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Wiener Kleinkunst und Operette vor 1938

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Anfang der 1930er-Jahre wurde Hans Weigel bei Gründungen literarischer Kabaretts zur Mitarbeit aufgefordert – er sagte mehrmals zu und hörte dann nichts mehr davon. Die Wiener Kleinkunst hatte bereits etwas früher zu wachsen begonnen: Schon 1926 war von Studenten, Mittelschülern und Arbeiterjugendlichen ein (sozialdemokratisches) politisches Kabarett gegründet worden, bei dem Viktor Grünbaum (der später als Victor Gruen bekannt gewordene Architekt) und Jura Soyfer mitagierten, der um vier Jahre jünger als Hans Weigel war. Seit 1927 gab es im Porrhaus das „Jüdisch-Politische Cabaret“ und 1932 wurden verschiedene Arbeiter- und Bauerntheatergruppen zu den „Roten Spielern“ zusammengeschlossen. Die „Blaue-Blusen“-Gruppen warben mit satirischen Liedern und Rezitationen für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, mit den „Roten Spielern“ waren es insgesamt acht Gruppen, die in vierzig Orten in der Umgebung von Wien unter anderem auch Werke von Bertolt Brecht, Ernst Toller, Jura Soyfer und Erich Kästner darboten.

Aus einem bunten, animierten Abend des „Bund junger Autoren Österreichs“, bei dem Harald Peter Gutherz, Hans Horwitz und Rudolf Spitz mitwirkten und den Hans Weigel als Zuschauer verfolgte, entstand – nach Weigels Aussagen – die Idee, „die Kleinkunstbühne ‚Literatur am Naschmarkt‘ zu gründen. Horwitz, Spitz und ich [waren befreundet und] sollten mitwirken“.1 Nach Aussage von Rudolf Weys, Mitbegründer und Hausautor der „Literatur am Naschmarkt“ und hauptberuflich als Prokurist der Buchhandlung Rudolf Heger in der Wollzeile tätig, wollte er selbst schon im Sommer 1932 im Café Dobner an der Linken Wienzeile eine Kleinkunstbühne gründen. Aufgrund künstlerisch und politisch divergenter Meinungen mit seinem Mitstreiter Lothar Metzl kam es jedoch vorerst zu keiner Eröffnung. Im Frühjahr 1933 war es der ungarische Journalist F. W. Stein, der Weys vorschlug, mit ihm gemeinsam ein Kabarett im Café Dobner unter dem Mantel des Vereins „Bund junger Autoren Österreichs“ ins Leben zu rufen, nachdem es bereits die „überaus restlos radikal kabarettistische“ Kleinkunstbühne „Der liebe Augustin“ gab. Diese war von Stella Kadmon im Keller des Café Prückel mit dem genialen Conférencier und Hausdichter Peter Hammerschlag, dem Poeten der ersten Stunde, sowie dem Hauskomponisten Franz Eugen Klein gegründet worden. „Der liebe Augustin“ hatte den Beweis erbracht, dass im Keller eines Cafés mit Tischen und Bedienung Kabarett gespielt werden konnte.

Hans Weigel erinnerte sich später: „Als der ‚Liebe Augustin‘ noch ganz klein war, wurde von mir manches zum erstenmal aufgeführt, ein Sketsch [Die göttliche Dolores] zunächst, dann noch einer, dann andere, ohne viel Gewicht; einmal sprang ich auch, vor knapp zwanzig Gästen, als Conférencier ein, aber es war das Gegenteil eines Durchbruchs.“2 Denn um überhaupt irgendetwas zu erarbeiten, hatte Weigel sich hoffnungsvoll auf das Ausdenken und Schreiben kabarettistischer Texte verlegt.

Doch fuhr er bald nach diesem bunten Abend im Jahr 1933 mit seinen Eltern in die Sommerfrische an den Millstätter See, wo ihn die Nachricht erreichte, dass Horwitz und Spitz sich mit dem Bund junger Autoren zerstritten hatten und ihr eigenes Kabarett, „Die Stachelbeere“, im Garten des Café Döblingerhof im 19. Wiener Gemeindebezirk (Billrothstraße 49) eröffnen wollten. Weigel selbst war nicht vom ersten „garantiert straffreien, girlfreien, und jargonfreien“ Programm an mit dabei, doch hatte er vor seiner Sommerreise Rudolf Spitz Texte übergeben. Den Sketch Gespräch im Jahre 1983 (!) übernahm Spitz als letztes Stück vor der Pause in das Eröffnungsprogramm.

Hans Weigel intensivierte die Freundschaft mit Hans Horwitz – Musiker, wie viele seiner Freunde in dieser Zeit – nach seiner Rückkehr aus der Sommerfrische: „[…] so fand [für ihn] zum erstenmal das statt, was Zusammenarbeit heisst und was gerade mit ihm so köstlich war. Er sass am Klavier, ich stand in der Klavierbeuge, Auge in Auge mit ihm, mein Schreibzeug vor mir auf dem Klavierdeckel. Wir liessen gemeinsam Text und Musik entstehen.“3 Weigel wurde vom vierten bis zum sechsten Programm ständiger und emsiger Texter der „Stachelbeere“, das als ein besonderes, weil aus der Musik geborenes Kabarett angesehen werden konnte.

Schon beim bunten Abend des Bundes junger Autoren war die Vermischung ganz unterschiedlicher Musikstücke, wie etwa des damals sehr populären Schlagers Gruß und Kuss, Veronika mit einer Melodie aus Richard Wagners Tannhäuser, zur eigenen Musiknummer spontan entstanden. Sie wurde für die Programme der „Stachelbeere“ vervollkommnet. So entstanden später Veronika im Venusberg oder das Tonstück Eine Minute Frühlingsstimmen an der schönen blauen Donau.

In ihren zeitkritischen Programmen thematisierten die jungen Mitglieder satirisch Psychoanalyse, Opernpathos, Sportfimmel, die aktuelle politische Situation und die anhaltende Arbeitslosigkeit in Wien, wobei viel improvisiert wurde.

Hans Horwitz – er wurde als der musikalische Satiriker angesehen – fungierte als Hauskomponist, neben ihm spielte Heinrich Krips, Bruder des bekannten Dirigenten Josef Krips, Klavier. Rudolf Spitz schrieb Beiträge, spielte und übernahm die Conférence und der arbeitslose Buchdrucker Josef Pechacek trug seine Songs und Arbeiterlieder selbst vor. Hilde Sykora fungierte als Tänzerin des kleinen Ensembles, in dem auch Grete Spohn und Elise Springer auftraten. In einer Kritik der Arbeiter-Zeitung vom 8. Oktober 1933 hieß es: „Die jungen Leute sind mit viel Ernst und Spielfreude bei der Sache; sie brauchen jedoch einen Regisseur, der die Texte zufeilt und die schauspielerischen Uebertreibungen abschafft.“

Am 3. November 1933, also kurz nach der „Stachelbeere“, wurde „Literatur am Naschmarkt“ im Café Dobner eröffnet: mit Texten von Rudolf Weys und Harald Peter Gutherz als Mittelding zwischen literarischem Theater und leicht satirischem Brettl, weitgehend liberal, ohne linke Schlagseite, pro-österreichisch, aber gegen die Diktatur. Schon bald erhielt dieses wohl erfolgreichste Kabarett, das bis März 1938 22 Programme herausbrachte, scherzhaft – aber durchaus berechtigt – die Bezeichnung „Burgtheater der Kleinkunst“. Während die Stachelbeere aufgrund der Entfernung vom Stadtzentrum dahinvegetierte, da sich nur wenige Leute in die Billrothstraße bemühten, und schließlich im Oktober 1934 in den Theaterraum des Café Colonaden (Rathausplatz 4) übersiedelte, blühte Literatur am Naschmarkt regelrecht auf. Die Stachelbeere eröffnete mit ihrem zehnten Programm Kunterbunte Wunderschau am 23. Oktober 1934 und wurde vom elften Programm an bis 19. November 1935 von Literatur am Naschmarkt personell, organisatorisch und auch finanziell unterstützt. Nach dem ersten Programm der Spielzeit 1935/​36 wurde die Kabaretttätigkeit der Stachelbeere schließlich beendet, da sich einerseits die Arbeit zweier Kabaretts unter einer Leitung als schwierig herausstellte und es andererseits Schwierigkeiten mit dem Kaffeehausbetreiber gab.

