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Eine Mäuseliebe mit Komplikationen

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„Anna, beeil dich mit dem Umziehen. Wir müssen uns ans Mittagessen machen, damit es rechtzeitig fertig wird“, rief Annas Mutter hinüber zu ihrer Tochter, die sich gerade anschickte, ihr Sonntagskleidchen gegen eine bequemere Hose und ein Shirt zu tauschen.

„Sofort, liebe Mama!“ Ein kühner Sprung und Anna steckte in beiden Hosenbeinen. „Was steht denn heute auf dem Küchenplan?“

„Ich dachte an etwas Leichtes, was den Magen nicht so belastet. Was hältst du von leichten Sommersalaten an. … äh, mit gerösteten Brotcroutons als Vorspeise?“

„Hmmm, klingt gut. Bitte mehr von den Brotcroutons für mich, die mag ich sehr. Und danach?“

„Als Hauptgang vielleicht etwas gerösteter Schinken mit einer würzigen Gemüse-Ratatouille. Was meinst du?“

„Perfekt, Mama. Auf provenzalische Art bitte!“

„Und als Nachspeise frische Erdbeeren …“ „Wow!“ „… in Honigsoße mit Mandelsplittern. Na, wie klingt das?“

„Hmm, mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen. Ich bin froh, dass ich hier zu Hause bin und nicht in einer dieser katholischen Kirchenmäusefamilien! Allein wenn ich ans Essen denke, das bei denen so auf den Tisch kommt: fette Soßen – bäh! … deftiges Fleisch und Wurst, wie schrecklich! … und dann der schwere Käse, der liegt einem die ganze Nacht im Magen!“, stöhnte Anna und ließ ihre kleine Zunge aus dem Mund hängen.

„Da hast du recht, Anna. Die katholischen Mäuse, die müssen immer schlemmen und das geht auf den Geist, mein liebes Kind. Die meisten von ihnen sind dumm.“

„Nicht alle, Mama, aber doch die meisten.“

„Es hängt halt immer an dem, was die Pfarrer uns Kirchenmäusen so übrig lassen von ihrem Essen. Darauf müssen wir unseren Speiseplan einstellen. Und da ging es den katholischen Pfarrern schon immer besser als den evangelischen. Wenn ich nur daran denke, was unser Herr Pfarrer Dürr so in seinem Kühlschrank hat. Du hast manchmal das Gefühl, dass du in einen Gemüsegarten schaust, wenn er den Kühlschrank aufmacht. Fast nur Gemüse und Milchprodukte, kaum Fleisch und Wurst. Das wenige, was davon bei uns auf den Tisch kommt, muss ich mir mühsam bei den katholischen Mäusen eintauschen!“

„Und das noch zu Wucherkursen, Mama, wie du immer beklagst!“

„Genau, mein liebes Kind. Für das bisschen Schinken musste ich drei große Stücke Gurke hergeben, die die Katholiken als Beilage zu dem Braten nehmen wollten, den ihr Pfarrer Liebkind heute zu Mittag isst.“

„Sag, Mama, warum gibt es eigentlich katholische und evangelische Mäuse; liegt es nur an dem Essen, das auf den Tisch kommt, oder an was sonst?“, fragte Anna, während sie die Salatblätter putzte, die in einem Haufen vor ihr auf dem Boden lagen.

„Oh meine liebe Anna, das ist eine lange Geschichte. Man sagt, vor vielen hunderttausend Mäuseleben gab es weder katholische noch evangelische Mäuse. Man lebte gemeinsam in Kirchen oder Klöstern und allen ging es gleich gut oder schlecht, ganz so wie den Hausherren. Irgendwann kam es dann zu einem großen Streit unter den Pfarrern. Worum es da ging, weiß bis heute keiner, denn es änderte sich gar nichts an dem, was sie den ganzen Tag so taten. Alle beteten und opferten weiterhin dem gleichen Wesen, das sie Gott nennen, und man hielt weiterhin täglich Messen ab, wo die Leute zusammenkamen. Nur die Menschen nannten sich plötzlich Katholiken oder Protestanten und die in den Kirchen wohnten, nannten sich katholische Priester oder evangelische Pfarrer.“

„Mein Gott, Mama, was ist an einem neuen Namen so schlimm, wenn sich doch sonst nichts ändert?“, fragte Anna.

„Nun ja, für die Menschen war es offenbar so wichtig, dass sie sich heftig stritten und sogar Kriege gegeneinander führten. Man erzählt von einem langen, großen Krieg, der über mehrere hundert Mäuseleben ging, in dem unsere Stadt einmal ganz katholisch war und sich dann wieder für lange Zeit evangelisch nannte. Einmal hü, einmal hott. Aber sei’s drum, seit langer Zeit ist es ruhig geworden in dem Streit und es gibt jetzt Kirchen, die sind katholisch, und Kirchen, die sind evangelisch, so ist das halt!“, seufzte die Mutter und rührte in dem Topf, wo die Gemüsestückchen für die Ratatouille brutzelten.

