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3. Die Gesetzgebungskompetenz für die Strafverfolgung und die Strafverfolgungsvorsorge

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Die Polizei wird nicht nur präventiv zur Gefahrenabwehr (zu der auch die Gefahrenvorsorge zählt, s. Rn 11 u. 76) tätig, sondern auch repressiv bei der Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Rechtsgrundlagen hierzu enthalten ua die vom Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 I Nr 1 GG) erlassene Strafprozessordnung (StPO) mit dem Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung (EGStPO) und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Hinsichtlich der Strafverfolgung, die bei Bestehen eines Anfangsverdachts iS des § 152 II StPO einsetzt, beinhaltet die StPO gem. § 6 EGStPO eine abschließende Regelung der polizeilichen Befugnisse (sog. Kodifikationsprinzip, s. unten Rn 30, 137 u. 469). Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Normen zur Strafverfolgung und Normen der Gefahrenabwehr ist die Zielsetzung der Vorschrift, wie sie sich in objektivierter Sicht aus ihrer Ausgestaltung ergibt[8]. Dass einige der Zwecke einer der Gefahrenabwehr dienenden Norm bei objektivierter Betrachtung im Ergebnis zugleich der Strafverfolgung dienen, stellt deren präventive Ausrichtung nicht in Frage[9]. Dem Gesetzgeber steht bei Doppelfunktionalität ein Spielraum hinsichtlich der Zuordnung zu. Entsprechende Befugnisse können unter Umständen sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene geregelt werden (BVerfG, NJW 2019, 827, 832, Rn 72).

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Umstritten ist, ob auch die Strafverfolgungsvorsorge (zum Begriff Rn 12) zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens iSd Art. 74 I Nr 1 GG zu rechnen ist[10] oder ob sie dem allgemeinen Polizeirecht und damit der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfällt[11]. Richtigerweise dürfte sie wegen ihres engen Zusammenhangs mit der Strafverfolgung zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehören (s. auch Rn 12). Dem steht – ebenso wie bei anderen strafprozessualen Maßnahmen der Polizei – nicht der Umstand entgegen, dass Maßnahmen, die der Strafverfolgungsvorsorge dienen, häufig präventivpolizeiliche Nebeneffekte mit sich bringen. Fraglich ist allerdings, inwieweit der Bundesgesetzgeber noch Raum für landespolizeirechtliche Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge gelassen hat. § 6 EGStPO legt es von seinem Wortlaut her nahe, ihn nur auf solche Maßnahmen zu erstrecken, bei denen bereits der Anfangsverdacht einer Straftat besteht[12]. Dies gilt umso mehr, als polizeiliche Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge dem Gesetzgeber bei Schaffung des § 6 EGStPO fremd waren. Da der Bundesgesetzgeber jedoch inzwischen punktuell strafprozessuale Ermächtigungen zur Strafverfolgungsvorsorge geschaffen hat – vgl §§ 81b Alt. 2, 81g und 484 StPO –, können solche Maßnahmen, die bundesgesetzlich abschließend geregelt sind, heute nicht mehr auf eine landespolizeigesetzliche Ermächtigungsgrundlage gestützt werden. So lassen sich zB erkennungsdienstliche Maßnahmen, die der Strafverfolgungsvorsorge dienen, wegen § 81b Alt. 2 StPO nicht auf landespolizeirechtliche Bestimmungen gründen (s. Rn 139).

Zu beachten ist dabei, dass der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für die Strafverfolgungsvorsorge nicht nur dann Gebrauch macht, wenn er eine Ermächtigungsgrundlage für eine dieser Zwecksetzung dienende Maßnahme schafft, sondern ebenso, wenn er durch ein absichtsvolles Unterlassen einer solchen Regelung eine Sperrwirkung für die Länder erzeugt und damit eine diesbezügliche landesrechtliche Normierung der Strafverfolgungsvorsorge ausschließt[13]. Das hat das BVerfG hinsichtlich der in § 100a StPO geregelten Überwachung der Telekommunikation angenommen. Es sah deshalb die in dem früheren § 33a I 1 Nr 2, 3 NPOG vorgesehene Überwachung der Telekommunikation zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge als verfassungswidrig an[14]. Auch andere in der StPO getroffene Vorschriften, die verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zum Zwecke der Strafverfolgung zum Gegenstand haben und das Vorliegen zumindest eines Anfangsverdachts voraussetzen, schließen damit zugleich landesrechtliche Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge aus. So hat der VGH Mannheim[15] zurecht angenommen, dass das in § 100f StPO geregelte Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes sowie das in § 100h StPO normierte Herstellen von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen es dem Landesgesetzgeber verbieten, derartige Maßnahmen zum Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge vorzusehen (s. nunmehr auch § 11 I 2 BWPolG). Zulässig sind derartige Maßnahmen aber, wenn sie der Gefahrenvorsorge dienen. Gleiches hat für den Einsatz Verdeckter Ermittler im Hinblick auf die §§ 110a ff StPO zu gelten. Inwieweit in der StPO vorgesehene Ermittlungsmaßnahmen zugleich landesrechtlicher Regelungen der Strafverfolgungsvorsorge ausschließen, lässt sich nur im Wege der Auslegung der einzelnen strafprozessualen Normen feststellen. Beispielsweise schließt die verdeckte Observation gem. § 100h StPO nicht eine der Strafverfolgungsvorsorge dienende offene Beobachtung von Kriminalitätsschwerpunkten mittels Bildübertragung und Bildaufzeichnung aus[16]. Entsprechende Maßnahmen zum Zwecke der Gefahrenvorsorge vermag der Bundesgesetzgeber schon aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht auszuschließen (Rn 11). Soweit keine abschließenden bundesgesetzlichen Regelungen in Bezug auf bestimmte Strafverfolgungsvorsorgemaßnahmen existieren, bleibt aber nach wie vor auch Raum für landespolizeirechtliche Regelungen, die derselben Zielsetzung dienen, wie sie sich etwa in § 1 III ASOG Bln und § 2 I 2 ThürPAG finden. Bezeichnenderweise bestimmt § 484 IV StPO ausdrücklich, dass sich die Verwendung personenbezogener Daten, die für Zwecke künftiger Strafverfahren in Dateien der Polizei gespeichert sind oder werden, grundsätzlich nach den Landespolizeigesetzen (s. zB § 37 I SOG M-V) richtet; ausgenommen ist nur die Verwendung für Zwecke eines Strafverfahrens. Zu beachten ist zudem, dass selbst in den Fällen, in denen der Bundesgesetzgeber polizeiliche Befugnisse zur Strafverfolgungsvorsorge abschließend normiert hat, dies den Landesgesetzgeber nicht hindert, entsprechende Befugnisse zum Zwecke der Gefahrenvorsorge vorzusehen[17].

