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Kapitel 5

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Paulsen hatte den Bahnhofsvorplatz erreicht, als das Handy klingelte.

„Dein Freund hat so einiges aufm Kerbholz“, meldete sich Sascha.

„Vorstrafen?“

„’ne ganze Latte. Hausfriedensbruch, Urkundenfälschung, Erpressung, Einbruch und Amtsanmaßung.“

„Anscheinend ein unternehmungslustiger Typ.“

„’ne große Leuchte als Detektiv scheint er jedenfalls nicht zu sein. Als er mal einen jugendlichen Ausreißer zurückholen sollte, hat er versucht, daraus einen Entführungsfall zu konstruieren. Hat Schwein gehabt, dass er nicht im Knast gelandet ist.“

„Was hat er früher gemacht?“

„Bei ’ner Sicherheitsfirma gearbeitet, Überwachung von Gebäuden. Hat den Job aber vermasselt, ist entlassen worden, weil er betrunken auf Patrouillendienst mit einem Schäferhund war, dabei über den Hund gestolpert und schwer gebissen worden ist. Ins Bein.“

„Ah, daher das Hinken.“

Sascha lachte. „Das könnte natürlich auch an seinem Pferdefuß liegen.“

Ganz unwahrscheinlich kam Paulsen die Vermutung nicht vor.

Im Bahnhofsbistro suchte er einen Platz an der Theke, von wo er gute Sicht über die Halle hatte, und bestellte Sandwich und Kaffee. Die Schwüle war kaum auszuhalten. Ab und zu brach ein Sonnenstrahl durch das Hallenfenster, wurde vom verchromten Tresen reflektiert und stach ihm in die verkaterten Augen. Drei Kaffee später war er überzeugt, dass Baranoff ihm einen Bären aufgebunden hatte. Er bezahlte, wollte gerade gehen, als ihm ein Bahnschaffner auffiel, ein kleiner Dicker in dunkelblauer Uniform, mit Schirmmütze und roter Krawatte. Irgendetwas stimmte an dem Kerl nicht. Er stand mitten in der Halle vor einem Glaskasten, tat so, als studiere er die Fahrpläne, und beobachtete auffallend unauffällig die Leute ringsherum. Letzte Zweifel, um wen es sich handelte, schwanden, als er hinkend den Standort wechselte.

Kurz darauf tauchte Schuhvertreter Meffert auf, kam quer durch die Halle und blieb in Höhe des Lebensmittelladens stehen. Paulsen schlenderte vom Bistro zur Buchhandlung neben dem Service-Center und betrachtete die Auslagen im Schaufenster. In der Spiegelung beobachtete er, wie sich ein dunkelhäutiger sportlicher Typ in hellem Leinenanzug näherte und an Meffert vorbei spazierte. Meffert folgte ihm in einigem Abstand. Auch Baranoff auf der anderen Seite der Halle schien die beiden bemerkt zu haben und marschierte los. Noch hatte er nicht ganz die Hallenmitte erreicht, als zwei Uniformierte der Bundespolizei auf ihn zutraten und ihn anhielten.

Unterdessen waren Meffert und der Libanese am Automaten angelangt, wo sie Getränke zogen, ohne sich gegenseitig zu beachten. Von seiner Position aus konnte Paulsen nicht erkennen, ob sie irgendetwas übergaben oder austauschten.

Dann ging Meffert hinüber zu den Schließfächern, öffnete eine Box, entnahm einen schmalen Aktenkoffer und verschwand damit in den Toiletten. Der Libanese blieb in der Nähe stehen und wartete. Wenn es tatsächlich um Drogen ging, überprüfte Meffert vermutlich die Ware. Nach einer Weile kam er zurück und ging wortlos an dem Libanesen vorbei in Richtung Ausgang. Das Geschäft schien gelaufen.

Paulsen verfolgte Meffert bis zum Parkplatz gegenüber dem Bahnhof, wo er in einen grauen VW Passat stieg. Paulsen nahm ein Taxi und fuhr ihm nach. Meffert fühlte sich offenbar sicher, jedenfalls unternahm er nichts, um die Verfolger abzuhängen, fuhr ohne Umwege zum Frankenberger Park, hielt vor dem Hochbunker und verschwand, den Koffer unter dem Arm, im Eingang.

Paulsen stieg aus und folgte ihm, entlang der Bunkermauer, Graffiti besprüht und mit Plakaten voll gekleistert. Dem Schild am Eingang zufolge beherbergte das Betonungetüm aus dem Zweiten Weltkrieg Probe- und Konzerträume und Büros.

Er zog die schwere Eisentür auf und kam in einen Vorraum mit weißgetünchten Backsteinwänden, folgte einem neonhellen Gang, der sich nach zwanzig Metern gabelte. Er entschied sich für links und schaute sich um. Von Meffert keine Spur.

