Читать книгу Grün ist das Leben - Wolfgang Bendick - Страница 7
Frühling
ОглавлениеDoch wir zwei waren fern von all diesen Wortspaltereien! Denn langsam ging die Feldarbeit los. Das Land, das den Winter über brachgelegen hatte, war von einem Teppich aus Gründünger (Senf, Rüben, Klee) oder Unkraut bedeckt. Ackerland sollte auch im Winter mit einem Pflanzenteppich bedeckt sein als Schutz gegen Kälte, zur Humusförderung, zur Düngung und um das Bodenleben zu erhalten. Irgendwie ist das ja auch logisch, denn jedes abgeerntete Feld oder Blumenbeet neigt dazu, sich so schnell wie möglich mit einer Pflanzenschicht zu bedecken. Fördert man dieses Bestreben nicht durch eine gezielte Saat, so machen sich Unkräuter breit, die oft schwer wieder zu entfernen sind!
Was aber ist ein Unkraut? Das ist gar nicht einfach zu erklären. Die beste Erklärung ist wohl die, dass es eine Pflanze ist, die da wächst, wo sie nicht sein soll. Demnach ist Gras im Blumenbeet ein Unkraut, auf einer Weide eine Nutzpflanze. Aber auch Unkräuter haben ihre Berechtigung. Der Mensch neigt zu sehr dazu, alles, was er momentan nicht als nützlich (oder vermarktbar) erkennt, zu vernichten. Doch dienen manche Kräuter auch zur Heilung eines kranken Bodens, führen diesem durch ihre tiefen Wurzeln wieder bestimmte Stoffe zu, die ihm fehlen. Oder zeigen eben einen Mangel oder auch Überschuss an bestimmten Elementen an. Ampfer und Brennnesseln sind Ausdruck von einem Überschuss an Stickstoff.
Wir gingen also diesem Pflanzenteppich, der zum Teil durch den Frost zerstört oder zumindest beeinflusst war, mit Hacken zu Leibe, um dann anschließend zu säen, oder besser noch, gleich Pflänzchen zu setzen, denn diese hatten einen Vorsprung gegenüber den auflaufenden (keimenden) Unkräutern. Oder der Bauer fuhr, wenn der Boden trocken genug war, mit der Fräse darüber, um die Pflanzenschicht leicht einzuarbeiten und den Boden zu lockern. Hierbei erwies sich eine zweite Passage nach ein paar Tagen als nützlich, um die frisch gekeimten Unkräuter zu zerstören. Tiefenbearbeitung des Bodens ist auf jeden Fall zu vermeiden, denn in den verschiedenen Tiefen des Ackers leben entsprechende Bodenorganismen, die man durch ein tiefgreifendes Umwenden behindert oder zerstört. Dieses erschien uns vollkommen logisch. Wir fragten uns, wie die Menschheit seit Jahrhunderten schon gegen diese Prinzipien verstößt, ohne sich dessen bewusst zu werden! In jedem Labor kann das nachgewiesen werden. Nur bei einer Verwandlung von Wiese in Ackerland ist dieses zulässig! Der Hauptgrund ist wohl der, dass man die Unkrautsamen so tief wie möglich vergraben will. Nur vergisst man, dass die meisten davon so langlebig sind, dass sie irgendwann doch wieder an die Oberfläche kommen und aktiv werden, wahrscheinlich schon beim nächsten Pflügen! Und dann greift man zur ‚chemische Keule‘, denn es geht ja nicht mehr anders…
Auch im Garten war zu tun. Waren die Beete die Aufgabe der Bäuerin und von Doris, so war es augenblicklich meine Sache, den Zaun zu erneuern. Ich hatte schon lange wegen eines Stückchens Land für einen Kräutergarten gefragt. Jetzt bekam ich dieses zugewiesen. Der Bauer wollte den Garten etwas vergrößern und bot mir den neu gewonnenen Streifen von zwei Metern Breite an. Nachdem der Maschendraht versetzt war, grub ich diesen erst mal um, um die Grasnarbe zu beseitigen. Das ist gar nicht so einfach, denn, wenn man ungenau arbeitet und Grashalme am Tageslicht bleiben, fangen diese wie wild an zu wachsen! Wichtig ist, dass man die erste Reihe der Spatenstiche an die Seite tut, damit die nächsten nicht umfallen. Ist man am Ende angelangt, legt man diese in der letzten Furche ab. Im Umgraben hatte Doris schon etwas Erfahrung, auch wenn dieses zu Hause meist die Mutter gemacht hatte. Schicht an Schicht legten sich bald die Erdstreifen schräg aneinander, das Gras nach unten. Je grösser das umgelegte Stück wurde, um so gleichmäßiger und vollkommener wurden die Reihen. Und gegen Ende machte sich in mir ein so großer Enthusiasmus breit, dass ich versuchte, die letzte Furche perfekt zu gestalten. Ich schaute auf die entkleidete Erde, nahm einen Klumpen davon in die Hand und roch daran. Der Duft der Erde. Mineralisch und organisch zugleich. Der Geruch meiner Kindheit, der Geruch des Lebens. Und nach derselben Struktur bin auch ich gemacht. Und ich spüre: auch die Erde hat Bewusstsein!
