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KOMPOST

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Eigentlich war der Kompost der wahre Mittelpunkt dieser Landwirtschaft. Nicht, dass dort alles nur hingeworfen wurde, nein, es wurde abgelegt! Mit Erde überstreut, mit Mist bedeckt oder vermischt. Die Fruchtbarkeit ist das Wichtigste in der Landwirtschaft. Ohne Fruchtbarkeit kein Leben! Das hatten schon die allerersten Bauern erkannt und nach ihnen wieder diejenigen, die an der Gründung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft beteiligt waren: Deshalb hatten sie für ihren Kreis den Namen Demeter gewählt, den Namen der germanischen Fruchtbarkeitsgöttin!

Unser Bauer besaß einen mit Torf gefüllten Holzkasten, an den er uns, zumindest zu Anfang, nicht ranließ und der wie von einem Geheimnis umgeben schien. Waren wir noch nicht weit genug auf unserem geistigen Weg vorangeschritten, oder fürchtete er nur, sich lächerlich zu machen, wenn er ihn uns erklärte? Jedenfalls rief er mich eines Tages auf die Seite, und wir machten uns daran, mit Grabgabeln und Kartoffelgabeln den Komposthaufen umzuschichten und mit verrottetem Mist und etwas Erde zu vermischen. Unweit stand jener besagte Holzkasten. Je tiefer wir vordrangen, umso mehr war der Kompost und auch der Mist von Regenwürmern durchsetzt. Faustgroße Klumpen von verknoteter Wurmmasse, welche sich leicht ringelte, kamen zum Vorschein. Mir kam der Titel des biologischen Bauernblattes, das wir aus Interesse und aus Pflicht lasen, in Erinnerung: ‚Lebendige Erde‘! „Es sind die Regenwürmer, die die Humusschicht unserer Erde geschaffen haben!“, bekam ich zu hören. Und das wurde mir jetzt auch spontan klar! „Sie fressen sich durch Sand und Pflanzenreste. Ihr Kot ist der kostbarste Boden, den man sich vorstellen kann! Er ist ein Nährstoffkonzentrat und es reicht, ihn in geringen Mengen auszubringen oder mit der Erde zu vermischen, um den Boden zu beleben und zu verbessern!“, erklärte er mir. Er klaubte eines der sich windenden Knäuel auf und legte es mir auf die Handfläche. Anfangs ekelte es mich ein wenig, doch dann war ich fasziniert und schaute es genauer an. Kleine, dünne Würmchen schlängelten sich umeinander, diese wiederum umgeben von dicken, die sich aus dem Knäuel entfernten und zur Erde ‚abseilten‘. Manche hatten an verschiedenen Stellen Verdickungen am Rumpf. „Regenwürmer atmen mit der Haut. Sie sind Zwitter“, erklärte er mir weiter, „sie sind zweigeschlechtlich. Sie könnten sich selber begatten, ziehen aber die Paarung vor. Die Fortpflanzung ist sehr kompliziert. Sie tauschen bei der Paarung Samenzellen aus, die erst später befruchtet werden. Dazu bilden sie einen Ring um ihren Körper, den sie dann samt den befruchteten Eiern als Kokon abstreifen. Ein Wurm kann bis zu acht Jahre alt werden!“ Ich legte vorsichtig das Knäul auf den geschichteten Haufen zurück.

