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Kapitel 3

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Baldric

Für Baldric von Dunstan brachte dieser relativ milde September seinen ersten Herbst als Marschall des Templerordens. Der Orden des Lichtbringers war der eiserne, halbweltliche Arm der Kirche. Er diente als Verteidigung des Glaubens gegen Feinde sowohl von außerhalb, als auch von innerhalb des Reiches.

Baldrics Laufbahn hätte als beispielhaft bezeichnet werden können, wäre da nicht der eine dunkle Fleck gewesen, der seine Vergangenheit unauslöschlich beschmutzte. Besagter Makel war außerdem der Grund dafür, dass er seinen Titel in der Ostmark trug und nicht in Stennward, der Liegenschaft des Regenten selbst. Dieser ferne Teil des Reiches, die Königsmark, war sowohl der Sitz des großen Tempels des Lichtbringers als auch der des Ordenshauptquartieres. Gleichzeitig sorgte die weit zurückliegende Verfehlung dafür, dass sein kürzlich erworbener Rang der höchste war, den er je erreichen würde. Seine nicht unproblematische Herkunft hingegen spielte hier keine Rolle.

Er war ein Bastard aus dem mittleren Adel, was an sich keine allzu bedeutende Schande darstellte. Besonders förderlich war es in der aristokratischen Welt freilich auch nicht unbedingt. Hier, in der Gesellschaft des eisernen Armes der Kirche, verloren weltliche Wertigkeiten jedoch fast völlig ihre Bedeutung. Mit dem Ordensschwur ließ der Anwärter sein bisheriges Leben zurück. Zum Guten, wie zum Schlechten. Baldric, der mit zweiunddreißig Jahren einer der jüngsten Marschälle des Ordens war, ließ die Vergangenheit vor seinem inneren Auge Revue passieren, während er durch die Gänge von Moorwacht schritt. Er kam gerade vom Gebet und fühlte sich so entspannt, wie es nur selten der Fall war.

Er ging nicht direkt zu seiner Kammer, sondern schlug einen Weg ein, der ihn quer durch die kleine Ordensburg führte. Er bewegte sich gerne durch die Wehranlage, die er seit einigen Jahren seine Heimat nannte. Die Ernennung zum Marschall lag wenige Tage zurück, und er würde bald zu einer längeren Mission aufbrechen. Es war eines seiner größten Kommandos und das Erste in dem kürzlich erworbenen Amt. Es gab Zeiten, in denen es gut war, einen ruhigen Blick auf die Vergangenheit zu werfen, um sich für die Zukunft zu wappnen. Er ging bewusst langsam, nickte dem einen oder anderen Bruder im Vorbeigehen zum Gruß und dachte an seine Jugend.

Die wilden, unsicheren Jahre. Den frühen, nicht ganz freiwilligen Eintritt in den Dienst für den Lichtbringer, der nicht im Orden selbst, sondern im Schoß der Kirche begonnen hatte. Fast fünfundzwanzig Jahre war das inzwischen her. Bereits nach kurzer Zeit war deutlich geworden, dass der geistliche Teil der Kirche nicht der Ort war, an dem der junge Baldric sein Leben würde verbringen können. Zwar war er, am Hofe seines Vaters im wahren Glauben erzogen, willfährig den Lehren des Herrn gefolgt. Auch mit der Disziplin kam er für einen sonst so unsteten Jungen gut zurecht, nachdem einige ebenso empfindliche wie lehrreiche Bestrafungen erfolgt waren. Er begehrte nie gegen Vorgesetzte auf und nahm die Strafen für Vergehen, die fast immer aus seinem Jähzorn heraus entstanden, nie aus Aufsässigkeit, ohne zu murren hin.

Doch eben dieser Zorn war es, gegen den weder Disziplin noch Gebet half, und der letztendlich zu seinem Ausscheiden aus der Kirche führte. Er war aggressiv und streitlustig, wie so viele Jungen, aber er war größer und stärker als die meisten anderen Initianten. Außergewöhnlich kräftig, brutal und leicht zu einer Wut entflammbar, die ihresgleichen suchte. Die Raufereien, an denen er beteiligt war, pflegten nur selten so zu enden, wie es unter Kindern für gewöhnlich der Fall war.

Allzu oft hatte einer der kleinen Kombattanten mehr als nur ein paar Schrammen, Prellungen und blaue Flecke zu beklagen. Mehr als einmal war ein gebrochener Knochen im Spiel. Einmal, das letzte Mal, hatte es einen anderen Novizen sogar ein Auge gekostet.

Bei der Sache mit dem schwer verletzten Jungen war Baldric erst elf Jahre alt gewesen. Die Kirche hatte ihn nach diesem Zwischenfall als nicht mehr tragbar angesehen, was ihr kaum jemand verübeln konnte. So war er der jüngste Anwärter, den der Templerorden je aufgenommen hatte.

