Читать книгу Weihnachts-Blues - Wolfgang Schierlitz - Страница 8

Оглавление

Weihnachtliche Erinnerungen


Damals, als wir noch über hochfliegende Unternehmungen diskutierten, war alles grenzenloser. An den Weihnachtsfeiertagen lagen Panorama- und Landkarten rotweinfleckig auf dem wackeligen, uralten Holztisch bei einem einschichtig gebliebenen Bergsteigerspezi, und viele neue Abenteuer entstanden in unserer Fantasie.

»Prost«, rief er euphorisch in das in wenigen Tagen zu Ende gehende alte Jahr hinein und wir ließen die Gläser klingen. Auch unsere gegenseitigen Weihnachtsgeschenke waren ganz auf die bergsteigerische Zukunft abgestimmt. Von Karabinerhaken, Repschnüren, speziellen Handschuhen bis hin zu Skibrillen reichte die praktische Geschenkepalette.

Nachdenklich meinte der Werner, unser geprüfter Skitouren- und Kletterführer: »Ihr müsst aber noch viel lernen und vor allem einen kühlen Kopf und die Übersicht behalten, auch wenn ihr noch so gut trainiert seid. Der Berg bleibt immer unberechenbar. Das habt ihr sicher schon gelernt.« Er war unser Guru und sprach aus seiner langjährigen Erfahrung. Damals war uns kein Berg zu hoch und keine Mühsal konnte uns abschrecken. Unsere zahlreichen, jetzt im Nachhinein weinselig-gewürzten Kletter-, Berg- und Skihochtouren-Erlebnisse waren umfangreicher geworden. Der Profi und Freund, der diesmal ausnahmsweise keine schwierige Winterwandbegehung im Terminkalender stehen hatte, trainierte uns – sogar theoretisch und mental – an den Weihnachtsfeiertagen. Er war bereits dutzende Male zu allen Jahreszeiten in der Watzmann-Ostwand gewesen, hatte sie von allen Seiten durchklettert, war Eiger-Nordwand-Spezialist und besaß sogar höchste Himalaya-Erfahrungen, nicht zuletzt durch seine erfrorenen Zehen.

»Ich habe unter anderem auch den Nevado Ojos del Salado, den höchsten Vulkan der Welt, in Südamerika bestiegen.« Diese Superlative hat gesessen.

Aber die Anna-Lena darauf, die nichts ernst nehmen kann: »Und? Ist er ausgebrochen? Bist du da oben in der Lava-Glut zum Glühweintrinker geworden?«

Doch solche Fragen ignoriert unser weiser Guru. Obwohl er vielleicht auch hin und wieder die ganze Unzulänglichkeit unserer Welt im Humor durchscheinen sieht. Wir prosten uns wieder zu, nur die Anna-Lena bleibt eisern bei der Cola.

»Wenn du so nüchtern weitermachst, kollabierst du bestimmt noch«, meint der Werner ernst. Aber zurück zu unseren Erlebnissen.

Alles begann im Sommer mit dem Überklettern der Kampenwand in immer kürzerer Zeit. Das war unser Ausdauertraining.

»Nun könnt ihr größere Touren anpacken«, stellte unser Bergführer noch zum Abschied sachlich fest, bevor er wieder nach Nepal verschwand.

Später kam der Hintergrat am König Ortler an die Reihe. Da waren wir schon ziemlich bergerfahren und höhentauglich geworden. Am Monte Rosa hatten wir den anspruchsvollen Lyskamm bezwungen. Der Mont Blanc an der Grenze zwischen Frankreich und Italien, mit 4.810 Metern der höchste Berg der Alpen, sollte unser nächstes Ziel werden. Ob dieser oder der Elbrus im russischen Kaukasus der höchste Berg Europas ist, bleibt umstritten, war uns aber gleichgültig. An Herbsttagen wehte der Wind durch die Lärchen- und Waldkiefernwälder zu den Felstürmen der Dolomiten und zu uns herauf. Der harzige Balsamduft bleibt unvergessen. Und die steilen, traumhaften Skiabfahrten nach der oft vielstündigen Bezwingung hochalpiner Gipfel stehen stolz in unseren Tagebüchern. Das ist lange her. Unser Vorbild war er, der Extrembergführer Werner Stattler, unser erfahrener Trainer. Er ist irgendwann hoch oben im höchsten Bergmassiv der Welt um die Weihnachtszeit verschollen. Das Bergsteigerblatt widmete ihm einen gebührenden Nachruf und wir, seine Schüler, wurden älter und nachdenklicher. Seine Mahnungen zur Vorsicht haben wir bisher nie vergessen. Doch oft denke ich zurück an die jungen, wilden Jahre, an die frühere Zeit, an unseren ungebändigten Optimismus wenn es bergauf ging. An die magischen Augenblicke nach innen und außen, von hoher Warte aus. Wenn der Herbst gegangen war, es nach Schnee roch und in unserer gepachteten Berghütte die Highlights der vergangenen Saison wieder zum Leben erweckt wurden. Dunkle Dezembertage und heller, weihnachtlicher Widerschein der Kerzen und Silberkugeln erscheinen aus der Vergangenheit. Wenn das ereignisreiche Jahr ausklingt. Wenn wir in der Geschwindigkeit der ablaufenden Jahre nach Fixpunkten suchen. Wenn in den Erinnerungen beinahe wieder alles Wirklichkeit wird.

Weihnachts-Blues

Подняться наверх