Читать книгу Theorien des Fremden - Wolfgang Müller-Funk - Страница 12

2.4. KojèvesKojève, Alexandre ‚Re-Vision‘ von HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Konzeption von HerrHerr und KnechtKnecht

Оглавление

Der russisch-französische Philosoph Alexandre KojèveKojève, Alexandre (1902–1968) entwirft eine anthropologische Version der Hegelschen Philosophie, in der der TodTod des MenschenMensch mit dem Ende der GeschichteGeschichte zusammenfällt. Das Ende der Geschichte tritt ein, wenn der Mensch als handelndes, tätiges SubjektSubjekt seine historischen Ziele erreicht hat. Es ist ein HumanismusHumanismus in und durch die Geschichte, der von der prinzipiellen Überwindung der EntfremdungEntfremdung ausgeht:

Die Theologie stellt sich vor, dass der theologische DiskursDiskurs einer ist, in dem der MenschMensch (SubjektSubjekt) von GottGott (ObjektObjekt) spricht, während es ein Diskurs ist, in dem Gott von sich selbst spricht, das heißt vom Menschen, aber ohne es zu wissen.1

KojèvesKojève, Alexandre affirmative und zugleich revisionäre Lesart des Textes, der auf Vorlesungen beruht, die der Philosoph zwischen 1933 und 1939 gehalten hat,2 bricht mit dem in der Textpassage programmatisch verkündeten Idealismus und lenkt das Augenmerk nunmehr auf eine ‚materialistische‘, d.h. historisch-gesellschaftliche Perspektive, die unzweideutig (post-)marxistische Züge trägt. Der Autor denkt dabei nicht nur über den UrsprungUrsprung von HerrschaftHerrschaft, sondern auch über deren ZukunftZukunft nach. Demnach wäre, wie wir noch sehen werden, das Ende der in HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Kapitel beschriebenen Herrschaft des Einen über den Anderen zugleich das von Hegel prognostizierte Ende der GeschichteGeschichte. Denn das Hegelsche Kapitel hinterlässt eine Leerstelle, verschwindet doch die Figur des unterlegenen anderen SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein spurlos wie eine Nebenfigur in und aus einem RomanRoman. Kojève führt diese Nebenfigur wieder ein und macht sie im GeistGeist des MarxismusMarxismus zu einer Hauptfigur, die die entscheidende Wende der Geschichte herbeiführt.

KojèveKojève, Alexandre stellt den Text in unmittelbaren Zusammenhang mit einem berühmten Satz HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich aus einem Brief an seinen FreundFreund und Kollegen Friedrich Immanuel Niethammer:

Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognizieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches IndividuumIndividuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die WeltWelt übergreift und sie beherrscht.3

Der rhetorisch brillante Text, dem die Mündlichkeit des Vortrags noch anzumerken ist, treibt schon sehr bald auf die scheinbar naive FrageFrage zu: „Wer bin ich, wenn ich HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich bin?“4 Diese scheinbar harmlose Frage bekommt eine so naheliegende wie zugleich abseitige und atemberaubende AntwortAntwort:

Ich bin nicht nur ein denkendes Wesen; ich bin Träger eines absoluten Wissens: Und gegenwärtig, im Augenblick, da ich denke, ist dieses Wissen in mir, in HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich, inkarniert. Also ich habe nicht nur ein denkendes Wesen; ich bin auch noch – und vor allem – Hegel. Was ist denn nun dieser Hegel?

