Читать книгу Eine Insel in 650m Höhe - Wolfgang Cremer - Страница 10
Die Erkundung
ОглавлениеWährend das Kanu auf der Wiese vor der Hütte trocknete setzte ich mich auf meine Terrasse und überlegte mir die nächsten Schritte. Zu verführerisch war es einfach hier zu bleiben und auf Hilfe zu warten. Meine Vorräte würden keinesfalls lange halten und ob ich überhaupt fähig sein sollte mich von der Jagd zu ernähren war sehr fraglich. Ich musste es einfach versuchen und auch wenn ich ein Risiko eingehen musste war es das immer wert. Auf meiner Probefahrt glaubte ich erheblich schneller zu fahren als ein Wanderer gehen würde. Nun war aber nicht die Geschwindigkeit sondern die Ausdauer gefragt. Wenn man dazu noch Wellengang, Strömung und vielleicht auch noch eine Fahrt gegen den Wind berücksichtigte, würden trotzdem noch 3km in der Stunde machbar sein. Ich wollte von morgens bis abends durchpaddeln, aber durfte natürlich nicht eine Muskelzerrung in Kauf nehmen. Also waren rund 25km je Tag machbar. Wenn ich aber nach vielleicht 6 Tagen und rund 150km immer noch keine Ansiedlung mit Menschen gefunden haben, was dann? Ich holte diverse Lebensmittel aus der Hütte und legte mir 12 Pakete zurecht. Also in 6 Tagen setzte ich mir die Grenze der Umkehr. Würde ich bis dahin keine Hilfe finden, dann brauchte ich alle Energie um zurück zu kommen. Dann blieb es mir nicht anders übrig, als mein Überleben hier so lange zu versuchen bis mich Hilfe erreichte. Diese Vorstellung erfüllte mich mit einer Angst die ich bislang noch nicht kennen gelernt hatte. Zwar bot die Hütte eine perfekte Unterkunft, aber wehe meine Lebensmittel sind zu Ende oder ich würde eine Krankheit bekommen. Diese Angst war jetzt stärker als die Angst vor dem bevorstehenden Trip. Ich packte den Rucksack und musste ja nun noch zusätzlich das zusammengefaltete Kanu, die Pumpe und die Paddel schleppen. Dieses Verstauen aller Teile erforderten einen großen Zeitaufwand, aber dann hatte ich endlich eine Möglichkeit gefunden von der ich glaubte, dass ein mehrstündiger Marsch realisierbar war. Die Nacht verbrachte ich sehr unruhig und stand mit dem ersten Vogelgesang bereits auf und frühstückte sehr reichlich. Dann legte ich alle Teile an und ging noch im diffusen Licht des Sonnenaufgangs los.
Mit einem wehmütigen Blick nahm ich Abschied von diesem kleinen Paradies und hoffte, der Besitzer würde mir nicht allzu Böse sein und in Anbetracht der schwierigen Lage die Beschädigungen und den Diebstahl verzeihen. Vielleicht würde ich ja irgendwann wiederkommen. Nein, nicht vielleicht sondern ganz sicher würde ich noch einmal zu diesem kleinen Paradies kommen und an diese Zeit denken. Als ich am LKW vorbeiging dachte ich wieder über den Fahrer nach der hier sein Grab gefunden hatte. Langsam aber dafür ohne größere Pause ging ich die Straße in der linken Richtung dorthin von wo ich vor einigen Tagen total frustriert hergekommen war. Diese Richtung war die kürzere wie ich in Erinnerung hatte. Das Wetter war heute nicht mehr so schön wie gestern. Es war bedeckt und der auffrischende Wind wurde von mir als kühl empfunden. Hauptsache es regnete nicht und hoffentlich erzeugte der Wind nicht zu hohen Wellen. Es war Nachmittag als ich die See erreichte und nachdem ich das Kanu aufgepumpt hatte schaffte ich es so gerade noch, dass Zelt aufzubauen und es mir bequem zu machen. Nun gut, es ist vielleicht nicht schlecht den nächsten Tag ausgeruht und fit zu beginnen. Auch diese Nacht verbrachte ich sehr unruhig. Immer wieder fragte ich mich, was mich wohl am nächsten Tag alles erwartet und wo ich wohl die nächste Nacht verbringen würde. Gegen Morgen schlief ich dann doch endlich ein und verpennte dann natürlich auch den Sonnenaufgang. Ungehalten verzichtete ich Angesichts des Zeitverlustes auf die Morgenwäsche und auf ein Frühstück.
