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Kapitel 2
Оглавление„Da haben Sie sich ein echtes Ei gelegt, Paulsen“, empfing er Paulsen. Eine Spur Schadenfreude war nicht zu überhören.
Paulsen nahm einen Stuhl, schob ihn an den Schreibtisch. „Freut mich, wenn ich Ihren tristen Büroalltag ein bisschen aufheitern kann.“
„Menschenskind, Paulsen, ausgerechnet jetzt, wo die
Medien so im Fokus stehen. ‚Lügenpresse’ und so weiter …“
„Hört sich an wie Feigheit vor dem Feind.“
„Im Ernst, Paulsen, diesmal kann ich Sie nicht decken.“
Paulsen schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück. „Sagen Sie doch erst mal, warum Sie so aus dem
Häuschen sind.“
„Vor ein paar Minuten kam ein Anruf von der Polizei …“
Krohnke legte eine Pause ein, als wollte er ihn auf die Folter spannen. Es funktionierte. Paulsen überkam ein mulmiges Gefühl. Dann fuhr Krohnke mit boshaftem Lächeln fort.
„Pressesprecher Lambert hat uns einen freundlichen Tipp gegeben. Wir sollen bloß nicht auf die Idee kommen,
Aufnahmen vom Tatort zu verwenden.“
„Von dem Zimmer haben wir gar keine Aufnahmen.“
„Und wieso nicht?“, rutschte es Krohnke heraus. Der Reflex des alten Jagdhundes.
„Sie meinen, wir hätten im Zimmer drehen sollen?“
„Ach, Quatsch, ich meinte … was habt ihr denn gedreht?“ „Hotel außen und Statement vom Lambert.“
„Aber vorher waren Sie im Hotelzimmer, das steht ja nun mal fest. Trotz der Absperrung. Das kann Sie teuer zu stehen kommen. Beschädigen eines Dienstsiegels.
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.“
Paulsen war nicht in Stimmung für Rededuelle, aber Krohnke ließ sich am ehesten mit frechen Antworten beeindrucken.
„Juckt mich nicht“, sagte Paulsen.
„Mich allerdings auch nicht. Wäre vielleicht gar nicht schlecht, wenn Sie mal ’ne Zeitlang aus dem Verkehr gezogen würden. Dann könnten Sie sich mal in Ruhe besinnen.“ Er lachte, stand auf und blickte auf die Straße, wo ein Polizeiwagen mit Geheul vorbeiraste.
„Obwohl ich bezweifle, dass ein Resozialisierungsversuch bei Ihnen Erfolg hätte.“
Paulsen belohnte Krohnkes Scherz mit einem Lächeln.
„Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich bin reingelegt worden.“
Krohnke setzte sich wieder. „Sie? Wo Sie doch sonst immer so gewitzt sein wollen?“
„Im Ernst. Ich weiß nicht, was in der Absteige für ein
Spiel getrieben wird, aber ich gehe davon aus, es war kein Zufall, dass sein Angestellter mich in das Mordzimmer hat rennen lassen. Keine Ahnung, warum er mich reinlegen wollte, ich weiß nur eins: Wir sollten der Sache nachgehen.“
„So, meinen Sie? Jetzt sag ich Ihnen mal, was ich meine.
Wegen Ihnen haben wir schon Ärger genug am Hals. Ich will von dem Mist nichts mehr hören.“
„Ich bin überrumpelt worden und will herausfinden warum.“
„Wir bezahlen Sie nicht als Hobby-Detektiv.“
Paulsen kannte Krohnke lange genug und wusste, er durfte jetzt nicht klein beigeben. Krohnke war aus hartem Holz geschnitzt, aber von ganzem Herzen Reporter, jederzeit bereit, für eine gute Story Kopf und Kragen zu riskieren. „Ich habe den Geruch von Trüffeln in der Nase“, lockte Paulsen ihn.