„Dann gibt es also katholische Mäuse, weil sie in katholischen Kirchen leben, und evangelische Mäuse, weil sie in evangelischen Kirchen leben!“, folgerte Anna und schnippelte eifrig am Salat herum.

„Genau, mein Kind! Da aber die katholischen Kirchen mehr Wert auf Schmuck und Glanz legen und die katholischen Pfarrer auf gutes Essen und Trinken, geht es den katholischen Mäusen besser und den evangelischen eben schlechter. Das siehst du doch auch am Pfarrer Liebkind und an unserem Pfarrer Dürr. Dem Liebkind sein Bauch war bestimmt nicht billig, dagegen ist der Dürr ein spackes Hemd und heißt nicht umsonst so.“ Die Mutter machte eine abfällige Bewegung.

„Ah ja, und deshalb glauben die Dommäuse, sie seien etwas Besseres.“

„So ist es. Und darum wollen wir mit diesen eingebildeten Mäusen auch nichts zu tun haben. Die sollen unter sich bleiben und wir bleiben unter uns, Anna.“

„Ist es denn nie vorgekommen, dass eine katholische Maus eine evangelische Maus geheiratet hat?“

„Niemals!“, sprach forsch die Mutter. „Stell dir nur mal vor, ich hätte deinen Vater als katholische Maus geheiratet. Der würde doch den ganzen Tag bei mir in der Küche herumhängen und nur nörgeln, dass es kein Fleisch gibt. Oder ich hätte in die feine Mäusegesellschaft im Dom hineingeheiratet, nicht vorstellbar. Den ganzen Tag nur Müßiggang, feines, fettes Essen und ständig diese Streitereien der einzelnen Familien über ihre Herkunft. Da kommt sich doch jeder besser vor als der andere. Schau sie dir doch mal an, die feine Gesellschaft! Nur fette Damen! Überall kneift’s und zwickt’s. Zellulitis, Fettpölsterchen und schlaffe Haut! So was kenne ich nicht. Was bin ich stolz auf meine Figur.“

„Stimmt, Mama, das kannst du auch sein und ich hab’ sie von dir geerbt. Aber es gibt doch sicherlich auch nette junge katholische Mäuse, die nicht so denken wie alle anderen und vielleicht auch schlau sind. Da bin ich mir sicher.“

„Ich nicht. Katholisch und schlau, das passt nicht zusammen. Wieso willst du denn das so genau wissen? Gibt es denn einen Grund dafür, einen männlichen etwa?“, begann die Mutter zu argwöhnen.

„Eigentlich nicht. Ich hatte einmal vor langer Zeit Gelegenheit, einen jungen katholischen Mäuserich kennenzulernen. Zufällig, rein zufällig begegneten wir uns auf dem Domplatz, als ich unsere Verwandten in der Stephanskirche besuchen ging.“

Annas Gesicht hatte sich leicht gerötet und sie versuchte, einen gelangweilten Tonfall hinzukriegen. Die junge Mäusedame verschwieg ihrer Mutter, wie es tatsächlich gewesen war, als sie seinerzeit ihren Dominik traf. Beim alljährlichen Weinfest im Hofgarten der Residenz nämlich. Dort fällt allerlei beim Essen auf den Boden. So kommt man vor allem häufig an Käse, den die Menschen zum Wein essen. Anna und ihre Cousine schlenderten gerade in den letzten Sonnenstrahlen zwischen den Bänken hindurch, als ihnen ein kleiner, rundlicher, gut aussehender Mäuserich entgegenkam. Gerade als er vor ihnen stand, fiel ihm ein mittelgroßer Käsewürfel direkt auf den Kopf und raubte ihm für einen Moment die Sinne. Mit weichen Knien ging er vor Anna zu Boden. Das sah sehr komisch aus, wie Dominik, um den handelte es sich nämlich bei dem feschen Mäuserich, dabei die Augen verdrehte. Es schien, als sei er beim Anblick der jungen Dame in Ohnmacht gefallen. Als er wieder die Augen öffnete, blickte er in ein hübsches, lachendes Mäusegesicht, das ihn den Käse komplett vergessen ließ, dessen sich zwischenzeitlich Annas Cousine bemächtigt hatte. Bei der anschließenden Ersten Hilfe – Anna war perfekt in Mund-zu-Mund-Beatmung – fanden beide Gefallen aneinander. Und so verabredeten sie sich für den nächsten Sonntag im Lusamgärtchen beim Grab des Minnesängers Walther von der Vogelweide – beliebt in Würzburg als Treffpunkt aller Liebenden, gleich ob Mensch oder Maus. Auch heute wollten sie sich wieder dort treffen und Anna musste noch nach einer passenden Ausrede für ihren Ausflug suchen.