Ich packte das Kanu und es ging los. Glücklicherweise hatte das Wetter sich gebessert und die Wolken lockerten auf. Eine Zeit ruderte ich wohl oberhalb der Straße und die Bäume rechts und links wurden immer kleiner je tiefer das Wasser wurde. Schließlich war ich auf freiem Wasser und freute mich über den geringen Wellengang. Ich ruderte gerade aus bis ich etwa 70m von den Bäumen weg bin. Wie befürchtet rechts und links soweit ich sehen kann nur Wald der ins Wasser übergeht. Nach vorne Wasser bis zum Horizont. Ich entschied mich für die linke Seite von der Straße aus gesehen. Ich paddele los und versuche einen kräftigen aber gleichmäßigen Schlag durchzuziehen und das Kanu auf gerade Fahrt zu halten. Der Kompass pendelt immer in Richtung Westen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und bringt eine wohlige Wärme. Von Zeit zu Zeit mache ich eine kleine Pause und betrachte das Ufer und den Horizont ausgiebig durch das Fernglas. Das Paddeln hier auf der See ist schon etwas anderes als meine Versuchsfahrten auf dem Weiher. Ich habe natürlich in diesem Abstand zum Ufer nicht die gleichen Anhalts Werte über mein Fortkommen aber ich merke bereits nach einigen Stunden das sich Arme und Schulter versteifen. Etwas geruhsamer lasse ich es angehen und versuche mich nicht zu übernehmen. Irgendwann glaubte ich dann einen Rhythmus gefunden zu haben der das Fortkommen und die Belastung in einem erträglichen Maße in Einklang hält.
Das Ufer macht oft Einbuchtungen die aber bislang nicht so groß waren. Aber jetzt zeigt sich eine Bucht die sich weit und tief dahin zieht. Wenn ich gerade auf die Spitze zuhalten würde hätte ich bestimmt eine Stunde Zeit eingespart. Der Nachteil an dieser Aktion wäre aber, dass ich an der weitesten Stelle bestimmt 1km vom Ufer weg wäre. Wenn sich dann der Wind stark auffrischen würde, hätte ich ein großes Problem. Die Uferentfernung wäre dann wie auf dem offenen Meer und der Wind würde vielleicht das Kanu seitlich packen und mich weiter zurücktreiben als ich mit stärkstem Paddeln je zurückfahren kann. Andererseits könnte ich diese Spitze noch vor der Dunkelheit erreichen. Nach längerem Überlegen gehe ich das Risiko ein. Ich nehme die Spitze ins Visier und paddle los. Gleichmäßig und ohne die Spitze aus dem Auge zu lassen versuche ich alle Bedenken zu ignorieren. Irgendwann muss ich mir eine Verschnaufpause gönnen und blicke mich um. Ich blicke nach vorn und wieder zurück. Verdammt, die Strecke ist erheblich länger als angenommen. Ich bin irreweit vom Ufer entfernt und habe lange noch nicht die Mitte erreicht. Dabei hatte ich gehofft bereits dreiviertel der Strecke geschafft zu haben. Ich bin umso mehr erschrocken weil ich gleichzeitig feststelle, dass sich der Tag schon dem Ende neigen will. Mühsam zwinge ich mich ruhig und gleichmäßig zu paddeln und nicht in Panik zu verfallen. Ein Muskelkrampf hätte fatale Folgen. Es dämmert bereits als ich feststelle, dass ich die Himmelsrichtung dauerhaft geändert habe. Die Sonne geht an anderer Stelle unter und die Kompassnadel pendelt sich auf Osten ein. Ich schaue durch mein Fernglas. Bis zum Horizont nur Wasser, aber irgendwie scheint voraus eine felsige Grenze zu sein. Die Wolkendecke öffnet sich ganz und die Sonne erhält das ganze Gebiet noch einmal. Ich beschließe bis zur Dämmerung durchzufahren und lasse den Punkt an dem ich glaube Felsen zu sehen nicht aus den Augen. Ich hatte Recht, es ist wirklich Felsen.