Lag das Mindestalter für die Aufnahme im Orden bei dreizehn Jahren, fiel Baldric trotz der zwei Lenzen zu wenig nicht weiter auf. Sowohl sein Körperbau als auch sein Gebaren entsprachen dem eines älteren Kindes. Und wenn es ihm an einem nicht mangelte, dann an Durchsetzungsvermögen unter Gleichaltrigen. Der Eintritt in den Orden war nicht nur der Beginn einer nahezu beispielhaften Karriere, er rettete ihm auch das Leben.

Das erfuhr er freilich erst viele Jahre später. Zu diesem Zeitpunkt waren ihm die Hintergründe, wie alle anderen weltlichen Belange, längst gleichgültig geworden. Baldric von Dunstan, der einfaches weißes Leinen und geschnürte Lederstiefel trug, während durch eine unbedeutende Grenzburg des Ordens schritt, war der Sohn des Barons Eadred III von Dunstan. Land und Titel der in der Nordmark gelegenen Baronie gehörten heute seinem acht Jahre jüngeren Halbbruder. Die fehlenden Jahre in der Erbfolge glich dieser dadurch aus, dass er reinen Blutes war und keinem außerehelichen Fehltritt entstammte.

Der alte Baron war etwa zu der Zeit von Baldrics Eintritt in den Orden gestorben. Mit der ungewöhnlichen Regelung, den ältesten Sohn der Kirche zu überantworten, waren Baldric zwei Dinge erspart geblieben. Zum einen der in gewisser Weise klangvolle, aber wenig schmeichelhafte Titel Baldric der Bastard, zum anderen ein früher Tod. Legitimierte uneheliche Sprosse kamen in den Kreisen des Adels immer wieder vor. Eadred hatte denn auch keine Sekunde gezögert, Baldric als seinen Sohn anzuerkennen. Zu dringend war die Notwendigkeit für einen Erben. Im mittleren Adel gehörte derlei auch im Grunde zum Tagesgeschäft und war kaum mit einem Skandal behaftet. Erklomm man erst den Rang eines Grafen oder gar den eines Herzogs, waren solche Dinge schon heikler. Ein Bastard als ältester Sohn war auf der anderen Seite nie besonders gern gesehen, war er doch nach der Legitimation dem Kronrecht zufolge uneingeschränkt erbberechtigt. Natürlich widerrief der Tod jedes Recht. Manche Gerichtsbarkeiten waren unantastbar, ob unter einfachen Bauern oder hohen Herren.

Den Baron kümmerte all das wenig. Für ihn zählte nur, dass die Geburt Baldrics ihn aus der peinlichen Situation erlöste, im Alter von vierzig Jahren noch immer kinderlos zu sein. Das war ungewöhnlich für einen verheirateten Mann, dem überdies zahllose Liebschaften nachgesagt wurden. Kenner des Hofes von Eadred verwunderte diese Tatsache freilich nicht.

Zum einen war seine attraktive Gattin in den Jahren ihrer Ehe so gut wie unberührt geblieben. Jedenfalls von ihrem Gatten. Zum anderen fanden seine Affären ausnahmslos mit Personen männlichen Geschlechtes statt. Ebenso blutjungen Alters, wie die Gemahlin es bei der Hochzeit gewesen war, verstand sich. Durchaus auch zumeist ansehnlich, aber eben dem Gesetz der Natur nach unfähig, auch nur einen Bastard als Nachfolger zustande zu bringen.

Und doch, in einer durchzechten Nacht, an die der Baron sich später nach eigener Aussage nicht einmal erinnerte, musste es passiert sein. Irgendwie hatte sich sein alter, treuloser Schwanz im Laufe einer der Orgien, die er regelmäßig abzuhalten pflegte, verirrt. Es gab amüsierte und mehr oder weniger diskrete Zeugen, und spätestens nach der Geburt des Kindes war jeder Zweifel dahin. Die Mutter Baldrics war nicht etwa die obligatorische Schankmaid, sondern die Cousine von einem Ritter Eadreds. Besagter Recke war denn auch schlau genug, der betreffenden Dame in seinem Haushalt Unterkunft und Schutz zu gewähren, bis die Niederkunft stattgefunden hatte. Im regen Treiben auf der Burg passierten einfach zu leicht Unfälle. Während die Mutter schwarzes Haar und dunkle Augen hatte, war Baldric mit weißblondem Flaum auf dem Kopf zur Welt gekommen. Die Augen so blau, wie der Sommerhimmel vor dem Grau gewesen sein mochte. Mit anderen Worten, er hatte das typische Aussehen eines männlichen Dunstan.

Eadred III legitimierte den kleinen Bastard ohne viel Federlesen. Von dem erbosten Gezeter seiner Gemahlin zeigte er sich gänzlich unbeeindruckt. Der Junge war nun einmal offensichtlich sein Sohn. Es wurde dringend ein Erbe gebraucht und wer die Mutter war, spielte im Grunde keine Rolle. Jedenfalls nicht für Eadred. Frauen waren ohnehin ein Gräuel, die eine wie die andere. Wie es der Lady von Dunstan im Laufe der folgenden Jahre gelungen sein mochte, den Geschlechtsakt mit ihrem Gatten doch noch einige Male zu vollziehen, war nicht bekannt. Eadred war ein ausschweifender, zügelloser und versoffener Mann. Vielleicht hatte das, was einmal unbeabsichtigterweise funktioniert hatte, es auch ein zweites Mal getan. Eine Menge Alkohol und ein dieses Mal absichtlich in die Irre geführter Schwanz waren das naheliegendste Szenario.