Schon zwei Jahre zuvor, im Winter 1933/​34, hatte Hans Weigel mit Erfolg Kontakt zu Literatur am Naschmarkt gesucht. Ab dem sechsten Programm schien er als Autor bei der Stachelbeere nicht mehr auf, da er vermutlich frühzeitig erkannt hatte, dass die Kleinkunst im Döblingerhof nicht den Durchbruch erreichen konnte. Bei Literatur am Naschmarkt ging es jedoch gut voran: „Mit einem ersten Beitrag [dem Chanson Die Mission des Kinos] war ich im vierten Programm, gegeben im April/​Mai 1934, recht unbemerkt dabei gewesen. Im folgenden Sommerprogramm waren es schon mehrere Nummern. Dann fand eine Tournee durch die österreichischen Länder statt. Von Herbst an war ich ein voll eingesetzter Autor und konnte zum ersten Mal Geld als Ertrag schriftstellerischer Arbeit nach Hause nehmen. Es wäre zu wenig gewesen, um davon zu leben, obwohl die Mitarbeit durchaus einem Hauptberuf gleichkam. […] Ich habe das alles als Vorbereitung für eine eventuelle spätere Arbeit an ‚echten‘ Theatern in mich aufgenommen. […] Ich habe dort unschätzbare Lehrjahre verbracht und weiß nicht, was aus mir und ob überhaupt ein Schreibender aus mir geworden wäre, wenn es nicht zu dieser ‚Lehrzeit‘ gekommen wäre.“4

In diesem fünften Programm gab es von Hans Weigel vor dem Mittelstück die Kurzszene Das kleine Glück und danach das von Erich Pohlmann hervorragend gebrachte Sprechsolo Wippchen plädiert, frei nach Julius Stettenheims berühmten Wippchen-Zitaten. (Stettenheim nannte seinen fiktiven, aufschneidenden Redakteur in der Beilage zum Berliner Kleinen Journal vor der Jahrhundertwende Wippchen.) Unter dem Pseudonym Ludo Wild steuerte Weigel in diesem Programm noch eine frei verarbeitete Übersetzung aus dem Ungarischen, Café Schäfchenwolke, bei, in der sich drei enragierte Kartenspieler nach ihrem Tod bei einer himmlischen Kartenpartie zusammenfinden, sowie das von Hilde Volk vorgetragene und von Ferdinand Piesen vertonte Chanson Das gebildete Mädchen.

Weigel verstand sich trotz verschiedener Naturelle sehr gut mit Rudolf Weys, der als „ungekrönter König der Autoren“ galt. In Gerichtstag vor 49 Leuten beschrieb Weigel ihre Zusammenarbeit und Freundschaft: „Weys war gewiss nicht kompromißlerisch, er war ein Demokrat, ein Liberaler, er war zeitkritisch, kulturkritisch, aber er war so ungeheuer österreichisch, daß er an Österreich auch in der Ausdrucksform durch Ständestaat und Diktatur glaubte. Ich glaube an jenes bessere Österreich, das ich durch Ständestaat und Diktatur verraten sah und das für mich erst 1945 begonnen hat, mit dem wesentlichen Unterschied: gewiß kein Staat ohne Mängel, aber einer, dessen Mängel man ungestraft beim Namen nennen konnte [was Weigel in der Zweiten Republik auch unentwegt zum Missfallen vieler tat]. – Doch wir waren einig in der Kritik an vielen Entsetzlichkeiten der Gegenwart, an der Jugendfeindlichkeit, an der steril gewordenen bürgerlichen Gesellschaft, am korrupten Journalismus, am Rundfunk – damals RAVAG genannt –, an den niedergehenden Theatern […]“5

Für das fünfte Programm im Sommer 1934 schrieb Weys nach Hans Weigel das erste eigenständige Mittelstück A.E.I.O.U. – Wenn Österreich gewonnen hätte, nach Weys’ Ansicht aber war das erste Mittelstück von ihm bereits im zweiten Programm mit dem Titel Die Metamorphosen des Herrn Knöllerl. Das Mittelstück zwischen Bestell- und Bezahlpause galt als neue Gattung im Kabarett, das in der Kleinkunst als Synthese von Theater und Kabarett angestrebt wurde. A.E.I.O.U. entwarf ein Bild der Welt unter der Voraussetzung, dass Österreich den Ersten Weltkrieg gewonnen habe: Engländer schnorren Österreich um Anleihen an, der Stationsvorstand von Hetzendorf wird mit dem Verkehr im Suezkanal nicht fertig, ein vorgeschobenes Postamt amtiert im Ural. Auch Hans Weigel begann für die „Literatur am Naschmarkt“ Mittelstücke zu verfassen, unter anderem Die drei Wünsche (zusammen mit Weys) oder Marie oder der Traum ein Film mit einem sehr patriotischen Walzertext:

Anderswo macht uns das Leben Freude,

Aber mich g’freut’s nur in Wien.

Anderswo gibt’s noch viel schönere Gebäude,

Aber mich g’freut’s nur in Wien.

Mancher lässt sich am Rhein begraben,

Am Don, an der Seine, im Tessin,

Ich will mein Grab nur am Donaustrand haben,

Es stirbt sich am besten in Wien.

Wien bleibt Wien,

Kein Kenner die Tatsache leugnen mag,

Wien bleibt Wien,

Was immer sich anderswo ereignen mag.

Wien bleibt Wien,

So mächtig, so fesselnd, so echt,

Wien bleibt Wien,

Und das geschieht ihm ganz recht.6

Dieses Drei-Wünsche-Programm war überaus erfolgreich, lief vom 8. November 1934 bis 20. Februar 1935 bei fast durchwegs ausverkauftem Haus für über 11.600 Besucher und erhielt nicht nur zur Premiere, sondern auch zur 100. Aufführung sehr lobende Kritiken, die in Urteilen wie „zeitnah“, „aktuell“ und „wirklich geistreich“ gipfelten.

Für das Abschlussprogramm der Saison 1934/​35 (3. Mai bis 30. Juni 1935) brachte Hans Weigel mit Tag der Musikpflege im letzten Drittel des Programms einen seiner Höhepunkte in der Kleinkunst, einen kabarettistischen, musikalischen Volltreffer, basierend auf dem im April desselben Jahres offiziell eingeführten „Tag der Musikpflege“ zur Popularisierung von Musikveranstaltungen und Hausmusik. Zur originellen Musik von Herbert Zipper – alias Walter Drix – schrieb Weigel Texte über den Alltag einer gutbürgerlichen Familie: Zähneputzen im Stil von Christoph Willibald Gluck und Georg Friedrich Händel, nach dem Frühstück und dem Zur-Schule-Gehen eine Schulstunde als Tango, während der Vater im Büro einen Geschäftsbrief in Form einer Bachfuge diktiert, das Mittagessen erfolgt als Walzer, der nachmittägliche Arztbesuch im rasanten Rossini-Tempo. Das Nachtmahl mit dem Lesen der Zeitung im Stile Jacques Offenbachs beschließt diesen turbulent lustigen Reigen. Hier brachte Weigel zum ersten Mal und sehr konsequent Alltagstätigkeiten in musikalischer Form dar, was später von anderen in ihren Programmen kopiert werden sollte. In den Kritiken stand zu lesen: von „einem überaus witzigen musikalischen Angsttraum“ und von „einer dramaturgischen und musikalischen Meisterleistung, auf deren geniale Lösung Walter Drix und Hans Weigel mit Recht stolz sein konnten […]“.7


Jura Soyfer

Auch Jura Soyfers Der Lechner Edi schaut ins Paradies entstand für dieses Kabarett. Der weit links stehende Soyfer kann als die eigenwilligste und stärkste dramatische Begabung dieser Kleinkunstära angesehen werden. Weitere Autoren waren Peter Hammerschlag, Kurt Nachmann, Lothar Metzl, Franz Paul. Regie führten Walter Engel, ab dem achten Programm künstlerischer Leiter, Hermann Kner, Martin Magner und Leo Aschkenasy (später Leo Askin), während der später bekannte Regisseur und Weigels Freund Rudolf Steinboeck als liebenswürdiger Schauspieler neben Hilde Krahl, Heidemarie Hatheyer, Carl Merz, Wilhelm Hufnagel, Leon Epp, Manfred Inger, Hugo Gottschlich und Oskar Wegrostek auftrat.