Nicht sehr hoch aber höher als die Bäume. Die Dämmerung ist bereits weit fortgeschritten als ich das Kanu in die aus dem Wasser reichenden Baumspitzen steuere. Ich binde das Kanu mit der Schnur an einer Baumspitze fest und nehme mir den Rest meiner Tagesportion aus dem Rucksack. Noch ehe ich mit dem Essen fertig bin, ist es dunkel. Glücklicherweise steht der Mond bereits hoch und taucht diese Landschaft in ein merkwürdiges Licht. Umständlich steige ich in meinen Schlafsack und schlafe augenblicklich vor Erschöpfung ein. Traumlos und ohne Aufzuwachen schlafe ich durch bis zum Morgen. Die aufgehende Sonne taucht diese ungewöhnliche Landschaft in ein weiches Rot. Beim Kauen einer Schinkenscheibe blicke ich auf die Felserhöhung. Da muss ich hin. Das lange Paddeln gestern ist nicht ohne Auswirkung geblieben. Es ist zwar nicht unbedingt sehr schmerzhaft aber dennoch sehr unangenehm. Ich binde das Kanu los und fahre vorsichtig zwischen den nun immer höher aus dem Wasser stehenden Bäumen. Dann setze ich auf und der Boden vor mir ist eine feste Landmasse. Ich steige aus dem Kanu und bin total verspannt. Mühevoll versuche ich meine Glieder zu bewegen und nach einer Zeit bessert sich die Beweglichkeit, so dass ich losgehen kann. Schon nach wenigen Minuten bin ich auf dem Fels und kurz darauf über den Baumspitzen. Ungläubig schaue ich mich um. Wasser von drei Seiten. Das bedeutet, dass ich die falsche Richtung gewählt habe. Ich bis also definitiv auf einer Halbinsel und zwar am äußeren Ende. Entfernt habe ich mich also von der Hilfe anstatt darauf zuzugehen. Aber woran hätte ich es erkennen können. Nun ist es also zu spät und ich darf keine Zeit verlieren. Fast hastig gehe ich zurück zum Kanu und arbeite mich wieder auf das freie Wasser zurück. Das Paddeln ging nicht so gut wie gestern aber immerhin besser als ich befürchtet hatte. Die Kompassnadel zeigte noch eine Weile nach Osten um sich dann in Richtung Norden einzupendeln. Nun war ich also auf dem Rückweg. Nach vielleicht einer Stunde frischte der Wind auf und erfreulicherweise genau von hinten. Immer wieder suchte ich sowohl das Ufer als auch den Horizont rundherum mit dem Fernglas ab. Es war inzwischen überwiegend blauer Himmel und die einzelnen Wolken waren sehr hell. Es war mir bereits gestern aufgefallen, dass ich bisher kein einziges Flugzeug gesehen hatte. Kein Kondensstreifen und kein Blitzen in der Sonne. Das konnte natürlich daran liegen, dass ich mich hier außerhalb der Flugstraßen befand und ich verschwendete weiter keinen Gedanken daran. Dann war das eben so und nicht zu ändern. Es mochte Mittag sein als ich durch Zufall am Ufer etwas durch die Bäume blitzen sah. Ich nahm das Fernglas zur Hand, konnte aber nichts entdecken. Nadelbäume standen sehr dicht und die kurze Strecke bis sie im Wasser verschwanden ließ auf eine recht steile Stelle schließen. Als ich das Fernglas schon ablegen wollte, sah ich es wieder. Sofort lenkte ich ein und fuhr auf diese Stelle zu. Natürlich nicht ohne immer wieder mit dem Fernglas zu schauen. Dennoch war ich bereits in den ersten Baumkronen als ich den Durchgang sah. Da kam also der Lichtblitz her. Wenn der Wind die Äste weit genug auseinander drückte, schien die Sonne kurz dadurch. Ich steuerte das Kanu durch die inzwischen vielleicht bis zu drei Meter hohen Baumkronen als sich unvermittelt eine größere Stelle öffnete.
Wie eine Bucht reichte das Wasser in einem Halbkreis von vielleicht 150m bis auf eine Lichtung die früher wohl mal eine Wiese gewesen war. 5 Rehe und diverse Hasen schauten verwundert auf diesen Eindringling bevor sie in Fluchtgeschwindigkeit in den angrenzenden Laubwald verschwanden. Ein wunderschönes Stück Landschaft lag vor mir wie an einem Naturstrand fiel die Wiese ins Wasser ab. Die Breite der Lagune schätzte ich auf etwa 50m und die Wiese hatte bestimmt auch eine Tiefe von mehr als 80 Meter. Ich legte an und versuchte an Land meine Gelenke und Muskeln wieder in Schwung zu bringen. Lächelnd dachte ich an die Indianerfilme die ich als Kind gesehen hatte, wo nach vielen Stunden Kanufahrt die Kämpfer aus ihren Booten sprangen und leichtfüßig die tollsten Kämpfe ausstanden. Jetzt wusste ich dass das schier unmöglich war. Wer nach einigen Stunden aus einem Kanu steigt ist in seinem Bewegungsablauf in den Bewegungsabläufen wie ein alter Mann.
