Читать книгу Weihnachts-Blues - Wolfgang Schierlitz - Страница 10
ОглавлениеHamsterfreuden
Wenn das Jahr sich langsam auflöst, die langen, dunkleren Dezembertage zum Ende hin eingetroffen sind, dann ist unser Freund, der Martl, zumindest geistig schon lange intensiv beschäftigt. Sinnend steht er stundenlang am Fenster und schaut in Gedanken versunken hinaus in die trostlose Winterwitterung, bis die Dämmerung hereinbricht. Draußen wallt der Nebel, ein eisiger Wind pfeift um das einsame Haus, und vom nahen Wald krächzen Raben. Unser Freund wirkt etwas depressiv und sehr ernst. Ein feierlicher, melancholischer Zug durchfurcht sein Gesicht. Schwere Konflikte bedrücken ihn schon einige Zeit. Er versucht, sich an den Gedanken zu gewöhnen, für tolle, konsumkritische Weihnachtsgeschenke etwas aus seiner kuriosen, ungewöhnlichen Trödlersammlung zu opfern. Es unterstützt ihn dabei der beste Wein, den er aus seinem Fundus im Keller geholt hat. Einen obligatorischen Hindernislauf hinab durch die geliebten, unzähligen Sammelobjekte nimmt er gerne in Kauf. Obwohl er dabei auch schon gestrauchelt ist, eine unersetzliche Vase zerdeppern musste und sich einen der beiden Füße verrenkt hat. Er bemerkt beim Hinunterhumpeln sachlich: »Das muss mein Linker sein.« Mit exklusiver Spätlese kommt er humpelnd wieder empor.
Euphorisch gestärkt und allmählich in weihnachtlich-überirdischer, feierlicher Stimmung ist endlich die wichtige, innere Ruhe eingekehrt. Er konzentriert sich auf die Weihnachtsgeschenke. Immer wieder holt er auch einige Sachen aus der Mülltonne zurück.
»Gerade noch rechtzeitig«, stellt er fest, als das Müllauto anrückt. Dann grübelt er weiter. Das dauert seine Zeit – mindestens vom Oktober bis in den Advent hinein. Bald sind schon die ersten endlosen Lichterketten und kilometerweit strahlenden, turmhohen Event-Sensationen installiert. Die findigen Dekorateure haben jeden Winkel festlich geschmückt. Überall klingt und singt es weihnachtlich beschwingt. Auch die Hochsaison der Weihnachtsmärkte hat begonnen.
»Da habe ich auch heuer wieder sensationell tolle Sachen und einmalige Schnäppchen erworben«, flüsterte er glücklich, als er mit seinem vollbeladenen Wagen zurückgekehrt war. Alles freut sich, und weit und breit merkt es bald jeder: Es weihnachtet umgehend sehr!
Auch der Martl hat allmählich wieder Frieden und innere Ruhe gefunden. Er hat viele Verwandte und Freunde, und alle will er ökologisch-dynamisch beschenken. Aus seinem gewaltigen Sammelsurium lässt er aber nur Objekte heraus, die andere längst eliminiert hätten. Er löst damit seinen Gewissenskonflikt, schafft neuen Platz und fühlt sich noch dazu als vollwertiger Wohltäter. Aber genau das ist sein Problem, wenn die hohe Zeit daherkommt: »Was soll ich denn wieder aussortieren? Was würde ich wegwerfen? Was brauche ich absolut nicht mehr?«
Die Freude der glücklich Beschenkten ist leider keineswegs umwerfend. »Was wird er wieder anschleppen? Ein unreparierbares Tonbandgerät? Einen angeblich historischen Klodeckel? Eine Kunststoffzahnbürste, die ganz bestimmt von Ludwig II. stammen soll?«
So manche eigenartige Gabe verschwindet umgehend in der Mülltonne auf Nimmerwiedersehen. Die tolle, biologisch-wertvolle Geschenke-Euphorie hat jedoch für ihn den großen Vorteil, dass nach langem Hin und Her endlich wieder etwas Platz und Luft für neue Objekte entstehen kann. Eines ist klar: Er braucht Raum für seine Sammelwut. Viele empfindliche, einmalige Dinge stehen sogar immer noch im Freien, und der Rost ist oft schneller als er mit der schwierigen Beschaffung eines trockenen Platzes. Er denkt an sein großartiges, leider rostiges Hochrad, mit dem er im Regen zur Volksbelustigung unterwegs war. Dieses einmalige Gefährt aus einer anderen Zeit ruht aber inzwischen zu seiner Beruhigung und Zufriedenheit im Trockenen. Nur das Entrosten steht noch bevor.
Doch dann ist es endlich wieder so weit. Der Vierundzwanzigste ist da. Fröhlich und freudig summt er in den dichter werdenden Nebel hinaus: »Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all.«