Lothar Metzl zählt zu den besten Autoren der „Literatur am Naschmarkt“. Er emigrierte 1938 nach Amerika. 1982 wurde ihm im Roten Salon des Wiener Rathauses das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien verliehen. Die Laudatio dazu hielt am 29. Juli Hans Weigel, in der er auch auf die Kleinkunstautoren vor 1938 zu sprechen kam: „Unter uns allen waren zwei Genialische. Das eine war der Jura Soyfer und das andere Lothar Metzl. Lothar Metzl war ungeheuer fruchtbar, ungeheuer vielseitig in seinem Schreiben […]“8 Auch mit ihm zusammen hatte Hans Weigel Kabaretttexte geschrieben, unter anderem über den viel gelobten und mehrfach prämierten, aber – in Weigels Augen – schrecklichen Paula-Wessely-Film Episode (1935), in dem die Inflationszeit verlogen dargestellt wurde. Im Sketch spielte Hilde Krahl Paula Wessely. Ein für Weigel wichtiger Sketch, nicht zuletzt weil sein Vorbild Alfred Polgar darüber im Prager Tagblatt anerkannte: „Dass es gescheite und witzige Leute sind, die hier Kabarett machen, zeigen sie dann noch in einer Parodie, die dem Film ‚Episode‘ gilt und in der endlich einmal so lustig wie deutlich ausgesprochen wird, wie Menschen von Geschmack und künstlerischem Anspruch über dieses hochgepriesene Filmwerk denken.“9

Als schärfstes der Wiener Kabaretts der Zwischenkriegszeit galt das „ABC“ (Alsergrund, Brettl, City), das mit seinem ersten Programm Alles schon dagewesen im März 1934 im Café City im 9. Bezirk (Porzellangasse 1) eröffnete. Im Juni 1935 übersiedelte das „ABC“ in die Räume des Kabaretts Regenbogen im Café Arkaden (dem heutigen Café Votiv, Wien I., Universitätsstraße 3), bezeichnet als „ABC im Regenbogen“. Regisseure waren Leo Aschkenasy, Karl Forest und Herbert Berghof. Auch hierfür stellte Weigel ebenso Texte zur Verfügung wie Peter Hammerschlag, Jura Soyfer, Gerhard Hermann Mostar und Fritz Eckhardt, der wie Aschkenasy neben anderen als Schauspieler auftrat. Viele von ihnen sollten in den Nachkriegsjahren bekannte und geschätzte Schauspieler werden, etwa Cissy Kraner, Robert Lindner, Josef Meinrad, Lilli Palmer, Peter Preses, Hans Sklenka, Willi Trebisch … Für das ABC im Regenbogen schrieben Weigel und Soyfer unter den Pseudonymen Julius Hansen und Walter West gemeinsam den Einakter Brand im Opernhaus, in dem die Nachricht, dass die Wiener Staatsoper abgebrannt sei, durch telefonische Interventionen in der Redaktion immer mehr verharmlost wird, bis zum Schluss nur mehr „Brandgeruch am Opernring“ übrig bleibt. Josef Meinrad spielte die Rolle des Lokalredakteurs.

Viele dieser Kleinkunststücke gingen vom Blödeln über ein Thema aus. Weigel erklärte das 1981 in Gerichtstag vor 49 Leuten, seinem Buch über die Wiener Kleinkunst dieser Jahre, so: „Mir war das in Österreich rare Kunststück gelungen, aus einem Witzbold, einem, der gerne Späße macht, der Freude an der Improvisation hat, einer zu werden, der dies alles aus dem Nebenbei ins Zentrum geholt hat, der dies sozusagen von Beruf aus betreibt. Ich konnte nun einigermaßen Dialoge schreiben, Chansons verfertigen, ich war ehrgeizig und dürstete nach Bestätigung.“10 Doch kam auch die politische Auseinandersetzung nicht zu kurz: Man suchte und fand stets neue Umwege zur oppositionellen Kritik an den österreichischen Zuständen und nahm immer wieder gegen das Deutsche Reich Stellung. Da dies im Wien der Dreißigerjahre Seltenheitswert hatte, wurden alle wachen, nicht konformistischen Publikumsschichten fast magnetisch angezogen. So wurden die Kleinkunstbühnen, die sich mehr erlauben durften als die Zeitungen, über Nacht zum Ventil. Und besonders die ab Februar 1934 verbotenen Sozialdemokraten fanden dort eine Art Heimstätte eines ihnen verwandten Geistes. Vor allem aber war dem echten Theater in der Literatur am Naschmarkt immer ein Platz vorbehalten. Es wurden Einakter von den Textern selbst geschrieben oder sie wurden bei bekannten Dramatikern wie Molière, Nestroy oder unter anderen auch dem Franzosen Paul Géraldy geholt.

In diesen Jahren, also in etwa ab 1933/​34, war Hans Weigel also zu einem – wie er sich selbst nannte – „Verfertiger von Texten“, also zum Schriftsteller, aber noch nicht zum „Schriftstellereibesitzer“ geworden. Eigentlich relativ spät, wenn man bedenkt, dass der gleichaltrige Friedrich Torberg Der Schüler Gerber schon einige Jahre zuvor geschrieben hatte. Kurzgeschichten und Essays von Weigel wurden da und dort in Printmedien aufgenommen, so zum Beispiel, um einige zu nennen, der Essay Ratschlag für den Umgang mit Schriftstellern im Bayrischen Anzeiger München (2. Februar 1934) und in den Danziger Neuesten Nachrichten (12. Februar 1934). Hier schon zeigte sich, dass Weigel ein geschickter Vermarkter seiner Texte war, denn nach dem Krieg erschien derselbe Text ein weiteres Mal in der Welt am Abend (2. Mai 1947). Die Humoreske Das verstümmelte Telegramm erschien im Prager Tagblatt (31. Dezember 1933) und im Pforzheimer Anzeiger (4. Juni 1934). Zu dieser Zeit arbeitete er in Wien bereits mit einer der Internationalen Literarischen Agentur“ im Palais Schwarzenberg zusammen. Sie platzierte zum Beispiel sein Wiedersehen am Ostermontag in der Freien Stimme Klagenfurt und im Volksblatt Graz (jeweils 1. April 1934).

Manche seiner sehr witzigen Chansons, Texte, Dialoge, Sketches sind im Nachlass von Hans Weigel erhalten, so auch die Szene Lehár kontra Goethe in Form einer Gerichtsverhandlung, die er zusammen mit Jura Soyfer verfasste: Goethe steht vor Gericht, weil er behauptet hat, die von Franz Lehár in Friederike verwendeten Texte Sah ein Knab ein Röslein stehn … und O Mädchen, mein Mädchen … stammten von ihm, seien ein Plagiat. Der „schwer vorbestrafte“ Johann Wolfgang von Goethe wird als Angeklagter vom Gerichtsvorsitzenden vernommen. Er ist „wohnhaft in Wien gegenüber dem Schillerdenkmal“, hat „seine Strafe im Salzburger Festspielhaus und im Wiener Burgtheater abgebüßt“ und wird vom Vorsitzenden verurteilt:

Der Angeklagte Johann Wolfgang Goethe, Klassiker, wird ehrenrühriger Äusserungen gegen die größten Meister der Literatur für schuldig erkannt. Der Wahrheitsbeweis, dass die fraglichen Textstellen aus „Frederike“ von ihm seien, wird als misslungen erachtet. Der Angeklagte wird verurteilt: 1. eine alljährliche Verfilmung unter der Regie von Max Reinhardt zu erleiden, verschärft durch harte Schlager, 2. lebenslänglich dem deutschen Dichter Gerhard Hauptmann ähnlich zu sehen. Sohin ist die Causa Goethe erledigt.

Goethe: Der Casus macht mich lachen.

Vorsitzender: Haben Sie noch etwas zu bemerken?

Goethe: Sagt Eurem Hauptmann: Vor eines Greises Majestät hab’ ich sonst immer schuldigen Respekt, er aber kann mich …

Es ist allgemein bekannt, dass Krisenzeiten und besonders Diktaturen stets reichlich Stoff für Kritik bieten und dass das Kabarett in solchen Zeiten, sofern es nicht kategorisch und beinhart unterdrückt wird, zur Hochblüte wächst. Zwar gab es in diesen Jahren auch Zensoren, mehr oder weniger milde, mehr oder weniger kompromissbereite, doch man konnte sich mit ihnen einigen, auch wenn hie und da ein Text verboten wurde, wie zum Beispiel einer, in dem Göring und Goebbels auftraten und selbst Hitler in einer der Personen leicht erkannt werden konnte.

