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3.

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Marina Antl versucht noch, das Telefonklingeln in ihren Traum einzubauen, dann ist sie wach und hebt ab. »Der Spreitzer ist da! Der will irgendwas!«, ruft Werner in den Hörer, legt auf, sucht mit den Füßen unter dem Schreibtisch seine Hausschuhe, schlüpft hinein, springt vom Sessel und läuft nach unten. Seine Hausschuhe machen lustige Geräusche, als er Hofrat Spreitzer entgegengeht. Dabei behält er die Geschwindigkeit bei. Wie immer steht direkt hinter dem Hofrat sein Assistent, Kaufmann, der demonstrativ Ausschau hält und in einem kleinen Buch herumkritzelt. Kaufmann sieht genauer hin, sieht Werner Antl ungebremst auf seinen Hofrat zuhalten, unterbricht seine Notizen, macht einen Schritt nach vorn und baut sich schützend zwischen den beiden auf.

»Nicht so schnell«, sagt er mit einer Stimme, die aus seinen Nasenlöchern kommt, »nicht so schnell, guter Mann.« Werner bremst, schnauft und kämmt mit den Fingern seine Haare. »Was schreibt er da?!« – »Man wird sich ja noch Notizen machen dürfen«, kommt es aus den Nasenlöchern.

»Zuerst einmal: Guten Tag«, sagt Hofrat Spreitzer und geht ein paar Schritte durch die Eingangshalle. Werner und Kaufmann gehen ihm hinterher. Spreitzer bleibt stehen, fährt herum und hält Werner die Hand hin. Der nimmt sie widerwillig und schüttelt sie. »Wir kommen nur auf einen Sprung vorbei«, sagt Spreitzer und lässt Werners Hand nicht los. Kaufmann grinst. Werner drückt mit der Hand stärker zu, Spreitzer macht es ihm nach; Gesicht an Gesicht stehen sie da.

»Meine Herren, das erledigen wir besser gleich in der Sauna!« Werner und Spreitzer drehen die Köpfe zur Seite und sehen fragend Marina Antl an, die mit deutlich schwingenden Hüften die Stiegen runtergeht und dabei lächelt: »Euren Schwanzvergleich, meine ich.« – »Können wir gerne machen«, sagt Spreitzer. »Darauf kannst du wetten«, antwortet Marina. Werner nickt mit geschlossenen Augen und zieht seine Hand aus Spreitzers Hand. Genau deshalb hat er sie zur Hilfe gerufen – wegen ihres Charmes. Dass Marina den Hofrat einfach per Du anspricht, ist auch für Werner neu, aber es scheint zu funktionieren: Jetzt grinst Spreitzer auch, und Werner findet seinen anzüglichen Blick ganz und gar nicht gut. Kaufmann redet mit: »Die Sauna kontrollieren wir sowieso auch.« Alle drei sehen ihn an, und jetzt ist es Marina, die anzüglich wird: »Kannst gerne mitmachen.« Kaufmanns Gesicht läuft rötlich an. Spreitzer sagt: »Ach, Kaufmann, entspann dich endlich.« Kaufmann blättert verärgert in seinem Notizbuch, Spreitzer schüttelt den Kopf und wendet sich wieder den Antls zu: »Ist heute ja nur ein Freundschaftsbesuch, sozusagen.« – »Was heißt hier kontrollieren?«, fragt Werner. »Stadtratssitzung«, murmelt Kaufmann. »Und was ist da?!« – »Nächste Woche«, sagt Spreitzer, »da geht es wieder um euer Bad. Haben Sie den Bescheid nicht bekommen?« – »Lesen wir nicht.« – »Sollten Sie aber. Noch nicht nächste Woche, aber irgendwann wird’s knapp.«

Werner schnauft, Marina ist inzwischen angekommen und legt ihre Hand auf seine Schulter. Spreitzer wiederum greift auf Kaufmanns Schulter, und dem ist das sichtlich unangenehm. »Ich würde sagen, wir gehen unsere Runde, und dann besprechen wir alles beim Kaffee in der Kantine.« Werner und Marina nicken widerwillig. »Den bezahlen wir natürlich«, sagt Spreitzer, und Kaufmann klappt unnötig laut sein Notizbuch zu.

Zu viert gehen sie los. Während Marina an der Kassa eine kurze Diskussion schlichten muss, weil Rose Antl Eintritt verlangen will, wirft Werner durch das Fenster einen besorgten Blick in die Kantine, wo Georg mit der Hand in seinem Bierglas nach irgendetwas zu suchen scheint und Grant aufgestanden ist und auf den Zehen wippend mit Bella streitet.

