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Plunder plant, Millionär zu werden

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Als Plunder sich nach dem Frühschoppen in der „Himmelsleiter“ nach Hause begab, ging ihm der Kelch nicht mehr aus dem Sinn. Welch einen Schatz hatte man hier in der Domstadt! Das Beste: Nur wenige wussten davon! Und ausgerechnet er war einer, der sein Geheimnis kannte. Plunder dachte an die Möglichkeiten, die der Besitzer des Kelches hatte, und vor allem daran, wie man ihn verkaufen könnte. Gleich nachdem er zu Hause angekommen war, würde er in seiner Kundenkartei nachschauen, wem er die Kostbarkeit anbieten könnte. Vermutlich würden nur wenige aus seiner Klientel das Geld haben, einen solchen Kauf zu tätigen.

Plunders Antiquitätenladen lag in der Grabengasse, parallel zur Juliuspromenade, zwischen dem Juliusspital, einem historischen Krankenhaus, und dem Pleicherviertel. Betrat man die zu jeder Tageszeit dunklen Räume, hatte man den Eindruck, dass die Geschichte des ganzen Stadtviertels hier konserviert war. So wurde der Besucher von einem kuriosen Sammelsurium aus alten Möbeln, Lampen, Gemälden mit Landschaften, Personen oder Tieren und jeder Menge Krimskrams wie Tassen, altem Schmuck und was man sich an derartigen Orten sonst noch vorstellen kann, verschlungen.

Der hintere Teil, wo sich Plunders Büro befand, war im Gegensatz zu der chaotischen Unordnung seines Ladens überraschend aufgeräumt. Als die Neonbeleuchtung zuckend ansprang, sah man links in der Ecke einen alten Sekretär, der ihm als Schreibtisch diente. Darauf stand – ungewöhnlich, ja fast störend – ein Computer-Bildschirm samt Tastatur und daneben zwei moderne Büroschränke, wovon der Antiquitätenhändler nun einen öffnete. Aus der überquellenden Registratur holte er mit sicherem Griff eine unscheinbare Akte mit abgegriffenem grünem Einband heraus. Darin befand sich das Wichtigste und Kostbarste, was Plunder besaß: eine Kartei von Spezialkunden aus aller Herren Länder, die an allem zu kaufen interessiert waren, was kostbar und legal nicht zu erwerben war, von Gemälden aus Museen bis hin zu wertvollem Schmuck aus dem Besitz reicher Familien.

Mal sehen, dachte er, wem er denn den Kelch anbieten könnte. Plunder hatte bereits vor Jahren begonnen, zwielichtigen Auftraggebern illegal und auf dunklen Wegen allerlei Wertvolles zu besorgen. Nachdem der Antiquitätenhandel nicht genug abwarf, um seinen aufwendigen Lebensstil zu sichern, hatte er sich auf Kunstdiebstähle spezialisiert und lebte recht gut davon. Einen Teil des Hehlergeldes hatte er auf einem Konto in Spanien deponiert. Die angelegte Summe sollte später für ein Haus dort im sonnigen Süden dienen, wo er seinen Lebensabend verbringen wollte.

Nachdem er verschiedene Kunden gedanklich durchgegangen war und deren finanzielle Möglichkeiten bedacht hatte, konnte er keinen potenziellen Interessenten finden, der das Geld für den Kauf des Kelches aufbringen konnte. Da erinnerte sich Plunder an einen Mann, dem er einst das Gewünschte nicht besorgen konnte. Der wollte nämlich die berühmte, vom Würzburger Künstler Tilman Riemenschneider geschnitzte Madonna aus Acholshausen haben, die sich allerdings bestens gesichert im Mainfränkischen Museum auf der Festung befindet. Unmöglich sei es, hatte der Händler dem Kunden seinerzeit gesagt, der andere weltberühmte Werk zu besorgen. Und selbst wenn er es zustande brächte, könne dieser es niemals weiterverkaufen oder ausstellen. Darauf käme es ihm nicht an, hatte der Interessent geantwortet und ihm seine E-Mail-Adresse gegeben – falls ihm ein Werk vergleichbar mit dem der Riemenschneider-Madonna einst in die Hände fiele; Geld spiele dabei keine Rolle.

Die E-Mail-Adresse des Kunden fand Plunder in der Computer-Datei, die den bezeichnenden Namen „No Problem“ trug. Er gab die Adresse ein, dann überlegte er kurz, was er ihm schreiben wollte. Die Sache erregte ihn mächtig, seine Hände wurden feucht, die Gedanken ließen sich nicht wie sonst ordnen. Sollte er gleich die Katze aus dem Sack lassen und den Kelch mit seiner Wunderkraft benennen? Was sollte er als Preis angeben? Würde man ihm glauben? Was, wenn der Mann ein Polizeispitzel wäre und er dadurch hinter Gitter käme? Er entschloss sich, den Kunden mit einem unverfänglichen, knappen und eher nichtssagenden Anschreiben neugierig zu machen:

„Hier ist Plunder aus Würzburg. Habe ein seltenes und wertvolles Stück bekommen, das das von Ihnen seinerzeit gewünschte bei Weitem übertrifft. Wenn Interesse besteht, bitte umgehend melden, da weitere Interessenten vorhanden.“

Plunder zögerte einen Augenblick, die Nachricht abzuschicken, so als würde er ahnen, was mit dem Besitz des Kelches auf ihn zukommen könnte. Doch die Vision von Reichtum und einem sorgenfreien Leben reichte aus, um alle Bedenken beiseitezuschieben. Ein Druck auf die „Versenden“-Taste und die E-Mail entschwand mit dem Zischen eines Feuerwerkskörpers ins Nichts des virtuellen Netzwerks. Wow, dachte er, was wohl jetzt passiert?