Als wir den ganzen Haufen mit dem Mist vermischt und umgeschichtet hatten, holte mein Bauer die Kiste. In ihrem Torfbett befanden sich fünf große, verschraubbare Gläser, angeordnet wie die Fünf eines Würfels. „Oben rechts befindet sich ein Eichenrinde-Präparat, im nächsten Löwenzahn, unten links Kamille und darüber Schafgabe. Im mittleren Glas ist Brennnessel. Jeweils zu einem Präparat verarbeitet. Wie das gemacht wird, erkläre ich dir ein anderes Mal! Reich mir mal den spitzen Holzpflock rüber!“ Ich gab ihm das, was ich für einen zu kurz geratenen Zaunpfahl gehalten hatte. Er kletterte vorsichtig auf den Haufen und stach damit fünf tiefe Löcher in die weiche Masse. Er trug mir auf, aus dem Boden, wo vorher der Kompost gelegen hatte, fünf faustgroße Klumpen zu formen und in jeden mit dem Finger ein Loch bis zur Mitte zu bohren. Dann reichte ich ihm eines der Gläser nach dem anderen. Er schraubte das erste auf und warf mit einem darin befindlichen Holzspatel etwas vom Inhalt in das Loch der ersten Kugel und drückte es zu. Dann versenkte er sie im Loch des Komposthaufens, eine nach der anderen, nachdem er sie mit etwas von dem Präparat gefüllt hatte, in der gleichen Anordnung wie in der Kiste die Gläser standen, also in ein Loch die Eichenrinde, in das nächste die Kamille und so weiter. Die Brennnessel kam in die Mitte. Dann schloss er die Löcher indem er etwas Kompost mit den Händen darüberstrich und kletterte hinunter. Mit einem der Birkenreisigbesen, die wir im Winter selber herstellten und auch verkauften, ließ er mich in einem Emaille-Eimer etwas Baldriankonzentrat mit Regenwasser aus der Tonne vermischen und ungefähr zehn Minuten rühren. Dann musste ich die Brühe mit dem Besen über den ganzen Haufen verspritzen. „Muss man dazu auch bestimmte Formeln sprechen?“, fragte ich, halb ernst, halb scherzend. „Das kann nicht schaden. Wichtig ist, dass es positive Gedanken sind!“ Ein leicht süßlicher Geruch strömte von der verspritzten Brühe aus und die Oberfläche des Haufens glitzerte von der Feuchtigkeit. „Jetzt lass uns noch eine dünne Torfschicht über das Ganze streuen, dann haben wir alles gemacht! Über die Präparate wird das Astrale und auch das Irdische auf den Haufen einwirken können und sich in ihm anreichern. Durch die Fermentierung und das Treiben der Regenwürmer wird der Haufen sich leicht erwärmen, was die Reife fördert. Und in ein paar Wochen ist alles in beste Erde verwandelt!“

Die Milch der Kühe wurde natürlich an die Kunden verkauft. „Würde es sich nicht lohnen, mehr Milch zu machen und bringt das nicht mehr als der Gemüseverkauf?“, wagte ich zu fragen. Das war wieder ein Anlass zu einer grundlegenden Aufklärung! Ich durfte nur nicht beim Zuhören mit der Arbeit aufhören! Ich kratzte also weiter den Mist zusammen, schaufelte ihn in die Schubkarre und verteilte langsam die Streu unter den dicken Bäuchen der Kühe. „Der Milchpreis ist zu niedrig, um davon leben zu können.“ „Aber die Milchbauern leben ja auch davon, und die kriegen noch nicht mal die Hälfte vom Preis, den sie für die Bio-Milch bekommen!“ „Das macht die große Zahl der Tiere bei denen aus! Wir haben weniger Land und müssen damit zurechtkommen. Und Gemüseanbau ist nach Zierpflanzen die rentabelste Art!“ „Dann wäre es doch besser, die Kühe wegzuschaffen und mehr Gemüse anbauen!“, warf ich ein. „Wir haben die Kühe in erster Linie um Dünger zu gewinnen! Die Milch und die Kälber sind nebensächlich!“ „Aber es gibt doch Kunstdünger!“, provozierte ich halb unbewusst, halb absichtlich. Das brachte ihn in Fahrt und er bemerkte gar nicht, dass ich meine Arbeit fertig hatte und mich auf den Futtertrog gesetzt hatte und mich von der Kuh ablecken ließ. „Eine der Grundlagen des biologischen Anbaus ist die Ganzheitlichkeit. Alles sollte auf einem Hof selber hergestellt oder erwirtschaftet werden. Das, was durch den Verkauf der Ernten verloren geht, muss durch Dünger wieder dem Boden zugeführt werden. Sonst wird dieser geschwächt und später krank, wie auch die Krankheit beim Menschen eine Äußerung von Geschwächtsein ist.

