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Scheinbare Widersprüche im Plattenbewegungs-Muster
ОглавлениеLaurasia: Solange das plattentektonischen Konzept noch jung war, wurde immer wieder Kritik an ihm geäußert, weil das Plattenbewegungs-Muster vor allem in zwei Bereichen angeblich widersprüchlich ist. Ein vielfach vorgebrachtes Problem betrifft die schlechte Abgrenzung der Eurasischen von der Nordamerikanischen Platte im Osten Sibiriens. Tatsächlich scheinen Eurasische und Nordamerikanische Platte eher einer einzigen Riesenplatte anzugehören (Abb. 1.2). Entlang der in den meisten Darstellungen gezeigten Grenze zwischen diesen Platten in Nordost-Asien finden nur geringe Relativbewegungen in Gebirgszonen statt (Abb. 2.17). Diese Bewegungen stellen eher Intraplatten-Tektonik dar, als dass sie eine Plattengrenze markieren. Der nördliche Mittelatlantische Rücken zieht sich durch das Polarmeer mit Spreizungsraten unter 1,5 cm/Jahr. Im Bereich des Werchojansk-Gebirges in Ostsibirien treten sowohl leichte Dehnungs- als auch Einengungsbewegungen auf. In dieser Region liegt vermutlich der Rotationspol für die arktische Spreizungszone. Die Dehnungsbewegung von etwa 2 cm/Jahr im nördlichen Atlantik südlich von Island wird durch die Bewegungen in Sibirien nicht kompensiert. Dieser Widerspruch ist aber nur ein scheinbarer. Wenn man eine Mütze über den Kopf zieht, dehnt sie sich rundum. Eine ähnliche Bewegung kann insgesamt die Laurasische Platte durchführen und somit einen Riss auf der einen Seite bekommen, ohne dass diese Dehnungserscheinung an anderer Stelle auf dieser Platte kompensiert wird. Als Laurasische Platte bezeichnen wir die Großplatte, die aus dem Großteil von Eurasien und Laurentia (= Nordamerika; der Name stammt von der Latinisierung des Sankt-Lorenz-Stroms) besteht. Es ist wahrscheinlich sinnvoller, eine Laurasische Platte zu definieren, anstatt das Problem der unklaren Plattengrenze in Nordost-Asien im Raum stehen zu lassen. Die Laurasische Platte unterteilt sich demnach in die Eurasische und die Nordamerikanische Teilplatte (Abb. 2.17).
Herdflächenlösungen von Erdbeben
Die Raumlage der Bewegungsflächen an Plattengrenzen kann mit Hilfe von Erdbeben bestimmt werden. Wird ein Erdbeben an einer Störungsfläche ausgelöst, dann verschieben sich die beiden Blöcke entlang der Fläche ruckartig um maximal einige Meter. Dabei entstehen die seismischen Primärwellen, die in der Fortpflanzungsrichtung, also longitudinal schwingen. Sie sind schneller als die transversal schwingenden Sekundärwellen. Vom Erdbebenherd gehen beim Erdstoß in jenen beiden Quadranten, die in der Bewegungsrichtung jedes Blocks liegen, die Primärwellen in der Weise weg, dass ein Beobachter auf der Erdoberfläche zuerst einen Stoß erhält: Die Welle setzt mit einer kompressiven Bewegung ein (kompressiver Einsatz; Abb. 2.14). In den beiden anderen Quadranten ist es umgekehrt, der Einsatz ist ein Zug, er ist dilatativ. Dies wird vom Seismographen registriert.
Trägt man alle seismischen Daten eines Bebens, die rund um die Erde registriert werden, in ein Diagramm ein, kann man die Quadranten und die beiden trennenden Ebenen in ihrer Raumlage bestimmen. Eine dieser Ebenen ist die Bebenfläche (Abb. 2.14), die Hilfsfläche hat in der Natur keine Bedeutung. Welche der beiden die Bebenfläche ist, kann man vorerst nicht entscheiden. Dies kann aber oft aus den geologischen Beobachtungen geklärt werden, weil die Bruchfläche in ihrer ungefähren Lage bekannt ist. Zum anderen gibt die jedem großen Beben folgende Nachbebentätigkeit bei sorgfältiger Auswertung die Möglichkeit, die Fläche zu identifizieren, weil sich die Herde verlagern. Ist die Bebenfläche bekannt, dann ergibt sich auch ihr Bewegungssinn (Abb. 2.15). Die Bewegungsrichtung in der Bebenfläche verläuft senkrecht zur Hilfsfläche. Ein ähnliches Verfahren kann auch mit den Sekundärwellen durchgeführt werden. Mit dieser Methode, die Herdflächenlösung genannt wird, sind die Lage der Bebenfläche und die Bewegungsrichtung mit großer Genauigkeit bestimmbar. Herdflächenlösungen erlauben die genaue Rekonstruktion von Plattengrenzen und deren Bewegungsmustern (Abb. 2.16). Die Auswertung von Erdbeben-Einsätzen in der Frühzeit der Plattentektonik hat das Konzept der drei Arten von Plattengrenzen überzeugend bestätigt [Sykes 1967].