Ich sah mir die Wiese etwas genauer an, konnte aber nichts Besonderes finden was auf einen früheren Besuch von Menschen hingedeutet hätte. Ich gönnte mir ein Mittagsmahl und eine kurze Pause die ich mit langsamen Gehen und Lockerungsübungen verbrachte. Ich ging die Wiese einmal rundherum und wunderte mich über den schmalen Kanal der mit Meerwasser gefüllt im Gestrüpp des Waldes verschwand. Sicher war das auch eine der Scharten die bei genügender Tiefe das Meerwasser mitführten. Wieweit mochte dieser Kanal in den Wald hineinreichen? Ich ging eine ganze Zeit an ihm entlang und er blieb so bei einer Breite von einem bis anderthalb Meter. An manchen Stellen halt was mehr oder weniger. Mit einem Ast von etwa 2m Länge konnte ich so gerade den Boden treffen. Ob sich das lohnen würde dem einmal nachzugehen und zu erfahren wo und wie das ganze denn endete. Ich kam zu dem Schluss, dass ich jetzt schon über eine halbe Stunde an diesem Kanal verplempert hatte und sah keinen direkten Erfolg darin. Also ging ich wieder zurück, packte alles zusammen und dann fuhr ich aus der Lagune heraus und nahm meine Fahrt wieder auf. Diese riesige Lagune war tatsächlich nicht vom Meer einzusehen, so sehr ich mich auch bemühte den Eingang nochmals zu entdecken. Das Wetter blieb gut und ich kam recht gut voran. Allerdings begannen meine Arme und Muskeln sich wieder eindrucksvoll zu melden und rieten mir zu einer längeren Pause. Am Ufer wechselte die Landschaft nun ständig. Nadelwald, Laubwald und Wiesenbereiche boten ein abwechslungsreiches Bild und ließen auch die Geschwindigkeit sicherlich höher erscheinen als sie eigentlich war. Es war bereits später Nachmittag als ich die Straße sah. Ich fuhr hin und legte an. Nichts hatte sich verändert in den Tagen seit ich hier war.
Ich baute mein Zelt auf und richtete mein Nachtlager ein. Am liebsten hätte ich mich sofort hingelegt, zwang mich aber zu einer warmen Mahlzeit. Hier gab es in dem kleinen Bach genügend Wasser um meine Vorräte aufzufüllen und eine Suppe herzustellen. Voller Hoffnung war ich bis zu dieser Stelle gekommen und ich konnte mich noch gut an die Strapazen und Schmerzen meines Fußes erinnern. Diesem hatte die ruhige Zeit an der Hütte und jetzt im Kanu sehr gut getan. Doch wie ging es jetzt weiter. Wo würde ich morgen Abend sein, wo die nächste Nacht verbringen? Erschöpft stieg ich in meinen Schlafsack und hatte wieder eine traumlose Nacht die erst durch das laute Vogelgezwitscher beendet wurde. Voller Erwartung der heutigen Ereignisse die mich erwarten würden verstaute ich meine Habe in das Kanu und fuhr nach einem kurzen Frühstück ab mit ungewissem Ziel. Die Sonne scheint und es wird ein schöner warmer Tag. Weit rechts am Horizont ist ein dunkler Streifen der mit Sicherheit Land bedeutet. Aber diese weite Strecke völlig frei würde ich mich nie im Leben trauen. Nicht in einem Kanu und was anderes habe ich nicht. Klar den Angelkahn am Weiher. Aber der ist erstens so schwer, dass es sicher unmöglich ist ihn hier zu Wasser zu bringen und zum zweiten wäre er wohl auch nicht für diese große Strecke geeignet. Ich will nicht mit dem Schicksal hadern sondern konzentriere mich wieder auf meine jetzige Fahrt. Der Kompass wandert ständig hin und her, aber ich glaube, dass er zunehmend die Richtung nach Süden einschlägt.