Die Zeiten waren in Deutschland wie in Österreich nicht rosig und wurden durch die Machtübergabe an Hitlers Nationalsozialisten in Deutschland noch schlechter. In Österreich waren für Hans Weigel Engelbert Dollfuß und die Christlichsoziale Partei, die „Schwarzen“, in dieser Zeit – wie er in Das Land der Deutschen mit der Seele suchend noch 1978 betonte – „klerikal, reaktionär, undemokratisch, antirepublikanisch, vor allem eine Ansammlung von Nichtpersönlichkeiten. Jeder Politiker sei wie eine Karikatur gewesen, wie von Helmut Qualtinger dargestellt“.11

Für Hans Weigel waren die Februarkämpfe des Jahres 1934 und das Versagen der sozialdemokratischen Führer prägend. Die Ereignisse beeinflussten seine politische Haltung auch in der Zweiten Republik ganz wesentlich. Es hatte bereits im Frühjahr 1933 begonnen: Wegen Umstrukturierungen bei der Eisenbahn kam es am 1. März 1933 zu einem Eisenbahnerstreik, der Anlass für eine dringliche Sitzung des Nationalrates am 4. März war. Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung und der Geschäftsordnungsdebatte führten zum Rücktritt aller drei Parlamentspräsidenten, zur Beschlussunfähigkeit des Nationalrats. Statt neue Parlamentspräsidenten wählen zu lassen, nutzte Dollfuß, sich auf ein Ermächtigungsgesetz des Jahres 1917 stützend, die Gelegenheit, nicht nur das Parlament, sondern auch den Verfassungsgerichtshof auszuschalten. Es entwickelte sich ein autoritäres, sich an ständestaatlichen und faschistischen Ideen orientierendes Herrschaftssystem, das am 10. Mai 1933 die Aussetzung aller Wahlen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene verordnete und am 26. Mai die Kommunistische Partei, am 19. Juni die NSDAP und einen Tag später den Steirischen Heimatschutz auflöste. Die Landesregierungen wurden durch Regierungskommissäre abgelöst. Die sozialistische Basis forderte von ihren Führern Widerstand. Selbst nach einer Streik- und Besetzungswelle in Betrieben im September 1933 folgte kein Signal der sozialistischen Parteispitze zum Aufstand. Am 11. November 1933 wurden auf Betreiben des Justiz- und Unterrichtsministers Kurt Schuschnigg Standgerichtsverfahren mit der 1920 abgeschafften Todesstrafe wieder eingeführt.

Anfang 1934 wurde gezielt nach Waffenlagern des verbotenen Schutzbundes gesucht: Hausdurchsuchungen und Verhaftungen von sozialdemokratischen Führern und Politikern fanden statt. Als dann am 12. Februar 1934 ein Parteilokal in Linz durchsucht werden sollte, brach der offene Aufstand aus. Doch demoralisiert durch die lange Inaktivität der Funktionäre folgten viele dem Aufruf zum Generalstreik nicht. Ein koordiniertes Vorgehen der Aufständischen in ganz Österreich konnte nicht erreicht werden, sodass Dollfuß die bewaffneten, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Bundesheer und Heimwehr auf der einen und dem zuvor schon verbotenen Republikanischen Schutzbund auf der anderen Seite für sich und gegen die Demokratie entscheiden konnte. Dabei waren auf beiden Seiten 375 Tote zu beklagen – die Hälfte davon waren unbeteiligte Zivilisten. Es traf, wen es eben traf: Rentner, Spaziergänger, Bundesbahnwitwen, junge Mütter, selbst Kinder und Familienväter auf dem Weg zur Arbeit. Darüber hinaus gab es über tausend Verwundete. Der Heimwehrführer und Innenminister Emil Fey ließ mit besonderer Härte gegen die Sozialdemokraten vorgehen, die am 14. Februar die Waffen streckten.

In den schrecklichen Wochen und Monaten des Jahres 1934 hielt sich Hans Weigel in Wien auf. Zusammen mit Jura Soyfer verfasste er für eine Veranstaltung am Faschingssonntag in einem Arbeiterheim eine Conférence, in deren Mittelpunkt sie den Soldaten Schwejk auftreten und sagen ließen: „Dass der nächste Krieg kommen wird, ist klar. Aber vor Mittwoch kommt er nicht. Weil bis dahin ist der Fasching.“ In seiner Autobiografie fügte Weigel später hinzu: „Wir waren zu optimistisch gewesen. Denn er kam schon am Faschingsdienstag, dem zwölften Februar. […] Ich war zweierlei nie in meinem Leben: Soldat und Parteimitglied … nur letzteres mit voller Absicht. [Am Beginn seiner Schweizer Emigration sollte sich Weigel für den Eintritt in die französische Armee bewerben, sein Ansinnen wurde abgelehnt.] Aber ich sympathisierte mit allen, die nicht ‚bürgerlich‘, reaktionär, faschistisch oder nationalsozialistisch waren.“12

Weigel stellte in diesen Tagen die Wohnung seiner in Prag weilenden Eltern allen zur Verfügung, die sich auf Freunde von links beriefen. „Zunächst brachte Jura seine Freunde, ‚Februar-Kämpfer‘, Mitglieder des sozialdemokratischen Schutzbundes, die untergetaucht waren und möglichst bald außer Landes geschafft wurden. Einige übernachteten bei mir in der Margaretenstraße. Dann wurde Material in meinem Zimmer deponiert, Broschüren, eine Vervielfältigungsmaschine. Auch fanden bei mir immer wieder Besprechungen statt. Ich war nicht aktiv an all dem beteiligt – ich stellte nur meine Wohnung jedem, der darum bat, zur Verfügung.“13

Unter jenen, die sich bei ihm trafen, war auch Christian Broda. In seiner Radiosendung der Achtzigerjahre, Plauderei um drei, erzählte Weigel später, dass dieser unter dem Decknamen „Morgenstern“ jeweils vorab angerufen hatte, um zu erfragen, ob die Luft auch rein sei und er mit seinen Gesinnungsgenossen kommen könne. Broda wurde in der Zweiten Republik Rechtsanwalt, später Justizminister, der Weigel nicht nur als Freund, sondern auch als Rechtsbeistand bei diversen Verfahren beistehen sollte.

In seiner Autobiografie fasste Weigel im Rückblick die Ereignisse der 1930er-Jahre zusammen: „Von den vielen Tragödien, die meine Erinnerung gerade aus jenen Jahren belasten, ist diese eine der schauerlichsten: Märtyrer der Demokratie, die aus der Hölle zu fliehen meinten und in die tiefere Hölle stürzten.“14 Für ihn hatte Dollfuß die Demokratie mutwillig zerstört, Hitler dagegen böswillig, und die Zeit in Österreich nach dem 12. Februar 1934 nannte er „die schlampigste Diktatur der Welt“.15

Bei den Kabaretts war Hans Weigel vom „,Augustin‘ in die ‚Stachelbeere‘ gekommen, schon vor ihrem Untergang in die ‚Literatur‘“; „ich arbeitete für das ABC und eine ephemäre ‚Kleinkunst im Kasino‘ (KIK), eine ‚Seeschlange‘, die nur drei Tage spielte, weil am vierten der 12. Februar 1934 war“.16

Es war wohl in der Literatur am Naschmarkt, dass Hans Weigel Gertrude Ramlo (eigentlich Gertrud Marianne Friederika Kugel, am 4. April 1913 geboren und Udi genannt) kennenlernte. Sie hatte von 1929 bis 1932 das Wiener Max Reinhardt Seminar besucht, am Salzburger Landestheater debütiert und eine Anstellung am Stadttheater Nürnberg erhalten, wo ihr, der Halbjüdin, nach zwei Monaten gekündigt wurde, weshalb sie ins elsässische Straßburg ging. 1935 kehrte sie in ihre Geburtsstadt Wien zurück und trat in der Literatur am Naschmarkt, aber auch im Theater in der Josefstadt und im Volkstheater auf. 1936 gastierte sie in Leopold Steckels Inszenierung von Dodie Smiths Der erste Frühlingstag als Ann am Schauspielhaus Zürich. Für die Saison 1936/​37 erhielt sie dort ein Jahresengagement. Unter anderem spielte sie in Leopold Lindtbergs Inszenierungen das Klärchen in Goethes Egmont, die Berta in Schillers Die Verschwörung des Fiesco zu Genua und wirkte in Steckels Uraufführungsinszenierung von Blaubart von Albert Jakob Welti mit. Da ihr Vertrag in Zürich nicht verlängert wurde, sie auch keine weitere Schweizer Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung erhielt, kehrte sie nach Wien zurück, wo sie am 8. Oktober 1937 Hans Weigel im Wiener Rathaus heiraten sollte. Trauzeugen waren der Schriftsteller Wolf Menasse und der Musiker Erich Simon.