„Und?“, kam es vom Herd. „Wie heißt denn der katholische junge Mann?“

„Dominik heißt er, Mama“, sprudelte es jetzt aus Anna heraus, „und er sieht soooo gut aus. Und lustig ist er, kann ich dir sagen. Immer hat er gute Sprüche drauf. Und es gibt auch nicht immer fettes Essen. Das mag er gar nicht, sagt er zumindest. Und dick ist er daher auch nicht, Mama, eher kräftig, weißt du. Er sagt, es liegt an seinen Knochen, die seien sehr schwer.“

„Dominik?“, fragte daraufhin mit einem gewissen Unterton die Mutter. „Du meinst doch nicht etwa diesen kleinen, pummeligen Mäuserich aus der Domsakristei, dessen schlechter Ruf selbst bis zu uns gedrungen ist! Der nichts als Unsinn im Kopf hat und den unser lieber Pfarrer Dürr verdächtigt, die Uhr der Johanniskirche um eine Stunde zurückgestellt zu haben, und deshalb eine geschlagene Stunde in der leeren Kirche auf seine Schäfchen warten musste!?“

„Doch Mama, das ist er. Und mit der Uhren-Sache habe er nichts zu tun, das sei nur böse Verleumdung, sagt er, denn mit Kirchenuhren kenne er sich überhaupt nicht aus, vielleicht ein klein wenig mit Mechanik.“

„Um Gottes willen, Anna, schlag dir den aus dem Kopf! Wenn das dein Vater erfährt, gibt es ein Donnerwetter!“, entfuhr es der Mutter. Ob dieser Enthüllungen hatte sie längst vergessen, weiter in der Pfanne zu rühren, und in der Küche begann es merkwürdig zu riechen.

„Und jetzt sind mir wegen diesem katholischen Mäuserich auch noch die Croutons angebrannt!“

Beim anschließenden Mittagessen, zu dem sich auch der Vater gesellte, kam nur mühsam eine Unterhaltung zustande. Annas Mutter warf ihrer Tochter ab und an einen unfreundlichen Blick zu, was dem Vater jedoch über der köstlichen Ratatouille entging. Heute sei er etwas müde, gähnte Annas Vater nach dem Mahl und er wolle sich etwas zur Ruhe legen. Dem schloss sich auch die Mutter an; die Unterhaltung mit ihrer Tochter beim Kochen hatte sie doch etwas erschöpft.

Die perfekte Gelegenheit für Anna, sich aus der Kirche zu schleichen und sich für ein Stündchen, maximal zwei, mit ihrem Dominik zu treffen. So lange pflegten die Eltern allsonntäglich nach dem Essen zu ruhen. Der Weg ins Lusamgärtchen war für Anna nicht ganz ungefährlich, musste sie doch die Straße vor der Residenz überqueren, die gerade wegen der Touristen am Sonntag sehr befahren war. Dabei galt es immer, den Zeitpunkt abzuwarten, bei dem die Autos wegen eines roten Lichtes in einem Kasten am Rande der Fahrbahn warten mussten.

Nach wenigen Minuten aber hatte sie sicher ihr Ziel erreicht, wo Dominik schon hinter dem Sarkophag aus grauem Muschelkalk wartete. Er unterhielt sich gerade in Mäusegebärdensprache mit der stummen Katharina, die unter dem Grabstein wohnte, als Anna um die Ecke bog. Liebevoll schlossen sich die beiden in die Arme und berührten sich mit der kalten Mäuseschnauze, was mit dem Küssen bei den Menschen vergleichbar ist. Katharina zog sich natürlich diskret zurück.

„Ach mein Liebster“, begann Anna, „heute habe ich versucht, meiner Mutter schonend beizubringen, dass ich dich kenne!“

„Und? Was hat sie gesagt? Hat sie sich gefreut oder gab’s Ärger, dass du einen katholischen Mäuserich liebst?“

„Ach Dominik, ich glaube dass du katholisch bist, wäre gar nicht das Hindernis für Mama, aber dein Ruf, der macht ihr doch sehr zu schaffen. Dein Vorleben ist auch bis zu uns nach St. Johannis gedrungen.“

„Das sind nur böswillige Unterstellungen, Anna. Du kennst mich doch und weißt, wie ich bin. Im Grunde ein anständiger Kerl. Das heißt, ich bemühe mich wenigstens darum, zumindest bei dir, oder?“, sprach der Mäuserich und setzte dabei ein Gesicht auf, das jeden sofort zur Absolution aller Sünden veranlassen würde.