Abb. 2.14: Prinzip der Herdflächenlösung eines Erdbebenherdes. Die Bebenfläche steht senkrecht zur Papierebene. Die Bebenfläche und eine senkrecht dazu gedachte Hilfsfläche definieren vier Quadranten. Die Einsätze der in der Fortpflanzungsrichtung schwingenden Primärwellen, deren Schwingungen sich in vertikalen Bodenbewegungen ausdrücken, lassen auf den Bewegungssinn der an der Bebenfläche versetzten Gesteinsschollen schließen. Die Seismogramme unterscheiden je zwei Quadranten mit kompressivem und dilatativem Einsatz.
Abb. 2.15: Zweideutigkeit der Herdflächenlösungen am Beispiel eines Überschiebungsbebens. Darstellung in einem schematischen Vertikalschnitt.
Abb. 2.16: Beispiele für Herdflächenlösungen aktueller Erdbeben an den drei unterschiedlichen Arten von Plattengrenzen. Dargestellt sind die Quadranten der Einsätze der Erdbebenwellen in stereographischer Projektion (untere Kugelhälfte) für ein Beben an einer Subduktionszone (a: Peru), an einem Mittelozeanischen Rücken (b: Atlantik) und an einer Transformstörung (c: Nordanatolische Störung). Schwarz: Quadranten mit kompressivem Einsatz. Die Erdbebendaten stammen aus dem Internet-Katalog des National Earthquake Information Center (US Geological Survey).
Abb. 2.17: Verlauf der Plattengrenze zwischen der Eurasischen und der Nordamerikanischen Teilplatte durch den Arktischen Ozean. Beide Teilplatten bilden zusammen die Laurasische Platte, die zwar vom Atlantik her aufreißt, aber dennoch den gesamten arktischen Raum als eine Einheit umfasst.
Abb. 2.18: Schematischer West-Ost-Schnitt durch den Oberen Mantel (dieser reicht bis in 660 km Tiefe) zwischen Pazifischem und Indischem Ozean [Anderson & Dziewonski 1984]. Heiße Anomalien (rot) zeigen aufsteigende Mantelströme an und äußern sich an der Erdoberfläche in Mittelozeanischen Rücken. Kühle, absteigende Mantelströme (blau) sind durch hohe Geschwindigkeiten seismischer Wellen gekennzeichnet.
Afrika: Ein weiteres Problem wurde vielfach in der Afrikanischen Platte gesehen. Diese Platte ist an drei Seiten, im Westen, Süden und Osten von Mittelozeanischen Rücken umgeben (Abb. 1.5), die Platte wächst also an diesen drei Seiten seit längerer Zeit. Wenn man die Mittelozeanischen Rücken als ortsfest betrachtet, weil sie von aufsteigenden Strömen im Erdmantel gespeist werden, dann ergibt sich natürlich ein Raumproblem. In den Anfängen der Plattentektonik ging man tatsächlich von senkrecht aufsteigenden Konvektionsästen aus, die unter den Rücken ortsfest sind. Inzwischen weiß man, dass die Konvektionsströme im Mantel äußerst kompliziert verlaufen und die heißen aufsteigenden und kühlen absteigenden Strömungs äste oft schräg oder gewunden sind. Dies wurde durch die Technik der seismischen Tomographie möglich (siehe Exkurs). Es ist sogar denkbar, dass Mittelozeanische Rücken von horizontalen Strömen gespeist werden, die entlang einer Schwächezone Magma nach oben abgeben. Die Situation rund um die Afrikanische Platte besagt also nur, dass die Mittelozeanischen Rücken nicht alle durch Konvektionsströme gespeist werden können, die unter ihnen vertikal aufsteigen. Es ist klar, dass der Mittelatlantische und der nordwestliche Indisch-Australische (oder Indische) Rücken voneinander weg wandern. Die GPS-Daten (Abb. 2.13) legen nahe, dass sich der Mittelatlantische Rücken sehr langsam ostwärts verlagert, da die ostgerichtete Komponente der Afrikanischen Platte etwas größer ist als die westgerichtete der Südamerikanischen. Daraus folgt, dass der Indische Rücken schneller nach Osten wandern muss, und zwar mit einigen Zentimetern pro Jahr. Die seismische Tomographie bestätigt dies: Unter dem Mittelatlantischen Rücken steigt eine heiße Zone im Oberen Mantel steil ostwärts geneigt auf, unter dem Indischen Rücken ist ebenfalls eine ostwärts aufsteigende heiße Zone nachgewiesen, deren Neigung allerdings viel stärker ist (Abb. 2.18). Im Übrigen hat sich Afrika über längere Zeiträume der jüngeren Erdgeschichte in seiner Lage nur wenig verändert.