Liebig hatte damals Feldfrüchte verascht, also verbrannt, und nachgewiesen, welche Stoffe dem Boden und in welchem Maße entzogen werden. Das waren hauptsächlich Stichstoff, Phosphor und Kali. Von ihm stammt auch der Spruch: ‚Der Bauer lebt vom Verkauf seines Kapitals‘. Seine Schlussfolgerung war, diese Stoffe künstlich, also synthetisch, herzustellen und dem Boden wieder zuzufügen. Und je mehr, umso höher die Erträge! Das war der Ursprung der modernen Landwirtschaft mit allen ihren Auswüchsen wie Verschmutzung des Grundwassers durch Überdüngung, kranke Pflanzen durch zu schnelles Wachstum und damit Notwendigkeit von giftigen Spritzmitteln.“ „Reicht es denn nicht, dem Boden die entzogenen Stoffe wieder zuzuführen? Ist das nicht das gleiche wie Mist oder Kompost?“ „In keinster Weise! Erstens hatte Liebig die ‚Spurelemente‘ vergessen, welche die moderne Landwirtschaft ebenfalls ignoriert. Und weiterhin sind die zugeführten Mineraldünger tote Materie, Kompost oder Mist hingegen sind lebendig! Und dadurch, dass sie mit kosmischen und irdischen Kräften angereichert werden, wenn sie mit bestimmten Präparaten ‚geimpft‘ worden sind, wie wir es vorhin mit dem Kompost gemacht haben, können sie, und das ist Steiners große Entdeckung, dem Boden alles Entnommene wieder zurückgeben. Ganzheitlich heißt nämlich auch, alle anderen wachstumsfördernde und regenerierende Kräfte, wie die Einflüsse der Planeten oder die der Konstellationen im Weltall zu nutzen. Denn es ist doch wohl logisch, wenn der kleine Mond einen so großen Einfluss auf uns Menschen und die Erde hat, dass er sogar die Gezeiten des Meeres bestimmt, dass dann die Planeten, die viel voluminöser sind, ebenfalls die Erde beeinflussen! Und da muss man zwischen den sonnennahen Planeten und den sonnenfernen unterscheiden! Die ersteren beeinflussen mehr die Blüten- und Fruchtbildung, die fernen wirken mehr auf die unterirdischen Teile wie Wurzeln… Doch das geht für heute zu weit, ich muss jetzt melken!“ Und er hängte der ersten Kuh den unförmigen ‚Bauchmelker‘ um, eine Melkmaschine, die an einem Lederband, das über dem Rücken der Kuh lag, unter deren Bauch hing. Anfangs dachte ich, dass dieses eine spezielle Maschine für biologische Kühe sei. Doch stellte sich später heraus, dass nur der niedrige Preis der Grund für die Wahl dieses Modelles gewesen war.

Einer, der öfters am Hof mithalf, war der Bruder des Bauern, der ansonsten Polizist war. Er kam hauptsächlich zum Holzhacken, wohl um fit zu sein, wenn es mal wieder darum ging, Demon-stranten und Langhaarige in Schach zu halten. Denn diese schienen seine Feinde zu sein. Wir grüßten ihn, wenn wir ihn auf dem Hof sahen, doch er grüßte uns nie zurück. Außer seiner Capillophobie hatte er wohl auch andere Probleme. Denn mit jedem Axtschlag wurde er röter, sodass wir manchmal dachten, er mache es nicht mehr lange.

Eines Tages wurde der Hänger an den Traktor gehängt und es ging in den Wald. Der Bauer, sein Bruder und ich. Ich nahm das Fahrrad, denn es war nicht sehr weit, und ich hatte Bedenken, ob der Polizist mit mir zusammen auf dem Traktor gefahren wäre. Außerdem waren auch nur zwei Sitze da!