Mit dem Rechen strich ich zuerst die Anfangsreihen glatt, als letztes die vollkommenen, bis alles eine feine Krümchenschicht deckte. In die leicht gehackte und mit dem Rechen geglättete Erde pflanzten wir dann auf der einen Hälfte in der Natur ausgegrabene oder von meinem Heilpraktiker geschenkte Heilkräuter, unter anderem eine Pflanze von Cannabis Sativa. Wir sahen wirklich keinen Grund, warum diese Pflanze verboten war! Ist es doch eine der ältesten Kulturpflanzen, die den Menschen begleiten, seit er sesshaft geworden ist. Ebenso wie der Hund das älteste Haustier ist! Und vielleicht war auch etwas Provokation dabei, denn wir waren gespannt, wie der ‚Bulle‘ reagieren würde, der Bruder unseres Bauern! Um die Kräuter legten wir dann am Wegrand gemähtes grünes Gras als Mulch, um die Unkräuter fern zu halten. Neben jede Pflanze kam ein Schildchen mit dem deutschen und lateinischen Namen darauf. Die andere Hälfte bestellten wir mit Gemüsepflanzern. Dieser Garten diente uns dann als Versorgungsquelle für den Eigenbedarf und auch als Schaugarten für Leute, die wissen wollten, wie bestimmte Pflanzen aussehen.
Durch die Kunden, die zum Hof kamen, hatten wir viele neue Bekannte und Freunde kennen gelernt. Außerdem kamen laufend junge Leute vorbei, die mal mithelfen oder sogar längere Zeit bleiben wollten, um ein Praktikum zu absolvieren. Unser Bauer nutzte das oft, um uns klar zu machen, welch eine Vorrangstellung wir hätten! Auch öffnete in der Stadt der erste Bioladen. Doch gehörte dieser zu einer Kette, die täglich beliefert wurde und keine Produkte aus der Umgebung kaufte. Das machte unseren Bauer wütend, und auch zu Recht, denn es ist eines der Prinzipien des biologischen Landbaues, dass die Produkte nicht weiter als 50 Kilometer verkauft oder transportiert werden sollen, um die Umweltverschmutzung durch die kurzen Wege gering zu halten. Und es ist sicher auch eine Möglichkeit, besser den Ursprung der Waren kontrollieren zu können. Denn wo was zu verdienen ist, ist auch der Drang groß, Schmu zu machen!
Landes-, ja weltweit, herrschte gerade ein Bauboom für Atomreaktoren. Gab es doch schon genügend Atombomben, um die ganze Erde mehrmals zu zersprengen, so sollte jetzt noch die ‚zivile‘ Atomkraft dazu kommen! Auch ohne sehr militante ‚Bio-Freaks‘ zu sein, machte uns das eine Gänsehaut und wir schlossen uns denen an, die gegen diesen Wahnsinn waren. Damit wurden wir automatisch zu Feinden der Republik. Denn ‚ohne Atomstrom gehen in Deutschland die Lichter aus!‘, war der Wahlspruch der Atomlobby und der von ihr manipulierten Marionetten, die eigentlich das Unheil vom deutschen Volk abhalten sollten und zudem gelobt hatten, alles zu dessen Wohl tun! Gorleben, Brookdorf, Wackersdorf, Gundremmingen, Namen die nach Tränengas rochen und in uns unauslöschlich ein anderes Bild von unserem ‚Freund und Helfer‘ zurückließen. Zu Tausenden strömte man zu diesen Orten, um dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Auf friedliche, passive Weise. Wie Gandhi, dessen Lehre ein jeder von uns kannte, waren doch die meisten dieser Demonstranten Alt- oder Junghippies und viele schon in Indien gewesen! Wer ein Auto hatte, beklebte es mit einem Anti-Atom-Sticker. Wir klebten ihn auf unsere Fahrräder.
