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2.3. HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Phänomenologie des Geistes. Lektüre des Abschnitts über HerrHerr und KnechtKnecht

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Wenden wir uns zunächst einmal jenem Text zu, der in der französischen NachkriegsphilosophieFranzösische Nachkriegsphilosophie eine so erstaunliche wie nachhaltige Wirkung erfahren hat, nämlich dem Abschnitt aus HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist. Diese Abhandlung hat – neben der RechtsphilosophieRechtsphilosophie – für die KonstitutionKonstitution der Marxschen Theorie, etwa seines Konzepts des KlassenantagonismusKlassenantagonismus, eine bemerkenswert untergeordnete Rolle gespielt. Es ist, wie gesagt, jener Text, in dem die Figur des Anderen als einer bestimmenden InstanzInstanz in der okzidentalen Philosophie debütiert.

HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie lässt sich vielleicht am besten verstehen, wenn man sie als Teil jener Philosophie begreift, die die idealistische Philosophie Immanuel KantsKant, Immanuel und Johann Gottlieb FichtesFichte, Johann Gottlieb unter anderen Vorzeichen fortschreiben und zur Vollendung bringen möchte. Dabei steht sie in einem merkwürdigen Nahe- und zugleich Abgrenzungsverhältnis zu einer Zeitströmung, in der die AlteritätAlterität schon eine wichtige Rolle spielt. Gemeint ist die RomantikRomantik, in der das Andere, als Gegenpart zur VernunftVernunft, in der Gestalt des DoppelgängersDoppelgänger und des Spiegelbildes auftritt (→ Kapitel 3). Die Romantik ist der feindliche Bruder von Hegels Vernunftphilosophie, ihr Gegenpart. Es lässt sich sagen, dass es ein Schreckbild der ModerneModerne gibt, gegen das Hegels Denken anschreibt. Es hat mit der Konfiguration des Fremden als eines UnheimlichenUnheimliche, das zu tun. Mehrfach erwähnt sein Œuvre die Gestalt des schrecklichen Gespenstes E.T.A. HoffmannHoffmann, E.T.A.. Hegel selbst scheint diese Unheimlichkeit gekannt und reflektiert zu haben, denn in einer seiner Jugendschriften, der Jenaer Realphilosophie (1805/06), die vor dem endgültigen Bruch mit seinem Weggefährten und Studienkollegen Friedrich Wilhelm Joseph SchellingSchelling, Friedrich Wilhelm Joseph, dem zeitweiligen Weggefährten der deutschendeutsch Frühromantiker, verfasst wurde, findet sich folgende, sprachlich beeindruckende Passage:

Der MenschMensch ist diese leere NachtNacht, dieses leere NichtsNichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält, ein Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, BilderBild, deren keines ihm gerade einfällt oder die nicht als gegenwärtige sind. Dies (ist) die Nacht, das Innre der NaturNatur, das hier existiert – reines SelbstSelbst. In phantasmagorischen Vorstellungen ist es ringsum Nacht; hier schießt ein blutig Kopf, dort eine andere weiße Gestalt plötzlich hervor und verschwinden ebenso. Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird; es hängt die Nacht der WeltWelt hier einem entgegen. – MachtMacht, aus dieser Nacht die Bilder hervorzuziehen oder sie hinunterfallen zu lassen: Selbstsetzen, innerliches Bewusstsein, Tun, Entzweien.1

Abb. 1

Johann Heinrich FüssliFüssli, Johann Heinrich, „Der Nachtmahr“ (1790)

Johann Heinrich FüsslisFüssli, Johann Heinrich proto-romantisches BildBild aus dem Jahr 1790 lässt sich – neben Francisco de GoyasGoya, Francisco de berühmtem Capriccio – als Veranschaulichung der philosophischen ‚Urszene‘ des jungen HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich nutzen. Denn auch bei Hegel ist es die NachtNacht, die ZeitZeit des Traumes und dunkler, non-rationaler unbewussterunbewusst Kräfte, der das ‚leere‘ SelbstSelbst ausgeliefert ist. Es ist in Füsslis Darstellung nicht zufällig, dass das ausgelieferte Selbst durch eine junge schutzlos hingestreckte FrauFrau repräsentiert wird, deren Gestik Schrecken und Hingabe an die fremdefremd GewaltGewalt versinnbildlicht. Dieses Befremdliche und Unbekannte ist das Andere der VernunftVernunft. Aber weil das Selbst in dieser nächtlichen Situation leer ist, wird es zugleich zum Anderen der Vernunft, das hier als erschreckend und unheimlichunheimlich aber zugleich auch als widersprüchlich dargestellt ist: „blutiger Kopf und weiße Gestalt“. Die von Hegel hervorgehobene LeereLeere hat zwei Bestimmungen, wird sie doch mit dem „reinen Selbst“ verbunden, das in dem Schrecken der Nacht – um eine spätere Denkfigur Hegels zu verwenden – gleichsam zu sich kommt. Diese Nacht wird beim intensiven Blick in die Augen des Anderen gewärtig. Aber dies scheint nicht der Endpunkt der narrativen Szene zu sein. ManMan, Paul de kann diese Bilder der Nacht auch „hinunterfallen“ lassen. An dieser Stelle kündigt sich der Wille und das Vermögen („MachtMacht“) des vernünftigen SubjektsSubjekt an, es nicht bei diesem schrecklichen Ausgeliefert-SeinSein des Selbst zu belassen, sondern sich selbst zu setzen. Interessant ist, dass diese Selbst-Setzung von Hegel selbst als eine AntwortAntwort auf die Schrecken der Nacht, in der sich das Selbst als leer und nichtig erfährt, verstanden wird.