»Straßenschuhe gibt’s hier drinnen eigentlich nicht«, sagt Fred, und von seinem Plastiksessel aus zwinkert er Werner mit einem Auge zu. »Schon gut«, sagt Werner und zeigt mit dem Finger nach oben an die Decke: »Und dort ist die Lüftung.« Hofrat Spreitzer nickt, Kaufmann schlägt sein Buch auf und notiert etwas. »In Ordnung«, sagt Fred, »dann machen wir heute eine Ausnahme.« Er meint es gut und lehnt sich demonstrativ entspannt zurück. Dabei weiß er nicht, dass alle den randvollen Aschenbecher unter seinem Sessel sehen können. Kaufmann macht Notizen, Spreitzer nickt ihm zu, Marina stößt Werner inzwischen mit dem Ellbogen, und da sieht er es auch: Der alte Nazi hat zwar immer noch sein Handtuch über dem Kopf, aber auch eine Hand in der Badehose und die bewegt sich langsam auf und ab.

»Wir machen hier weiter«, sagt Werner und dirigiert die Gruppe in die andere Richtung, weg vom Becken, zurück auf den Gang. Dabei sieht er noch einmal über die Schulter, und auch von der anderen Seite macht ihm der Blick durchs Kantinenfenster keine Freude: Dort versucht Grant gerade über die Schank zu klettern, Bella schwingt mit dem Besen einmal durch und trifft ihn am Kopf. Werner schiebt Spreitzer vor sich her, der lässt es zu: »Da geht es in die Sauna.« – »Haben Sie hier eigentlich ein Kinderbecken?«, fragt Kaufmann. – »Ja, warum?« – »Nur so.«

Als sie zu viert auf dem Gang stehen und der Aufzug nicht kommt, geht es endlich allen gleich. Jeder wartet darauf, dass endlich die Türen aufschwingen, jeder wackelt ein wenig mit dem Kopf und summt seine eigene Melodie. Ein altmodischer Klingelton, die Türen gehen auf und Spreitzer sagt: »Nach Ihnen.«

Der Aufzug ist alt und eng. Werner drückt sich an Marina, Kaufmann steht neben Spreitzer, Werner drückt den Knopf, die Türen rattern und keiner sagt ein Wort, obwohl das alles ewig dauert. Die Fahrt nach unten ebenso. Als Kaufmann versucht, Spreitzer etwas ins Ohr zu flüstern, versetzt der ihm einen Stoß, dass die Aufzugkabine wackelt. Werner schwitzt, Marina lässt es sich trotzdem nicht nehmen, ihm von hinten zwischen die Beine zu greifen; da grinst er. Kaufmann sieht das Grinsen, kann damit aber nichts anfangen.

Endlich der Klingelton, und sie kommen ein Stockwerk tiefer an. »Nach Ihnen«, sagt Spreitzer wieder. Werner und Marina steigen aus dem Aufzug, die Luft ist rein. Nein, doch nicht. Als Spreitzer und Kaufmann den Gang betreten, biegt Robert Anker um die Ecke. Nackt – und sein Ding steht leicht vom Körper weg. »Also, das ist ja …«, stottert Kaufmann. »Robert Anker«, fällt ihm Marina ins Wort, »der beste Saunameister von hier bis Bad Gastein!« – »Immer zu Diensten! Einen Aufguss, meine Herren? Den werden Sie nie vergessen.« – »Nein, danke«, antwortet Kaufmann und sieht noch einmal genauer hin. Spreitzer lächelt. »Keine Sorge«, sagt Robert Anker, »ist nur vom Duschen.« Er schnalzt mit seinem Handtuch vor ihren Köpfen einmal durch die Luft und bindet es um seinen Bauch. Auch das Handtuch steht vorne weg. »Sehr gut, Herr Robert. Sie können Pause machen.« – »Warum so förmlich, Frau Antl?«, fragt er und geht mit wedelndem Handtuch den Gang entlang. Alle vier sehen ihm hinterher.