Zunächst einmal ein MenschMensch von Fleisch und Blut, der weiß, daß er dies ist. Und dann schwebt dieser Mensch nicht im luftleeren Raum. Er sitzt auf einem Stuhl an einem Tisch und schreibt mit einer Feder auf Papier. Und er weiß, daß all diese Gegenstände nicht vom Himmel gefallen sind; er weiß, daß die ProdukteProdukt ein gewisses Etwas sind, das man menschliche ArbeitArbeit nennt. Er weiß auch, daß diese Arbeit in einer menschlichen WeltWelt vollbracht wird, im Schoße einer NaturNatur, der er selber angehört. Und diese Natur ist in seinem Geiste in eben jenem Augenblick gegenwärtig, wo er schreibt, um auf die FrageFrage ‚Was bin ich?‘ zu antworten. So hört er von Ferne kommende Geräusche; er weiß außerdem, daß diese Geräusche von Kanonenschüssen herrühren, und er weiß, daß auch die Kanonen Produkte von Arbeit sind, diesmal für einen KampfKampf auf LebenLeben und TodTod zwischen den Menschen hergestellt. Darüber hinaus weiß er, daß das, was er hört, die Kanonen NapoleonsNapoleon in der Schlacht von Jena sind; er weiß also, daß er in einer Welt lebt, in der Napoleon handelt.5

Es ist die ‚reale‘ (WeltWelt-)GeschichteGeschichte – in der narrativen Interpretation KojèvesKojève, Alexandre –, die eine Situation herbeiführt, in der HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich, der Philosoph, als der Träger des absoluten Wissens, das jenes um das Ende der Geschichte mit einschließt, möglich wird. Die damit verbundene Unbescheidenheit, die Hegel förmlich auf den Philosophenthron setzt, ist in diesem Denken in ihrem ganzen Aberwitz systemimmanent. Er weiß etwas, das andere Philosophen vor ihm, DescartesDescartes, René oder Plato zum Beispiel, nicht wissen konnten, dass nämlich NapoleonNapoleon nicht nur irgendein Politiker, Heerführer und Herrscher ist, sondern jene Person der WeltgeschichteWeltgeschichte, die ihren Sinn erfüllt. Kritisch gesprochen liegt dieser Erzählung von Hegel und Napoleon, erzählt von Hegel und nacherzählt von Kojève (der 1937 übrigens Stalin an die Stelle von Napoleon setzen wird6) ein Denkmechanismus zugrunde, den Hans BlumenbergBlumenberg, Hans als eine FormForm von historischer Selbstzentrierung analysiert hat. Er spricht von der verführerischen Vorstellung, Weltzeit und eigeneEigentum Lebenszeit zur Deckung zu bringen: „Es spricht sich gut vom Weltgeist, weil der Standpunkt des Sprechenden nur am Ende seiner Geschichte vorgestellt werden kann […].“ Blumenberg fügt indes hinzu, dass der MessianismusMessianismus, der die Offenbarung in die ZukunftZukunft verlegt, eine stärkere DynamikDynamik zu entfalten vermag, als die Hegelsche Formel eines Endes der Geschichte, das freilich nur von einem privilegierten einzelnen, nämlich Hegel, wahrgenommen worden ist.7

Dass sich die GeschichteGeschichte am Ende als eine Geschichte der VernunftVernunft erweist, wäre demnach die Plotstruktur des Hegelschen NarrativsNarrativ. Zugleich ist die Geschichte aber auch von einer letztendlich anthropologischen Setzung bestimmt, die den MenschenMensch als begehrendes und arbeitendes Wesen begreift. ManMan, Paul de kann diese Vorstellung KojèvesKojève, Alexandre als Abwandlung des auf MarxMarx, Karl zurückgehenden Basis-Überbau-Schemas lesen, demzufolge alle menschlichen Beziehungen aus den ökonomischen Bedingungen, dem Wider- und Zusammenspiel von Produktivkräften (TechnikTechnik) und Produktionsverhältnissen (EigentumsEigentum- und Aneignungsformen) abzuleiten sind.