An den Metalltüren prangten Namen von Bands, die sich hier, fern von Tageslicht und Tageszeit, austoben konnten. Eine Bürotür ging auf, und ein etwa fünfzigjähriger Mann trat heraus. Mit seinem langen silbergrauen Haar, buntem Stirnband und einem Gewand, das einem Nachthemd ähnelte, sah er aus wie eine Mischung aus Hippie und Schlossgeist.

„Suchen Sie jemand?“

Paulsen nannte den Namen irgendeiner Band, den er zwei Gänge vorher gelesen hatte.

„Die kommen immer erst abends, so gegen acht.“

„Hm, schade.“ Paulsen wandte sich zum Gehen.

„Zum Ausgang geht’s aber da lang“, sagte der Alte und zeigte in die Richtung, aus der Paulsen gekommen war.

„Ja, richtig.“

Er wendete. Kurz vor der Abbiegung schaute er sich noch mal um. Der Alte stand immer noch an der Bürotür und beobachtete ihn argwöhnisch, als sei der Geist eines Luftschutzwarts in ihn gefahren, der für Ruhe und Ordnung im Bunker zu sorgen hatte.

Zurück am Eingang nahm Paulsen diesmal den rechten Gang und geriet in ein Labyrinth von ehemaligen Luftschutz- und Sanitätsräumen, vollgestellt mit dem Schrott von Belüftungsanlagen und rostigen Eisengestellen, die wie Gerippe ausgestorbener Urtiere aussahen.

Der Gang führte in einen Trakt, der anscheinend wenig oder gar nicht genutzt wurde. Es roch nach Schimmel und Urin, und statt Neonlicht erleuchteten jetzt trübe Kellerlampen die unverputzten Wände. Mit jedem Meter wurde die Luft kälter und feuchter.

Von irgendwoher kam Stimmengewirr. Paulsen blieb stehen und lauschte. Dumpfe Schläge, dann das Geräusch energischer Schritte, die näherkamen.

Er schlüpfte in einen Nebengang und verbarg sich in einer Nische. Sekunden später wischte ein Schatten vorbei. Paulsen spähte um die Ecke. Ein breitschultriger Rocker in Kutte, Jeans und Stiefeln stampfte den Gang hinunter. Auf dem Rücken trug er den Patch der Bloody Angels.

Paulsen wartete, bis die Schritte des Rockers verhallt waren, und ging weiter. Als er ein leises Wimmern vernahm, folgte er dem Geräusch und gelangte nach zwei Abbiegungen in einen großen Raum mit niedriger Decke. Das Wimmern kam von einer Gestalt, die zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Schuh- und Drogenhändler Meffert.

Paulsen half ihm auf. Meffert blutete aus Nase und Mund, der schicke Anzug war verdreckt und zerrissen, Haare und Gesicht eingestäubt mit weißem Pulver.

„Wie kommen Sie denn hierher?“, brachte er mit kläglicher Stimme hervor.

„Spielt jetzt keine Rolle“, sagte Paulsen. „Wir müssen so schnell wie möglich hier raus.“

Er schleppte Meffert in Richtung Ausgang. Nach einer Weile hörten sie Stimmen näherkommen, wichen in einen Nebengang aus und lauschten, die Körper an die Wand gepresst.

„Wo ist die Ratte?“

„Weiter vorn.“

Zwei Gestalten stiefelten vorbei und entfernten sich dorthin, woher Paulsen und Meffert gekommen waren. Es war zu riskant, dem Hauptgang zu folgen, so wählten sie einen Seitengang, bogen mehrmals ab und hatten bald jegliche Orientierung verloren. Ein Gang senkte sich nach unten, und sie mussten durch knöcheltiefes Wasser waten, dann ging es wieder bergauf, und sie kamen in einen großen kahlen Raum. Sie hielten inne und ruhten sich an einem massigen Betonpfeiler aus. Der Boden war übersät mit Unrat, leeren Flaschen, Bierdosen und verfaulten Matratzen, an den Wänden Warnhinweise in altdeutscher Schrift: ‚Ruhe bewahren!’ und ‚Vorsicht bei Gesprächen! Feind hört mit‘.

Als befürchteten sie das auch jetzt – mehr als siebzig Jahre nach dem Krieg – verständigten sie sich nur im Flüsterton. Über ihnen entdeckten sie einen Schacht, aus dem spärliches Tageslicht hereinfiel, vermutlich der Notausgang zum Bunkerdach, mit einer rostigen Leiter nach oben. Meffert bemerkte Paulsens Blick.

„Das schaff ich nicht.“

Meffert hatte recht. Die Leiter begann in Kopfhöhe. Selbst wenn es Paulsen gelungen wäre, ihn bis an die erste Sprosse hochzuhieven, würde er nicht die Kraft haben, allein weiter zu klettern.

