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Ägypter

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Die ägyptische Hochkultur kannte kein Stellenwertsystem, wie überlieferte Papyrusrollen belegen, das mathematische Aufgaben enthält. Leider existieren von den Papyrusrollen nur wenige Exemplare. Papyrus ist ein empfindliches Material; nur eine Handvoll Rollen überlebte die Jahrtausende. Die Themen waren zumeist praktischer Natur: Wie lässt sich eine Lohnsumme auf mehrere Arbeiter verteilen? Wie viel Getreide braucht man um so und so viel Laib Brot zu backen? Wie groß ist ein Feld mit bestimmten Abmessungen? Vermutlich wurden mit den Aufgabensammlungen Beamte geschult. Somit können sie als Vorläufer der Mathematik-Schulbücher gelten.

Die Ägypter waren versiert im Rechnen mit Brüchen. Der Grund dafür war möglicherweise, dass ihre Zahlenschreibweise so unpraktisch war. Um ohne Stellenwertsystem zwei größere Zahlen multiplizieren zu können, bedienten sie sich eines Tricks, der sie auf die Bruchrechnung gebracht haben könnte: Sie verdoppelten die eine und halbierten gleichzeitig die andere Zahl. Einen womöglich auftretenden Rest ließen sie dabei einfach unter den Tisch fallen. Dann zählten sie alle Verdopplungsergebnisse zusammen, bei denen die zugehörige Halbierung eine ungerade Zahl ergab.

Ein Beispiel: 19 mal 34.

Erster Schritt: 19 wird verdoppelt: 2 ⋅ 19 = 38

und

34 halbiert: 34 : 2 = 17.

Zweiter Schritt: 38 wird verdoppelt: 2 ∙ 38 = 76 und 17 halbiert: 17 : 2 = 8 (Rest 1).

Dritter Schritt: 76 wird verdoppelt: 2 ∙ 76 = 152 und 8 halbiert: 8 : 2 = 4.

Vierter Schritt: 152 wird verdoppelt: 2 ∙ 152 = 304, und 4 halbiert: 4 : 2 = 2.

Fünfter Schritt: 304 wird verdoppelt: 304 ∙ 2 = 608, und 2 halbiert:

2 : 2 = 1.

Nun werden alle – fett gedruckten – Verdopplungsergebnisse, die zu ungeraden Halbierungsresultaten gehören, addiert:

608 + 38 = 646 = 19 ∙ 34.

Wie die Methode funktioniert, zeigt folgende Rechnung:

19 ∙ 34 = 19 ∙ (32 + 2) = 19 ∙ 32 + 19 ∙ 2 = 608 + 38.

Um eine Zahl zu halbieren, muss man sie mit ein Halb multiplizieren. Das könnte für die Ägypter der Einstieg in die Bruchrechnung gewesen sein.

Der berühmte, fünfeinhalb Meter lange Papyrus Rhind, den der Schreiber Ahmes etwa 1650 v. Chr. verfasste, enthält eine Reihe von Bruchaufgaben. Ein Beispiel: »Eine Menge und ihr Viertel geben zusammen 15.« In moderne Mathematik übersetzt: . Löst

man die Gleichung nach x auf indem man sie mal 4 nimmt und durch 5 teilt ergibt sich x = 12.

Die Ägypter hantierten nicht mit allen Brüchen, sondern nur mit solchen, die heute Stammbrüche heißen: Brüche, bei denen im Zähler eine 1 steht. Für sie schrieben sie die Zahl im Nenner mit einem Zeichen darüber, das in etwa so aussah: <>.


Der Papyrus Rhind ist ein fünfeinhalb Meter langes Schriftstück aus dem alten Ägypten, das eine Sammlung von Rechenaufgaben birgt.

Zum Rechnen sind Stammbrüche zuweilen unhandlich. Eine Aufgabe aus dem Papyrus Rhind etwa lautet: »Teile drei Laib Brot unter fünf Menschen auf«. Aus heutiger Sicht ist die Lösung einfach: Jeder bekommt drei Fünftel eines Laibs. Ahmes dagegen schreibt: Jeder erhalte ein Drittel plus ein Fünftel plus ein Fünfzehntel eines Laibs. Die Menge Brot ist dieselbe, wie ein wenig Bruchrechnung belegt:

.

