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Nebenjob

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Ich war beim Arbeitsamt vorstellig geworden. Diese wollten eine Kartei von mir anlegen, da ich hier erst seit kurzem gemeldet war. Das zog sich eine Weile hin. Immer wieder schickten sie Briefe und forderten Papiere, die ich nicht hatte. Eines Tages erhielt ich einen Brief, worin sie wissen wollten, wovon ich während der Jahre 1971 und 1972 (die Zeit meines Reisens) gelebt hätte. „In besagtem Zeitraum lebte ich weitgehend von Müesli und Fladenbroten. Wenn sie noch weitere Ratschläge für vegetarische Ernährungsweise brauchen, stehe ich ihnen gerne zur Verfügung!“ Darauf kam keine Post mehr, mein Dossier war wohl vollständig. Als ich wieder vorstellig wurde, teilte man mir mit, dass ich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Überbrückungshilfe hätte, da sich herausgestellt habe, dass ich Vermögen besäße. Ich war platt! Ich Antikapitalist und Vermögen! „Ich will von euch keine Beihilfe, ich will Arbeit! Und die könntet ihr mal langsam anfangen zu suchen!“ Vermögen! Das Wort ging mir nicht aus dem Kopf. Da erinnerte ich mich, dass vor langer Zeit mein Vater wollte, dass ich ihm ein paar Blätter Blanco unterschreibe. Die bräuchte er, um weniger Steuern zu zahlen oder so. Der wird schon wissen, was er macht, dachte ich und unterschrieb die Wische. Bestimmt hatte der Geld damit in meinem Namen angelegt! Ich schrieb ihm also einen Brief und forderte ihn auf, alles Geld, was er auf meinem Namen auf irgendwelchen Konten hatte, auf seine eigenen zu tun, da ich keine gute Geldanlage und außerdem ein Antikapitalist sei!

Bald schrieb das Arbeitsamt, dass es Arbeit für mich hatte: Ausfahrer in einer Bäckerei mit Konditorei und zugleich Hausmeister… Man sagte mir, es sei ein harter Job, früh um ½ 6 Uhr anfangen, zwei Stunden Mittagspause, dann weiter bis zum Abend. Dafür Dienstagnachmittag frei! Aber auch samstags bis 12 Uhr arbeiten! Doch dafür schien der Lohn sehr gut. An Arbeit war ich ja inzwischen gewöhnt! Ich fuhr also mit dem Fahrrad hin und stellte mich vor. Gegenüber der dort herrschenden Hektik glich der Bauernhof einem Altersheim! Der Chef raste mit mir durch die Backstube und erklärte mir in Kürze alles, dann durch das dazugehörende Lebensmittelgeschäft und das Café, welches hauptsächlich von seiner Mutter geführt wurde. Gegenüber lag der Friedhof und so war zeitweise Hochbetrieb. Ich sprach mit meinem Vorgänger, der es gar nicht erwarten konnte, endlich aufzuhören! Ein Jahr lang hatte er den Job gemacht. Keinen Tag länger! Bald würde er als Küster in der Aschbacher Kirche anfangen. Endlich Ruhe und Frieden! Ich sagte also dem Chef für eine ebenso lange Zeit zu. Arbeitsbeginn morgen früh!

Unser Bauer fiel aus allen Wolken! „Solange keine Arbeit da war, hast du dich ins warme Nest gesetzt, und jetzt, wo sie losgeht, haust du einfach ab! Das habe ich mir schon zu Anfang gedacht! Da kann ich ja gleich den Laden dichtmachen!“ Ich wies ihn darauf hin, dass es schon bei Beginn ausgemacht gewesen sei, dass einer von uns zum Arbeiten gehen würde, und außerdem sei Doris ja noch am Hof. Auch wäre da Peter, der gerne hier helfen würde. Das brachte ihn noch mehr auf die Palme. „Peter ist ein ‚Salonbauer‘, einer der lieber diskutiert als arbeitet. Der kann dich nie ersetzen!“ Und er ließ mich stehen. Ich war perplex. Plötzlich war ich unersetzbar!

Am nächsten Morgen weckte mich unser umgebauter Wecker schon vor der ‚5-ten Nachtstunde‘ mit einer Glockenspielmelodie auf. Da ich gegen das Geräusch von Weckern allergisch war, hatte ich die Glocke entfernt und durch eine Walze mit Stimmplättchen ersetzt, welche ‚Für Elise‘ spielte. Das war eine sanftere Art, vom Traum in die Realität zu gleiten! Doch verursachte diese Melodie bei mir bald den gleichen Effekt wie das Rasseln des Weckers und ich stand lieber fünf Minuten vorher auf! Es war ganz schön hart, am ersten ‚Arbeitstag‘ aus dem Bett zu kriechen! Bevor der Hahn aufwachte, radelte ich schon auf der kleinen, gewundenen Straße in Richtung Bäckerei. Ich begegnete niemanden.