Es duftete nach Moder und Tannennadeln, vereinzelt hallte der krächzende Schrei eines Raben durch das nebelige Halbdunkel. Das Moos glitzerte vom Tau der Nacht. Weich federte der Boden. Die beiden betrachteten die hoch aufragenden Bäume und wählten diejenigen aus, die gefällt werden sollten. „Ein Wald ist etwas Dauerhaftes, eine Vielzahl verschiedener Arten allen Alters. Er bildet einen Ausgleich für die Ackerflächen. In ihm wohnen viele Nützlinge, die die Schädlinge in den Feldern beseitigen. Ich meine nicht die Monokulturen, wo alle Bäume das gleiche Alter haben und alle gleichzeitig mit einem Kahlschlag gefällt werden! Diese sind, wie alle einseitigen Pflanzungen, sehr anfällig gegen Krankheit, Schädlinge und Witterungseinflüsse!“, erklärte der Bauer. Sein Bruder gab währenddessen der Motorsäge den letzten Schliff und füllte Benzin ein. Durchdringend verbreitete sich dessen Geruch und vermischte sich mit dem Harz-Duft der Bäume. „Aus einem Wald muss Holz entnommen werden, damit Platz für Jungwuchs entsteht. Braucht man Bauholz, werden bestimmte Arten gefällt, die die benötigte Länge und einen geraden Wuchs haben müssen. Wir wollen diesmal Brennholz machen. Dafür werden diejenigen Bäume gefällt, die alt sind, schlecht gewachsen oder beschädigt, diejenigen, die andere hindern könnten, sich richtig zu entwickeln!“ Der Bruder warf die Säge an. Schrill durchdrang das Motorengeräusch den Wald, verscheuchte die Stille und kam als Echo zurück. Dann, als der Motor etwas erwärmt war und beim Gasgeben sofort reagierte, ging es dem ersten Baum ‚an den Kragen‘. Nach einem Blick nach oben, um die Fallrichtung abzuschätzen, wurde ihm unten, nicht weit über dem Boden, ein Keil ausgeschnitten. Wir anderen entfernten uns aus dem Gefahrenbereich und schauten zu. Bläulicher Rauch vom Sägen-Motor breitete zwischen den Stämmen aus, während die Kette von der anderen Seite den Stamm annagte und unter Heulen Späne spie. Der Säger war schon leicht ins Schwitzen gekommen und schaute immer öfter nach oben. Und dann sahen wir es auch: ganz langsam kam Bewegung in die Baumspitze. Der Säger nahm das Gas weg und ging mit der Säge ein paar Schritte zurück. Es schien heller zu werden, während der Baum erst langsam, dann immer schneller ins Fallen geriet. Äste der danebenstehenden Bäume wurden knackend im Fall mitgerissen, dann krachte auch schon der Baum auf die Erde, seine Äste zersplitterten auf dem nadelbedeckten Boden oder bohrten sich in diesen hinein. Ein Lufthauch streifte uns, dann war Stille. Wir standen einen Moment da wie Leute bei einer Beerdigung um das Grab. Dann warf der Bruder die Säge wieder an und ging zum nächsten Baum, während wir uns mit den Äxten daran machten, die Äste des gefällten Baumes zu entfernen.

Als es Mittag war, lag ein gutes Dutzend der gefallenen Riesen auf dem Boden. „Beim Holzfällen ist es wichtig, den Mond zu beachten. Er muss abnehmend sein und sich der Erde nähern, denn dann sind die Säfte am wenigsten in Bewegung. Deshalb wird auch das Holz immer im Winter gefällt, wenn der Baum von sich aus schon in Ruhe ist! Zu vermeiden sind der Vollmond und der Neumond. Will man Bauholz machen, ist der beste Moment, wenn der Mond zudem noch vor dem Löwen steht!“ „Da müsste man als Bio-Bauer ja zugleich Astronom sein!“, warf ich ein. Er lachte auf seine etwas spöttische Art. „Es gibt da bestimmte Kalender, in denen all das verzeichnet ist, wie zum Beispiel der ‚Aussaatkalender‘ von Maria Thun; ich werde ihn dir mal zeigen!“ „Das ist also anders als in der Schule!“, antwortete ich, „abschauen ist erlaubt!“ „Das ist wie das Benutzen der Logarithmentafeln! Um all das selber zu errechnen, hat selbst ein Bio-Bauer keine Zeit und oft auch nicht die Kenntnisse!“ „Aber wer sagt, dass all das stimmt? Das klingt ja sehr nach Horoskop!“, konnte ich mir nicht unterstehen, zu sagen. „Früher haben die Menschen aus der Naturbeobachtung heraus und aus Erfahrungen ebenso gehandelt. Dann ging dieses Wissen verloren. Erst seit Steiner hat man sich daran gemacht, dieses aufzuzeichnen und sogar wissenschaftlich und in Versuchen zu erforschen!“