„Pilze sammeln können Sie in Ihrer Freizeit.“
„Ich rede von Trüffeln, um die uns alle anderen beneiden werden.“
„Klingt nach einem Ihrer berüchtigten investigativen
Anfälle.“
„Ich sag nur: Quotenhit.“
„Ja, ja.“ Krohnke winkte ab. „Mit Speck fängt man Mäuse.“ „Geben Sie mir ’ne Chance.“
„Wie ich Ihre Anfälle so kenne, haben Sie auch schon eine
Idee.“
„Wenn das okay heißen soll, verrate ich Sie Ihnen: Laut
Polizei stammt das Mädchen aus Nigeria.“
„Ja und?“
„Wieso wohnte sie in einem Hotel?“
„Was weiß ich, vielleicht auf Urlaubsreise.“
„Mit achtzehn Jahren und ohne einen Cent in der Tasche?“
In Krohnkes Augen erschien ein verträumter Blick. „Früher sind wir auch ohne einen Pfennig losgetrampt. Isomatte gepackt und –“
„Und unter Brücken geschlafen, ich weiß.“
„Jawohl, unter Brücken geschlafen.“ Krohnke war eingeschnappt. „Haben Sie sonst noch was Spektakuläres auf der Pfanne?“
„Ja, der angebliche Hoteldetektiv. Ein dubioser Typ. Dem sollten wir als erstes auf den Zahn fühlen.“
„Das wird die Polizei schon machen. Dafür ist sie ja da.“
„Wir könnten schneller sein.“
Krohnke starrte aus dem Fenster und schien zu überlegen.
Paulsen legte nach. „Ich habe nämlich nicht nur eine Idee, sondern auch schon einen Plan. Könnte fast von Ihnen sein.“
„Das werde ich eidesstattlich bestreiten.“
„Lassen Sie sich überraschen.“
Krohnke setzte sich, nahm die Computermaus und klickte auf dem Bildschirm herum.
„Verdammt, ich glaube, ich werde alt und milde. Ich gebe Ihnen eine Woche, Paulsen. Aber wenn Sie bis dahin nicht mit was Brauchbarem angetanzt kommen, wird es ungemütlich für Sie, ist das klar?“
„Habe ich Sie schon jemals enttäuscht?“
„Hauen Sie ab, bevor ich anfange, ernsthaft darüber nachzudenken.“
Krohnke hackte mit zwei Fingern in die Tasten, als spiele er ‚Hänschen klein‘ auf einem Keyboard.
Als Paulsen am nächsten Morgen zur Prärieblume kam, hockte hinter der Rezeption ein schnauzbärtiger Jüngling in dunklem Kapuzen-Shirt. Mit bleichem Gesicht und geröteten Augen verfolgte er auf dem Computerbildschirm ein Videospiel und fummelte zur gleichen Zeit an einem iPod herum. Auf dem Namensschild stand: Tilman Aschhoff, Nachtportier.
Paulsen fragte nach Baranoff.
„Hä?“
Paulsen deutete auf die Stöpsel in seinen Ohren. Aschhoff nahm sie heraus und musterte ihn wie einen lästigen Eindringling. Paulsen wiederholte seine Frage, und Aschhoff ließ sich zu einer Antwort herab.
„Dritte Etage, linke Hand, letztes Zimmer“. Mit mürrischer Miene stöpselte er die Ohren wieder zu.
Paulsen nahm das Treppenhaus. Hier war vom Western-Stil nicht mehr viel zu sehen, die Wände waren mit Holz imitierender Tapete beklebt, als sei dem Hotelbesitzer das Geld für Historisches ausgegangen.
Im dritten Stock klopfte Paulsen an die Tür mit dem Schild Detektivbüro Baranoff. Keine Reaktion. Er versuchte es noch mal dezent, dann hämmerte er mit der Faust. Von drinnen Poltern, Fluchen und schlurfende Schritte, die Tür öffnete sich einen Spalt, und Baranoffs aufgedunsenes Katergesicht blickte ihn an.
„Was wollen Sie?“
„Ein paar Takte reden.“
„Dann kommen Sie zu meinen Bürozeiten.“
Baranoff zog die Tür zu. Im letzten Moment stellte Paulsen den Fuß dazwischen.
„Ich scheiße auf Ihre Bürozeiten.“
„Die Haxen weg!“
Baranoff trat nach Paulsens Fuß. Paulsen drückte mit dem Ellenbogen gegen die Tür und versuchte, sich hineinzuzwängen.
„Ich lasse mich nicht gerne reinlegen.“
Baranoff ließ die Tür los und schaute sich um, als suche er etwas, mit dem er Paulsen eins über den Schädel ziehen könnte. Er fand nichts Geeignetes.
„Was wollen Sie? Kommen hier mir nichts, dir nichts reingeschneit … “
„Wegen Ihnen habe ich womöglich eine Anzeige am Hals. Was sollte die Tour mit dem Zimmer?“
Baranoff spielte den Empörten. „Ich habe gesagt, Sie sollen schon mal vorgehen, und nicht, dass Sie einbrechen sollen.“ Dabei sah er Paulsen frech in die Augen.
Paulsen trat auf ihn zu, als wolle er ihn an den Kragen gehen.