In jedem Fall kam acht Jahre nach der Geburt Baldrics der zweite Sohn des Barons zur Welt. Zum Glück für seine Mutter ebenso blond und blauäugig wie der alte Eadred. Kein Bastard zwar, aber eben acht Jahre zu spät. Da der Junge als einziger Abkömmling reinen Blutes nun schon nicht den Titel erben konnte, bekam er wenigstens Eadreds Namen und wurde damit der vierte Träger desselben. Als solcher erblickte er das Licht der Welt und läutete damit einen ehelichen Krieg ein.

Nach Monaten des Zankes, der Drohungen und Intrigen, kam Eadred zu der Einsicht, dass ihm zwei Möglichkeiten blieben. Entweder, etwas in dieser Sache zu unternehmen oder ein frühes Ende zu riskieren. Ein bitterer Geschmack im Wein, ein Dolch unter dem Hemd eines Liebhabers, es gab der Gelegenheiten viele. Er zweifelte am Ende nicht daran, dass seine Gemahlin zu derartigen Mitteln bereit war. Ebenso war ihm bewusst, wie gut ihre Chancen standen, unbeschadet damit durchzukommen. Er war sich darüber im Klaren, dass außer einigen Bettgespielen niemand eine Träne über sein Ableben vergießen würde. Mit anderen Worten, die Lady von Dunstan hatte ihm glaubhaft gemacht, dass nach den Jahrzehnten der Erniedrigung das Maß voll war. Faul und kraftlos, wie er war, kümmerte es ihn im Grunde auch nicht, welcher Sohn ihm später auf den Thron folgte. Er wählte also, getreu seinem Naturell, den einfachsten und am bequemsten gangbaren Weg.

Baldric wurde ins Noviziat der Kirche geschickt, für einen ältesten Nachkommen eine ungewöhnliche Vorgehensweise, aber eine im Rahmen des königlichen Rechtes. Es war, obschon meist im Falle jüngerer Söhne, eine gängige Praxis, das eine oder andere Kind der Kirche oder dem Orden zu überantworten. In Baldrics Alter, er war damals keine neun Jahre alt, war dieser Eintritt allerdings nur bedingt bindend, wie sein Vater sehr wohl bedacht hatte. Faul und feige mochte der alte Eadred gewesen sein, bequem und schwach ebenso, dumm jedoch ganz gewiss nicht. Ein Novize wurde im Alter von zwölf Jahren vor die Wahl gestellt, Profess abzulegen und in den Stand eines Diakons erhoben zu werden, oder aber die Kirche zu verlassen. Und selbst danach war es noch möglich, dem Dienst im Namen des Herrn den Rücken zu kehren. Somit war Baldric aus dem Blickfeld und Einflussbereich der Baronin verschwunden, blieb Eadred jedoch als möglicher Erbe erhalten. Nur für den Fall, dass dem kleinen Eadred IV etwas zustoßen mochte.

Dann aber war der Baron plötzlich gestorben. Gelbfieber sagten die Quacksalber. Unter den Menschen bei Hofe gab es unterschiedliche Meinungen. Er habe sich die Leber schließlich doch zu Brei gesoffen, meinten die einen. Die Gedärme des Alten seien nach den vielen Lustknaben ganz einfach kaputtgevögelt gewesen, mutmaßten die anderen.

Wie sich der Tod des Barons auch zugetragen haben mochte, brachte sein Ableben der Baronin sowohl Freude wie Sorge. Zum einen war ihr leibliches Kind nun der rechtmäßige Titelträger des Baronates von Dunstan. Auf der anderen Seite hatte sie unter diesen Umständen erneut Grund, Baldrics Anspruch zu fürchten. Der Junge entging jedoch möglicher Intrige und Verfolgung durch seine Eskapaden und dem daraus folgenden, nicht ganz freiwilligen, Eintritt in die Reihen der Templer.

Im Gegensatz zu den großzügigen Regelungen des Kirchendienstes war der Ordenseid bindend bis zum Tode. Im Orden spielte es keine Rolle, wer man war oder woher man kam, ob ehelich geboren oder als Bastard. Man war Anwärter, Halbbruder, Ritterbruder, und wenn man aufrecht und tapfer diente, vielleicht eines Tages Marschall, oder gar Landmeister einer der Marken.

Baldric erfuhr erst Jahre später von der Entwicklung in Dunstan, als für ihn längst nur noch die Belange innerhalb des Ordens zählten. Er legte weder Wert auf Kontakt zu seiner leiblichen Mutter noch zum Rest der Blutsverwandtschaft oder irgendwelche Adelstitel. Seine Familie war die Bruderschaft.