Am Nachmittag zogen wir die entasteten Stämme mit dem Traktor mittels eines langen Stahlseiles und Ketten an den Weg am Waldrand, ebenfalls die dicken Äste. Diese wurde in der nächsten Zeit zum Hof gekarrt, in Ofenlänge gesägt und gehackt. Das wichtigste war also gewesen, den richtigen Moment für das Fällen einzuhalten! Während des ganzen Tages hatte der Bruder kein Wort mit mir gewechselt und mir keinen Blick gegönnt. „Die Äste, die noch rumliegen, könnt ihr für euren Ofen nehmen! Nehmt ja nicht von unserem Holz, denn mein Bruder würde nichts mehr hacken, wenn Hippies mit seinem Holz heizten!“ Das hatte ich mir schon gedacht! Also zogen wir nun öfters mit dem Handwagen und der Bügelsäge in den Wald und schnitten uns das Holz in Ofenlänge zurecht, um es dann an einem sonnigen Platz am Hof zu stapeln, denn so, wie es war, brannte es schlecht, und wir mussten oft den Herd entrußen. Wir stapelten die Holzmenge für ein paar Tage um den Herd und im Backrohr. Somit hatten wir immer einigermaßen trockenes Brennmaterial. Draußen im Hof hackte sich der Bruder des Bauern langsam durch die Halde von Rundlingen und stapelte sie jedes Mal säuberlich in genau ausgerichteten Reihen auf, um sehen zu können, ob sich jemand daran vergriffen hätte. Wir stellten uns vor, dass er sich bei jedem Schlag vorsagte: „Und wieder ein Hippie weniger!“ Doch dieses Phänomen hätte auch er mit seiner Axt nicht eindämmen können, und er bedachte all die langhaarigen Hilfswilligen und unsere Freunde, die auf den Hof kamen, mit bösen Blicken. Einer seiner Söhne half auch oft auf dem Hof mit, vor allem, wenn es um Arbeit mit Maschinen ging. Dann wollte der eine Lehre auf dem Hof des Onkels machen. Doch dieser weigerte sich, ihn zu nehmen, mit der Begründung, dass Lehrlinge zu viel Material kaputt machten. Also machte er seine Lehre bei einem anderen Biobauern in der Gegend. Doch dieser ließ sich den Lehrlingslohn für den Buben von dessen Vater zurückerstatten! Weil in der Landwirtschaft nichts verdient wird und weil man früher ein Lehrgeld hatte zahlen müssen! „Wenn ich einmal Bio-Bauer sein werde, werde ich so manches anders machen!“, nahm ich mir oft genug vor.

Nebenher machten wir uns an das Überholen der Maschinen. Ich sah, dass das etwas war, was der Bauer nur ungern tat. Mich störte es nicht und ich fand es außerdem interessant, den Mechanismus auszutüfteln und zu überlegen, wie man ihn verbessern könnte. Was ich hier schon an Maschinen repariert habe, die der Bauer kaputt gemacht hatte! Das passiert einfach! Es ist zu einfach, alles immer auf die Aushilfskräfte zu schieben… Ein paar Ölwechsel waren schon lange überfällig, abgebrochene Messer der Fräse mussten gewechselt, der Mähbalken abgeschmiert und Messerklingen und -finger ersetzt werden. Der Kratzboden des Mistbreiters war ebenfalls durchgefault. Ich nahm Maß und ließ in der Sägerei die Bretter schneiden und einseitig hobeln. Als der Bauer das verrostete Gerippe des Gerätes sah, verzweifelte er und meinte, jetzt müsse er einen neuen kaufen! Und diesen ‚neuen‘ hatte er 14 Tage und zwei Töpfe Rostschutzfarbe später! Ich musste schon sehr genau hinhören, um so etwas wie ein Lob in seinen Worten zu finden…