Die Basis, den Unterbau also, bildet die „Gesamtheit der menschlichen Taten, die im Laufe der WeltgeschichteWeltgeschichte vollbracht worden sind.“8 Sie gipfeln in NapoleonsNapoleon militärischem Triumph und in HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie. Der MenschMensch ist Material (Ziegel) und zugleich Agens (Maurer), HandwerkerHandwerker und Baumeister seiner GeschichteGeschichte. Er errichtet ein Gebäude, in dem er wohnen kann und wohnen wird. Die Geschichte der MenschheitMenschheit ist zugleich eine AutobiographieAutobiographie der GattungGattung, die sich von den bescheidenen Anfängen passiven Betrachtens zum absoluten GeistGeist erhebt.9

Das absolute Wissen ist objektiv möglich geworden, weil in und durch NapoleonNapoleon der wirkliche Prozeß der geschichtlichen Entwicklung, in dessen Verlauf der MenschMensch neue Welten geschaffen hat und sich selbst in diesem SchattenSchatten verwandelt hat, an sein Endziel gelangt ist.10

Dieses NarrativNarrativ, das nach vielen Irrungen und Wirrungen – hier ließe sich noch einmal auf die narrative Konfiguration der OdysseeOdyssee Bezug nehmen – auf ein endgültiges und glückliches Ende der WeltgeschichteWeltgeschichte zustrebt, ist eine große Erzählung im Sinne Jean-François LyotardsLyotard, Jean-François,11 vermutlich ist sie sogar eine Meta-Erzählung, die alle großen Erzählungen mit einschließt. Sie bildet das Kernstück von HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie, wie sie bereits in der PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist vorliegt.

Der französische Kommentator spannt HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie in einen geschichtsphilosophischen Bezugsrahmen, in dessen ZentrumZentrum BegehrenBegierde (Begierde), KampfKampf und ArbeitArbeit stehen. Der MenschMensch konstituiere sich, so KojèvesKojève, Alexandre Hegel-Interpretation, durch die Begierde. Durch diese werde er erst eigentlich zum Ich und durch sie werde er zu sich gebracht.12 In einem nächsten Schritt operiert der Kommentar mit einer binären Unterscheidung von Mensch und TierTier (→ Kapitel 9). Das menschliche Begehren hat immer schon, über das primäre Begehren nach Dingen, eine sekundäre soziale und kulturelle Dimension: Es drückt sich zum Beispiel in einem Streben nach AnerkennungAnerkennung aus. Wird er in der passiven „sinnlichen Gewissheit“, wie Hegel den anfänglichen und ‚embryonalen‘ Zustand der VernunftVernunft nennt, von dem Ding, dem ObjektObjekt der Außenwelt, absorbiert, so zielt das Begehren darauf, das Ding durch eine Tat zu verwandeln und zu negieren. An dieser Stelle kommt die Arbeit ins SpielSpiel. Denn sie ist ein Tun, das mit der Begierde Hand in Hand geht und die Voraussetzung für die Erfüllung des Verlangens schafft. Voraussetzung für das menschliche SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein ist darüber hinaus, dass es stets mehrere Begierden gibt, die sich wechselseitig begehren.

Die Begehrlichkeiten des MenschenMensch gehen über die primären animalisch-biologischen, wie den Hunger, hinaus. Jenes reziproke Verlangen, das auf AnerkennungAnerkennung zielt, kann jedoch nur um den Preis befriedigt werden, dass der Mensch sein biologisches LebenLeben aufs SpielSpiel setzt.13 KojèveKojève, Alexandre zufolge sagt HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich,

[…] dass ein Wesen, das nicht imstande ist, sein LebenLeben zur Erreichung nicht unmittelbar lebenswichtiger Ziele aufs SpielSpiel zu setzen, d.h., das sein Leben nicht in einem KampfKampf um die AnerkennungAnerkennung, in einem reinen Prestigekampf einsetzen kann, kein wirklich menschliches Leben ist.14

KojèvesKojève, Alexandre Konzept der BegierdeBegierde kennt insgesamt vier Bestimmungen:

1 Sie ist meine BegierdeBegierde und geht Hand in Hand mit der ErfahrungErfahrung des Ich, Ich will.

2 Die BegierdeBegierde negiert, assimiliert oder verwandelt das begehrte Ding.

3 Das menschliche BegehrenBegierde bezieht sich nicht auf ein Daseiendes, sondern auf ein Nicht-Seiendes. „Die Begierde muss, um anthropogen zu sein, sich auf ein Nichtseiendes beziehen, d.h. auf eine andere Begierde, auf ein anderes lechzendes Leeres, auf ein anderes SelbstSelbst.“ Sie ist auf eine andere Begierde verwiesen.