Ein Telefonanruf im Frühherbst 1934 des ihm nur flüchtig bekannten Hans Ewald Heller hatte Hans Weigels Tätigkeiten auf eine zweite Schiene gesetzt: Er sollte Kontakt mit dem Theater in der Josefstadt aufnehmen, wo Otto Preminger mit Oskar Karlweis als Weinberl Johann Nestroys Einen Jux will er sich machen inszenierte. Dafür wurden Zusatzstrophen benötigt. In der Josefstadt erhielt er den Auftrag für Couplets. Darunter war auch jenes berühmte aus den Papieren des Teufels: „Das ist wohl nur Chimäre, aber mich unterhalt’s“, jedoch abgeändert in: „Es ist ja nicht wahr, aber mich unterhalt’s.“ Weigel schrieb zu allen einige Strophen, aber nur eine wurde für den Stückschluss genommen, die Karlweis sang. Da es das erste von unzähligen Nestroy-Couplets war, die er bis ins hohe Alter für viele Theater im deutschsprachigen Raum schreiben sollte, sei es hier, soweit Weigel sich erinnern konnte, wiedergegeben (das einsilbige Wort der zweiten Zeile ließ sich nicht mehr rekonstruieren):

Wir zeigten euch heut im Verlauf unsres Stücks

Weder […] noch Dressur, noch artistische Tricks,

Es ist nur eine Posse und gar nicht von heut,

Nicht einmal ein Bearbeiter hat sie erneut;

Doch wir hoffen trotzdem, daß wir heute Nacht

Nicht nur uns, nein auch euch einen Jux haben gemacht,

Und ihr sagt beim Heimgehn: Es war zwar was Alt’s,

Schon lang nimmer wahr, aber uns unterhalt’s.

[Auch merkte er an,] dass kein Bearbeiter das Stück erneuert hatte, war gelogen.17

Die Premiere mit Oskar Karlweis als Weinberl, Friedl Czepa als Christopherl und Hans Moser als Hausknecht Melchior fand am 16. Oktober 1934 als Festvorstellung statt. Damit war zum ersten Mal in einem großen Theater ein Text von Hans Weigel zu hören, der unter Nestroys Stern stand – ein Stern, der ihm stets sehr lieb war und dem er sein Leben lang treu bleiben sollte.

Im Frühjahr 1935 bestellte das Raimund Theater bei Rudolf Weys und Hans Weigel eine literarische Revue, die sie Kehret zurück – alles verziehen nannten. Die beiden Autoren griffen auf bewährte Nummern der „Literatur am Naschmarkt“ zurück, die zusammen mit neu erarbeiteten eine bunte Folge ergaben. Premiere war am Samstag, den 1. Juni 1935, die am selben Tag in der Neuen Freien Presse angekündigt wurde: „Ein heiterer Wiener Bilderbogen mit einer Handlung, zwei Teilen, sechs Hauptgestalten und 24 Bildern, dem Raimund-Theater auf den Leib geschrieben von Hans Weigel und Rudolf Weys. Unter Musik gesetzt von Walter Drix und Hans Horwitz.“ Die Besprechung in der Neuen Freien Presse vom 4. Juni 1935 zeigte dann sehr treffend die Umstände der Kleinkunst auf: „Es gibt jetzt in Wien eine Menge junger Talente fürs Kabarett, für Spotteinfälle, karikierte Dramatik, verschleiertes Bonmot. Die Verfasser, Schauspieler, Regisseure und auch Komponisten, alles en miniature, sind so zahlreich, daß sie auf den vielen und immer mehr werdenden kleinen Podien nicht unterkommen können. […] Daher das Experiment im Raimund-Theater, das fürs erste geglückt ist und von einem starken äußeren Erfolg begleitet schien.

Hans Weigel und Rudolf Ernst Weys haben aus alten Stücken, die früher schon auf dieser Bühne zu sehen waren, sehr geschickt ihren Bilderbogen zusammengestellt, mit Figuren von Raimund, dem braven Schwejk, Mackie Messer usw. Es war alles lose und fast improvisiert, mit kleinen, guten Einfällen verbunden. Es wurden lustige Anspielungen gemacht, wirksame aktuelle Scherze gebracht, Parodien und Verulkungen, wozu auch schmissige Musik von Walter Drix und Hans Horwitz eingesetzt wurde. […] Einige ganz vorzügliche Leistungen wurden mit stürmischer Heiterkeit bedacht […] Der Fall war neu und darum besonders reizvoll und der laute Beifall am ersten Abend gab den Veranstaltern recht.“

Auch in der jüdischen Wochenschrift Die Wahrheit vom 7. Juni 1935 ließ sich auf der letzten Seite eine kleine Zusammenfassung finden: „,Kehret zurück – alles verziehen!‘ rufen die Autoren der gleichnamigen Revue Hans Weigel und Rudolf Ernst Weys den Damen und Herren zu, die vor Jahr und Tag im Raimund Theater, wo diese unterhaltsame Revue jetzt gegeben wird, den Spielplan beherrschten. Und so kehren das Dreimäderl-Kleeblatt, Schwejk, Lunk und Mackie Messer zurück und das Publikum verzeiht ihnen nicht nur diese fröhliche Wiederkehr, sondern wird die Herrschaften gewiss noch lange festhalten. Gespielt wird diese große Sache der bekannten Kleinkunstautoren, zu der die nicht minder bekannten Hausmusiker des gleichen Genres Walter Drix und Hans Horwitz die Musik schrieben – die beiden begleiten selbst am Doppelklavier – unter der feinfühligen Regie von Josef Glücksmann ausgezeichnet. Manfred Inger sei besonders gelobt.“

Walter Drix hieß, wie bereits erwähnt, eigentlich Herbert Zipper und Weigel bezeichnete ihn als einen seiner großen Freunde, was Zipper 1989 in einem Interview mit Thomas Trenkler für diese Zeit vor 1938 bestätigte: „Ich war viele Jahre sehr eng mit dem Hans. Ein paar Nummern, die ich mit ihm geschrieben habe, waren sehr populär: Zuletzt arbeiteten wir an einer Oper, die ich nicht fertigschreiben konnte, weil eben die Nazis gekommen sind. Und 1936 entstand für die Literatur am Naschmarkt ,Das Lied vom Krieg‘. Ich kam damals gerade von Russland zurück. Wir beide hatten fürchterliche Visionen, dass diese Dummheit, der Krieg, wieder anfangen könnte. Da hat er [Weigel] ,Das Lied vom Krieg‘ geschrieben. Das war sehr ergreifend, sehr ernst, sehr ehrlich. Und ich hab die Musik dazu geschrieben.“18

Ein Jahr nach seinem Nestroy-Couplet in der Josefstadt wurde Hans Weigel vom Volkstheater aufgefordert, mehrere Couplet-Strophen für Nestroys Verhängnisvolle Faschingsnacht zu schreiben: Premiere war am 15. Jänner 1936 mit Vilma Degischer, Jane Tilden und Hans Thimig unter der Regie von Arthur Schnitzlers Sohn Heinrich. Außerdem schrieb er Zusatzstrophen für „Wiener Spezialitäten“ in Ralph Benatzkys Der reichste Mann der Welt (Text von Hans Müller, Uraufführungspremiere am 3. April 1936), die von Max Hansen mit großem Erfolg in Heinrich Schnitzlers Inszenierung gesungen wurden. So oft er konnte, nahm Hans Weigel an den Proben teil, wie er es bereits in den Kellern auch schon getan hatte, da ihn diese immer wieder faszinierten. „Ich gewann in diesen Jahren das, was jeder, der für das Theater schreibt, so dringend braucht und so selten bekommt: Praxis im Umgang mit einem Text auf dem Weg in die optisch-akustische Dreidimensionalität. Ich schrieb etwas und erlebte am nächsten Tag die Verwandlung des Geschriebenen in Gesprochenes und Gespieltes. Ich lernte kürzen, ändern, bearbeiten, anpassen.“19

Im Frühjahr 1936 stellte sich auch das Akademietheater ein und wünschte Gesangstexte zum musikalischen Lustspiel Der Schneider im Schloss von Paul Armont und Léopold Marchand mit der Musik von Alexander Steinbrecher. Das Stück hatte am 10. Mai 1936 Premiere und erlebte bis Ende Jänner 1938 79 Aufführungen mit so bekannten Schauspielern wie Hermann Thimig, Maria Eis und Maria Kramer. 1943 wurde das Lustspiel mit Musik auch im Renaissance-Theater Berlin gegeben.

Es war dann Max Hansen, der 1936 im Theater an der Wien durchsetzte, dass Weigel als Autor für die Gesangstexte von Ralph Benatzkys musikalischem Lustspiel in drei Akten, Axel an der Himmelstür (Libretto von Paul Morgan und Adolf Schütz), hinzugezogen wurde, da auch der Komponist Weigels Liedtexte zu schätzen gelernt hatte. „Ich war nicht ohne Selbstvertrauen, aber doch in heikler Lage. Ich musste mich gegen Morgan und Schütz auf Benatzky und Hansen, die ich kannte, verlassen. Finanziell war, noch immer, alles recht uneigennützig.“20 Denn für den Komponisten und die Librettisten bestanden schon Verträge, sodass Morgan und Schütz für die Liedtexte nur den minimalen Anteil von 1,5 Prozent an Weigel abzugeben willens waren. Axel an der Himmelstür war die Eröffnungspremiere der Direktion von Arthur Hellmer im Theater an der Wien, der als renommierter österreichischer Direktor aus „rassischen Gründen“ Frankfurt verlassen hatte müssen, wo er mit Max Reimann 1911 das „Neue Theater“ gegründet hatte. Ursprünglich war Liane Haid für die Hauptrolle der Gloria Mills vorgesehen, die das Projekt jedoch im letzten Moment verwarf. Im Gespräch war dafür dann sogar Greta Garbo, doch Max Hansen, der die Rolle des Axel Swift übernommen hatte, setzte sich für eine in Österreich bislang unbekannte schwedische Schauspielerin ein: Zarah Leander. Heidemarie Hatheyer erhielt die Rolle ihrer Dienerin Dinah und Manfred Inger den Ausstattungschef, um zwei weitere Namen aus der Uraufführungsbesetzung zu nennen, die auch heute noch geläufig sein dürften.