Eine Stunde später bin ich sicher, die Richtung hat gewechselt und es geht nach Süden. Der Landstrich ist nun hinter mir und verschwindet langsam. Nach rechts ist weit und breit nur Wasser auszumachen. Doch gerade vor mir habe ich den Eindruck ist ein neuer dunkler Streifen am Horizont. Viel kleiner als der auf der anderen Seite, aber er ist da. Nach einiger Zeit habe ich den Eindruck der Streifen wandert zur rechten Seite ab und ich starre auf den Kompass. Ich hoffe auf eine Täuschung und starre verzweifelt auf die tänzelnde Nadel die ständig in Bewegung ist. Dennoch bin ich nach einer weiteren Stunde sicher. Es geht wieder nach Westen. Schlagartig wird mir die Bedeutung dieser Tatsache bewusst. Ich bin nicht auf einer Halbinsel sondern ich bin einsam und verlassen sowie völlig auf mich alleine gestellt auf einer Insel. Eine Insel die meinen Berechnungen etwa 10km breit und 25km lang ist. Ein riesiges Gebiet sicherlich fast alles Wald und ohne Zweifel ohne Menschen. Ich lebe mit den Tieren dieses Waldes alleine in diesem Gebiet. Die Tränen kann ich nicht mehr unterdrücken. Zu groß ist die Enttäuschung und die Furcht vor der Zukunft. Wie soll ich überleben, wie diese Insel verlassen. Bin ich nun wirklich gezwungen das Risiko einzugehen und auf diese Landstriche am Horizont zuzuhalten. Ich erachte dies als nahezu unmöglich. Es gab bisher keinen Tag ohne Wind auf dieser Insel. Daher könnte ich auch nicht darauf hoffen eine solche Überfahrt ohne Wind zu schaffen. Der Wind jedoch, dass hatte ich bereits festgestellt, war der größte Feind für das Kanu. Wenn er seitlich kam, bot das an den Seiten sehr weit hochgezogene Boot eine zu große Angriffsfläche. Da konnte man paddeln wie man wollte. Der Druck des Windes war stärker und das das Kanu keinen Kiel hatte, gab es einfach kein halten. Der Wind drückte das Kanu seitlich unaufhörlich weg. Ich hätte nicht die geringste Chance mein Ziel zu erreichen und würde ohne eine vernünftige Navigation hoffnungslos verloren sein.
Es ist keine Option denke ich und paddle verzweifelt weiter. Die Dämmerung setzt schon ein als das andere Ende der Straße in mein Sichtfeld kommt. Fast wäre ich auch noch vorbeigefahren. Das hätte jetzt auch noch in meinem Unglück gefehlt. Meine Verzweiflung steigert meine Wut und ich paddle wie wild zwischen die jetzt aus dem Wasser kommenden Baumspitzen durch. Dann ist die Straße da und ich laufe mit voller Geschwindigkeit auf den Teer auf. Dieses schabende Geräusch bringt mich zu den Tatsachen zurück. Ich Idiot, was mache ich da. Reicht das Problem mit der Insel noch nicht, muss ich auch noch das gute Boot zerstören. Ich steige aus und nachdem ich das Boot entladen habe drehe ich es zur Seite um mir den Schaden anzusehen. Ein Glück das der Besitzer viel Geld ausgegeben hat und eine so gute Qualität kaufte. Der Unterboden war lediglich angekratzt und hatte keine großen Schäden verursacht. Ich baute schnell mein Zelt auf und nahm widerwillig etwas Essbares zu mir. Morgen würde ich wieder in der Hütte sein und würde dann überlegen was nun zu tun wäre. Obwohl ich sterbensmüde und unglaublich erschöpft war konnte ich nicht einschlafen. Tausende Gedanken gingen mir durch den Kopf und ich fand keinerlei Lösung auf alle meine Fragen. Eine Insel, einsam und verlassen auf einer menschenleeren Insel. Immer wieder kam dieser Gedanke und ich konnte mich nicht davon entfernen. Wie auch, mein Leben hängt davon ab. Hatte ich hier überhaupt eine Chance zu überleben. Das für und wider jagte immer aufs Neue durch meinen Kopf und schließlich erbarmte sich der Geist und schickte mich in einen tiefen Schlaf.