Leider gab es da noch eine andere ‚Anti-Szene‘ in Deutschland. Deren Vertreter ähnelten uns, aber nur äußerlich. Ansonsten waren sie zu brutalster Gewalt bereit. Es war eine politische Gruppierung, linksextrem ausgerichtet, sie nannte sich ‚Rote Armee Fraktion‘ (RAF) und wollten mit Gewalt den Staat umkrempeln. Mit Banküberfällen und Geiselnahmen verschafften sie sich das Geld, um Waffen zu besorgen und ihren Kampf im großen Stil durchzuführen. Sie sahen sich selber als eine kommunistische Stadtguerilla und schreckten weder vor Morden noch Attentaten zurück. Also weit entfernt von unserer Love-Peace-zurück-zur-Natur-Bewegung! Eins stand für uns fest: Diese Leute hatten nie einen Joint geraucht! Sonst würden sie die Sache anders angehen, wenn überhaupt…! Doch der Durchschnittspolizist hatte da schnell den Überblick verloren und hielt uns bestimmt für untergetauchte Mitglieder der RAF…
Der Bauer hielt uns anscheinend inzwischen für fähig, den ‚Landwirtschaftlichen Kursus‘ Rudolf Steiners zu verstehen, denn er gab uns sein Exemplar. Das wurde nun zu meiner Abendlektüre, denn tagsüber hat ein Bauer (oder ein Praktikant) keine Zeit zum Lesen. Das Werk bestand aus einer Sammlung von acht mitgeschriebenen Vorträgen, die Steiner nicht lange vor seinem Tod auf dem Gut des Grafen Keyserlingk vor einem Publikum, bestehend hauptsächlich aus Großgrundbesitzern, gehalten hatte. Der erste Vortrag handelt über die sonnennahen und sonnenfernen Planeten und deren Einflüsse. Der zweite beschäftigt sich mit der Polarität oben - unten, Sonne - Erde, kosmisch - irdisch. Im dritten geht es über Schwefel, Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff, die „fünf Brüder“, wie er sie nennt, und deren Wirkung auf die Wachstumskräfte. Der vierte behandelt die Herstellung von Hornmist- und Hornkieselpräparaten und deren Wirkung. Im fünften erklärt er die Herstellung der sechs Kompostpräparate aus Schafgarbe, Kamille, Brennnessel, Eichenrinde, Löwenzahn und Baldrian. Der sechste erklärt, wie man Unkräuter, tierische Schädlinge und Pflanzenkrankheiten eindämmen kann. Im siebten spricht er vom Baum und von der Rolle des Waldes. Der letzte Kursus, der achte, geht über das Gehirn, Gedanken und das Ich: das Hirn besteht aus irdischer Materie, die Gedanken aber sind kosmische Kräfte. Durch das Gehirn denkt das Ich des Menschen…
Das kam mir etwas vor wie damals im Aschram, wo der Mahatma uns mit ähnlich absolut klingenden Äußerungen überhäufte. Doch gab es hier keinen Schweigeeid und es wurde weder Geld noch sonst eine Gabe von mir gefordert, noch, dass ich vor einem Gott niederfalle. Nicht alles in der Natur ist erklärlich. Und eine Eigenheit des Menschen ist es, an Übernatürliches glauben zu wollen. Er hat so etwas wie Durst nach Unerklärlichem. Hätte ich das Buch gleich zu Anfang in die Hände bekommen, wäre ich wohl nicht über die erste Seite hinausgekommen und hätte es als Quatsch abgetan. Doch jetzt war der geistige Nährboden etwas vorbereitet. Ich las den Kursus mit immer mehr Interesse und manches wurde mir klarer. Was ich gut fand, war, dass hier alles in Zusammenhang gestellt wurde, die Erde, die Pflanzen, Tiere, Mensch und das Weltall. Und dass von dem ‚Ich‘ die Rede war! Nur gestand ich selber einem Tier den gleichen Ich-Wert zu wie mir. Für mich gab es keinen Unterschied in der Entwicklungsstufe. Ich wehrte mich dagegen, den Menschen als die ‚Krönung der Schöpfung‘ zu sehen, alles andere als weniger entwickelt! Ich machte es wie eine Kuh: langsam fraß ich mich durch, verdaute, käute wieder, schied vieles aus und merkte plötzlich, dass sich meine Sicht von der Landwirtschaft erweiterte.