4 Der MenschMensch ist das bedürftige Wesen, das um seine Bedürftigkeit weiß.15

Durch das BegehrenBegierde und seine Verschränkungen kommt die Konfiguration des symbolisch unmarkierten Anderen ins SpielSpiel. Dabei ist diese Konfiguration sowohl ein Hindernis als ein Ermöglichungsgrund:

Der MenschMensch muß ein Leeres sein, ein NichtsNichts, das nicht reines Nichts ist, sondern ein Etwas, das insofern ist, als es Seiendes vernichtet, um auf seine Kosten sich selbst zu verwirklichen und im SeinSein zu richten.16

Unverkennbar und der Diktion HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich folgend, dominiert in diesem Konzept von AlteritätAlterität eine agonale Dimension, die überdies den MenschenMensch, der nicht sein LebenLeben riskiert und der den knechtischen Aspekt des SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein ausmacht, merkwürdig, ja auf skandalöse Weise belastet. Seine Situation der MarginalisierungMarginalisierung ist im KantKant, Immanuelschen Sinne selbstverschuldet,17 weil er sein biologisches Leben nicht aufs SpielSpiel zu setzen imstande gewesen ist. Umgekehrt erfährt die ‚herrische‘ Position eine Legitimation, nicht nur weil sie die einer Siegerposition ist, sondern weil sie das Ergebnis einer heroisch- ‚romantischen‘ Bereitschaft darstellt, sein Leben um seiner selbst aufs Spiel zu setzen. Selbstbewusstsein wird in KojèvesKojève, Alexandre umfangreichem Kommentar negativ als das „Ausschließen alles anderen“ definiert. Das würde linear zu Ende gedacht zur Vernichtung des störenden Anderen führen. Aber in Hegels Philosophie wird das andere bedrohliche, potentielle ebenfalls mit sekundärer BegierdeBegierde ausgestattete, aber scheiternde Selbstbewusstsein nicht vernichtet so wie die Dinge, die ObjekteObjekt dieser WeltWelt, vielmehr wird der Gegner ‚dialektischDialektik‘ aufgehoben.18 Aufheben hat im Denken Hegels, wie schon erwähnt, stets eine doppelte Bedeutung, verschränken sich doch in ihm zwei Momente, BeseitigungBeseitigung und BewahrungBewahrung. Die Hegelsche Dialektik, an der sich die zweite GenerationGeneration der französischen NachkriegsphilosophieFranzösische Nachkriegsphilosophie abarbeiten wird, vollbringt das Unmögliche, die VerbindungVerbindung der Gegensätze. So wird das Gegenüber im KampfKampf um AnerkennungAnerkennung symbolisch vernichtet und auf einen minderwertigen, ‚tierischen‘ Status herabgedrückt. Biologisch überlebt der marginalisierte Andere allerdings in der nun entstandenen asymmetrischenAsymmetrie RelationRelation von HerrHerr und KnechtKnecht.