Man erwartete mich schon. Der alte Fahrer war noch für zwei Tage da, um mich einzuweisen. Als ich in die Backstube trat, schlug mir eine Welle von Hitze, Licht und Hektik entgegen. Die frischen Semmeln wurden zu Dutzenden auf ihren Blechen aus den etagenförmig übereinanderliegenden Ofenlöchern gezogen, schnell mit einem nassen Besen überstrichen, dass es nur so zischte und knisterte, und in große, fast würfelförmige Kisten gekippt und sogleich wurden neue Bleche an ihre Stelle geschoben. Die zwei Bäcker standen in Bäckerhose und Unterhemd inmitten dieser Betriebsamkeit, die langen Holzstiele der ‚Schiesser‘, der Schaufeln, mit denen sie die Öfen bestückten, kreuzten sich in der hell erleuchteten Backstube und man musste beim Hindurchgehen öfters abtauchen, um nicht aufgespießt zu werden. Da kam gerade der Chef die kleine Treppe hinuntergehastet, griff mit Behändigkeit in die Arbeit ein, um das ganze Uhrwerk noch etwas zu beschleunigen. Ich warf einen Gruß in das Treiben hinein, der mit einem Kopfnicken quittiert wurde, zum Händegeben hatte niemand Zeit. Knisternd strahlten die Semmeln aus ihren korbähnlichen Kisten eine Hitzewelle bis draußen in den Hof, wo der offene VW-Kombi stand, worin der alte Fahrer nach und nach die Kisten verstaute.

Da hatte der Chef mich auch schon erblickt und kam auf mich zu gehetzt. „Guten Morgen! Nix wie gleich an die Arbeit, wir haben 10 Minuten Verspätung, ein Ofen wollte nicht angehen! Lassen sie sich alles von Ernst erklären, wir sehen uns am Mittag! Und schon war er an einem der Öfen und zog mit einer an der Seite angebrachten Eisenstange dessen flache, breite Tür auf. „Manfred, los, höchste Zeit, raus damit und neue rein!“ Von hinter den hohen Öfen zog der Bäcker eine Art Regal auf Rädern heraus, worin sich in etlichen Etagen Brötchen auf Backblechen befanden, diese aber noch bleich und aufgedunsen. Dort musste sich wohl so etwas wie eine Gärkammer befinden, in der die Brötchen aufgingen. Diese wanderten sofort in den geleerten Ofen. Auf einem langen Holztisch stand eine Waage, daneben lag ein großer, unförmiger Klumpen Hefeteig, den der andere Bäcker gerade aus dem kesselartigen Kübel der Knetmaschine, aus dem ein eigenartig geformter Arm ragte, herausgewuchtet hatte. Dieser wurde flink mittels eines großen Teigkratzers in mehrere Stücke geteilt, diese dann in längere Würste gerollt oder gezogen und mit dem Teigkratzer in kleine Stückchen geschnitten, von denen eines ab und zu auf der Waagschale landete, wohl um das Gewicht zu kontrollieren. Diese Stückchen flogen dann, in dem Maß, wie sie entstanden, zur Seite neben den Lehrling, der sie beidhändig zu Kügelchen rollte und auf einem der Backbleche ablegte. War das Blech voll, schnell mit einem kurzen Messer die Einschnitte in die straffe Oberfläche geritzt und in das Rollregal damit! Und das alles mit einer solchen Geschwindigkeit, dass ich den Kopf nicht so schnell drehen konnte, wie das alles ablief!