Schweigend standen sie eine Weile da. Es war still wie in einer Grabkammer.

„Idealer Ort, jemanden abzumurksen“, flüsterte Paulsen. „Draußen hört einen keiner.“

„Es reicht schon, wenn sie uns einschließen“, jammerte Meffert. „Hier findet uns kein Mensch.“

„Doch, wenn der Bunker irgendwann mal abgerissen wird.“

Meffert schauderte es. „Dann finden sie nur noch unsere Knochen – abgenagt von Ratten.“

„Und haben ein echtes Puzzle zu lösen: Welcher Knochen gehört zu wem.“

Meffert betastete seine Rippen und stöhnte leise. Sie beschlossen weiterzugehen. Nach zwei weiteren Abbiegungen stießen sie auf ein weißes Schild mit rotem Pfeil: ‚Zum Ausgang‘. Ein Nebenausgang, so hofften sie, anderenfalls würden sie ihren Verfolgern womöglich direkt in die Arme laufen. Sie hatten Glück und kamen unbehelligt ins Freie. Paulsen bugsierte Meffert auf den Beifahrersitz seines Passats und setzte sich ans Steuer.

„Ich fahre Sie zum Krankenhaus.“

Meffert schwieg, als sei ihm alles egal. Gerade als Paulsen den Motor starten wollte, tauchten im Rückspiegel zwei Gestalten am Bunkereingang auf. Der eine der Bloody Angels-Rocker, der andere ein durchtrainiert wirkender, muskulöser Kerl in Lederjacke, dunklem Rolli und schwarzen Jeans. Ihren Gesten nach zu urteilen, stritten sie sich. Nach ein paar Minuten verschwanden sie wieder im Bunker. Paulsen fuhr los.

Auf dem Parkplatz des Marienhospitals half er dem lädierten Meffert aus dem Wagen.

„Vielleicht sollten Sie vorher noch den Schnee wegmachen.“

Meffert fuhr sich durchs Haar und schüttelte sich.

„Alles nur Backpulver.“

Während sie in der Ambulanz warteten, fragte Paulsen, was genau vorgefallen war. Meffert zögerte. Erst als Paulsen ihm offenbarte, dass er ihn im Bahnhof beobachtet hatte, gab Meffert sich einen Ruck und gestand, dass es um ein Drogengeschäft gegangen war.

„Bin aber total auf die Schnauze gefallen.“ Der Lieferant habe ihn reingelegt, wertloses Zeug geliefert und ihm dafür fünfzehntausend Euro abgeknöpft. „Dass das Backpulver war, habe ich bei der Übergabe nicht bemerkt.“

Paulsen grinste sich eins und ließ ihn weitererzählen.

Er habe das Zeug im guten Glauben fürs Doppelte weiterverkaufen wollen, beteuerte Meffert, was der Kunde im Musikbunker ihm allerdings nicht geglaubt hatte. Statt die vereinbarten Dreißigtausend auf den Tisch zu legen, hatte der Rocker ihm das Pulver um die Ohren gehauen und ihm zusätzlich eine Abreibung verpasst. In den Deal, mit dem er den Einstieg ins große Geschäft beginnen wollte, hatte Meffert seine gesamten Ersparnisse investiert und im wahrsten Sinne des Wortes verpulvert. „Alles futsch.“ Er machte eine Miene, als sei er Opfer eines ungerechten Schicksalsschlags geworden.

Nachdem Mefferts Wunden verarztet und keine ernsthaften Verletzungen festgestellt worden waren, lud Paulsen ihn auf einen Kaffee in die Krankenhaus-Cafeteria ein. Jetzt, im ramponierten Zustand, war von Mefferts windigen Großspurigkeit nichts mehr geblieben, als habe ihn der Schock zur Vernunft gebracht. Paulsen nutzte es, ihn nach seinem Kontakt zu der Nigerianerin zu fragen. Nach kurzem Zögern gab Meffert zu, ihr ein paar Mal ein bisschen Koks verkauft zu haben, auch für eine ihrer Freundinnen. Erst da sei ihm die Idee gekommen, das Ganze größer und geschäftsmäßig aufzuziehen.

„Gab es mal Streit mit dem Mädchen wegen Geld?“

„Nein. Es ging ja nur um geringe Mengen.“

Das stimmte oder auch nicht.

Meffert merkte, dass Paulsen argwöhnisch blieb.

„Angenommen, ich hätte das Mädchen umgebracht, meinen Sie, dann wäre ich im Hotel geblieben? Ich wäre doch längst über alle Berge.“

„Damit hätten Sie sich auf jeden Fall verdächtig gemacht.“

„Ich habe sie aber nicht umgebracht.“

„Wer denn? Etwa Baranoff?“

„Wieso nicht? Dem trau ich alles zu.“

Mörderwelt

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