Auch hier war er zu Beginn ob seines bösartigen Temperamentes hin und wieder angeeckt. Trotzdem hatte er von Anfang an gespürt, dass der Orden der Ort war, an den er gehörte. Zwar hatte seine Gelehrsamkeit hier nicht mehr so viel Gewicht, dafür aber war sein Jähzorn nicht so fatal wie in der gewaltfreien Gesellschaft der Kirche. Natürlich wurde auch hier die Fortbildung des Geistes weitergeführt. Das Hauptaugenmerk lag jedoch auf dem physischen Training. Wie sich zeigte, war das erbarmungslose und oft brutale Kampftraining genau das, was der junge Baldric brauchte. Durch die völlige Verausgabung, die eiserne Disziplin innerhalb des Ordens und die kompromisslose Härte der Ausbilder lernte er zum ersten Mal im Leben, seinen Jähzorn zu beherrschen. Schmerz und Erniedrigung stachelten ihn an und schliffen ihn. Das Training gab ihm die Möglichkeit, seinen inneren Dämon zu zähmen. Diesen unbändigen Zorn kontrollieren zu lernen, um ihn dann im Kampf gezielt gegen den Gegner zu lenken, war eine wunderbare Erfahrung.

Baldric entwickelte sich mit der Zeit zu einem Beispiel an Hingabe und Tapferkeit für seine Brüder. Er trainierte härter als jeder andere und nahm an mehr Messen und Gebeten teil, als von ihm erwartet wurde. Er unterwarf sich bedingungslos, ja beinahe begeistert, dem Reglement des Ordens. Instinktiv spürte er, dass er diese Dogmen brauchte, um seinem Leben Struktur zu geben. Nur so kam er mit sich selbst zurecht. Im Laufe der Jahre verschwand das jähzornige und gewalttätige Kind. Aus ihm wurde ein disziplinierter junger Mann von gewaltiger Kraft und mit einem hellen Kopf. Ein Ordensbruder von der Sorte, der im Kampf einen heiligen Zorn entwickelte konnte. Aber auch einer, der ein respektables Mitglied der verschworenen Gemeinschaft von Kameraden war.

Mit sechzehn Jahren wurde er zum Halbbruder ernannt und in das Ordenshauptquartier Wachtstein nahe der Hauptstadt des Reiches versetzt. Dort wurden unter anderem die vielversprechendsten jungen Männer ausgebildet, über die der Orden verfügte. Es war die Schmiede für die Elite der Templer und der Sitz des Hochmeisters selbst. Die mächtige Ordensburg bildete, mit dem Schloss des Königs an der Grenze der Stadt und dem großen Tempel des Lichtbringers im Stadtinneren, das Dreigestirn der Macht des Reiches. Diese Zeit war eine zwiespältige für Baldric, eine Epoche seines Lebens, die er heute zumeist zu verdrängen suchte. Sie lehrte ihn etwas über sich selbst, das er wissen musste, um weiterleben zu können, und sie kostete ihn fast alles.

Wie zuvor erregten seine Tugenden die Aufmerksamkeit der Vorgesetzten. Er arbeitete nach wie vor hart, gleichermaßen an Körper und Geist. Das physische Training war wichtig, weil es ihn erschöpfte und ihm überschüssige Kraft nahm. Aber auch die geistige Lehre war hilfreich, denn sie trainierte Selbstbeherrschung und Geduld. Dass die glühende Hingabe des jungen Mannes nur persönlichen Notwendigkeiten entsprach, ahnte außer ihm selbst niemand. Ebenso verstand er es, seine Gleichgültigkeit gegenüber dem spirituellen Teil der Ordensideologie zu verbergen. Religion an sich bedeute ihm schon damals nichts. Er fügte sich der Obrigkeit einzig aus dem Grund, dass diese Fügsamkeit der Preis für die Ordnung in seinem Leben war. Baldric hatte schon früh erkannt, dass er, auf sich allein gestellt, nicht in der Welt zurechtkommen würde.

Die neue Umgebung barg jedoch auch Gefahren. Für ihn negative Einflüsse, vor denen ihn der Schutz von Kirche und Orden bis dahin bewahrt hatte. Wachtstein lag nur wenig außerhalb der Stadt und die Ordensbrüder verfügten über ein bescheidenes Maß an Freizeit. Für den jungen Baldric bedeutete das zum ersten Mal in seinem Leben ein anderes soziales Umfeld, als das klosterartige Dasein in Kirche und Orden. Es bedeute auch zum ersten Mal seit seiner frühen Kindheit den Umgang mit Frauen und Kindern. Hier offenbarte sich ihm bald, dass neben seinem Jähzorn offenbar noch ein weiterer Dämon in ihm wohnte. Es mochte auch eine Spielart desselben sein, die hier erstmals zutage trat, weil sich die Gelegenheit dazu bot.