Klar, dass ich in dieser Zeit viel lernte, auch wenn mir vieles etwas abstrus erschien, fehlte mir doch der anthroposophische Hintergrund. Was mich am meisten störte, war das dauernde Klagen, wie schlecht es den Bio-Bauern ging und dass sie von der Welt verkannt würden, obwohl sie doch das Heil der Welt seien! Für mich wurde langsam klar, dass Nahrungsanbau auf saubere Weise geschehen muss! Aber ob ich mich mal später dieser märtyrerhaften Sichtweise anpassen würde, bezweifelte ich.

Doris arbeitete meistens zusammen mit der Bäuerin auf dem Feld oder bei der Gemüsevorbereitung. Ich mit dem Bauern oder alleine. Wir begannen, den Dachboden der ans Haus angrenzenden Scheune aufzuräumen. Hier sollte eine Decke eingezogen werden, um mehr Lagerraum zu gewinnen. Seit einer Generation wohl war hier oben nichts mehr gemacht worden! Wir entdeckten einen Stapel Birnenholzbretter. Der Bauer war ganz gerührt, als er sie sah. Er hatte den Stamm damals sägen lassen, um ihn seiner Braut in Form eines Kleiderschrankes zur Hochzeit zu schenken! Ja, und dann war die viele Arbeit dazwischengekommen, die Zeit und das Vergessen… Und Vergessenes gab es massenweise hier oben: ein alter Holzpflug, die Schar mit Eisen beschlagen, Joche zum Ochsen einspannen, abgebrochene Sensen, die man mal hatte schweißen wollen, Rechen, Milchkannen, Küchenkästen, Kinderwiegen, Kuhglocken und vieles mehr. Einmal der Staub abgekehrt, kamen oft wunderschöne Dinge zu Tage. Das Räumen zog sich hin, denn mit jedem Gegenstand kamen auch Erinnerungen, und der Haufen dessen, was verbrannt werden sollte, blieb dementsprechend klein. Einmal die Zwischendecke eingebaut, wanderten die meisten Dinge wieder hinauf. „Das kann man wieder brauchen, wenn sich die Zeiten ändern! Man könnte sogar ein Museum damit ausrüsten…. Wir zwei bekamen eines der Birnbaum-Bretter geschenkt, woraus ich zwei niedrige Tischchen baute und eine runde Holzscheibe, um Brot darauf zu schneiden. Das heißt, Doris entwendete sie von dem zum Verbrennen vorgesehenen Haufen.

Ich hatte es so eingerichtet, dass ich samstags frei hatte. Diesen Tag fuhr ich mit dem Radl zu einem Heilpraktiker an der Schweizer Grenze. Das war eine gute Stunde Weg, meist auf Radwegen am See entlang. Das einzige Problem war immer auf der Rückfahrt der deutsche Zoll an der Grenze. Obwohl die mich inzwischen kannten, ließen sie es sich nicht nehmen, ihre kleinen Schikanen-Tricks anzuwenden. Zumindest den Ausweis abnehmen und für zehn Minuten auf einen Schreibtisch legen, zwecks Nachforschung. Am ärgsten war das am Bahnhof, wenn ich wegen schlechten Wetters den Zug genommen hatte. Dort hielt man in der Regel meinen Ausweis so lange ein, bis der Anschlussbus weggefahren war und ich also heimlaufen musste. Doch zum Glück konnte ich oft trampen!