Seismische Tomographie
Die Methode der seismischen Tomographie beruht darauf, dass mit Hilfe einer großen Anzahl von seismischen Wellen im dreidimensionalen Raum des Erdmantels festgestellt wird, ob eine bestimmte Zone des Mantels etwas heißer oder etwas kühler ist als ihre Umgebung [Anderson & Dziewonski 1984]. Dabei werden jeweils Laufzeiten von Wellen verglichen, die zwar unterschiedliche Wege zurücklegen, aber alle einen räumlich eng umgrenzten Bereich im Mantel durchlaufen. Durch Vergleich der Laufzeiten kann geschlossen werden, ob die Wellen in dem betrachteten Bereich die erwartete Geschwindigkeit aufweisen oder beschleunigt oder verzögert werden. Ist das Gestein heißer, dann werden die seismischen Wellen, deren Geschwindigkeiten in Kilometern pro Sekunde gemessen werden, verzögert, ist es kühler, werden sie beschleunigt (Abb. 2.19). Es können dabei unterschiedliche Wellentypen herangezogen werden.
Die Unterschiede in den Geschwindigkeiten variieren, je nach Wellentyp, um einige zehntel bis zu maximal drei Prozent. Kühlere Mantelregionen können mit absteigenden Strömen korreliert werden, heißere mit aufsteigenden. Auf diese Weise erhält man ein dreidimensionales Bild des Strömungsmusters des Erdmantels. Die Untersuchungen zeigen, dass dieses Strömungsmuster äußerst kompliziert ist (Abb. 2.20). Allerdings lassen sich dort, wo lang anhaltende Subduktion ge herrscht hat (unter Amerika, dem Alpen-Himalaya-Gürtel und dem westlichen Pazifik), kalte, schräg abtauchende Bereiche bis in die Tiefen des Unteren Mantels (Abb. 2.21) und sogar bis an die Kern Mantel-Grenze verfolgen (Abb. 2.22). Obwohl Subduktionszonen seismisch nur im Oberen Mantel (bis etwa 660 km Tiefe) nachgewiesen werden können, induzieren die kalten, abtauchenden Platten wieder kalte Ströme im Unteren Mantel. Die subduzierten Platten werden zwar gr0ßteils schon im Oberen Mantel resorbiert, doch sind andere Teile sehr beständig und können wegen ihres hohen spezifischen Gewichts die Grenze zum festeren Unteren Mantel, die eine Barriere darstellt, durchbrechen. Das Durchdringen des Unteren Mantels erfolgt mit weit geringeren Geschwindigkeiten: Unter Südamerika wurden Sinkraten von 1 – 1,5 cm/Jahr errechnet [Grand et al. 1997]. Durch den hohen Widerstand des Unteren Mantels werden die Reste der subduzierten Platte gestaucht und deformiert (Abb. 2.22).
Abb. 2.19: Prinzip der seismischen Tomographie. Temperaturanomalien im Erdmantel bewirken Erhöhungen bzw. Erniedrigungen der Laufzeiten seismischer Wellen. Aus einer Vielzahl von Laufzeitmessungen können heiße bzw. kühle Körper im dreidimensionalen Raum relativ genau lokalisiert werden.
Abb. 2.20: Dreidimensionale Darstellung der Ergebnisse der seismischen Tomographie im Erdmantel (https://igppweb.ucsd.edu/~shearer/mahi/SEDI/main/images/Tomo_earth.jpg).
Abb. 2.21: Abweichungen der Geschwindigkeiten der seismischen Primärwellen vom Normalwert in je einem Horizontalschnitt durch den Oberen Mantel in 350 km Tiefe [Anderson & Dziewonski 1984] und im Unteren Mantel in 1350 km Tiefe [Grand et al. 1997]. Rote Bereiche markieren heißere, aufsteigende Zonen, blaue Bereiche kühlere, absteigende.
Unter den Mittelozeanischen Rücken lassen sich hingegen keine heißen Strömungsäste in die Tiefe verfolgen, da die Rücken nur von den höheren Teilen des Oberen Mantels gespeist werden. In 350 km Tiefe unter dem Ostpazifischen Rücken ist die Temperaturverteilung unregelmäßig und für die Tiefenlage nicht sehr hoch (Abb. 2.21 oben). Unter dem äquatorialen Mittelatlantischen Rücken und dem östlichen Indischen Rücken ist sie sogar ausgesprochen niedrig. Einzelne Heiße Flecken sind mit der seismischen Tomographie schwer nachzuweisen, da die relativ dünnen, fingerartigen heißen Ausstülpungen mit dieser Methode schwer zu erfassen sind.
Abb. 2.22: Profil durch den Erdmantel unter Nordamerika mit Ergebnissen der seismischen Tomographie [Grand et al. 1997]. Der schräg nach Osten abtauchende kühle Bereich (blau) wird als Überrest subduzierter ozeanischer Lithosphäre der Farallonplatte interpretiert, die über einen Zeitraum von etwa 100 Millionen Jahren unter die Nordamerikanische Platte subduziert wurde.