Für Mitglieder des Ordens bis zum Range des Halbbruders war es nicht ungewöhnlich oder gar verboten, gelegentliche sexuelle Kontakte zu pflegen. Die Unterdrückung des geschlechtlichen Triebes hatte in der militärischen Ausbildung junger Männer eine lange Tradition. Daher wusste man aber auch, dass eine völlige Enthaltsamkeit langfristig doch zu Problemen führte. So war es geduldet, wenn die jüngeren Brüder sich ab und an ein wenig austobten. Eine Möglichkeit, von der natürlich gerne und reichlich gebraucht gemacht wurde.

Einige Kameraden hatten Baldric zu seinem siebzehnten Geburtstag mit einem Besuch in einem der Freudenhäuser der Stadt überrascht. In seiner Jugend im Orden hatte er noch kumpelhafte Freunde. Später lernte er, zu allen Menschen eine gewisse Distanz aufzubauen. In den Jahren nach der Sache in Wachtstein brachte er sich selbst bei, eine Maske über sein wahres Wesen zu ziehen. Dieses Ding zu verbergen, das ihn auf so mannigfaltige Art und Weise in Schwierigkeiten zu bringen vermochte.

Baldric war im Umgang mit Frauen unerfahren, aber nicht sonderlich ängstlich. Er merkte früh, dass die Weiblichkeit ihn anziehend fand, ohne dieser Tatsache viel Aufmerksamkeit zu schenken. Auch war sich bewusst, dass er größer, stärker und damit wohl attraktiver war als die meisten der Mitbrüder. An diesem Tag erfuhr er zum ersten Mal im Leben echte Lust und erkannte zugleich, was Lust für seinen Dämon bedeutete.

Das Freudenmädchen, das er sich hatte aussuchen dürfen, war dreizehn Jahre alt gewesen. Ein kleines, mageres Ding mit großen braunen Augen, halblangem dunkelblondem Haar und einem beinahe knabenhaften Körper. Sie hatte jünger gewirkt, als sie war, kindlich und sehr verletzlich. Das alles hatte ihn tief in seinem Inneren berührt und zu ihr hingezogen.

Der Baldric der Gegenwart, über einsneunzig groß und fast zweihundert Pfund schwer, durchschritt eine mit Eisen beschlagene Tür aus dunklem, grob gemasertem Holz. Er trat auf einen der Wehrgänge hinaus in die kühle, graue Luft und legte die Handflächen auf den Stein der Außenmauer. Er fühlte, wie die raue Oberfläche hart und kalt unter seinen Händen lag. Ganz so, wie es das Mädchen damals glatt und warm getan hatte. Am Anfang jedenfalls. Diese viele Jahre zurückliegende Nacht war sowohl eine Katastrophe wie eine Befreiung gewesen. Beinahe sein Ende und doch in gewisser Weise ein Neuanfang.

Als es vorbei war und man sie wegschaffte, hätte vermutlich nicht einmal ihre Mutter sie noch erkannt. Baldric hatte es nur seinem Potential und dem bis zu diesem Tage hohen Ansehen bei den Oberen zu verdanken, dass er nicht nur im Leben, sondern auch im Orden verblieb. Seine kurze aber prägnante Zeit in Wachtstein, im Machtzentrum von Orden und Reich, war allerdings vorbei gewesen. Er war, nur wenige Tage, nachdem man die von ihm verursachte Schweinerei beseitigt und die Mäuler der Zeugen gestopft hatte, hierher in die Ostmark versetzt worden.

Diese galt damals wie heute als der unruhigste und gefährlichste Teil des Reiches. Besonders die östlichen Grenzlande, in denen Baldric sich nun seit über zehn Jahren befand, wurden ihrem Ruf vollauf gerecht. Das Königreich war in den Wirren der Zeit nach dem Grau nicht auseinandergebrochen, doch hatten sich einige Teile des Landes nur langsam und schwerlich von den Veränderungen erholt. In der Ostmark war das am weitläufigsten der Fall gewesen.

Das Grenzland war nach den ersten Unruhen im Grunde genommen Niemandsland. Dann hatte sich der Orden der Landstriche angenommen, um für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Die Steppenkriege gegen die Goyaren, einem wilden, halbmenschlichen Volk aus den Weiten des Ostens jenseits des Reiches, waren Jahrhunderte her. Ganz vergessen war die Angst vor einer fremden Horde hierzulande jedoch nie. Dabei spielte es keine Rolle, dass seit Generationen kein Zeichen von Leben mehr aus östlicher Richtung gekommen war. Noch immer hielt der Orden diese Grenze, obgleich der jetzige Herzog die Ordnung im westlichen Teil der Mark längst wiederhergestellt hatte. Boden, in den das Blut ihrer Brüder geflossen war, gaben die Templer so leicht nicht wieder auf.

Baldric ließ seinen Blick über die Zinnen von Moorwacht und den von kleinen Waldstücken unterbrochenen Horizont schweifen. Die Umrisse der Bäume zeichneten sich in dem feinen Nebel ab, der die Welt in einiger Entfernung in einen geisterhaften Schleier hüllte. Er hatte im Laufe der Jahre in vielen Ordensburgen der Ostgrenze gedient. Hatte bei Niederschlagungen von unbedeutenden Bauernaufständen im Süden ebenso gekämpft, wie bei den Jagden gegen die Banden von Gesetzlosen in den bewaldeten Gebieten im Norden. An zwei Expeditionen hinter die Grenze in die östlich liegende Tundra, denn dazu war die Steppe nach dem Grau geworden, hatte er teilgenommen. Eine trostlose, leere Landschaft war das, ohne eine Spur von Leben außer ein paar Vögeln und kleinem Pelzgetier. Die Tage der großen Unruhen gehörten der Vergangenheit an.