Hellmer hatte Weigel beauftragt, die Gesangstexte mit Benatzky neu zu schreiben. Sie arbeiteten in Benatzkys Villa in Thun in der Schweiz. „Die Generalprobe von ,Axel an der Himmelstür‘ war aufregend. Nach einer Introduktion tritt die Heldin Gloria Mills auf, eine schöne, rothaarige, spröde, großgewachsene Person. Es war ein Schock. Aber bald löste sich der Schrecken, die Persönlichkeit der Zarah Leander triumphierte, und der Charme des Max Hansen tat viel dazu, daß ,Axel‘ erfolgreich war. Der Erfolg war groß, er währte bis Ende Jänner, fünf Monate. Dann kam noch eine zweite Besetzung, aber das war nur ein Abklingen.“21

Über die Premiere am 1. September 1936 schrieben alle Zeitungen durchwegs begeistert. Es war ein glanzvoller Saisonbeginn unter der neuen Direktion. So war in Das Kleine Blatt am 4. September 1936 zu lesen: „Das Erlebnis des Abends ist Max Hansen in der Rolle des Reporters. Bei seinem ersten Auftritt ist er in Maske und Haltung kaum zu erkennen, dann als junger, gefühlvoller und hoch schüchterner Liebhaber bestrickend und von einer innerlich erwärmenden Komik. Wie wundervoll führt er seine Zauberkunststückl und den Flohzirkus vor, um die Dame zu erheitern, wie lustig macht er den [Richard] Tauber und die [Berliner Sängerin Erna] Sack nach und […] wie prachtvoll singt er seine Couplets. Die sind (nach Versen des außerordentlich geschickten Hans Weigel) von Ralph Benatzky entzückend komponiert. […] Einige Stücke sind ernst und melodiös […] andere frisch, mitreißend und lustig, […] wieder andere grotesk parodistisch. […] Die weibliche Hauptrolle gibt die Schwedin Zarah Leander, eine exotische Schönheit mit prachtvoller, warmer und tiefer Stimme und einer herben, forschenden Art, die man hier noch nie gesehen hat. Sie ist ganz originell und weiß schon in ihrer ersten Szene die Bühne zu beherrschen. […] Es war ein großer Abend des Wiener Theaters.“ Während das Welt Blatt am 3. September 1936 erwähnte, dass „Hans Weigel wirklich lustige Liedtexte beigesteuert“ habe, wird er in der Reichspost am selben Tag schon ausführlicher gelobt: „Es gibt da eine Unmenge hübscher Lieder [wie Mein schönes Fräulein, gute Nacht oder Der Dumme hat’s Glück], zu denen Hans Weigel überaus nette Texte beisteuerte. Eines davon, ‚Gebundene Hände‘, schwingt sich zu schier opernhafter Breite aus, manche wieder sind mitreißend fesch.“ Noch viele Jahre später war Hans Weigel auf diesen Erfolg stolz und freute sich, dass seine Eltern ihn miterlebt hatten. In seinem Abendbuch betonte er: „Sooft ich seither im Theater an der Wien war, muß ich zu der Loge hinaufsehen, wo bei der Premiere meine Eltern saßen. Sie freuten sich. Das tat mir wohl.“22

Zum bekannten Lied Gebundene Hände berichtete Weigel von einem Brief Benatzkys an seinen Verleger mit der Bitte, diese Musiknummer aus dem Druck zu entfernen, da sowohl er als auch Weigel überhaupt nicht damit zufrieden waren und während des Komponierens immer wieder ohne große Freude betonten, darauf zurückkommen zu müssen. Hört man heute das Chanson, würden es viele als „Schmachtfetzen“ bezeichnen und Weigels/​Benatzkys Ansicht teilen, doch das bekannt tiefe Timbre der Zarah Leander veredelte ihn. Für sie war Axel der Durchbruch im deutschsprachigen Raum: Bei der Premiere wurde sie mehr als sechzig Mal vor den Vorhang gerufen.

In Wien drehte sie ihren ersten deutschsprachigen Film Premiere (1937) in der Regie von Géza von Bolváry neben Karl Martell, Theo Lingen, Attila Hörbiger und Maria Bard, der zweiten Frau von Werner Krauß. Dafür wollte sie auch den von Berlin nach Wien zurückgekehrten Schauspieler und Regisseur Peter Ihle (er nannte sich später Peter Illing), einen Freund Hans Weigels, der die Mittlerrolle gespielt hatte, engagieren, um mit ihr im Atelier die deutschen Dialoge zu erarbeiten. Da die österreichischen Filme nach Deutschland exportiert wurden, war man in Österreich mit vorauseilendem Gehorsam darauf bedacht, dass die Mitwirkenden den Nürnberger Rassengesetzen entsprachen: Ihle wurde mit Nachdruck veranlasst, das Atelier zu verlassen. Also war, so Weigel, damals schon „alles ‚Österreichische‘ dem ‚Dritten Reich‘ verpflichtet gewesen, und die ganze Sippe der Patrioten wie Willi Forst, Karl Hartl und Konsorten spielten mit. Was für eine erbärmliche Schande!“23 Mitte der 1950er-Jahre produzierte der Österreichische Rundfunk Axel wieder mit Zarah Leander als Gloria Mills und so manch bekannten Lieblingsschauspielern der Wiener Bühnen, wie Toni Niessner in der Titelrolle, Helli Servi, Ernst Waldbrunn, Wolfgang Gasser und Dorothea Neff.

Auffallend ist, dass sich Weigels breite Palette der Chansontexte von schmissig, ironisch-satirisch, wienerisch bis anmutsvoll-lyrisch von den oft trivialen Prosatextstellen abhob. Für die Kleinkunst parodierte er auf köstliche Art Axel an der Himmelstür mit dem Titel Axel und Leander und „stahl“ dabei natürlich seine Textideen und Ralph Benatzkys Musik. Das Lied Hollyhollyhollywood durfte ebenso wenig fehlen wie die berühmten Gebundenen Hände:

Gebundene Hände, das ist das Ende,

jeder verliebten Passion.

Es spricht noch der Blick,

von Liebe und Glück,

und doch, weiß das Herz

nichts mehr davon.

Man sagt gern: verzeih,

so geben wir uns frei,

du fühlst doch auch wie ich,

es ist vorbei.

Und doch, ohne Ende,

tragen die Hände,

Fesseln; der Liebe Sklaverei …

Gebundene Hände,

Das ist das Ende

Meines Gastspiels an der Wien.

ich möchte zurück,

Doch hab’ ich kein Glück,

Ab Januar film ich in Berlin.

Und alles ist vorbei,

Die Reichsfilmkammer ruft mich schon herbei.

Bald singt nicht mehr an der Wien die Leander,

Trägt Fesseln der Ufasklaverei!

Diese Gebundenen Hände fanden auch Eingang in das Kapitel Von Literaten und Literatur des bekannten Anekdotenbuches Die Erben der Tante Jolesch von Friedrich Torberg, der darin bestätigte, dass Weigel, der „zu den witzigsten, aggressiven Köpfen des literarischen Cabarets“ zu rechnen war, damit den Ruhm der Zarah Leander begründete und für sich mit seinen Texten großen Erfolg einheimste. Nachdem die Tante Jolesch in Anekdoten den Untergang des Abendlandes schildert, wie es im Untertitel heißt, durfte auch hier die entsprechende Anekdote nicht fehlen: Weigel und Torberg besuchten ein Nachtcafé, in dem ein Klavierspieler diskret die Gäste unterhielt. Kaum hatten sie Platz genommen, spielte der Pianist die Gebundenen Hände, nach kurzer Zeit wieder, dann noch ein weiteres Mal, konnte er doch nicht wissen, dass dem Textautor Melodie und Text „nun schon weidlich zum Halse und zu den Ohren hinaushingen“. Mit dem Gästebuch trat der Musikus danach an den Tisch von Torberg und Weigel, dessen Eintragung lautete: „Gebundene Hände – dies wünscht Ihnen Hans Weigel.“

Auch für das Volksstück Krach im Hinterhaus des Deutschen Maximilian Böttcher wurde Hans Weigel vom Theater an der Wien als Liedtexter eingesetzt, um für die „grandiose Schauspielerin von leicht groteskem Äußeren“, die hinreißende Komikerin und große Menschendarstellerin Gisela Werbezirk, die neben Attila Hörbiger und Heidemarie Hatheyer eine Büglerin spielte, ein Lied ihrem Text hinzuzufügen. Er „erfand einen Nachbarn, der im Nebenzimmer den ,Frühlingsstimmenwalzer‘ spielt, in den sie sich dann einschaltete“:24

Allweil bügeln,

Nix wie bügeln,

Früh um acht

Bis auf d’Nacht,

Dass man Gröscherln verdient

Für ein’ selbst und für’s Kind,

Hat man

Jeden Tag

Müh und Plag,

Steht sich krumm,

Wird ganz dumm,

Strengt sich an

Bis man dann

’S Eisen gar nimmer derhalten kann.