Warum ist es, wie KojèveKojève, Alexandre an mehreren Stellen seines Kommentars betont, notwendig, dass beide Gegner am LebenLeben bleiben und dass es einen Sieger gibt, dessen superiore Position von dem Anderen anerkanntAnerkennung werden muss, dem der Sieger wiederum das Leben schenkt?19 Kojève formuliert das an einer Stelle sehr pathetisch und affirmativ. Er geht davon aus, dass Menschwerdung und HerrschaftHerrschaft einander scheinbar bedingen:

Der MenschMensch wurde geboren und die GeschichteGeschichte begann mit dem ersten KampfKampf, der mit dem Auftauchen eines Herrn und eines Knechts endete. Das heißt, daß der Mensch ursprünglich immer entweder HerrHerr oder KnechtKnecht ist; und es gibt keinen wirklichen Menschen, wo es nicht einen Herrn und einen Knecht gibt.20

Warum ist es nun notwendig, dass der Unterlegene am LebenLeben bleibt? Vordergründig deshalb, damit der Sieger jemanden hat, der ihn als Sieger anerkennt. Der KnechtKnecht arbeitet für den Herrn und befriedigt dessen Bedürfnisse, ohne dass letzterer sich selbst anstrengen muss. Die Pointe besteht aber darin, dass nur das Überleben jene sekundäre BegierdeBegierde befriedigen kann, die den Ausgangspunkt des KampfesKampf bildete: die AnerkennungAnerkennung durch einen Anderen, der mit derselben sekundären Begierde nach Anerkennung ausgestattet ist.

So ist der Andere Bedrohung und Bedingung der Möglichkeit eines selbstbewussten SeinsSein. Er ist eine Bedrohung, insofern wir in einem Rivalitätsverhältnis zueinander stehen, er ist die (einzige) Möglichkeit, um SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein zu erlangen. Denn ohne AnerkennungAnerkennung kann aus einem potentiellen kein ‚wirkliches‘ Selbstbewusstsein werden–nichts anderes bedeuten die von HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich verwendeten Kategorien des an sich und für sich. Etwas Ähnliches meint übrigens eine weitere zentrale Kategorie im Hegelschen Denken: Vermittlung. Der Andere ist ein Mittel, ein ‚Medium‘ in diesem Bewusstseinsprozess, er ist aber auch eine mediative InstanzInstanz, die immer dann in Erscheinung tritt, wenn in Hegels Philosophie die Gegensätze aufeinanderprallen und eben dialektischDialektik ‚vermittelt‘, das heißt überbrückt, genauer ‚aufgehoben‘ werden.

HerrschaftHerrschaft bedeutet abstrakt betrachtet, dass der eine, der den KampfKampf aufgibt, für den anderen arbeiten muss, während der andere womöglich kämpft, aber nicht arbeitet. Beide sind am LebenLeben geblieben und aufeinander angewiesen, insbesondere aber der HerrHerr auf die ArbeitArbeit, die der KnechtKnecht für ihn leistet. Umgekehrt liegt das Leben des Knechtes in der Hand des siegreichen und kampfbereiten Herrn.

KojèvesKojève, Alexandre Überlegungen zu HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich enden mit der Darstellung all jener ‚knechtischen‘ Philosophien, die er als Reaktionsformen auf die menschheitsgeschichtliche Konstellation von HerrHerr und KnechtKnecht begreift und die an dieser Stelle nur kurz resümiert werden sollen: Im StoizismusStoizismus wird FreiheitFreiheit als abstrakt in mir befindlich verstanden; eine solche Auffassung erfüllt eine kompensatorische Funktion und macht es möglich, die wirklichen knechtischen Existenzbedingungen als nebensächlich anzusehen. SkeptizismusSkeptizismus und NihilismusNihilismus sind Philosopheme, die das Dasein und seinen WertWert aktiv verneinen, während das ChristentumChristentum, das in gewisser Weise als eine ‚dialektischeDialektik‘ SyntheseSynthese verstanden werden kann, sich eine andere jenseitige WeltWelt mit einem absoluten transzendenten Herrn schafft, der auch den Knecht anerkennt. Damit nimmt Hegel übrigens NietzschesNietzsche, Friedrich Kritik an dem ‚knechtischen‘ Christentum vorweg. Die Französische RevolutionFranzösische Revolution und potentiell der aus ihm hervorgegangene SozialismusSozialismus wären demgegenüber die wirkliche Aufhebung, die „die dialektische Aufhebung sowohl des Knechts wie auch des Herrn vollbringt.“21 Aus dieser LogikLogik ergibt sich ein triadisches Modell der WeltgeschichteWeltgeschichte, jener Weltgeschichte, die in dieser mythischen Denkfigur mit dem KampfKampf als Konstitutionsmoment menschlichen SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein gründet. Sie umfasst