Der Heilpraktiker war ein alter Mann, der Kaufmann gewesen war und während der Rente seine Liebe zu den Kräutern entdeckt hatte. Er war von einem Kreis älterer Frauen umschwärmt, die nichts lieber hatten, als sich von ihm auf unseren Kräuterwanderungen im Moos die Krampfadern massieren zu lassen. Bei schlechtem Wetter trafen wir uns bei ihm zuhause. Seine Theorie war einfach: gelbe Pflanzen halfen hauptsächlich bei Leberleiden, rote fürs Blut, weiße bei ‚Frauenleiden‘. Wir setzten mit Schweineschmalz Salben an, mit Schnaps Tinkturen und trockneten Kräuter, um sie als Tee zu verwenden. Er brachte mir auch die Grundzüge der ‚Lymphdrainage‘, einer einfachen Massageart bei. Ich sah, dass nicht das Wissen eines Doktors wichtig ist, sondern seine ‚Aura‘. Hinkende Frauen wurden zu flinken Grashüpfern, wenn er fünf Minuten ihre Beine massiert hatte! Glaube und Vertrauen können Wunder bewirken! Das hat auch die Kirche schon lange begriffen und ausgenutzt!

Wir waren mitten in einer Sitzung, als ein Citroen-Kastenwagen, den man auch ‚Wellblechgarage‘ nannte, vor unserem Versammlungsraum hielt. Er gehörte Geoff, einem Engländer, der in Lindau für ein paar Monate in einem Architektenbüro arbeitete. Er und Doris stiegen aus und fragten nach mir. Sie war ganz aus dem Häuschen, denn der Bauer brauchte mich dringend, weil er eine Aussaat machen wollte, und nur heute wäre der Kalender günstig! Außerdem hatte er angekündigt, uns rauszuschmeißen, da ich nie da sei, wenn man mich mal wirklich bräuchte! „Das hätte er mir ja am Vorabend sagen können, dann wäre ich daheim geblieben!“, dachte ich. Also Fahrrad in den Kastenwagen und zurück! Am Hof angekommen, kein Bauer zu sehen. „Er macht gerade sein Mittagsschläfchen!“, meinte seine Frau. „Ich denke, es ist dringende Saatarbeit angesagt und er braucht mich!“, warf ich ein. „Das kann morgen auch noch gemacht werden, da ist der Kalender sogar noch günstiger!“ So kamen zu den Schikanen der Zöllner noch die Schikanen des Bauern… Geoff meinte, das sei doch nicht schlimm, rollte einen Joint und fuhr dann mit uns in den Wald, unser restliches Brennholz zu holen.

Die schönsten Augenblicke sind immer, wenn wir abends unser Stübchen einheizen und es uns gemütlich machen. Die Blasen an unseren Händen haben sich in Schwielen verwandelt, unsere Fingernägel sind schwarz und gesprungen, die Fingerkuppen und Nagelansätze eingerissen und schrundig. Jeden Mittag und Abend tauchen wir sie in ‚Atrix‘-Creme, das ist die einzige, die einigermaßen hilft. Sogar unsere selbstgemachte Wund(er)salbe auf Schmalzbasis bleibt wirkungslos.

Die Tage werden länger. Irgendwie finden wir es absurd, den Tag um Mitternacht beginnen zulassen. Logisch wäre doch, mit Sonnenaufgang… Wir machen uns daran, eine neue Einteilung zu finden und auszuprobieren: Anfang des Tages, der Morgen: 6 Uhr früh = 0 Uhr neue Zeit. Mittag = 6 Uhr. Abend 18 Uhr = 12 Uhr, Nachtbeginn (vorher Mitternacht) = 18 Uhr. 24 Uhr/0 Uhr (Ende der Nacht/Anfang des Tages) trifft wieder auf 6 Uhr alte Zeit. Wir malen ein neues Zifferblatt für unseren Wecker. Das Ideale wäre, eine Uhr zu haben, deren Stundenzeiger nur ein Mal am Tag die Runde macht… Auch machen wir uns Gedanken über den Tagesablauf. Denn die Menschen leben zu unbewusst. Sie rasen, anstatt zu laufen. Welches ist die notwendige Arbeitszeit, um leben zu können? Wir glauben, dass 8 Stunden ausreichen. 8 Stunden Schlaf sind eigentlich auch genug. Bleiben noch 8 Stunden übrig. Diese wären gut verbracht mit Meditation oder anderen nichtlukrativen Tätigkeiten wie Lesen oder Kunst. Doch sehen wir bald, dass gerade in der Landwirtschaft 8 Stunden Arbeitszeit oft nicht ausreichen. Es gibt eben noch andere Imperative, außer der Geldgier, die den Menschen in Trab halten…! „Meditieren?“, sagt unser Bauer, „das kann ich am besten auf dem Traktor!“ Sollte das ein Witz sein, oder war es ernst gemeint?