Als ich erwachte stand die Sonne bereits hoch. Es mochte vielleicht schon 10:00 Uhr sein und ich dachte böse darüber nach was es denn auch wohl ausmachte. Wen interessiert es wohl, wie lange ich in diesem kleinen Zelt schlafe. Ich stehe auf und beschäftige mich sehr unlustig mit der Morgentoilette. Dann frühstücke ich ohne großen Appetit und packe dann erst einmal das Kanu zusammen. Ich lade mir alles auf und beginne meine Wanderung zur einigen Zufluchtsstelle die ich habe. Die ich Gott sei Dank habe. Wirklich mein Gott wie danke ich dir für die Entdeckung dieses kleinen Paradieses. Ich stoße mit dem Fuß gegen eine hochstehende Wurzel und ein wilder Schmerz durchzuckt mich. Sofort lasse ich mich zu Boden gleiten und entlaste den Fuß. Das ist ja ein toller Beginn. Ich schnalle mir den Rucksack und das Kanupaket ab und überlege ob ich den Schuh ausziehen soll. Von früheren Wanderungen kenne ich die Situation mit Verstauchungen nur zu gut. Nein, keinesfalls ausziehen sondern ganz langsam und ohne große Belastung auftreten. Es schmerzt aber es geht mit jedem Meter besser. Noch mal Schwein gehabt, ich darf auf keinen Fall unaufmerksam werden. Es ist völlig egal wie lange ich an Zeit benötige, keiner wird auf mich warten. Aber jede Verletzung ist ein Drama. Nicht vorstellbar wenn ich mir ein Bein breche oder gar einen Oberschenkelhalsbruch erleiden würde. Das wäre dann mein Todesurteil.
Also packe ich mir wieder alles auf und gehe langsam und den Blick starr und aufmerksam nach unten gerichtet voran. Der Gedanke an eine Verletzung bereitet mir unglaubliche Angst. Mit aller Kraft versuche ich mich auf etwas anderes zu konzentrieren ohne jedoch meinen Weg aus den Augen zu verlieren. Nach vielleicht einer Stunde höre ich dieses verfluchte Grollen wieder und die Erde beginnt zu zittern. Augenblicklich sinke ich zu Boden und halte die Luft an. Doch noch bevor ich in Panik geraten kann, ist es wieder vorbei. Ich bleibe am Boden und ruhe mich etwas aus. Als nach einer Viertelstunde die Erde immer noch ruhig ist, stehe ich auf und gehe weiter. Unter anderen Umständen wäre ich jetzt begeistert. Die Sonnenstrahlen lassen den Laubwald wunderschön erscheinen. Die Vögel singen allesamt die tollsten Lieder und hier und da ist Wild zu sehen. Vom Hasen bis zum Reh zeigt sich eine große Anzahl dieser Tiere auf der Insel. Auch wenn ich zur Zeit nicht die geringste Ahnung habe wie ich ein solches Geschöpf töten, ausweiden und essen soll, gibt die Situation mir trotzdem ein kleines Stück Hoffnung. Ruhig und besonnen muss ich darüber nachdenken, was nun für mein Überleben in der Wildnis am Wichtigsten ist. Eine Prioritätenliste für das Überleben werde ich erstellen, nüchtern und sachgerecht planen und durchführen. Kein Wenn und Aber, keine Anstrengung zu groß, keine Entbehrung zu viel und kein Ekel zu extrem. Ja, rede ich mir ein, so ist es zu schaffen.
Es ist später Nachmittag als ich wieder am LKW ankomme. Wie ein Fremdkörper steht er da. Irgendwann wird die Natur die Straße und den LKW überwuchert und verschlungen haben. Richtig, einen Friedhof mit einem männlichen Toten habe ich ja auch schon. Verdammt was für Gedanken. Ich mustere den LKW kurz und erkenne keinerlei Veränderungen. Logisch, wer sollte auch hier etwas verändern. Ich gehe weiter und suche die rechte Straßenseite nach dem Feldweg zur Hütte ab. Ich müsste ihn doch längst erreicht haben und dennoch ist nichts zu erkennen. Doch da ist meine Markierung auf der Straße und ich atme durch.
Wenn ich die Markierung nicht gelegt hätte, wäre ich glatt daran vorbei gegangen. Ich mache die Markierung nochmals deutlicher und biege auf den fast nicht sichtbaren Weg ab. Klar, das Gras ist gewachsen und da längere Zeit hier keine Autoreifen mehr ihr Profil eingegraben haben beginnt die Natur bereits ihr Werk der Übernahme. Und das schein ihr sehr gut zu gelingen. Ich konzentriere mich auf den Weg und bin fast sicher, dass wenn ich jetzt zum ersten Male hier gehen würde, ich den Weg nicht mehr erkennen könne. Ich musste also unbedingt diesen Weg kenntlich machen, wie sollte mich sonst jemand finden wenn es überhaupt jemanden geben würde der hier auf dieser verlassenen Waldinsel jemanden suchen würde. Da war die Biegung und dann lag es vor mir.