Keine Überraschungen in der Sauna, außer dass es im Aufenthaltsraum unangenehm kühl ist. Wie gehabt macht Kaufmann seine Notizen, Spreitzer lächelt, Werner fragt: »Ist das Buch noch nicht voll?« – Kaufmann schreibt schneller. Sie öffnen alle Saunatüren, stecken die Köpfe rein und schließen sie wieder. »Hier riecht’s gut«, sagt Hofrat Spreitzer und Werner weiß nicht, ob das ernst gemeint ist oder wieder nur ein übler Scherz. Marina fragt laut in die Runde: »Sollen wir uns auch ausziehen?« Das irritiert Werner, sie war schon einmal kreativer. Spreitzer lächelt anzüglich. »Bitte, hier geht’s raus«, sagt Marina.

»Und was ist da drinnen?«, fragt Spreitzer, während sie wieder auf den Aufzug warten. »Der Keller. Zutritt für Unbefugte verboten.« – »Ja, da dürfen wir selbst nicht rein«, lächelt Marina, und das findet Werner jetzt doch lustig. »Aber wir würden’s sehr gerne sehen.« – »Meinetwegen. Ist aber nicht besonders spannend.«

Sie betreten den Gang, das Licht geht an, niemand ist da. Vor der Tür zum Technikraum zieht Werner seinen Schlüssel hervor und steckt ihn ins Schloss. Das funktioniert nicht. Werner klopft gegen die Tür. »András!«, ruft er, und das mehrmals hintereinander. Erst viel später kommt eine Antwort: »Was ist los?« – »Bitte aufsperren!« – »Nein, geht schon!« – »Bitte aufsperren!« – »Ich komme dann rauf!« – »Nein, jetzt bitte gleich aufsperren!« – »Riecht’s hier nach Rauch?« – »András raucht nicht.« – »Wer ist eigentlich András?« – »Unser Haustechniker.« – »Nein, ich meine, ob es da drinnen brennt.« – »András?!« – »Ja?!« – »Brennt es bei dir?!« – »Wie?!« – »Ob es da drinnen brennt?!« – »Nein!« – »Wir kommen später wieder!« – »Alles klar, Chefin!«

Im Aufzug schweigen alle oder sehen betreten zu Boden. Es klingelt, sie kommen ein Stockwerk höher an und gehen langsam durch die Eingangshalle. »Schon spät«, murmelt Kaufmann und zeigt Spreitzer seine Armbanduhr. »Ich weiß«, antwortet Spreitzer und dreht sich zu Werner und Marina um: »Wie sieht es mit unserem Kaffee aus?«

Als sie die Kantine betreten, ist es noch schlimmer, als Werner erwartet hat. Georg und Grant haben wieder ihre bescheuerte Musik durchgesetzt: Grant grölt in einen Zuckerstreuer, den er als Mikrofon benutzt, und Georg steht auf dem Tisch, an der Schank klatschen alle mit. Susi räumt die Gläser ab und humpelt merklich. Bella kommt auf Werner zu und flüstert – so laut, dass alle es hören können: »Der Willi, der hat sich im Kühlraum eingesperrt.« – »Ja«, sagt Werner, »ist in Ordnung. Könnten wir bitte vier Kaffee haben? Gleich?« Bella antwortet nicht, bleibt aber vor ihnen stehen. Zwischen ihren Zähnen steckt ein Zahnstocher, den sie im Mund vor und zurück bewegt. »Fräulein Susi«, ruft Marina, »vier Kaffee, bitte!« – »Sie sollen mich doch nicht so nennen«, ruft Susi und schafft es, dabei noch freundlich zu klingen. »Wir sitzen da drüben!«, ruft Werner und schiebt Hofrat Spreitzer wieder vor sich her.

Kaufmann klappt sein Notizbuch zu. Die Musik verstummt, Grant singt weiter in seinen Zuckerstreuer, Georg klettert vom Tisch. Dabei fällt ein Bierglas runter und zerspringt auf den Fliesen. »Das räumst du selbst weg!«, brüllt Bella. – »Leck mich!«, brüllt Georg zurück, nimmt dann aber doch den Besen, nachdem Bella ihm damit auf den Rücken geschlagen hat. Kaufmann und Spreitzer beobachten die Szene mit offenem Mund, ebenso Werner und Marina – in gewisser Weise aber auch fasziniert davon, dass es Bella und den anderen schlichtweg egal ist, dass sie hier die Besitzer des Hallenbads mit zwei Gästen der Stadtverwaltung am Tisch sitzen haben. »Kaffee kommt gleich!«, brüllt Bella und spuckt ihren Zahnstocher auf den Boden: »Aufwischen!«

»Also?«, Marina lächelt, und Spreitzer lächelt zurück. »Alles bestens«, sagt er. »Was passiert jetzt als Nächstes?« – »Nicht viel. Keine Angst.« – »Wir haben keine Angst.« Kaufmann sagt: »Das war nur eine Routinekontrolle.« Spreitzer sieht ihn eindringlich an. »Stimmt ja«, murmelt Kaufmann. »Komisch«, sagt Werner.