„Natürlich kenne ich dich und ich mag dich auch so, wie du bist mit deiner lustigen Art. Aber du weißt doch, wie die älteren Leute sind, sie glauben allzu leicht, was man erzählt, und schon hat man seinen schlechten Ruf. Denk doch nur mal an den Trunkenbold Berthold!“

„Also mit dem Berthold kannst du mich nicht vergleichen. Ich trinke nicht! Nicht oft jedenfalls. Und so schlecht, wie man sagt, ist der Berthold auch nicht. Ich finde sogar, dass er sein Leben genießt, anders vielleicht als ihr streng lebenden Protestanten. Wer nichts zu essen hat, hat auch nichts zu lachen.“

„Ach ja, ihr dicken und faulen katholischen Pfaffenmäuse meint, nur mit lasterhaftem Leben kann man lachen! Da täuschst du dich schon sehr, mein lieber Dominik. Auch wir haben unsere Späßchen, vielleicht nicht ganz so ausgefallen, wie du sie liebst.“

„Wie, was heißt hier ausgefallen? Nur weil ich eurem Pfarrer Dürr einmal die Uhr verstellt habe …“

Er stockte abrupt, sein Gesicht wurde puterrot, als er merkte, dass er sich selbst verraten hatte.

„Wusste ich’s nicht? Du warst es also doch. Und ich hatte es schon immer vermutet. Der arme Dürr musste eine volle Stunde warten, bis sich die Kirche füllte!“

„Der Dürr, die Bohnenstange, hats verdient. Der Gemüsepapst hat immer gegen unsere Kochqualitäten in der Küche vom Liebkind gelästert und dem musste einmal eine Lektion erteilt werden. Und außerdem finde ich es nicht gerade schön, dass du mich verdächtigt hast, auch wenn ich es gewesen bin. Das malt kein gutes Bild von dir, was du über mich denkst“, bemühte sich Dominik, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Leider vergeblich.

„Ich muss schon sagen, das ist ziemlich dreist, was du mir da vormachst. Erst den Unschuldigen markieren und dann, wenn er bei seiner Freveltat ertappt wurde, auch noch den Gerechten zu spielen. Und so einem habe ich immer vertraut, habe ihn geliebt!“, schluchzte Anna.

„Wenn dir ein hagerer evangelischer Mäuserich lieber ist, dann nimm ihn doch, du und deine dürre, vertrocknete Mutter! Nicht umsonst sagt man ‚schau dir die Mutter an, bevor du die Tochter heiratest’. Na das kann ja heiter werden!“, lachte Dominik und trat dabei sichtlich erregt von einem Mäusebein aufs andere.

„Nein danke, auf so einen katholischen Tunichtgut kann ich gerne verzichten. Geh doch zu deinen Trunkenbolden, deinem Wettgesindel, wenn du dich da wohl fühlst!“, rief Anna und war mit ein paar Sätzen aus dem Lusamgärtchen entschwunden.

Dumme Pute, dachte Dominik, soll sie doch bleiben, wo’s keinen Käse gibt. Und überhaupt soll man sich nicht verlieben, schon gar nicht in eine evangelische, humorlose Kirchenmaus. Und an allem war dieser Pfarrer Dürr schuld.

Nicht ohne Wut im Bauch verließ er den Ort der Liebenden. Doch schon als er gleich nebenan den Domplatz erreicht hatte und durch die Gänge des alten Friedhofes darunter zurück in die Sakristei ging, wich seine Erregung einem gewissen Gefühl in der Magengegend: Es sagte ihm, dass es mit seiner Liebe doch nicht vorbei war, und es tat ihm leid, so aus der Haut gefahren zu sein. Ein bisschen recht hatte sie ja schon, seine Anna, und er beschloss, sich so bald wie möglich bei ihr zu entschuldigen. Bei ihr, bei ihrer Mutter oder vielleicht doch erst mal nur bei ihr. Auf jeden Fall wollte er Anna nicht verlieren, so viel war sicher. Und schon gar nicht wegen dem Dürr!

Als Anna die Balthasar-Neumann-Promenade vor der Residenz erreichte, war sie immer noch wütend und wäre beinahe von einem Auto mit Tauberbischofsheimer Kennzeichen überfahren worden. Bleich vor Schreck erreichte sie den Residenzplatz. Sie dachte, wie es wohl wäre ohne ihren Dominik, und schon schossen ihr die Tränen ins Gesicht, denn auf ihn wollte sie nicht verzichten.

Von Mäusen, Ratten und Priestern

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