Das schlimmste Chaos und Elend an Krieg, Hungersnot und Krankheiten war vor seiner Zeit vorbei gewesen. Aber es war immer noch die Ostmark, in der man sich einen Namen machen konnte, wenn man überlebte. Und das hatte er getan. Darin war er gut. Er war am Leben geblieben und seinen verbotenen, in den Augen der Welt abartigen Bedürfnissen selten und diskret nachgegangen. Meistens jedenfalls, nachdem er einige weitere Dinge gelernt hatte.

Diese magere, dreizehn Jahre alte Hure hatte er nie vergessen. Der Abend war heute nicht mehr, als eine verschwommene Erinnerung an einen Rausch aus Bildern und Gefühlen. Und doch hatten sich die Details ihres Zusammenseins unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. Ihre großen, dunklen Augen, die ihn ansahen, als er sich entkleidete. Sie hatte gelächelt, zum einen wohl, weil sie wusste, dass es sein erstes Mal sein würde. Aber auch, weil sie ihren Körper erst seit kurzem verkaufte, und daher an einem so stattlichen Burschen noch selbst Freude haben konnte. Die Beschaffenheit ihres Haares, der Geschmack ihrer Haut und ihres Schweißes. Dann das Geräusch des Stöhnens, das irgendwann in erstickte Schreie übergegangen war. Erst voll von ihrer Lust, dann voll von Schmerz und Grauen, als er die Seine befriedigte. Oder die seines Dämons, falls es diesen Unterschied gab. Das Gefühl, wie sie unter ihm brach, unter ihm zuckte, unter ihm verging. Die, wenn auch nur kurze, Geborgenheit durch die Wärme und den Geschmack ihres Blutes. Sie war bis zum heutigen Tage die älteste Frau geblieben, die ihn je wirklich erregt hatte. In der Nacht, in der er sie tötete, setzte sich etwas Essentielles in ihm frei.

Wenn er heute darüber nachdachte, konnte er sich glücklich schätzen, die Lektion mit einer kleinen Hure gelernt zu haben. Die konnte man zumindest ohne großen Aufwand verschwinden lassen und die Spuren mit ein wenig Geld verwischen. Unter anderen Umständen wäre diese Erfahrung eine seiner Letzten gewesen, Ordensbruder oder nicht.

Zunächst hatte er in den darauffolgenden Jahren versucht, sich mit älteren Frauen zu treffen. Die Grenzterritorien der Ostmark waren nur spärlich besiedelt, und die Stützpunkte des Ordens lagen meist weitab der größeren Ortschaften. Es gab allerdings hier und da Dirnen, und auch die eine oder andere Bauersfrau war in diesen schweren Zeiten bereit, einem für ein wenig Nahrung zu Willen zu sein. Zwar mochte der Hungertod für viele Menschen nur noch ein Schreckgespenst sein, doch hatte es in den östlichen Grenzlanden nach wie vor ungleich schärfere Klauen und Zähne als im Inneren des Reiches.

So hatte Baldric damals versucht, seine Bedürfnisse mit der herkömmlichen Form der geschlechtlichen Zerstreuung zu befriedigen. Umsonst, wie er bald hatte feststellen müssen. Sein Trieb war gleichbedeutend mit seinem Dämon, und dieser wollte Blut. Junges Blut, Angst und Schmerz und Verzweiflung. Vielleicht war es das gleiche Ding, das ihn als Kind dazu gebracht hatte, diesem Novizen so lange ins Gesicht zu treten, bis man ihn von ihm wegzerrte. Der Junge verlor sein linkes Auge und blieb auf dem Rechten fast blind. Baldric erinnerte sich mit einer Art klaren Distanziertheit an den Vorfall. Er konnte beinahe das Wimmern hören, den dumpfen Schmerz in seinem Fuß spüren, durch den Stiefel hindurch, wie er immer wieder zutrat. Er trat nicht mit aller Kraft zu, das hätte sein Opfer nach wenigen Tritten getötet. Er traf den Kopf nur hart genug, dass der andere Junge blutete und schrie, bis sein Gesicht nur noch ein blutiger Brei war. Hatte ihn das erregt? Vermutlich nicht, schließlich war er kaum mehr als zehn Jahre alt gewesen.

