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4. Die Finanzmacht interveniert in den Staat

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Bruch und Wende in der herrschenden Politik und Ideologie waren nicht von den verschreckten Menschen ausgegangen, sondern diese hatten sich vorderhand um ihre Regierungen geschart, die es darauf anlegten, aus dem Krisenmanagement hegemonialen Honig zu saugen. Sieht man von der im Nachhinein wie eine Fata Morgana wirkenden Mobilisierungsphase des Wahlkampfes von Barack Obama von 2008 ab, dessen Sieg als »Eroberung des Winterpalastes in moderner und US-amerikanischer Version« (Caño 2008) gefeiert worden ist – wir kommen darauf im 8. Kapitel zurück –, so hatte die notgetriebene Wandlung der neoliberalen Regierungen vom Saulus zum Paulus sich als passive Revolution vollzogen. Eine ›Revolution‹ war es, weil die regierende Rechte in einer abrupten Wende der von links geforderten Rückkehr zum Staatseingriff ins ökonomische Geschehen nachkam. Passiv war sie im doppelten Sinn. Die arbeitende Bevölkerung wurde mit paternalistischen Gesten, die ins Steuergeld gingen, stillgestellt, ihr Zorn wurde mit populistischer Rhetorik aufs Stereotyp des gierigen Bankers abgelenkt. Dies war die eine Seite. Den mit Steuergeldern geretteten Banken gegenüber jedoch blieb es, was die im Gegenzug durchzusetzenden sozialen Ansprüche anging, bei Worten. Indem ihre Verluste mit öffentlichen Mitteln verstaatlicht worden waren, hätten ja eigentlich die Banken selbst unter öffentliche Kontrolle kommen müssen. Stattdessen wurden sie staatlicher Nichteinmischung versichert. In der Sache einer Umorientierung des Kreditwesens im öffentlichen Interesse blieben die Regierungen passiv. Jede fürchtete, regulatorische Aktivität würde in der allgemeinen Standortkonkurrenz zur Abwanderung profitabler Finanz-Geschäftszweige führen. Denn die G 20 hatten ihren Schwur vom September 2009 in Pittsburgh, in koordinierter Aktion finanzregulatorisch aktiv zu werden, gebrochen.20 Erst recht taten sie nichts gegen die Ungleichgewichte im Welthandel. Die allgemeine Konkurrenz dominierte ihr Verhalten. Der ökonomische Ausnahmezustand hatte nicht dazu geführt, die nationale Konkurrenz in weltwirtschaftlicher Perspektive auszusetzen.21

20 »The Pittsburgh announcement could go down in history as the beginning of the G-20’s journey toward sheer irrelevance […]. Reform of financial systems has proceeded unilaterally, not cooperatively.« (Brown/González/Zedillo 2011)

21 »It should have been obvious at the outset that the largest contributors to the global macroeconomic imbalances – such as the United States, China and Germany – would try all along the way to influence the process in order to minimize their respective share of correcting those imbalances which are standing in the way of sustained growth.« (Brown/González/Zedillo 2011)

Diese Passivität in den entscheidenden strategischen Fragen war es, was den Prozess ins Gegenteil umschlagen ließ. Der Staat rettete die Banken. Damit rettete er die Finanzmärkte. Aber er rettete sie auf die paradoxe Weise, sich bei diesen zu verschulden. »Im Effekt verschob sich die Hauptlast der Krise von den Banken auf die Staatsschulden.« (Harvey 2011, 262) Letztere machten einen »Quantensprung« durch.22 War die Krise eine des privaten Kreditwesens, so wurde sie wiederum durch Kredit nicht gelöst, sondern auf die dieses rettende öffentliche Hand verschoben. In der Folge machte sich der Zeitsinn der Bankenrettung durch Staatsverschuldung geltend, momentanen Frieden mit dem vorgezogenen Konsum künftiger Ressourcen und um den Preis künftiger Konflikte zu erkaufen. Die Zukunft der Nöte und der diesen entspringenden Konflikte begann schon am folgenden geschichtlichen Tag. Die »Märkte« wurden zum Pseudonym einer »dunklen Macht«23, von der man mit einem Wort Wilhelm Liebknechts, einem der marxistischen Gründungsväter der Sozialdemokratie, sagen kann, dass sie die Staaten an der Schlinge der Schuldknechtschaft führten. Dabei hatte sich die Staatsverschuldung seit Liebknechts Zeiten vervielfacht, so dass selbst »kleine Zuwächse im Zinssatz […] fiskalisches Unheil« anzurichten vermögen (Streeck 2011, 22). Was immer ein Staat in dieser Lage tun würde, er würde es ›im Griff der Märkte‹ tun, die ihn aufs Signal der Rating-Agenturen hin mit Zinserhöhungen vor sich hertrieben.

22 »The quantum leap in public indebtedness after 2008, which completely undid whatever fiscal consolidation might have been achieved in the preceding decade, reflected the fact that no democratic state dared to impose on its society another economic crisis of the dimension of the Great Depression of the 1930s, as punishment for the excesses of a deregulated financial sector.« (Streeck 2011, 20)

23 »Vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten haben ›die Märkte‹ als eine dunkle Weltmacht agiert, die übers Schicksal des Ganzen entscheidet.« (Carrillo 2011b)

Dieser Passivität, die zum Leidensweg nicht nur der auf den Sozialstaat Angewiesenen, sondern der großen Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder werden sollte, lag die Parteilichkeit für die Aktiva zugrunde, die als ungeheurer Überbau über der Wirtschaft lasteten – als Buchvermögen an fiktivem Kapital, das am Vorabend der Lehman-Pleite eine Gruppe ehemals führender Politiker aufs »Fünfzehnfache des Bruttoinlandprodukts aller Länder« geschätzt hatte (Delors/Santer 19.5.2008; vgl. Kap. 4). Solange dieser Alp aus kapitalisierten Zahlungsansprüchen auf der Ökonomie lastete, würde kein Ende der Krise in Sicht kommen (Rogoff 2011). Zurückhaltenden Schätzungen aus dem Anlage-Management der Deutschen Bank zufolge hatte im Jahrzehnt vor der Großen Krise allein der US-Finanzsektor »etwa 1,2 Billionen ›Exzess‹-Gewinne im Verhältnis zum nominellen Brutto-Inlandsprodukt gemacht«, die »ausgelöscht« (wiped out) gehörten, damit die Ökonomie wieder Boden fände (Reid 2008). Solange nichts von alledem politisch planmäßig herbeigeführt würde, bliebe der Schrumpfungsprozess katastrophischen Verlaufsformen überlassen.

Hightech-Kapitalismus in der großen Krise

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