Es wurde wärmer und trockener. Etwas vom Hof entfernt hatten die Bauern ein großes Erdbeerfeld. Wir wurden mit dem R4 hinausgefahren und der Bauer hielt uns eine lange Rede über die Wichtigkeit dieses Feldes, während wir zwei uns an das Saubermachen machten. Während wir die Hacken leicht unter die Bodenoberfläche führten, um den Unkräutern an ihrer vitalen Stelle zu Leibe zu rücken, impfte uns der Bauer ein, dass diese Erdbeeren die erste Geldeinnahme des Jahres sein würden, und dass wir auf keinen Fall davon naschen dürften! Kurz: wie im Garten Eden, ebenfalls mit Androhung von Paradiesverweis! Wir brauchten mit Hilfe der Bäuerin zwei volle Tage, um den Unkrautfilz zu entfernen. Dann streuten wir von Hand ein wenig Blut- und Hornmehl zwischen die Reihen, der Bauer regelte die Quickly-Fräse in der richtigen Breite, um nicht die Pflanzen zu beschädigen, und zeigte mir umständlich, wie ich damit den organischen Dünger, der ziemlich nach Kadaver roch, einarbeiten sollte. Diese Dünger seien die einzigen, die im biologischen Anbau zulässig seien, obwohl auch hier die Meinungen der verschiedenen Bauern auseinandergingen, war es doch Ziel dieser Wirtschaftsweise, durch Anwenden der eigenen Präparate auswärtigen Dünger überflüssig zu machen. Er selber brachte am nächsten Morgen mit der Rückenspritze noch das Horn-Kiesel-Präparat aus, um die kosmischen Einflüsse besser in den Blüten und Beeren zu fokussieren. Das Wachsen konnte beginnen! „Für das Horn-Kiesel-Präparat füllt man Kuhhörner mit einem Brei aus sehr fein zerstoßenem Quarz oder Bergkristall. Wenn diese Masse in den Hörnern getrocknet ist, verschließt man sie mit einem Lehmstopfen und gräbt sie ein, von Ostern bis zum Herbst, so 20 bis 60 Zentimeter tief. Nach dem Ausgraben nimmt man ein wenig von diesem ‚Präparat‘ und verrührt es eine Stunde lang mit einem Birkenreisigbesen in einem Holzfass mit Regen- oder Quellwasser. Man trägt diese Flüssigkeit mit der Rückenspritze auf Sprossen und Blätter auf, morgens nach Sonnenaufgang, in der Atmungsphase der Pflanze.“ „Und was soll das bringen?“, fragte ich. „Das Präparat konzentriert durch seine kristalline Struktur kosmische Kräfte in der Pflanze. Es fördert das Aroma und die Haltbarkeit der Früchte. Es wirkt ähnlich wie die Sonnenstrahlen.“ „Und was hat es mit dem Horn-Mist-Präparat auf sich?“, wollte ich wissen, da wir schon mal bei der Theorie waren. „Das Beste ist, erst mal das Horn der Kuh zu betrachten. Man kann es einerseits als Sinnesorgan für die Wahrnehmung von außen sehen. Aber das Horn hat zusammen mit den Klauen, auch die Funktion, aus dem Organismus strömende Kräfte wieder in diesen hinein zu leiten. Es ist in gewisser Weise auch ein Verdauungsorgan. Für das Horn-Mist-Präparat füllt man Kuhhörner mit frischem Dung, möglichst von trächtigen Kühen und gräbt sie von Michaeli (Herbst) bis Ostern ein. Hier im Boden empfängt der Mist die Kräfte der Erde, die sich darin konzentrieren können, weil durch die Form des Hornes die hindurchströmenden Kräfte wieder darin zurückgeleitet werden. Das Ergebnis ist eine bröselige, dunkle, wohlriechende Masse, die dann, mit viel Wasser verdünnt, nachmittags ausgebracht werden sollte, in der Ausatmungsphase der Pflanzen. Nicht aber gleichzeitig mit dem Kiesel-Präparat, sie könnten sich sonst aufheben! Horn-Mist fördert die Bodenfruchtbarkeit, ‚schiebt‘ quasi die Pflanze nach oben, während Hornkiesel sie in gewisser Weise nach oben ‚zieht‘.“ Puh, das war etwas ‚far-out‘! Ich musste es später nochmals im Landwirtschaftlichen Kursus nachlesen…