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Die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern bereitet Schwierigkeiten an den Nahtstellen von Strafprozessrecht und Polizeirecht, insbesondere bei der Regelung der Datenverarbeitung. Hier ist davon auszugehen, dass die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die ihn zur Regelung von Datenerhebungen zur Strafverfolgung bzw Strafverfolgungsvorsorge berechtigt, ihm zugleich (unter Beachtung grundrechtlicher Schutzpflichten) die Bestimmung ermöglicht, inwieweit die gewonnenen Daten zu anderen Zwecken, insbesondere zur Gefahrenabwehr, grundsätzlich zur Verfügung stehen. Es ist nämlich aus rechtsstaatlichen Gründen geboten, von vornherein den Rahmen festzulegen, innerhalb dessen erhobene Daten genutzt werden dürfen. Außerdem kann es die Effizienz der Strafverfolgung gefährden, wenn Daten, die im Rahmen der Strafverfolgung gewonnen wurden, zu anderen Zwecken genutzt werden[18]. Die Entscheidung darüber, ob von einer bundesrechtlich eröffneten Möglichkeit der Nutzung tatsächlich Gebrauch gemacht werden darf und die Daten für die Gefahrenabwehr verwendet werden dürfen, hat aber der grundsätzlich für die Gefahrenabwehr zuständige Landesgesetzgeber zu treffen[19]. Dieser kann umgekehrt bestimmen, ob die zum Zwecke der Gefahrenabwehr erhobenen Daten auch für die Strafverfolgungsbehörden nutzbar sein sollen. Die Ermächtigung zur tatsächlichen Nutzung dieser Daten für die Strafverfolgung kann sich dann nur aus dem Strafverfahrensrecht ergeben[20]. Die Nutzung polizeilich erhobener Daten für den jeweils anderen polizeilichen Tätigkeitsbereich wird also an das Vorliegen von zwei hintereinandergeschalteten Voraussetzungen geknüpft. Dieses Ineinandergreifen bundes- und landesrechtlicher Datenschutzregelungen lässt sich plastisch mit dem Bild der „doppelten Tür“ umschreiben (s. hierzu Rn 269)[21].

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Lösung der Ausgangsfälle (Rn 18 ff):

Fall 1:

Hier handelt es sich um eine strafprozessuale Maßnahme der Polizei, die der Aufklärung einer Straftat dient. Solche Maßnahmen sind in der StPO abschließend bundesrechtlich geregelt. Dies ergibt sich ua aus § 6 EGStPO, der ein Kodifikationsprinzip beinhaltet (Rn 29).

Fall 2:

Diese Regelung dient der Gefahrenabwehr. Sie fällt daher in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder (Rn 24). Sie lässt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs mit dem Strafprozessrecht bzw einer Annexkompetenz legitimieren, da deren Voraussetzungen hier nicht gegeben sind.

Fall 3:

Die Strafverfolgungsvorsorge unterfällt nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht (Rn 30) der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gem. Art. 74 I Nr 1 GG – wie die Strafverfolgung. Für die Strafverfolgungsvorsorge gilt jedoch – anders als für die Strafverfolgung – nicht das in § 6 EGStPO normierte Kodifikationsprinzip (Rn 30), und der Bund hat bisher von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht umfassend, sondern nur vereinzelt Gebrauch gemacht (s. zB §§ 81b Alt. 2, 81g StPO). Deshalb sind die Länder unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten befugt, der Polizei im Rahmen der Strafverfolgungsvorsorge zusätzliche, bisher im Bundesrecht nicht vorgesehene Eingriffsbefugnisse einzuräumen (s. auch § 484 IV StPO), sofern der Bundesgesetzgeber solche nicht – wie zB durch § 100a StPO geschehen – auschließt.

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