Bis dahin aber würde er sich um die Frage kümmern, wie er des Kelches habhaft werden könnte, dachte sich Plunder und sogleich kam ihm Bruno in den Sinn. Bruno, der sich kurioserweise „Brünoo“ aussprach, war ein allein lebender Kauz mittleren Alters. Wegen seines ungepflegten Äußeren wusste man nicht, ob er 30 oder vielleicht 60 Jahre zählte. Bruno brauchte immer Geld und wenn ein Auftrag einging, war er es, den Plunder zuerst anrief.

„Wer ist dran?“, drang eine raue Stimme aus dem Telefonhörer, der man die zahllosen Zigaretten und kaum weniger Bier anmerkte.

„Bruno, hier ist Plunder, ich hätte da wieder eine Sache für dich. Nicht schwierig, aber eilig. Ein Kunde möchte baldmöglichst beliefert werden“, antwortete Plunder und versuchte dabei seiner Stimme einen unaufgeregten Ton zu verleihen.

„Was springt dabei für mich raus?“

Plunder dachte kurz nach und entschied sich, die Sache als einfach darzustellen und auch den Preis niedrig zu halten, damit Bruno keinen Verdacht schöpfte. Doch noch bevor er antworten konnte, signalisierten ein Klingelton am Computer-Schirm und ein kleines Fenster: Eine neue E-Mail war eingegangen.

„He, Plunder, noch da?“, holte Bruno den Antiquitätenhändler in die Wirklichkeit des Telefonates zurück. „Was springt raus für mich, will ich wissen?“

„Die Sache ist einfach und macht keine großen Schwierigkeiten. Normalerweise zahl’ ich dir für so einen Auftrag einen Tausender, aber die Sache muss heute Nacht noch erledigt werden, deshalb ist diesmal das Doppelte drin!“

„Was isses denn?“

Plunder sah die ganze Zeit auf das Bildschirm-Signal und konnte sich nur mühsam auf das Gespräch konzentrieren.

„Ach, nur so ein Kelch aus der Domsakristei. Irgend so ein religiöser Spinner will den haben. Müsste eigentlich ganz einfach zu beschaffen sein. Die Türen haben nur alte Schlösser, mit jedem Dietrich zu öffnen, und soweit ich weiß, gibt es keine Alarmanlagen wie im Museum.“

„Okay, hört sich nicht schlecht an. Aber die Sache mit dem „eilt“ macht mir Probleme. Ich kann mich so schnell nicht erkundigen, ob das stimmt mit der Alarmanlage. Erhöhtes Risiko, also das Doppelte, viertausend, dann geht von mir aus die Sache klar.“

„In Ordnung“, sagte Plunder, „das müsste dem Kunden die Sache wert sein.“

„Wo steht das gute Stück denn?“

„Keine Ahnung, da musst du dich in der Sakristei umsehen. In einem Schrank vielleicht, was weiß ich, ich war ja noch nie dort!“, entgegnete Plunder sichtlich ungeduldig. Er wollte Bruno jetzt loswerden und das Gespräch beenden, um die E-Mail zu lesen, die sicher von dem unbekannten Kunden kam.

„Okay, ich erledige die Sache“, grunzte Bruno und legte auf. Plunder öffnete sogleich sein E-Mail-Postfach und fand tatsächlich die ersehnte Antwort vor: „Bin interessiert an der Sache. Bitte um nähere Angaben und Preisvorstellung.“

Der erste Schritt ist getan, dachte Plunder, jetzt kommt es darauf an, den Kunden zu ködern und neugierig zu machen.

„Habe die Möglichkeit, den berühmten Kelch des Abendlandes zu besorgen. Absolut zuverlässige Quelle und einzigartiges Stück!“, schrieb Plunder und drückte auf die Taste „Senden“.

Keine zwei Minuten und der Fisch war am Haken: „Wenn es tatsächlich der Kelch ist, kaufe ich. Welche Preisvorstellung?“

Plunder dachte angestrengt nach: Jetzt keinen Fehler machen! Aber was soll’s, wenn der Kunde wirklich jeden Preis zahlt? Und schließlich wollte er sich danach zur Ruhe setzen. Also galt es, so viel zu verlangen, dass er für alle Zeit ausgesorgt hatte. Er entschied sich für eine Summe, an die er noch nie zu denken gewagt hatte:

„Zwei Millionen Euro, jeweils zur Hälfte eingezahlt auf zwei Nummernkonten in der Schweiz. Sie teilen mir die eine Nummer mit bei Auftragserteilung und die andere, wenn Sie das gute Stück haben und sicher sind, dass es das richtige ist.“

Nachdem Plunder die Nachricht verschickt hatte, starrte er noch zwei Stunden auf den Bildschirm, ohne dass eine E-Mail ankam. Dann legte er sich ins Bett. Für ihn ging ein spannender Sonntag zu Ende und im Dom feierten die Dommäuse im Schein der Kerzen bis tief in die Nacht den Gewinn des Jackpots.

Von Mäusen, Ratten und Priestern

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