Wollten die Ägypter einen Stammbruch verdoppeln, mussten sie das Ergebnis erst wieder in einen Stammbruch verwandeln. Zweimal ein Siebtel war bei ihnen nicht einfach zwei Siebtel, sondern ein Viertel plus ein Achtundzwanzigstel, denn .

Am Anfang des Papyrus Rhind findet sich eine Tabelle, der man die Zerlegungen von Doppelten eines Stammbruchs in Summen von Stammbrüchen entnehmen kann. Brüche mit einer anderen Zahl als 1 im Zähler kannten die Ägypter nur einzelne wie etwa 2/3. Bei den babylonischen Keilschriften entdeckten Wissenschaftler hingegen eine ganze Menge von Brüchen, die keine Stammbrüche sind: Sie wurden mit speziellen Symbolen geschrieben.

Neben der Bruchrechnung stehen im Papyrus Rhind zahlreiche Aufgaben, die man heute wohl als Denksport bezeichnen würde. Häufig sind sie nach modernen Vorstellungen etwas seltsam formuliert und nicht sofort verständlich. Problem 28 der Schrift etwa lautet:

»Zwei Drittel sollen hinzugefügt werden.

Ein Drittel soll abgezogen werden.

10 bleiben übrig.

Nimm davon ein Zehntel; daraus wird 1.

Der Rest ist 9.

Zwei Drittel davon, nämlich 6, sollen hinzugefügt werden.

Die Summe ist 15.

Ein Drittel davon ist 5.

Siehe da: 5 geht weg; Rest 10.

So macht man das.«

Vermutlich handelt es sich dabei um einen Vorläufer eines Denk-direine-Zahl-Rätsels: Denk dir eine Zahl aus und addiere zwei Drittel der Zahl zu ihr hinzu. Von dieser Summe ziehe ein Drittel ab. Wenn dann 10 herauskommt, so lautet die Zahl, die du dir ausgedacht hast, 9. So weit die Übersetzung der ersten Hälfte des Textes. Die zweite Hälfte ist die Probe: Zwei Drittel von 9 sind 6. Zusammengezählt mit der ursprünglichen Zahl ergibt sich 15. Davon ein Drittel, also 5, abgezogen erhält man 10. So macht man es. Oder wie ein moderner Mathematiker sagen würde: »Quod erat demonstrandum« – was zu beweisen war.

Nicht nur mit Zahlen, auch in der Geometrie waren die Ägypter bewandert. Ein Grund dafür war der Nil, der bekanntlich einmal im Jahr alle Felder überschwemmte und mit fruchtbarem Schlamm überzog. Der Nachteil dabei: Der Strom riss viele Grenzmarkierungen mit sich, sodass hinterher niemand mehr wusste, wem welches Stück Land gehörte. Die Pharaonen beschäftigten Landvermesser, die die Markierungen wiederherstellten und die Fläche von Parzellen in Rechtecke und Dreiecke unterteilten, deren Flächeninhalte sie berechneten.

Der griechische Historiker Herodot (484–425 v. Chr.) schrieb dazu: Der König Sesostris hat »das Land auch unter allen Bewohnern aufgeteilt – so erzählt man – und jedem ein gleich großes viereckiges Stück gegeben. Die jährliche Abgabe, die er davon erhob, bildete seine Einkünfte. Riss aber der Strom von einem Ackerstück etwas weg, dann ging sein Besitzer zum König und meldete dies. Der sandte Leute hin, die untersuchen und ausmessen sollten, wie viel kleiner die Fläche geworden war, damit der Besitzer die ursprünglich auferlegte Abgabe nur im Verhältnis zum Rest zu bezahlen brauchte. Mir scheint, dass hierbei die Kunst der Landvermessung erfunden wurde, die dann nach Griechenland kam.«

Eine kurze Geschichte der Mathematik

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