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Von der Gastfreude

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Als die „Fremden“ kamen, räumten meine Eltern manchmal sogar ihr Schlafzimmer. Das war nicht so ungewöhnlich damals in den 70er-Jahren, als der Tourismus noch Fremdenverkehr hieß. Ein zartes Nebenerwerbspflänzchen mehr für die knappen Haushaltskassen einiger Höfe im Unteren Bayerischen Wald. „Urlaub auf dem Bauernhof“ lautete das Zauberwort. Familienanschluss und Vollpension inklusive. Vor allem in den Sommermonaten und um Weihnachten war unsere Stube voll mit unterschiedlichsten Leuten: von der Keramiker-Auszubildenden bis zum Theologiestudenten, vom trinkfesten Skatspieler bis zum asketischen Wandersmann, von der Ärztin, die die größte Freude daran hatte, bei der Heuernte zu schwitzen, bis zum Rentner, der noch einmal die alte Heimat sehen wollte. Und mittendrin meine Mutter, die von morgens bis abends rackerte und nichts unversucht ließ, allen ein offenes Ohr und für die Dauer des Aufenthalts ein Stück Heimat zu schenken. Den meisten hat es gefallen, sie kamen immer wieder; manche wurden zu Freunden.

Für uns Kinder – zumindest diejenigen, die noch zu klein waren, um mithelfen zu müssen – war es das Paradies: Wir machten mit gleichaltrigen Spielkameraden die Gegend unsicher, prahlten mit unseren Bulldog-Fahrkünsten, lauschten interessanten Geschichten und hatten relativ schnell auch heraus, wie man unangenehmen Zeitgenossen aus dem Weg geht. Von ersten zarten Banden, die im Teeniealter zwischen Urlaubermädchen und Bayerwaldbuben geknüpft wurden, ganz zu schweigen. Vermutlich lag es an der Abhärtung durch den Gästebetrieb, dass meine Eltern später klaglos ertrugen, dass sich in unserem Haus oft die Jugend der ganzen Region traf. Reden, lachen, am Lagerfeuer träumen, an Motorrädern basteln, Musik hören, Bier trinken, in die Sterne schauen. Bis zum Morgengrauen, wenn schließlich die Melkmaschine und der Gesang der Vögel den Beginn eines neuen Tages ankündigten. Schön war das.

Von den einstigen Urlauberhöfen sind nicht viele übriggeblieben. Die Vorstellungen der Gäste haben sich grundlegend verändert. Von jungen, unbekümmerten Couchsurfern abgesehen, würde heute kein Mensch mehr in einem umfunktionierten Elternschlafzimmer übernachten wollen. Auch wir haben die Gästezimmer längst aufgegeben. Geblieben sind die offenen Türen, das offene Haus. Es vergeht fast kein Wochenende, an dem nicht eines der Kinder mit Freunden am Lagerfeuer sitzt. Gastschüler aus vielen Ecken der Welt lernen bei uns das Landleben kennen. Der Tisch im Esszimmer kann oft nicht groß genug sein. „Die Gastfreundschaft vergesst nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt“ (Hebr 13,2), heißt es in der Bibel. Und selbst wenn es nicht immer Engel sind, die man beherbergt, ist die Gastfreundschaft vor allem auch für den Gastgeber ein Geschenk. Gäste bringen Frische, bringen Leben ins Haus. Sie helfen, damit wir nicht in Gewohnheit erschlaffen und mit neuen Sichtweisen weiter wachsen. Und sie ermöglichen uns, sie zu überraschen, ihnen eine Freude zu machen. Kurz: Gäste machen den Alltag reicher. Nur mein Schlafzimmer, das möchte ich nicht hergeben.

Zwischen Gras und Wolken

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