Susi humpelt auf den Tisch zu und kämpft mit dreimal Kaffee, der auch in den Untertassen schwimmt. »Der vierte kommt gleich.« Noch einmal wird es laut in der Kantine, Bella hat den Knopf der Kaffeemaschine gedrückt. Dann ist es wieder still, die Biergeister sitzen an der Schank, rauchen und benehmen sich. Es ist zu still, findet Werner und klappert mit seiner Tasse.

»Ich kann Sie wirklich beruhigen«, spricht Hofrat Spreitzer mit gedämpfter Stimme. »Mit Ihrem Hallenbad ist alles in Ordnung, das werde ich in der Stadtratssitzung noch einmal betonen. Es wird nichts passieren, was Sie nicht auch wollen.« Klingt wie aus einer Wahlkampfrede; Werner sucht nach den Falltüren. Er ist und bleibt eine Ratte, denkt er, aber leider auch ein Fuchs. »Bleiben Sie ganz entspannt, und gemeinsam finden wir eine Lösung.« – »Eine Lösung wofür? Ich wusste nicht, dass wir eine Lösung brauchen«, fällt ihm Marina ins Wort. Sie ist bereit, die Nerven zu verlieren. Spreitzer bewegt seine Hand unbeholfen über den Tisch, und bevor er sie auf Marinas Hand legt, erscheint Susi zur richtigen Zeit mit dem vierten Kaffee. »Bitte sehr.« Spreitzer gießt die Milch aus dem kleinen Kännchen in die Tasse, macht einen Schluck und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. »Wir müssen jetzt wirklich«, sagt er, »vielen Dank für den aufschlussreichen Nachmittag.« Er steht auf und nickt übertrieben zum Abschied. Kaufmann steht ebenfalls auf und flüstert Spreitzer etwas ins Ohr. Der hört zu, verzieht noch einmal sein Gesicht und wird laut: »Na, dann geh doch, Mensch!« Kaufmann fragt Werner: »Die Toiletten …?« – »Draußen in der Halle.« – »Ich warte beim Wagen«, sagt Spreitzer genervt, winkt, geht um den Tisch herum und beugt sich zu Marina, um tatsächlich einen Handkuss anzudeuten. Wäre sie besser aufgelegt, würde sie kichern und mitspielen; dazu sieht sie jetzt aber keinerlei Anlass. Werner schnauft, Spreitzer nickt ein weiteres Mal und geht.

Nicht einmal eine halbe Minute später wird an der Schank das Gemurmel merklich lauter, ebenso die Musik. Werner und Marina Antl sitzen immer noch auf ihren Plätzen, mit kaltem Kaffee in ihren Tassen, und über die steigende Lautstärke hinweg versuchen sie, ein paar grundlegende Fragen, die dieser Nachmittag aufgeworfen hat, zu klären. »War es so schlimm?« – »Was meinst du?« – »Hätte besser sein können.« – »Oh ja.« – »Was wollen die eigentlich?« – »Weiß ich nicht. Aber ich traue ihm kein bisschen.« – »Denkst du, ich?« – »Was machen wir jetzt?« – »Wir machen weiter.«

Werner und Marina schweigen und bleiben noch eine Weile nebeneinander sitzen. Es ist kurz nach sechs und jemand springt ins Becken. Bewegung im Wasser; am späten Nachmittag kommen die Nach-der-Arbeit-Schwimmer. In zwei Stunden ist Badeschluss. Die Kantine hat offiziell bis neun geöffnet, das ist aber selbstverständlich nur ein Richtwert. In Wahrheit hängt es von Bellas Laune und von der Leistungsfähigkeit ihrer Gäste ab. Also eigentlich doch nur von Bellas Laune, denn die Leistung ihrer Gäste ist auch deren einzig gute Eigenschaft – und schlechte zugleich (und hat jedenfalls keinen Einfluss auf Bellas Laune).

Hinter Werner und Marina machen sie sich bereit für den Abend. Sie versuchen, die Musik mit ihrem Gemurmel zu übertönen; das Ergebnis ist Kantinenlärm.

Kopf über Wasser

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