Aber auch diese spezielle Lust ließ sich befriedigen. Der immer drängender werdende, schreckliche Druck, ließ sich von ihm nehmen. Hier draußen war vieles leichter als anderswo. Das eine oder andere vermisste Mädchen fiel in Tagen wie diesen kaum auf. Die Kleinen verschwanden, starben, hatten Unfälle. Letztendlich war ein verschwundenes Kind für manche arme Seele nur ein hungriges Maul weniger, das es zu stopfen galt. Darüber hinaus war er, nachdem er einige Erfahrungen gesammelt hatte, überaus vorsichtig. Mit älteren Frauen traf er sich nicht mehr, was angesichts seiner Stellung im Orden kein Aufsehen erregte. Es war zwar kein Zölibat vorgeschrieben, aber von einem vollwertigen Ritterbruder erwartete man einen gewissen Anstand. Wurde schon keine Enthaltsamkeit geübt, so war doch ein hohes Maß an Diskretion angebracht. Baldric hatte es freilich zu einem Meister dieses Faches gebracht, wenn auch auf andere Art und Weise, als viele glauben mochten. Waren seine Gründe doch schwerwiegender, als bei einem normalen Mann mit gewöhnlichen Gelüsten.

Baldrics sonstiges Verhalten war tadellos und beispielhaft. Er war diszipliniert, fleißig und unermüdlich im Training wie in den Besuchen der Messe. Darin war er all die Jahre über beständig gewesen, weil er es sein musste. Dabei war er trotz der freundlichen Distanz, die er zu jedermann hielt, nicht unbeliebt, ganz im Gegenteil. Er galt als introvertiert und über die Maßen pflichtbewusst, aber auch als zuverlässig und hilfsbereit. Der Humor, dessen er sich befleißigte, war oft zynisch und kaltschnäuzig, passte aber durchaus zu seinem Wesen und kam daher bei vielen Brüdern an. Er schien stets unnahbar, ohne dabei arrogant zu wirken.

In den Kämpfen, die er geschlagen hatte, hatte er einen Mut unter Beweis gestellt, der an Kühnheit grenzte. Diese Tapferkeit brachte ihm auch bei denen Respekt ein, die von seinem Auftreten und Zynismus irritiert waren. Selbst die Kameraden, die keinerlei Sympathien für ihn hegten, achteten ihn.

Das war letztendlich der Grund, warum Baldric von Dunstan nun der dritte Marschall der Ostmark war. Die Ranggenossen Gregor Stoinok und Ladislaus Koranov stammten beide aus der Ostmark, wie die meisten Männer, die hier ihren Dienst versahen. Ersterer hatte ihn für den Titel vorgeschlagen, nachdem sein Vorgänger vor Kurzem betagt gestorben war. Die große Mehrheit, mit der er daraufhin von seinen Brüdern gewählt worden war, hatte niemanden überrascht. Ihn trennten zehn Jahre zu den anderen beiden Marschällen und fünfundzwanzig zum Landmeister Jarek Zdravko. Dennoch genoss er den Respekt der Älteren.

Seine Position war in gleichem Maße gefestigt, wie hart erarbeitet. Alles verlief in wohl strukturierten Bahnen, so wie er es mochte, so wie er es brauchte. Seine Augen ruhten auf einem Wäldchen, das in der Richtung lag, in die er morgen früh aufbrechen würde. Hinter den Bäumen, im Nebel verborgen, folgten ein paar Landmeilen Grasland. Später wandelte sich die Landschaft im Norden zum Moorland und im Süden zu einem weitläufigen, spärlich bewachsenen Landstrich. Gen Osten begann nach einem weiteren Streifen Waldland die Tundra, wo bald die Reichsgrenze verlief.

An und in dem dünn bewaldeten Gebiet lagen einige Grenzdörfer, die letzten Siedlungen in diesem Teil des Reiches. Zwei von ihnen hatten bereits vor Wochen ihre jährlichen Abgaben liefern sollen.

Der Orden war als Gegenleistung für die Grenzsicherung dazu berechtigt, die örtliche Bevölkerung zu besteuern. Dabei war er konsequent, aber nicht sonderlich gierig. Man verlangte den ärmlichen Dörfern lediglich ein zehnt der Nahrungsproduktion ab. Das war auch in harten Jahren zu bewältigen und sorgte für wenig Unmut bei den Bauern. Nur ab und an, vielleicht einmal in einer Dekade und nach einer besonders schlechten Ernte, musste man das eine oder andere Dorf daran erinnern, dass Hunger im Vergleich zum Zorn Gottes, oder dem seiner Diener, das kleinere Übel war.

In der Regel liefen diese Dinge jedoch reibungslos ab und die Dörfler lieferten brav ihre Abgaben, wenn es an der Zeit war. Für gewöhnlich kam allerdings auch Landvolk, das man zum Auskundschaften ins Hinterland schickte, zur Burg zurück. Nicht so in diesem Fall. Zwei Dörfer hatten die Woche, in der sie ihre Steuern abzuliefern waren, um fast einen Monat verstreichen lassen. Eine weitere Woche später hatte man einige zivile Kundschafter geschickt, wie üblich junge Burschen aus dem Umfeld der Ordensburg. Ab und an irrten sich die Dörfler schlichtweg in der Abgabezeit, oder erlitten auf dem Weg einen Unfall. Auch eine Plünderung durch gesetzlose Banden lag zumindest im Bereich des Möglichen. Seitdem man die beiden kleinen Gruppen von Spähern ausgesandt hatte, gab es weder von ihnen noch jemand anderem aus dem Osten ein Lebenszeichen. Damit war es an der Zeit zu handeln. Es würde nicht bei den paar Brüdern bleiben, die man für gewöhnlich zunächst losschickte, um solche Dinge zu untersuchen. Die Tatsache, dass sowohl zwei Dörfer zur gleichen Zeit abgeschnitten zu sein schienen, gab ebenso Anlass zur Besorgnis, wie das offensichtliche Verschwinden der ausgesandten Späher.