 Die Epoche des Herrn (TheseThese)

 Die Epoche des Knechts (AntitheseAntithese)

 Die Epoche jenseits von HerrHerr und KnechtKnecht

KojèvesKojève, Alexandre Fortschreibung von HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich GeschichteGeschichte von HerrHerr und KnechtKnecht behält dessen Grundfiguren, NegationNegation und DialektikDialektik bei. Herr und Knecht stehen in einem einander ausschließenden Verhältnis zueinander. Hegels Geschichte, wie sie in der PhänomenologiePhänomenologie erzählt wird, endet mit der Epoche, in der sich das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein durch seinen Sieg über den Anderen konstituiert. Kojève führt die Geschichte insofern fort, als er den dialektischen Umschlag thematisiert, der sich dadurch ergibt, dass der Knecht durch die ArbeitArbeit ein reales Verhältnis zur WirklichkeitWirklichkeit entwickelt, an dem es dem Herrn mangelt. Aber diese Situation ist aus dialektischem Blickwinkel unbefriedigend, weil sie nur eine Umkehrung des negativen Verhältnisses mit sich bringt. Dieses wird in der dritten Epoche ‚aufgehoben‘, wobei die Hegelsche Dialektik sich die Äquivokation des Wortes zunutze macht, dass ja zugleich beseitigen und erhalten bedeutet. In der dritten Epoche, die die SyntheseSynthese der beiden vorangegangenen darstellt, werden, im Sinne eines Endes der WeltgeschichteWeltgeschichte, sowohl die Konfigurationen des Herrn als auch die des Knechtes in einer WeltWelt von freien ProduzentenProduzent und Konsumenten ‚aufgehoben‘.

Diese Trinität bei KojèveKojève, Alexandre, die freilich schon in HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie am Werk ist, hat eine mythisch-religiöse Dimension, die mindestens auf Joachim von FioreFiore, Joachim von, einen spirituellen Denker am Ausgang des Mittelalters, zurückreicht. Er hat die christlicheChristentum Heilsgeschichte ebenfalls in drei Epochen eingeteilt und damit Hegels Modell der WeltgeschichteWeltgeschichte nachhaltig beeinflusst. Die erste ist durch das Reich des VatersVater, die zweite durch das des Sohnes, die dritte durch das Reich des HeiligenHeilige GeistesGeist bestimmt.22

Die Konfiguration des marginalisierten Anderen ist hier, zunächst einmal ganz unabhängig von kulturellen Markierungen (wie GeschlechtGeschlecht, EthnieEthnie, ReligionReligion, SpracheSprache, GenerationGeneration), als ein KampfKampf bestimmt, dessen Ziel in der Menschwerdung besteht. Der idealistische Heroismus besteht darin, dass dieser Kampf auf LebenLeben und TodTod biologisch oder materiell keineswegs lebensnotwendig ist, er ist notwendig ‚nur‘ im Hinblick auf eine Menschwerdung, die sich als ein spiralförmiger Bildungsprozess von der sinnlichen Gewissheit, über Bewusstsein und SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, Verstand und VernunftVernunft, zum absoluten GeistGeist hinaufschraubt.

