Читать книгу Zwischen Gras und Wolken - Wolfgang Krinninger - Страница 6

Erdiges Glück

Оглавление

Meistens wusste ich nicht einmal, wie sie heißen. Sieglinde, Linda, Selma, Satina – völlig egal. Ich hasste sie. Da konnten andere noch so sehr von ihrer Form, ihrer Haut, ihren inneren Werten schwärmen. Ich bekam eine Gänsehaut, wenn ich mir vorstellte, ich müsste sie anfassen. Tat ich es dann doch, weil ich musste, trug ich Handschuhe und wusch mir alle halbe Stunde angeekelt die Hände. Selbst als sie am Ende im Keller lagen, hatte ich kein Mitleid. Sollten sie in diesem Loch ruhig verschrumpeln und Wurzeln schlagen, ich fasste sie nicht mehr an. Meine Mutter war da anders. Sie mochte sie alle. Sie holte aus Sieglinde und ihren Freundinnen alles heraus. Seitdem weiß ich: Nur eine gare Kartoffel ist eine gute Kartoffel.

Vergangenheitsschwärmer werden jetzt mahnend mit dem Zeigefinger fuchteln. Es war doch so schön: Der Zusammenhalt unter den Nachbarn beim Erdäpfel setzen und ernten, der Ratsch auf dem Acker, die Zufriedenheit nach vollendetem Tagwerk, die Freude, wenn sich die Kisten auf dem Anhänger mit riesigen Knollen füllten. Verklärung, nichts als Verklärung! In Wirklichkeit trippelte man, verfolgt von Mäusen, mit schreienden Bandscheiben und Dreck unter den Nägeln durch nimmer enden wollende Ackerfurchen. Vom händischen Massenmord an den Kartoffelkäfern will ich gar nicht erst reden. Nicht mit mir: Es lebe der Fortschritt, ein Hoch auf Vollernter, Insektizid und Tiefkühl-Pommes. Meine Hände gehören mir – und sie bleiben sauber. Alles klar?

Und dann passierte es. Keine Ahnung, was in mich gefahren war. Auf jeden Fall stehe ich eines schönen Nachmittags barfuß in unserem zwei Quadratmeter großen Kartoffelbeet. Selbst unsere Hühner können den Anblick nicht fassen und recken aufmerksam die Hälse. Ob sie es erkennen? Ich stehe in diesem Augenblick wie der Landlord persönlich inmitten von zwei Quadratmetern erdiger Glückseligkeit. Mit Sonne im Gesicht, Schweiß auf der Haut und krummem Rücken. Es ist nichts mehr da von der alten Feindschaft. Ich weiß immer noch nicht, ob sie nun Sieglinde heißen oder Agria, Aula oder Sante. Aber ich kann sie anfassen, ganz ohne Groll und Grausen. Als nächstes würde ich die Erdäpfel im Granitbrunnen auswaschen. Und dann sofort ein paar von ihnen in hauchdünne Scheiben schneiden und in einem feinen Öl braten. Eine ganz einfache Sache. Ein Fest. Und im Winter nehm’ ich mir den Pflug vor. Der Rost muss runter. Kein Beet, ein Acker muss es künftig sein.

Zwischen Gras und Wolken

Подняться наверх