Baldrics erste Amtshandlung als Marschall würde die Klärung dieser Situation sein. Dafür standen ihm ab dem morgigen Tage zwei Lanzen Reiterei, eine Lanze Kundschafter sowie vier Trupps Infanterie zur Verfügung. Dazu ein Tross bestehend aus sechs großen Wagen nebst Proviant und Ausrüstung. Alles in allem mehr als achtzig Brüder und zwei Dutzend Gefolgsleute, die bis zum Ende der Mission unter seinem Befehl stehen würden.

Er sog die kühle, nachmittägliche Herbstluft ein und schaute himmelwärts. Das diesige Grau war eine makellose Fläche. Ein klarer Tag, vermutlich einer der wenigen dieses Herbstes. Es war bereits sehr kalt, roch aber noch nicht nach Frost, was mit etwas Glück eine recht ertragreiche Ernte bedeutete. Trotz des verhältnismäßig kühlen Sommers versprach das Wetter außerdem einen späten Wintereinbruch. Was das anging, war die Natur seit dem Grau allerdings tückisch.

Er freute sich auf die bevorstehenden Tage. Überhaupt verspürte er zurzeit eine tiefe Zufriedenheit, was nicht zuletzt mit dem Erreichen des neuen Ranges zu tun hatte. Weiter als bis zum Marschall würde er es als Ausländer in der Ostmark und mit dem dunklen Fleck auf seiner Vergangenheit nicht bringen können. Aber das war so in Ordnung. Man hatte ihm damals deutlich zu verstehen gegeben, dass er außerhalb der Ostmark nie wieder einen Ordensrang bekleiden würde. Vielleicht war das auch das Beste für ihn. Der betagte, fettleibige Landmeister, dem er nun direkt unterstand, war natürlich eine Sache für sich. Aber selbst wenn der Alte ihm nie Sympathie entgegengebracht hatte, achtete er seine Tapferkeit und Zuverlässigkeit.

Im Stillen war Baldric sicher, dass die Abneigung Zdravkos nur daher rührte, dass er über die Vorgänge vor all den Jahren in Stennward informiert war. Falls der Mann detaillierte Berichte darüber hatte, was damals vorgefallen war, konnte man ihm ein gewisses Misstrauen kaum verdenken.

Das Einzige, was den jungen Marschall an seinem Leben in der Ostmark betrübte, waren die langen Phasen der Untätigkeit. Das Training half, aber es reichte nicht, egal wie erbarmungslos er seinen Körper verausgabte. Er absolvierte nicht grundlos nach wie vor ein Trainingspensum, das einem ehrgeizigen Anwärter zur Ehre gereicht hätte, der halb so alt war wie er. Er musste sich physisch erschöpfen, um ein Mindestmaß an Ausgeglichenheit aufrecht zu halten. Nervosität und Unruhe fütterten seinen Dämon.

Der letzte richtige Kampf lag noch länger zurück als das letzte Mädchen, und so war er dankbar für die vor ihm liegende Aufgabe. Mit einer Truppe zu reisen war gut. Sich Gefahren und Unannehmlichkeiten auszusetzen, war sogar noch besser. Das höchstwahrscheinlich folgende Blutvergießen würde Balsam für seine Nerven sein. Was auch immer in den Dörfern geschehen war, irgendjemand würde bluten müssen. Dafür würde er notfalls sorgen. Der Orden hatte in diesem Teil des Reiches die Rechtsprechung inne, und nach dem Ordensrecht war jeder, der Kirche oder Orden schadete, als Ketzer zu behandeln. Ob es sich dabei um einen Gesetzlosen handelte, der eine Kapelle überfiel, oder um einen Bauern, der die Abgaben verweigerte, spielte keine Rolle.

Eine Schlacht oder ein Mädchen, für Baldric machte das vom Prinzip her kaum einen Unterschied. Beides bedeutete das ab und an so dringend benötigte Blutvergießen. Die Sonne war hinter dem allgegenwärtigen Grau des Himmels verborgen. Für die meisten Menschen nur noch ein halb vergessener Traum, so wanderte sie langsam dem Horizont entgegen. Es wurde bereits allmählich wieder dunkler. Der hünenhafte Ordensmarschall legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

Der Wind spielte in seinen langen, goldenen Haaren, die zu einem losen Zopf geflochten waren und bisher keine Spur von Grau zeigten. Er stand noch eine gute halbe Stunde so im schwindenden Tageslicht da und lächelte.

Die Rückkehr des Wanderers

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