„Ich will wissen, was das Ganze soll.“
Baranoff wich zur Seite aus.
„Okay, okay, ich kann's erklären.“ Er beugte sich zur Tür und blickte in den Hotelflur. „Mein Gott, müssen Sie gleich so ’n Alarm machen? Wir haben Gäste im Haus.“
„Ich mache gleich noch mehr Alarm. Vielleicht hilft Ihnen das auf die Sprünge.“
Baranoff machte eine beschwichtigende Geste. „Warten Sie unten, ich komme runter.“
„Ich gebe Ihnen fünf Minuten.“
Als Paulsen die Treppe hinunterging, klapperte auf der zweiten Etage ein Eimer. Er traf auf eine kleine, grauhaarige Frau, die einen Handwagen mit Besen und Putzzeug hinter sich herzog. Auf seine Frage bestätigte sie, ja, sie habe die Tote am frühen Morgen gefunden, an Details können sie sich aber nicht mehr erinnern, die seien wie ausgelöscht. Sie habe das Hotelzimmer geöffnet, die Leiche erblickt und sei sofort davongelaufen. Das Einzige, was sich in ihr Gedächtnis gebrannt habe, sei der blutüberströmte Körper. Er drückte ihr ein Trinkgeld in die Hand, und sie zuckelte mit ihrem Reinigungswagen weiter.
Im Foyer, gegenüber der Empfangstheke, gab es eine Sitzecke mit Wildwest-Flair: drei mit Büffelleder-Imitaten bezogene Sessel und als niedriger Tisch ein dunkelbraun gebeiztes Wagenrad unter Glas, vor der Wand ein Piano im Honky-Tonk-Stil.
Paulsen rückte den Sessel so zurecht, dass er Aufzugtür und Treppenhaus im Auge hatte, falls Baranoff sich aus dem Staub machen wollte. Auf der anderen Seite der Sitzgruppe, hinter einem Spalier Bambuspflanzen, saß ein Mann in hellem Anzug, anscheinend ein Hotelgast, und las Zeitung. Nach zehn Minuten rasselte die Aufzugtür, und Baranoff erschien, eingezwängt in den gleichen verschwitzten schrumpeligen Anzug wie gestern. Ächzend ließ er sich in den Büffel-Sessel plumpsen.
„Ist alles ein Missverständnis.“
„Was heißt Missverständnis? Die Tür stand offen und das
Siegel war aufgebrochen.“
„Tatsache?“ Baranoff grinste. „Na ja, auch wenn es die
Bullen nicht tun, ich glaube Ihnen.“
„Hören Sie auf, Sie wussten doch, dass das Zimmer
offenstand.“
Baranoff kratzte an seinem Speckbauch. „Vielleicht war’s ja auch eine der Putzfrauen. Ich werde der Sache noch mal selbst nachgehen.“
Nicht zu fassen, wie unverfroren er war, aber Paulsen ging es um etwas Anderes.
„Vorschlag zur Güte, wir lassen die Geschichte erst mal beiseite. Ich bin nämlich noch aus einem anderen Grund hier.“
Baranoff merkte, dass sich die Lage für ihn entspannte, hatte sofort wieder Oberwasser und setzte eine geschäftsmäßige Miene auf.
„Dann lassen Sie mal die Katze aus dem Sack. Meine Zeit ist begrenzt.“
Paulsen blieb freundlich und ignorierte den unverschämten Ton.
„Wir planen eine Reportage über den Beruf des
Privatdetektivs.“
„Prima. Und was geht mich das an?“
„Ganz einfach: Sie sind unser Mann.“
Baranoff glotzte verständnislos.
„Bei der Reportage geht es um Folgendes. Wir wollen ein paar Fragen nachgehen: Was macht ein Privatdetektiv? Wie kommt er an seine Aufträge? Wie geht er dabei vor? Was unterscheidet ihn von den Privatdetektiven, wie man sie aus den Krimis kennt? Man könnte auch sagen, wir vergleichen
Mythos und Realität des Detektivberufes.“ Baranoff starrte Paulsen an.
„Wollen Sie mich verarschen?“
„Keinesfalls. Überlegen Sie doch mal, Sie könnten dazu beitragen, das schlechte Image des Berufs zu verbessern. Sie wissen, das Bild in der Öffentlichkeit ist heutzutage mies. Die Leute halten Privatdetektive für Spanner, die in der schmutzigen Wäsche anderer Leute schnüffeln und es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen.“
„Weil die Leute bekloppt sind.“
„Sie haben es in der Hand, das Bild zu korrigieren.“ Baranoff rutschte auf dem Sessel herum.