Zwischendrin hastete der alte Fahrer herum, mit einem Zettel zwischen den Lippen, auf dem wohl die Bestellungen standen, zog mich hinter sich her, und versuchte, mir zu erklären, was zu tun sei. Das war gar nicht so einfach, mit der Liste zwischen den Lippen und dem Lärm in der Backstube! Soviel ich mitbekam, mussten als erstes die Geschäfte beliefert werden. Der Supermarkt mit der nächsten Fahrt, dann verschiedene Betriebskantinen, Hotels und Gasthäuser. Und außerdem hatten wir 10 Minuten Verspätung! Meistens waren es runde Zahlen, 50er- weise. Doch musste alles mit Hand abgezählt werden. Das musste schnell gehen, alleine schon deshalb, weil man sich sonst die Finger verbrannte! Und auch, um Platz zu schaffen, denn die Semmelkisten fingen an, im Wege zu stehen. In jede abgezählte fertige Kiste musste noch der Lieferschein gelegt werden, diese dann im Auto an der richtigen Stelle abgestellt, manchmal in mehreren Lagen, gut verkeilt, dass sie nicht verrutschten oder umkippten. Denn meist wurden sie im Dunklen ausgeladen, vor die Türen gestellt oder in Eingänge, mit einem Blatt Papier darüber und dem Namen und der Anzahl und dem Lieferschein. Der Fahrer musste öfters seine Brille putzen, wenn er von draußen wieder reinkam, weil diese beschlug. Dann hatten wir endlich alles geladen und los gings! Nein, erst noch die Scheiben putzen, die auch alle angelaufen waren, trotz der Zwischenwand! Zwischen uns auf dem Sitz lag die Bestellliste, die auch die Lieferliste war. Für mich war die wichtig, denn ich war ja neu. Er kannte schon die Route, die fast immer gleich war, außer man hatte zu viel Verspätung und die am lautesten schimpfenden Kunden, oder die damit drohten, zur Konkurrenz zu gehen, mussten vorher beliefert werden! Um diese Zeit waren die Straßen noch frei und wie der Fahrer versicherte, riskierte man jetzt keine Polizeikontrolle. Wir donnerten über die noch gelb blinkenden Kreuzungen, holten alles aus dem Fahrzeug heraus, damit auch jede Hausfrau, jeder Arbeiter beim Metzler pünktlich seine frische Semmel hatte und nichts den geordneten Ablauf in deren Welt stören konnte!

Als wir wieder zurückkamen, dämmerte schon der Tag. Der Chef persönlich hatte schon die zweite Runde Semmeln vorbereitet und ließ uns wissen, dass das eigentlich nicht seine Sache sei, und dass wir ruhig ein bisschen mehr Gas geben könnten! Die Bäcker hatten die Semmelrunde anscheinend fertig und waren schon dabei, den Brotteig aus den Knetern zu zerren, abzuwiegen und von Hand nochmals zu kneten, indem sie den Teigklumpen immer wieder zusammenfalteten. Ich staunte, wie viele Knettechniken es gab! Jeder hatte eine Flasche Bier in Reichweite. „Nicht rumstehen, arbeiten!“, rief der Chef und rannte an die andere Ecke der Backstube, um einem der Bäcker zu helfen, den Ofen zu bestücken. Das wurde mit einem förderbandähnlichen Gestell gemacht, auf dem leicht diagonal Brot an Brot lag. Dieses Gestell wurde in den Schacht des Ofens geschoben, ein Hebel festgehalten und das Gestell schnell wieder zurückgezogen. Der ‚Teppich‘, der das Gestell umgab, rollte beim Hinausziehen ab und die zu backenden Brote kamen auf dem Ofenblech zu liegen. Herausgeholt wurden sie aber noch mit der langstieligen, dünnen Holzschaufel. Und schon rasten wir mit der letzten Ladung Semmeln davon. Das waren meistens Nachbestellungen der Geschäfte und diejenigen, die wir in 5-er Netze abgepackt hatten für den Supermarkt, der erst später öffnete.

Als wir zurückkamen, lagen die fertigen Brote glänzend in fahrbaren Regalen oder standen schon in den Kisten. Dieses Mal mussten wir nach der Bestellliste die Brote hochkant in die bei der zweiten Fahrt eingesammelten leeren Semmelkisten stellen. Die waren ganz schön heiß und schwer. Es gab dreierlei Brot: Roggen-, Weiß- und Mischbrot. Dieses am Aussehen zu erkennen, war eigentlich bald gelernt, schwierig wurde es, wenn das Mischbrot länger im Ofen geblieben war, als das Roggenbrot, oder wenn die Temperatur zu hoch gewesen war! Inzwischen machten sich die Bäcker an die Vorbereitung der Spezialbrote, die aber, wie ich bald herausfand, aus fertigen Mehlmischungen bestanden und somit schneller bereitet waren. Auch werkelte da eine neue Person an einem freien Platz am Backtisch herum. Man erklärte mir, das sei der Konditor, der seine Kuchen und Torten vorbereite…