In gewisser Weise ist HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie der Kunst und der Dichtung also in ständig negativem DialogDialog mit jenen Dichtern begriffen, die dieses Grauen der NachtNacht für Hegel verkörpern: die Romantiker, die das Andere stets als etwas Abgründiges verstanden haben, aus dem sie ihr literarisches Potential schöpfen. Zugleich aber lässt sich die romantische LiteraturLiteratur als jene symbolische Anstrengung verstehen, die das Andere der VernunftVernunft, das fremdefremd UnbewussteUnbewusste, das sich etwa im TraumTraum manifestiert (→ Kapitel 3), zeigen und im Sinne einer anderen Vernunft bearbeiten will. In diesem Sinn werden wir dem Anderen in der PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist nicht begegnen. Die deutschedeutsch Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts ist Hegels vernichtendem Urteil wesentlich gefolgt und hat für lange ZeitZeit die deutsche RomantikRomantik als eine eigentlich progressive und modernemodern BewegungBewegung verschattet. Umgekehrt hat sich Hegels Denken negativ an dieser Herausforderung durch die frühmoderne Romantik geschult und gerieben. Seine letztendlich antimodernistische und klassizistische ÄsthetikÄsthetik ist nicht zuletzt das Resultat einer verschwiegenen Auseinandersetzung mit dieser.

Es gibt allerdings Gemeinsamkeiten zwischen der Philosophie HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich und der RomantikRomantik: Auch letztere operiert in ihrer narrativen Grundstruktur des UrsprungsUrsprung (EinheitEinheit–TrennungTrennung–WiederherstellungWiederherstellung der Einheit des Getrennten) mit einer triadischen, im NeuplatonismusNeuplatonismus verankerten Gedankenfigur, die erst durch Hegel philosophischen Weltruhm erlangte: Die DialektikDialektik im Sinne Hegels überschreitet diese klassische LogikLogik insofern, als sie die binären Gegensätze „aufhebt“. Die SyntheseSynthese, der dritte und maßgebliche Schritt der Hegelschen Dialektik, basiert einerseits auf einem Gegensatz, beispielsweise zwischen dem Selben und dem Anderen. Andererseits wird dieser im Fortgang von Hegels großer dialektischer und post-aufklärerischer Erzählung überwunden. Die Synthese ist also immer zugleich BewahrungBewahrung und BeseitigungBeseitigung, sie ist das dritte Element, das die binären Gegensätze überschreitet. Sie ist wie eine Brücke, die das SubjektSubjekt immerfort mit sich trägt.

Ungeachtet zahlreicher Kritik und gerade wegen der Vielfalt ihrer Interpretation ist die PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist, HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Frühwerk, sein einflussreichstes Buch geblieben, insbesondere jenes förmlich aus dem Werk herausspringende Kapitel über HerrHerr und KnechtKnecht im Abschnitt über das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein.

Dem Werk ist selbst ein literarisches NarrativNarrativ unterlegt, eine OdysseeOdyssee des GeistesGeist. Es handelt sich hierbei um eine Metapher, die sich schon bei SchellingSchelling, Friedrich Wilhelm Joseph findet.2 Mit der KonnotationKonnotation von IrrfahrtIrrfahrt und Umweg – der homerische HeldHeld kehrt ja bekanntlich nicht auf direktem Weg in die HeimatHeimat zurück – wird die lineare Erzählung des Weiterkommens modifiziert. Auch bestimmte Fehlschläge auf der Ebene des Geschehens werden durch ihre interpretierende Erzählung im Nachhinein als wesentliche Elemente von Fortschritt und Heimkehr des MenschenMensch zu seiner ‚wahren‘ Bestimmung verstanden. Der Weg, den das Bewusstsein nimmt, führt in diesem dialektischenDialektik Verfahren stets über das Hindernis des Gegensatzes, der überwunden werden muss, um zum Ziel zu gelangen. Die Odyssee des Geistes ist gleichsam das Abenteuer, das das Bewusstsein von vorbewussten Stadien („sinnliche Gewissheit“) bis zum absoluten Geist besteht, um schließlich in diesem Zustand zur Ruhe zu kommen.

HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich erstes bedeutendes Werk weist, wie schon früh vermerkt wurde, überraschende Ähnlichkeit mit zwei zentralen Genres um 1800 auf: dem BildungsromanBildungsroman und der AutobiographieAutobiographie.3 Die PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist lässt sich als die GeschichteGeschichte eines rudimentären Anfanges lesen, die in der Schädelstätte des absoluten Geistes ihre Vollendung findet. Die individuelle BildungBildung des einzelnen, wie sie uns GoethesGoethe, Johann Wolfgang von Wilhelm Meister-RomaneRoman exemplarisch vorführen, wird zur narrativen Folie des Fortschritts eines allgemeinen Geistigen, der seiner ganzen LogikLogik nach im Absoluten enden muss.

Das Kapitel über das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, in dem sich der knapp zehnseitige Abschnitt „Selbständigkeit und Unselbständigkeit: HerrschaftHerrschaft und KnechtschaftKnechtschaft“ als maßgeblicher Wendepunkt findet, basiert auf einer Art von Gründungsmythos. Die zentrale TheseThese HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich ist, dass der KampfKampf um bzw. auf LebenLeben und TodTod die Voraussetzung dafür bildet, Selbstbewusstsein zu erlangen. Er ist das ontogenetische Abenteuer des zu Selbstbewusstsein fähigen Lebewesens, des MenschenMensch. Das schließt einen Gedankenzirkel mit ein, der für die Hegelsche DialektikDialektik charakteristisch ist: Denn das Selbstbewusstsein, das Resultat des Kampfes ist, wird stillschweigend schon am Anfang vorausgesetzt. Die Hegelsche Philosophie löst diesen WiderspruchWiderspruch mit einem terminologischen Kniff. Es wird argumentiert, dass das Selbstbewusstsein sich anfänglich auf der Stufe des an sich befindet, aber durch die Begegnung mit dem Andern, zu einem für sich emporsteigt. Ansonsten wäre nämlich der Kampf zwischen den beiden ‚Selbstbewusstseinen‘, die um ihre AnerkennungAnerkennung ringen, gar nicht denkbar.

Der KnechtKnecht ist derjenige, der sein LebenLeben nicht riskiert hat. Der nunmehrige HerrHerr, der sein Leben aufs SpielSpiel gesetzt hat, ist wiederum jener, der dem Unterlegenen das Leben schenkt. Obwohl der KampfKampf in diesem Abschnitt als einer auf Leben und TodTod konzipiert ist, kommt der Unterlegene nicht zu Tode, schon einfach deshalb nicht, weil er diesem aus dem Weg gegangen ist. Es geht also nicht nur darum, dass er den Kampf verloren, sondern im entscheidenden Moment kapituliert hat. Der eine wird der Diener, der andere der Herr. Aber nun kommt es zu einer seltsamen dialektischenDialektik Kippbewegung: Der Knecht, der für ihn arbeiten muss, behält einen realen Zugang zur WeltWelt, während der Herr diesen nicht nur verliert, sondern, ohne es zu wollen, in AbhängigkeitAbhängigkeit von seinem arbeitenden Instrument, dem Knecht, gerät. Er lebt buchstäblich davon, dass der Knecht für ihn arbeitet. Ohne den Knecht ist er nichts. Der Knecht bekommt nur in diesem Kapitel einen prominenten Auftritt, verschwindet aber dann wieder aus der PhänomenologiePhänomenologie.4 Denn im nachfolgenden Kapitel über die VernunftVernunft steht zu lesen:

Damit, daß das Selbstbewußtsein VernunftVernunft ist, schlägt sein bisheriges Verhältnis zu dem Anderssein in ein positives um. Bisher ist es ihm nur um seine Selbständigkeit und FreiheitFreiheit zu tun gewesen, um für sich selbst auf Kosten der WeltWelt oder seiner eigenenEigentum WirklichkeitWirklichkeit, welche ihm beide als das Negative seines Wesens erschienen, zu retten und zu erhalten. Aber als Vernunft, seiner selbst versichert, hat es die Ruhe gegen sie empfangen und kann sie ertragen; denn es ist seiner selbst als der RealitätRealität gewiß, oder daß alle Wirklichkeit nichts anderes ist als es; sein Denken ist unmittelbar selbst die Wirklichkeit; es verhält sich also als Idealismus zu ihr.5

Das „selbständige“6 SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, das sich im KampfKampf mit dem Anderen konstituierte, strebt nunmehr und im Gegensatz zum unselbstständigen und unglücklichen Selbstbewusstsein seiner nächsten Entwicklungsstufe, der VernunftVernunft, entgegen. In der Auseinandersetzung mit dem Anderen war das Selbstbewusstsein negativ bestimmt. Ausfluss dieses Gegensatzes war der Kampf. Dieses Kapitel ist nunmehr geschlossen. Das Selbstbewusstsein hat seine IdentitätIdentität – das meint ja das ‚SelbstSelbst‘ – zunächst ex negativo erlangt, durch die NegationNegation des Anderen. Im nächsten Schritt bezieht es sich lediglich „positiv“ auf sich selbst und erlangt damit seine „Ruhe“. Mit dem Eintritt in die Vernunft ist die OdysseeOdyssee des GeistesGeist beendet, wie das BildBild der Eintracht mit sich selbst, die HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich in der zitierten Passage beschwört, sinnfällig macht.

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