Der Frühling näherte sich, die Arbeitstage wurden länger… Zuerst in der Küche des Bauern, dann in den Frühbeeten und einem kleinen Plastikgewächshaus reihten sich Kistchen mit Ausgesätem aneinander. Die Pflanzen sind, nicht nur im biologischen Anbau, in Blatt-, Blüte-, Frucht- und Wurzelpflanzen eingeteilt, je nach dem Teil der Pflanze, der als Nahrung dient. Das Besondere beim biologischen Anbau ist, dass eben diese verschiedenen Pflanzen zu bestimmten Zeiten gesät, verpflanzt und geerntet werden müssen, wenn eben die Konstellationen der Sternzeichen für die Pflanzenart günstig sind. Das klang uns anfangs sehr nach Astrologie. Doch mit der Zeit merkten wir selber, dass da etwas dran war. Hatte Steiner damals die Grundlinien des bio-dynamischen Anbaus vielleicht aus Intuition heraus gelegt, so hatten sich seine Anhänger später daran gemacht, all das in Versuchen zu bestätigen oder noch zu verbessern. Klar, dass andere versuchten, diese Dinge zu widerlegen. Doch kamen auch sie zu dem Schluss, dass irgendein Zusammenhang zwischen den Konstellationen der Sterne und den Pflanzenarten bestehen muss. Am auffälligsten ist das an den sogenannten ‚Knotentagen‘, den Tagen, wo man nicht säen sollte, zum Beispiel im Zeichen des Skorpions. An diesen Tagen haben Wurzelgemüse die Neigung, sich in mehrere ‚Triebe‘ zu teilen. Man kann dagegenhalten, dass sich die günstigen Konstellationen ja wiederholen, und dass die Pflanze dann nachholen kann, was sie zu Anfang versäumt hat. Doch ist eine der Grundlagen des biologischen Anbaus, gesunde Pflanzen in gesunder, lebendiger Erde zu kultivieren und unter optimalen Bedingungen. Das heisst, alle möglichen gesundheitsfördernde oder kräftigende Mittel einzusetzen, wie zum Beispiel das Ausbringen verschiedener Präparate. Diese sind nicht mit Pflanzenschutzmitteln gleichzustellen, denn sie fördern nur die äußeren Bedingungen der Pflanzen, machen sie empfänglicher für die kosmischen und irdischen Kräfte. Oder man pflanzt in Mischkulturen, man bedeckt den Boden mit Stroh oder Ernteresten (Mulch), um ihn feucht und damit lebendiger zu halten. Nützlinge, wie Marienkäfer können eingesetzt oder zumindest durch Niststellen gefördert werden. Bisweilen werden sogar Bakterienkulturen gesprüht, die den Schädlingen an den Kragen gehen sollen, falls diese sich trotzdem breitmachten. Die Basis all dessen ist der Aussaatkalender von Maria Thun, der es auch einem Laien oder Nichtanthroposophen ermöglicht, den Grundlinien des ganzheitlichen Anbaues zu folgen.

Denn wie bei den Religionen gibt es auch im biologischen Anbau verschiedene ‚Glaubensrichtungen‘. Sehr früh schon machten sich Bauern unter Führung eines Hans Müller, der anfangs auch an biodynamischen Höfen gearbeitet hatte, in der Schweiz daran, diese Weise zu entmystifizieren, von allem Anthroposophischen oder Weltanschaulichen zu befreien, also zugänglich für Jedermann zu machen. Sie nannten diese Wirtschaftsweise den biologisch-organischen Anbau. Man kann sich vorstellen, dass dieses nicht ohne Hass und Intrigen vor sich ging und noch geht. Denn Ziel der Religionen wie auch des biologischen Anbaus sollte eine bessere Welt sein, nicht wer Recht oder die größte Zahl an Anhängern hat!

Grün ist das Leben

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