Ja, die Büglerei

Is a Plagerei,

Aber int’ressant is’ doch dabei,

Denn wer Augen hat, sieht,

Was im Haus geschieht

Aus der Wäsch, aus der Wäsch, aus der Wäsch …

Hans Weigel entwickelte sich zu einer Art Hausdichter des Theaters an der Wien. Als ein Paul-Abraham-Vaudeville, seine Fußballoperette, die Weihnachtssensation 1936 in Budapest, fürs Theater an der Linken Wienzeile ventiliert wurde, fuhr er mit Direktor Hellmer nach Budapest. Das Stück gefiel ihm nicht, doch opponierte er nicht, obwohl er es für sich als „schrecklichen Dreck“ bezeichnete. Wie sollte er, der aufstrebende Junge, sich auch weigern? Ihn faszinierte sein Leben lang das Herstellen von Texten für Musik und es reizte ihn alles, was er noch nicht gemacht hatte, also hier etwa Liedtexte zu vorhandener Musik aus dem Ungarischen zu übertragen. Gemeinsam mit Alfred Grünwald, dem erfolgreichen Librettisten der Zwischenkriegszeit, der mit vielen namhaften Operettenkomponisten von Paul Abraham bis Robert Stolz zusammengearbeitet hatte, sollte Weigel das Buch dieses ungarischen Stückes ins Deutsche übertragen. Zwei der Hauptdarsteller, Rosy Barsony und Oskar Dénes, wurden für die Premierenbesetzung aus Ungarn übernommen, der junge Hans Holt gab den eigentlichen Liebhaber und Kapitän der ungarischen Fußballmannschaft.

Wann immer es möglich war, vermittelte Hans Weigel seinen Freunden Jobs im Abraham-Ensemble, unter anderen auch Rudolf Steinboeck, Leo Askin und Peter Preses, der ihn sogar als „unser Brotgeber“ titulierte. Zur Generalprobe kam auch Jura Soyfer. „In einem großen Gespräch äußerte er Bedenken, weil ich meine Begabung an den Kitsch und Kommerz verkaufte. Ich wendete ein (nachträglich ist mir, als hätte ich’s ihm versprochen), daß ich sozusagen zweigleisig arbeite und daß ich das, woran wir beide glaubten, woran uns beiden lag, nicht verraten werde. (Immerhin war sogar das Musical von 1937 politisch brisant und riskant.)“25


Oskar Dénes, Rosy Barsony und Hans Holt

Die Premiere von Roxy und ihr Wunderteam fand in Anwesenheit der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft am Gründonnerstag des Jahres 1937 (25. März) nur geteilte Aufnahme: Die Reichspost vom 26. März schloss sich Hans Weigels Ersturteil an, da in ihr zu lesen stand: „[…] diese Roxy und ihre ungarische Elf servieren uns eine ganz seichte, fadenscheinige Geschichte, der man beim besten Willen nichts abgewinnen kann. […] Die Texte sind ebenso einfallslos wie dumm und ihre Zotenhaftigkeit ist kaum mehr zu überbieten […]“ Andere Blätter nahmen diese leichte Unterhaltung nicht so ernst und stellten wie die Neue Freie Presse, ebenfalls am 26. März, die positiven Akzente der Aufführung in den Vordergrund: „Ein Match, halb ungarisch, halb englisch ausgetragen, manchmal auch deutsch. Ladislaus Zsilagy und Desider Keller haben die burleske Geschichte ersonnen, Alfred Grünbaum hat sie wirkungssicher und geschickt den Wiener Unterhaltungsbedürfnissen angepaßt und, gemeinsam mit Hans Weigel, mit gangbaren und gefälligen Texten versehen.“

Für das ABC schrieb Hans Weigel in der Folge eine gesungene Attacke gegen das Theater an der Wien, der er den Titel Roxy – und das wundert ihn gab. Roxy wurde noch 1937 mit den Hauptdarstellern des Theaters an der Wien unter der Regie von Johann von Vásáry verfilmt und hatte am 14. Jänner 1938 Österreich-Premiere.

Als Nächstes sollte aus dem Comedy-Drama Madame Sans-Gêne von Victorien Sardou und Émile Moreau, das am 27. Oktober 1893 im Pariser Théâtre du Vaudeville uraufgeführt worden war, ein Musikstück für das Theater an der Wien gemacht werden. Hans Weigel las das Stück, die Geschichte des aus dem Elsass stammenden Pariser Wäschemädels Catherine Hübscher, das sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Sie wird durch ihre Heirat mit François-Joseph Lefèbvre, der unter Napoleon vom Sergeanten zum General aufstieg und den Titel „Herzog von Danzig“ erhielt, zur Herzogin und erreicht gesellschaftliche Anerkennung. Weigel gefiel das Vorhaben, er wollte es machen. „Da sagte der Direktor Hellmer, es war vor dem ehrwürdigen Bühnentürl in der Dreihufeisengasse, die jetzt überflüssigerweise Lehárgasse heißt (Arthur-Schnitzler-Gasse gibt es noch keine), da sagte der Direktor Hellmer also, dass ich die Bearbeitung gemeinsam mit dem Alfred Grünwald machen sollte. Da wallt’ dem Türken auf das Blut. Ich hatte das Buch in der Hand und warf es in der Dreihufeisengasse schmetternd zu Boden. Das Haus erzitterte nicht in den Grundfesten, aber die Herren Hellmer und Glücksmann (vorgesehener Regisseur) erbebten ein bisserl. Und man bat mich [… um] ein Exposé. Ich merkte, daß Zorn ein vortrefflicher Inspirator sein kann. Mir fiel alles ein, was mir einzufallen hatte. Und schrieb daraufhin den neuen Text allein.“26 Ein Vertrag, datiert mit 31. Mai 1937, wurde mit dem Marton Verlag geschlossen.

In der Neuen Freien Presse vom 27. August 1937 berichtete Weigel in Form eines fingierten Gesprächs mit Sardou über die Ziele seiner Bearbeitung: „Das Wesen einer guten und richtigen Bearbeitung hat so überzeugend zu wirken, daß die Frage nach dem Warum überhaupt nicht entsteht. Hierzu ist es nötig, daß sich zwischen dem Bearbeiter und seiner Vorlage eine sehr innige, fast zärtliche Beziehung ergibt. […] Der Bearbeiter muss versuchen, sich mit seinem unbekannten Partner und stillen Mitarbeiter, dem Originalautor, auseinanderzusetzen und nichts zu tun, was der nicht gutheißen würde. […] Die Komödie ‚Madame Sans-Gêne‘ […] kommt heute besser zur Geltung, wenn man den Dialog etwas entstaubt, die Handlung von Beiwerk befreit und konzentriert!“ Störende Fremdkörper und falsche Töne wollte er vermeiden, das Stück von angesetzter Patina befreien, dafür sollte einiges dazukommen, aber nur, was irgendwo zwischen den Zeilen stand. Die Frage, warum der über Jahrzehnte hin erfolgreichen Komödie Musik hinzugefügt werden sollte, beantwortete sich Weigel so: „Was aber über die Jahrzehnte hinaus allgemein gelten und bleiben soll, dem kommt die Musik zu Hilfe, die’s ja in sich hat, Persönliches und Privates in eine allgemeine Sphäre zu erheben, menschlich zu machen und dem Augenblick Dauer zu verleihen.“ Weigel verwehrt sich gegen die Bezeichnung Operette für seine Bearbeitung, „denn ich habe nicht einfach auf die Art leichtfertiger Konfektionäre das Stück mehrmals gewaltsam unterbrochen, irgendein beliebiges Musikstück hineingezwängt und dann die Handlung krampfhaft ihren Fortgang nehmen lassen. […] Ich habe die musikalischen Situationen, deren Herbeiführung ja meine Hauptarbeit zu sein hatte, immer aus der Handlung organisch entstehen lassen, mit ihr parallel zu verlaufen und ihr sich unterzuordnen, mich nach Kräften bemüht. Ich war gleichfalls bestrebt, jede Zeile des neuen Textes dem dramatischen Anlass und der Linie der Personen des Stückes und den Handlungselementen entsprechen zu lassen […]“.