Als wir von der nächsten Tour zurückkamen, war die Backstube leer. Der Fahrer führte mich seitlich der Backstube eine Treppe hinauf. Dort saßen sie alle beim Kaffee und Frühstück, auch die Mutter des Chefs. Sie war es, die allen das Frühstück vorbereitete. Jetzt war endlich etwas Luft und ich wurde allen vorgestellt und ich erfuhr die Namen der anderen. Als ich sagte, bei dieser Gelegenheit könne ich ja gleich meinen Einstand zahlen, wurde der Lehrjunge in den Laden geschickt, um für jeden eine Flasche Bier zu holen. Nur Rosi, die im Laden und im Café bediente, zog einen Cognac vor. So früh trinkt man doch kein Bier… Inzwischen hatte der Edeka-Lkw den Laden beliefert. Ich schob die Paletten-Wägelchen etwas an die Seite, um mit Ernst, dem scheidenden Fahrer, an den Kombi zu kommen und erneut zu laden. Die leeren Kartons und was sonst noch im Laden und im Café anfiel, müsste ich am Nachmittag entsorgen, klärte er mich auf. Diesmal luden wir nur noch wenig Semmeln und Brot, nur für die Nachbestellungen. Es waren hauptsächlich Torten und Kuchen und Gebäck für die Hotels zu liefern. Und da musste man durch die erst kürzlich geschaffene Fußgängerzone, was nur vor 9 Uhr und nach 12 Uhr möglich war. Manchmal wagte ich es später auch zu anderen Zeiten, doch das war riskant. Immer konnten die Polizisten ihre Augen nicht zudrücken… Das Problem der Torten war, dass sie es kühl liebten, die Semmeln und Brote aber Hitze ausstrahlten. Die Kuchen befanden sich in einem tragbaren Drahtrost, je zwei nebeneinander und mehrere übereinander. Diese Gestelle mussten irgendwie verkeilt werden, damit sie nicht ins Rutschen kamen. Und man musste schnell fahren, bevor sie schmolzen. Und sacht anfahren und nicht bremsen! Sanft durch die Kurven! Und dennoch geschah es, zum Glück nicht oft, dass ich auf die Bremsen treten musste. Das war nicht immer wegen der Konkurrenz, die noch schneller sein wollte. Und dann klatschte es manchmal an der Trennwand und die schönen Torten klebten daran fest. Dann hieß es, so schnell wie möglich zurück und neue holen, wenn überhaupt welche da waren. Eigenartigerweise bekam ich nie einen Rüffel, wenn das passierte! Dafür freuten sich am Mittag die Bio-Schweine des Bauern, wenn ich die Pampe aus dem Kombi rauskratzte und in ihren Trog warf. Ihnen war eine ‚Schwarzwälder‘ ebenso recht, wie eine ‚Käsesahne‘. Sacher-Torten bekamen sie selten, denn diese waren in ihrer Konsistenz solider. Wie ich mitbekam, profitierten die Bauern und Doris ebenfalls von diesem gelegentlichen Tortensalat. Bestimmt hatten sie jene Wundermittel, die es im Bioladen gab und mit denen man angeblich alle chemischen Produkte in den Lebensmitteln neutralisieren konnte, im Haus…

Es verging kaum ein Tag, den wir ohne 10 Minuten Verspätung begannen. Der Chef meinte, das läge am alten Backofen. Doch später, mit den zwei neuen, ging es auch nicht anders. Für mich war das mehr eine Taktik, um die Mannschaft auf Hochtouren zu halten…

Seit diesem Tag führte ich ein Doppelleben: Tagsüber in der Stadt und auf den Straßen, nachmittags manchmal etwas am Hof, denn meist hatte ich so gegen 4 Uhr Feierabend. Die Bäcker hörten schon mittags auf. Auch der Chef machte nachmittags seinen Mittagsschlaf, nur der Konditor arbeitete so bis drei, weil er die inzwischen weniger heißen Backöfen zum Backen seiner Böden und Nussecken und andere Spezialitäten benutzte. Bei Gebäck gab es nach einer Vollbremsung kein Schweinefutter. Die Überreste wurden zu ‚Granatsplittern‘ verwandelt, diesen mit schwarzer Schokolade überzogenen Kegeln, in denen man alles verschwinden lassen konnte. Die übrigen Semmeln wurden eingefroren und mussten herhalten, wenn mal ein unerwarteter Kaufwahn herrschte. Ansonsten wurde, anhand des Kalenders (hier aber kein Mondkalender!) gut vorausgeplant, wieviel man an besonderen Tagen von allem benötigen würde. Das grenzte für mich schier an Hellseherei, besonders, wenn Feiertage bevorstanden!

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