Warum muss KojèveKojève, Alexandre zufolge die Position des Knechts wie die des Herrn „aufgehoben“ werden? Warum behält nicht dieses Herrschaftsverhältnis das letzte Wort in der WeltgeschichteWeltgeschichte? Bei HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich war diese ‚dialektischeDialektik‘ Wende, wenigstens in der PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist, explizit nicht vorgesehen. Kojève fügt in seiner Nacherzählung Hegels durchaus in dessen Geiste also ein Kapitel an. Aus seiner Philosophie der GeschichteGeschichte lässt sich freilich schließen, dass er das bürgerliche Zeitalter, das ja das feudale, aristokratische Herrschaftsverhältnis von HerrHerr und KnechtKnecht in FrageFrage stellt, als den Abschluss der Weltgeschichte angesehen hat, zunächst in Gestalt des Siegers von Jena, später in der historischen Konfiguration des autoritären preußischen Staatswesens. In der Phänomenologie des Geistes bleibt indes Platz nur für das siegreiche SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, das sich nach der Erledigung des Anderen zu einer selbstherrlichen vernünftigen Daseinsform aufmacht.

Dass der KnechtKnecht danach trachtet, seine nachteilige Position zu verbessern oder zu transzendieren, liegt im Wesen der Sache und erklärt die Herausbildung jener ‚knechtischen‘ Philosophien, die HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich diskutiert (StoizismusStoizismus, SkeptizismusSkeptizismus, ChristentumChristentum). Wie das Beispiel des Christentums sinnfällig macht, trachtet der Knecht nach jener AnerkennungAnerkennung als selbstbewusstes menschliches Lebewesen, die ihm angesichts des etablierten Herrschaftsverhältnisses vorenthalten wurde. Ihm blieb die entscheidende Befriedigung seiner BegierdeBegierde demnach versagt.

Wie KojèveKojève, Alexandre an einer Stelle anführt, ist die HerrschaftHerrschaft für den Herrn, entgegen ersten Augenscheins, eine „existentielle Sackgasse“.23 Das hat für Kojève zwei wesentliche GründeGrund: Zum einen ist der Status der erhaltenen AnerkennungAnerkennung, den der HerrHerr durch den KnechtKnecht erfährt, letztendlich unbefriedigend. Denn sie erfolgt ja seitens eines Anderen, der nicht den Status des SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein erlangt hat. In einem tieferen Sinn beruht Anerkennung aber darauf, von meinesgleichen als MenschMensch, das heißt als ein selbstbewusstes, begehrliches intelligentes Lebewesen anerkannt zu werden. Aber weil infolge des heroischen KampfesKampf der Andere auf einen knechtischen Status herabgedrückt worden ist, kann er nicht dieser Andere, dieses Vermittlungsglied sein, mittels dessen sich Selbstbewusstsein konstituieren kann. Was der Knecht unter dem Druck von LebenLeben und TodTod anerkennen muss, ist vornehmlich seine Unterordnung.

Zum anderen aber bedeutet die Existenzweise des Herrn einen letztendlichen entfremdeten Zustand. Mag er noch so ungehindert seine BegierdenBegierde dadurch befriedigen, dass sie ihm ein anderer durch seine ArbeitArbeit verschafft, so ist seine ‚Arbeitslosigkeit‘ eine Reduktion des Menschenmöglichen. Tendenziell wird das siegreiche SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein zu einem Mangelwesen, das sich zu TodeTod amüsiert und jeden Kontakt mit dem ‚realen‘ LebenLeben verloren hat. Im Lichte eines HumanismusHumanismus, in dem der MenschMensch in der gestaltenden Arbeit zu sich kommt, ist der HerrHerr, ungeachtet seiner erlangten FreiheitFreiheit, defizitär (→ Kapitel 11). Schien nämlich zunächst die Arbeit als eine anstrengende Plackerei, die der geschlagene Andere für den Sieger verrichten muss, so erfolgt nun eine dramatische Umwertung der Arbeit als jenes Vermögen, in dem der Mensch in ein erfülltes und konkretes Verhältnis zur WirklichkeitWirklichkeit eintritt. Die Nobilitierung der Arbeit gegenüber dem Müßiggang ist bürgerlichen UrsprungsUrsprung, denn das Besondere und Neue am Bürger ist, dass er selbst arbeitet und in gewisser Weise so (sein eigenerEigentum) Herr und KnechtKnecht in einem oder auch weder Herr noch Knecht ist.24 Und weiter heißt es:

Die GeschichteGeschichte ist also nichts anderes als die Geschichte der dialektischenDialektik, d.h. der aktiven Beziehung zwischen HerrschaftHerrschaft und KnechtschaftKnechtschaft. Die Geschichte kommt darum in dem Augenblick zum Abschluss, da die SyntheseSynthese von HerrHerr und KnechtKnecht WirklichkeitWirklichkeit geworden ist, nämlich der integrale, heile MenschMensch, der Bürger des universellen und homogenen, von NapoleonNapoleon geschaffenen Staates.

Die Schreckensherrschaft Robespierres macht den Bürger zum bürgerlichen SubjektSubjekt und bildet die historische Voraussetzung für das Imperium NapoleonsNapoleon, wobei HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich das wahre SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein Napoleons darstellt. Damit endet, philosophisch betrachtet, die WeltgeschichteWeltgeschichte in der SyntheseSynthese von HerrHerr und KnechtKnecht.25

Der Nachteil des KnechtesKnecht, dass er arbeiten muss, schlägt also unversehens in einen Vorteil um. Nicht nur, dass der Knecht das „NichtsNichts erfasst“ hat, verändert er durch sein knechtisches MenschMensch-SeinSein die natürliche WeltWelt und wird ganz unfreiwillig zum heimlichenheimlich historischen SubjektSubjekt der GeschichteGeschichte, zum Motor von KulturKultur und Zivilisation: „Zwar hätte es ohne den Herrn keine Geschichte gegeben. Aber einzig deshalb, weil es ohne ihn keinen Knecht und darum keine ArbeitArbeit gegeben hätte.“26

Unübersehbar ist hier, wie die ArbeitArbeit, die in die NäheNähe von Kunst, BildungBildung und Entwicklung gerückt wird, zu einem ethischenEthik und kulturellen Ideal avanciert. Die Arbeit wird von KojèveKojève, Alexandre übrigens ganz im Einklang zu MarxMarx, Karl als die zentrale FormForm des Tuns bestimmt, das den MenschenMensch zum Menschen macht, ihn vom TierTier abhebt (→ Kapitel 11). Nur durch die Tat, dort den KampfKampf, hier die Arbeit, kommt der Mensch zu sich selbst. Arbeit ist demnach in ihrer Idealform unentfremdetes Dasein des Menschen. Kojève denkt dabei nicht an die unsäglichen und lebensgefährlichen Schindereien des Menschen, sondern hat die klassische Kunst vor Augen, wenn er meint:

[…] dank seiner ArbeitArbeit kann der KnechtKnecht sich wandeln und ein anderer werden, als er ist, d.h. aufhören, Knecht zu sein. Die Arbeit ist BildungBildung im doppelten Sinn des Wortes: einerseits bildet sie die WeltWelt, bildet sie um, vermenschlicht sie, indem sie dieselbe dem MenschenMensch anpaßt; andererseits bildet sie den Menschen um, bildet, erzieht, vermenschlicht ihn, indem sie ihn der IdeeIdee konformer macht, die er sich von sich selbst macht, und die zunächst nur eine abstrakte Idee, ein Ideal war.27

„Diese schöpferische Erziehung des MenschenMensch durch die ArbeitArbeit“28 entgeht dem Herrn, er hat an ihr keinen Anteil. Er ‚verblödet‘ im Verlauf der Menschheitsgeschichte. Seine anfängliche Superioritätsposition schlägt ins Gegenteil um, sobald der KnechtKnecht die FurchtFurcht vor dem Herren und damit jene vor dem TodeTod verliert und bereit ist, gegen den Herrn zu kämpfen, wie es die Ära der Französischen RevolutionFranzösische Revolution und NapoleonsNapoleon zeigt.

Theorien des Fremden

Подняться наверх