Weigels Text und die Musik von Bernard Grün entstanden in Karlsbad, da Direktor Hellmer dort zur Kur weilte. Im Foyer des mittelgroßen Stadttheaters stand ein Klavier. Weigel „kam am Vormittag hin und brachte Texte und verfasste am Nachmittag die nächsten. Es war eine gute Arbeit. Ich hatte vor, das sogenannte ,musical‘ zu reformieren und über die Operette hinauszugelangen. […] Wir hätten etwas Zeit nötig gehabt, wir hätten in dem Genre, das ich begonnen habe, weitermachen müssen, und Wien wäre vielleicht eine Hauptstadt der Musik geblieben“.27 Weigels Ziele waren hoch gesteckt: „Ich wollte mit ‚Madame Sans-Gêne‘ nicht nur einen Theaterabend liefern, sondern ein Reformwerk einleiten, das musikalische Theater nach dem Ende der Operette vom Schauspieler her, vom Text her, vom Geist der Musik her erneuern. Ähnliches geschah ja dann am Broadway, hieß Musical und war auch nicht viel wert. ‚Madame Sans-Gêne‘ wäre, hätte das Reformwerk sich fortgesetzt, bestenfalls ein Vorstadium gewesen. Ein erster Schritt zum Anfang, nicht zum Ziel hin […] in ‚Madame Sans-Gêne‘ war viel zu wenig Erneuerung und viel zu viel Musik. Ich habe das Stück nach dem Krieg wiedergesehen und war von meiner Arbeit enttäuscht. […] Dass die [in zaghaften Ansätzen begonnene] Reform scheiterte, war natürlich die Schuld der Weltgeschichte.“28 Die Galapremiere fand mit großem gesellschaftlichen Aufgebot am 1. September 1937 statt, im letzten Herbst der Ersten Republik. Nicht einmal ganze sieben Monate später war der „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich vollzogen.


Christl Mardayn und Leopold Biberti

Durch die vorzügliche Besetzung, die effektvolle Regie mit sorgfältigem Bemühen von Direktor Hellmer fand Madame Sans-Gêne durchwegs gute Kritiken. So lobte die Neue Freie Presse am 2. September 1937: „Die heikle Aufgabe, Sardou zu bearbeiten, wurde einer sehr geschmackvollen Hand anvertraut. Der des jungen Hans Weigel, eines der stärksten Talente, die aus der Wiener Kleinkunst hervorgegangen sind. Er hat eine eigene Art, moderne Chansons zu formen, mit klug ironischem Witz zu pointieren und trifft deshalb auch den ‚Sans-Gêne‘-Ton ausgezeichnet. In neuen, zeitgemäß gefärbten Dialogein- und -ausfällen und in zahlreich eingestreuten Texten. Besonders aber in drei Couplets: ‚Was hat man davon?‘, in dem Wiener Couplet und dem Polizeilied, die in ihrem ungeniert kecken und zugleich liebenswürdigen Gehaben zum Besten dieses Genres gehören. Im übrigen hat der Bearbeiter vor allem Raum geschafft, wozu er viel Sardou wegräumen musste. Um Platz zu machen für Musik, Ensembles und die sonstigen Bedürfnisse der singenden Gattung. Da hat er wohl zuviel des Guten und noch mehr des Operettenhaften getan. Dadurch geht es in der wilden Umsturzzeit des Wäschereiaktes gar zu behäbig zu. Und daß vor jedem Akt ein Invalide das Bänkel von der Madame Sans-Gêne in Raten singt, ist zwar ein aparter Einfall, aber kein wirksamer. Umso stärker wirkt der letzte, der große Napoleon-Akt. Hier ist die Bearbeitung gar keine Operette und hauptsächlich Sardou …“ Bernhard Grüns Musik, eine Mischung aus älterer, martialisch-gemütlicher Wiener Operette im leicht amüsanten Ton der Musik von Jacques Offenbach und Charles Lecoque, wurde als gefällig und ins Ohr gehend bezeichnet. Die Titelrolle spielte Christl Mardayn, der vor allem der Abend gehörte, den sie nach ihrem eigenen herzhaft wienerischen Naturell mit Witz, Humor, Gefühl, aber auch Pariser Esprit zum Erfolg mit Lach- und Beifallsstürmen führte. Auch an den Darstellern der Nebenrollen, unter ihnen Leo Reuss als Napoleon, wurde nichts ausgesetzt und der Dirigent Anton Paulik brachte das Orchester „im Schmetternden wie im Zarten zu guter Begleitwirkung“, so die Neue Freie Presse weiter.

Auch Das Kleine Blatt hob in der Ausgabe desselben Tages Weigel hervor: „Das neue, überaus amüsante, mit aktuellen Geistesblitzen und Witzen reich ausgestattete Buch von Hans Weig[e]l hat aber zu blendenden Liedtexten von Bernhard Grün noch viele andere Schlagermusik mit auf den Weg bekommen, die bald überall zu hören sein wird. Ganz besonders geglückt sind einige Chansons voll Humor und Grazie.“ Sprach die Wiener Zeitung von „einem großen Erfolg“, so registrierte Das Kleine Blatt den „stürmischen, nicht enden wollenden Applaus“.

Im Frühjahr 1938 wurde Madame Sans-Gêne in Prag nachgespielt. Weigel sah nach dem Krieg Aufführungen am Wiener Volkstheater, eine Inszenierung von Hans Thimig in Gustav Mankers Bühnenbildern und wieder mit Christl Mardayn in der Titelrolle, die am 12. Dezember 1947 Premiere hatte, und in Frankfurt (Premiere am 26. Jänner 1955), doch war er, wie zuvor schon erwähnt, von seiner eigenen Arbeit enttäuscht.

Zu Max Kolbes Text sowie der Musik von Fritz Spielmann und Stephan Weiss schrieb Hans Weigel 1937 einige Liedtexte für das musikalische Lustspiel Pam-Pam, das nach der Madame im Theater an der Wien aufgeführt wurde. Mit der Silvestervorstellung als glanzvolle Prominentenrevue mit Einaktern von Felix Salten (mit Albert und Else Bassermann), Arthur Schnitzlers Abschiedssouper (mit Oskar Karlweis und Lotte Lang), einem Schwejk-Einakter von Rudolf Weys, einem weiteren mit Gisela Werbezirk und einem Goethe-Sketch, verfasst und gespielt von Egon Friedell, ging das Jahr 1937 als Abgesang des abtretenden Wien zu Ende.

Hans Weigel, der sich als Hausdichter des Theaters an der Wien nicht als Künstler, sondern stets als Handwerker sah, war damit „in die Welt der zergehenden, zerfließenden, sich auflösenden Vergnügungsbranche Wiens geraten“29, die er im Kabarett, das ihm sehr viel bedeutete, angegriffen hatte. Ihm tat es später leid, ja es machte ihn sogar zornig, dass diese kurze Epoche der Wiener Kleinkunst zu seinen Lebzeiten nicht gründlich aufgearbeitet worden war. Er hätte selbst viel dazu beitragen können, aber niemand hatte ihn gefragt. Laut Elfriede Ott, seiner letzten Ehefrau, schrieb er am Vormittag seines Todestages, dem 21. August 1991, seinen letzten Text über die Wiener Kleinkunst vor 1938, Notwehr und Widerstand:

Kabarett ist Notwehr.

Kabarett ist Mini-Widerstand.

Kabarett gedeiht in schlechten Zeiten, die aber nicht ganz schlecht sein dürfen.

Wohlstand gibt für das Kabarett nichts her, denn er bezieht die Kabarettisten mit ein. Der Protestsänger im Mercedes ist ein linker Peter Alexander.

Demokratie gibt für das Kabarett nichts her […]30

Jahre nach seiner Zeit am Theater an der Wien, lange nach seiner Emigration, stellte Weigel sich die illusorische Frage, was aus ihm geworden wäre, wenn der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland seine beginnende Karriere nicht unterbrochen hätte. Eine Antwort darauf gab sein späterer Freund Oscar Fritz Schuh, der die politische Wendung mit so enormer Tragweite als Weigels Glück bezeichnete: Er wäre beim Film gelandet und künstlerisch erledigt gewesen. Er selbst vermutete, er wäre der Kunst, wie sie in den Kellern dargebracht wurde, treu geblieben, doch „blieb er auf der Strecke, die von Dollfuß über Schuschnigg zu Hitler führte“.31

Hans Weigel

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