Читать книгу Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso: Reclam Lektüreschlüssel XL - Wolfgang Pütz - Страница 6
2. Inhaltsangabe Kapitel I. Die Eröffnungsszene (Exposition)
ОглавлениеPeter Schlemihls wundersame Geschichte erzählt, wie es bereits der Titel ausdrücklich ankündigt, im RetrospektiveRückblick auf ein individuelles Leben von außergewöhnlichen und unwirklichen Begebenheiten, in deren Mittelpunkt ein namentlich bezeichneter Mann steht. Ganz unvermittelt erscheint dieser Peter Schlemihl als Ich-ErzählsituationIch-Erzähler auf der Bühne des Geschehens, nachdem er am Ende einer »sehr beschwerlichen Seefahrt […] endlich den Hafen« (S. 9) einer deutschen Stadt erreicht hat. Während Ort und Zeit der Handlung weitgehend unbestimmt bleiben, erhält der Leser allerdings genauere Informationen über die besonderen Handlungsmotive des Helden. Dieser ist nämlich im Besitz eines Empfehlungsschreibens, mit dem er sich auf den Schlemihl sucht eine Anstellunghoffnungsvollen Weg zu Thomas John macht, dem Eigentümer eines herrschaftlichen und luxuriösen Landsitzes.
Der Arbeitsuchende, der selbst nur mit einer »kleinen Habseligkeit« (S. 9) ausgestattet ist und sich lediglich eine Ein Nobody in der High Societybillige Unterkunft in einem schäbigen Hotel leisten kann, wird bei seiner Ankunft auf dem prächtigen Anwesen von den dort anwesenden Personen mit großer Erniedrigung des HabenichtsHerablassung behandelt. Während die Gespräche der Reichen und Schönen vor allem um Geld und Besitz kreisen, leidet der Ich-Erzähler unter der damit verbundenen Nichtbeachtung seiner eigenen Person. Im Gefühl seiner Bedeutungslosigkeit und Nichtigkeit begleitet er die anwesende Gesellschaft bis zu einem »rosenumblühten Hügel« (S. 10), wo er Zeuge wird, wie die geringfügige Schnittverletzung an der Hand einer Dame sämtliche Menschen in deren unmittelbarer Umgebung dazu bringt, sich mit diesem banalen Ereignis übermäßig intensiv zu beschäftigen.
Inmitten der hektischen Aktivitäten zur Versorgung der kleinen Wunde steht auf einmal ein »stiller, dünner, hagrer, länglichter, ältlicher Mann« im Zentrum der Aufmerksamkeit des Ich-Erzählers. Er beobachtet, wie der Begegnung mit dem BösenUnbekannte aus der »Schoßtasche seines altfränkischen, grautaffentnen Rockes« unversehens »eine kleine Brieftasche« (S. 10 f.) herauszieht, aus welcher er wiederum ein Wundpflaster hervorholt, mit dem die verletzte Dame ohne weitere zeitliche Verzögerung versorgt werden kann.
Die Unscheinbarkeit des hässlichen und überdies altmodisch gekleideten Fremden steht in einem unerklärlichen Widerspruch zu dessen fantastischer Übernatürliche FähigkeitenFähigkeit, wie aus einem Füllhorn beliebige Gegenstände hervorzuzaubern, an denen gerade Bedarf besteht. Kaum hat er das kleine Pflaster für die vornehme Frau beschafft, so versorgt er gleich darauf den Herrn des Hauses, Thomas John, mit einem großen Fernrohr, als dieser danach verlangt. Trotz seiner magischen Kräfte wird der »graue[] Mann« (S. 11) auch bei seinem nächsten Zauberakt von den Menschen ignoriert, die »ohne Umstände« auf einem »reichen, golddurchwirkten türkischen Teppich« Platz nehmen, den der »Mann im grauen Rock« (S. 12) auf den allgemeinen Wunsch nach einer bequemen Sitzgelegenheit hin aus seiner Tasche gezogen hat. Und obwohl die Erfüllung weiterer materieller Wünsche jede menschliche Vorstellungskraft übersteigt, bleibt auch die unmittelbare Beschaffung eines großen Zeltes und »drei[er] Reitpferde« (S. 13) vollkommen unbeachtet, denn niemand findet »etwas Außerordentliches darin« (S. 12).
Unter dem Eindruck des paradoxen Gegensatzes zwischen der »blasse[n] Erscheinung« des »seltsamen grauen Mann[es]« (S. 13) und seinem übermenschlichen Quell materiellen GlücksVermögen, jedem Wunsch nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung sofort entsprechen zu können, empfindet der Erzähler einerseits ein übermächtiges und schauerliches Gefühl der Faszination und andererseits den Wunsch, sich dem ihn überwältigenden Einfluss des Ungeheuren durch räumliche Entfernung zu entziehen.
Der Fluchtreflex bleibt vergeblich, denn die Übermacht des Bösenübernatürliche Allgegenwart des fremden Mannes zwingt den Erzähler unausweichlich zu einer direkten Begegnung und Auseinandersetzung mit der »schauerlich[en]« (S. 13) Figur, obwohl ihm deren Anblick zuwider ist.
Der Fremde wirkt zwar äußerst unterwürfig, doch gelingt es ihm, mit den ausgewählten Worten einer auf die Spitze getriebenen Höflichkeit und zugleich »im Tone eines Bettelnden« (S. 14), seinen bizarren Wunsch erfüllt zu bekommen: Er trägt sein Verlangen nach dem Schatten des Ich-Erzählers so überzeugend vor, dass dieser schließlich trotz seiner Angst in den Tauschhandel Verführung und Sündenfalleinwilligt. Indem er dem Anderen den eigenen Schatten überlässt, erhält er als Fortunati GlückssäckelGegenleistung »einen mäßig großen, festgenähten Beutel, von starkem Korduanleder« (S. 15), dem er nach Belieben eine endlose Zahl von Goldstücken entnehmen kann.