„Sonst noch was?“
„Erstmal alles.“
„Für so ’n Quatsch habe ich keine Zeit.“
Er erhob sich und hinkte in Richtung Aufzug. Hatte
Paulsen sich in ihm getäuscht? Er war davon ausgegangen, Baranoff würde aus Großmannssucht nicht nein sagen können, wenn er die Chance hatte, ins Fernsehen zu kommen. Offenbar hatte er ihn falsch eingeschätzt.
Nach ein paar Schritten blieb Baranoff stehen und drehte sich um.
„Ich bin für ein Hotel mit dreißig Zimmern verantwortlich. Wissen Sie überhaupt, was das heißt? Das heißt, Tag und Nacht in Bereitschaft sein. Ich hab’ genug um die Ohren, auch wenn hier nicht jeden Tag einer abgemurkst wird.“
„Ah, der Baranoff!“
Der Zeitungsleser von nebenan kam hinter den Bambuspflanzen hervor. Ein stutzerhafter Typ von Mitte vierzig mit Gel im Haar, heller Leinenanzug, altrosa Hemd und blau gepunktete Krawatte. Breit lächelnd ging er auf Baranoff zu.
„Gut, dass ich Sie mal antreffe.“
Baranoffs blickte ihm misstrauisch entgegen.
„Ich habe den Eindruck, dass irgendwas mit der
Telefonanlage nicht in Ordnung ist.“
„Wieso?“
„Sie macht so merkwürdige Geräusche.“
„Ich bin hier nicht der Hausmeister.“
„Aber Sie kennen sich doch hier aus. Vielleicht können
Sie sich die Sache mal kurz anschauen.“
Er warf einen Blick auf Baranoffs ausgetretene Latschen. „Bei der Gelegenheit zeig ich Ihnen auch gern mal meine neuste Schuhkollektion.“ Er lachte und wandte sich zum Ausgang.
Baranoff blickte ihm nach, wie er mit dynamischen
Schritten, die Aktentasche schwingend, hinausging.
„Fühl dich ruhig in Sicherheit, Freundchen“, rief er ihm halblaut nach, dann wandte er sich zu Paulsen. „Den Windhund hab’ ich schon lange aufm Kieker. Meffert, Schuhvertreter – angeblich.“
Ehe Paulsen nachfragen konnte, was Baranoff mit ‚angeblich’ meinte, sagte der: „Was soll denn dabei rausspringen?“
„Wobei?“
Baranoff warf einen kurzen Blick zur Rezeption, als wollte er sich vergewissern, dass niemand zuhörte, und kam zurück zur Sitzecke.
„Bei der Reportage.“
Paulsen brauchte einen Moment, bis er Baranoffs 180-Grad-Wende begriffen hatte.
„Finanziell nichts. Aber was Sie nicht unterschätzen dürfen: Für Sie wäre es kostenlose Werbung.“
Baranoff setzte sich, legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Kristallleuchter an der holzgetäfelten Decke, als müsse er das Angebot überdenken.
Paulsen tat so, als hätte er aufgegeben. „Tja, tut mir leid, dass ich Ihnen kein lukrativeres Angebot machen kann.“
„Darum geht’s nicht.“ Baranoff kratzte sich am schlecht rasierten Kinn. „Meine Honorarsätze könnt ihr sowieso nicht löhnen. Wenn ich mitmache, dann nicht wegen der Mäuse, sondern aus ’nem anderen Grund.“ Er machte eine Kunstpause.
„Und der wäre?“
„Pflichtgefühl.“
Paulsen blickte ihn an – ehrlich verblüfft.
„Pflichtgefühl unserem Berufsstand gegenüber. Die Pflicht, ein so bestialisches Verbrechen aufzuklären. Man könnte auch sagen, ich tue es im Namen aller Detektive. Besonders für die armen Schweine, die wie ich im Hotelgewerbe arbeiten. Und wenn das unter den Augen der Öffentlichkeit geschieht, umso besser.“ Er krabbelte aus dem Sessel.
„Ich werde die Bestie jagen, und dann könnt ihr hautnah miterleben, wie man so was anpackt.“
Er ging geschäftig los, als wollte er gleich mit der Jagd beginnen. An der Tür drehte er sich noch einmal um.
„Von wegen Mythos und Realität!“
Paulsen muss sich eingestehen: So viel Ironie hatte er Baranoff nicht zugetraut. Er nahm es als Warnung, ihn nicht zu unterschätzen.