstner blickte in die Mündung einer Pistole.

Da drückte er ab.

Der andere kam nicht mehr zum Schuss. Er riss seine Augen entsetzt auf und taumelte zurück.

Auf seiner Brust breitete sich ein Fleck aus. Er krallte sich an den Türstock und ließ dabei seine Waffe fallen. Dann sackte er zu Boden.

Heiko Gerstner blickte entgeistert auf die Pistole in seiner Hand. Was hatte er getan? Er konnte es noch immer nicht glauben.

Das Schrecklichste aber war, dass er den Mann kannte, den er erschossen hatte. Es handelte sich nicht um einen Einbrecher, sondern um Fred Müller, den Inhaber des Geschäftes. Das war Mord. Er konnte sich nicht herausreden. Einem Einbrecher nahm man Notwehr nicht ab.

Nur weg von hier! Die Alarmanlage schwieg zwar, aber der Schuss war zweifellos auf der Straße gehört worden.

Sollte er nicht wenigstens noch den Safe ausräumen?

Nein, dazu hatte er keine Zeit. Außerdem würde die Polizei eher im Dunkeln tappen, wenn nichts gestohlen worden war.

Heiko Gerstner schob die Pistole in die Tasche und verließ das Büro. Voller Grauen zwängte er sich an dem Toten vorbei. Er konnte dessen starren, anklagenden Blick kaum ertragen. Er durchquerte den Verkaufsraum, spähte auf die Straße und schlüpfte durch die Tür, die Müller nicht hinter sich verschlossen hatte. Niemand achtete auf ihn. Alles nahm seinen gewohnten Gang.

Ein Streifenwagen fuhr zwar vorbei, doch das Blaulicht auf dem Dach rotierte nicht, kein Martinshorn erklang. Die beiden Polizisten beachteten ihn nicht, sondern grinsten hinter einer rothaarigen Schönen her, die so stark mit den Hüften wackelte, dass ihre Gelenke auszukugeln drohten.

Chris! Heiko Gerstner wagte kaum, an das Mädchen zu denken. Der Traum von einer gemeinsamen Zukunft war ausgeträumt. Dieser Müller, der ohne jeden Grund zurückgekommen war, hatte alles verdorben. Aber wenigstens sollten sie ihn nicht erwischen. Er würde das Notwendigste aus seiner Wohnung holen und dann für einige Monate untertauchen.

Sein Fiat wartete in der Ludwigkirchstraße. Er warf sich hinters Steuer und fuhr los.

Die Strecke bis zu seiner Wohnung legte er wie betäubt zurück. Ein Wunder, dass er keinen Unfall baute. Er stellte den Wagen vor dem Haus ab.

Als er die Wohnungstür aufschloss, hörte er das Läuten des Telefons. Er erschrak, bis er sich sagte, dass das unmöglich die Polizei sein konnte. Erstens war es ausgeschlossen, dass sie auf ihn als Täter tippte, zweitens würde sie im Verdachtsfall nicht anrufen, sondern persönlich aufkreuzen.

Sicher war es Chris.

Er zwang sich zur Ruhe, als er den Hörer abnahm und sich meldete.

„Sie sind verdammt schnell, Herr Gerstner“, hörte er einen Mann sagen. „Schnell und konsequent. Ihre Fähigkeiten hat nicht jeder aufzuweisen. Ich könnte einen Mann wie Sie brauchen. Was halten Sie von einer Zusammenarbeit?“

Heiko Gerstner durchrieselte es eiskalt. Was wusste der Kerl? War das eine Anspielung auf den Mord, oder meinte er etwas ganz Anderes?

„Mit wem spreche ich?“, fragte er gepresst. „Und welche Art Zusammenarbeit stellen Sie sich vor?“

Ein dünnes Lachen war in der Leitung.

„Das wissen Sie sehr gut. Ich denke, dass wir das Thema nicht telefonisch diskutieren sollten. Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor. Risikolos. Niemand wird Ihnen in die Quere kommen, niemand wird Sie verdächtigen, denn Sie werden das - äh, das Geschäft in einer Gegend abwickeln, in der man Sie nicht kennt. Es ist Ihnen doch nicht unangenehm, vorübergehend aus Berlin zu verschwinden?“ Wieder dieses amüsierte Kichern.

Der Typ wusste alles. Er musste seine Flucht beobachtet haben. Aber er bot ihm ja Hilfe an. Warum sollte er nicht zugreifen?

„Was schlagen Sie vor?“, fragte er.

„Ich nehme an, Sie wollten ohnehin gerade packen. Tun Sie das, und kommen Sie dann raus nach Grunewald. Ich warte auf dem Parkplatz in der Nähe vom Teufelssee, von jetzt an gerechnet, genau drei Stunden. Danach verfällt mein Angebot, und ich überlasse Sie Ihrem Schicksal, das mir ziemlich düster erscheint.“

Heiko Gerstner wollte noch fragen, ob er etwas Bestimmtes mitbringen solle. Er dachte da an sein Einbruchswerkzeug. Aber der andere hatte das Gespräch bereits beendet.

Drei Stunden. Das war ja nun kein Problem.

Mörderischer Urlaub am Teufelssee Berlin 1968 Kriminalroman Band 49

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