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1 Einleitung

Als ich im Sommer 2017 in Südtirol am Kalterer See meinen Urlaub verbrachte, fand anfangs im Hotel eine Begrüßungsveranstaltung statt. Dort kam ich mit einem netten westdeutschen Ehepaar ins Gespräch, das einen gepflegten und gebildeten Eindruck machte. Wir sprachen über Gott und die Welt, und die Zeit verging wie im Flug. Als dann politische Themen angesprochen wurden, war die Stimmung zusehends nicht mehr so gut. Zuerst schimpften sie über die in ihren Augen widerspenstigen Ungarn und Polen, die nicht so wollten, wie es sich Angela Merkel und die EU vorgestellt haben. Mir schien das Ehepaar von mir Zustimmung zu erwarten. Sie waren daher überrascht, dass ich die Polen und Ungarn zwar nicht in allen, aber in vielen Punkten in Schutz nahm und darauf hinwies, dass jedes Volk das Recht hat, selbst über sein Schicksal zu bestimmen. Ich drückte auch meine Zufriedenheit aus, weil die osteuropäischen Regierungen im Gegensatz zu Angela Merkel und zur EU zumindest noch einen Restanstand haben und sich dem Willen des Volkes beugen. Irgendwann fielen dann die Sätze: „Ihr habt doch alle die SED gewählt! Ihr wolltet sie doch!“ Ich muss gestehen, ich war in diesem Moment nicht schlagfertig genug. Denn sonst hätte ich ihnen gesagt, dass sie sich gerade in einem Widerspruch verfangen haben, hörte und las man doch in den westdeutschen Medien hinauf und hinunter, die Wahlen in der DDR seien nicht demokratisch. Ich versuchte, in ruhiger Weise zu erklären, dass die SED ihre Vormachtstellung über die Nationale Front gesichert hatte. Ich glaube, sie haben es nicht verstanden. Nein, der Abend endete nicht mit einem Eklat. Irgendwie schafften wir es, ganz seicht auf andere Themen umzuschwenken. Der Abend endete harmonisch bei einem „Glaserl“ Gewürztraminer, einem speziellen Südtiroler Wein, bei einem sternklaren Himmel und einer erfrischend kühlen Brise am Ufer des Sees. Über Politik haben wir in den nächsten Tagen nicht mehr geredet …

Hier zeigt sich, dass selbst nach 27 Jahren der deutschen Wiedervereinigung – oder, besser gesagt, nach dem Beitritt der DDR zur BRD – die Verständigung zwischen Westdeutschen und ehemaligen DDR-Bürgern immer noch sehr schwierig ist und wie wenig viele Westdeutsche über die Geschichte ihrer „Brüder und Schwester im Osten“, wie Dr. Helmut Kohl die DDR-Bürger einst nannte, wissen.

Die „Ostdeutschen“ unterscheiden sich von den Westdeutschen nicht nur, wie von bestimmten gesellschaftlichen Kreisen gern kolportiert, im Wahlverhalten zur Alternative für Deutschland (AfD), sondern in ihrer kritischeren Haltung gegenüber Politikern und Medien, in ihrer Gefühlswelt und darin, wie sie sich im Ausland verhalten.

Es gibt zweifelsohne schon eine Handvoll Bücher über die „Ostdeutschen“. Wenn aber ARD und ZDF für einige dieser Bücher kräftig die Werbetrommel schlagen, dann ist zumindest bei mir Misstrauen angesagt. Und in der Tat erwiesen sich diese für mich als oberflächlich und mehr oder weniger im Sinne der Leitmedien, der Politiker und einer kleinen wohlhabenden und einflussreichen Schicht geschrieben …

Um zu begreifen, warum die „Ostdeutschen“ nun so sind, wie sie sind, was sie geformt hat, muss in die Geschichte bis 1945 zurückgegangen werden. Zunächst möchte ich den Begriff „Ostdeutscher“ bestimmen. Diese Definition kommt aber erst im letzten Teil dieses Buches und im zweiten Band voll zum Tragen.

1.1 Der „Ostdeutsche“ – Versuch einer Begriffsbestimmung

Nachdem die sowjetische Armee in den Schlachten um die Seelower Höhen und in der Kesselschlacht bei Halbe im April 1945 die restlichen deutschen Armeeverbände vernichtend geschlagen und nach einer blutigen Straßenschlacht im Mai 1945 Berlin eingenommen hatte, brach das Hitler-Regime endgültig zusammen. Am 7. Mai 1945 in Reims und am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst unterschrieb die deutsche Militärführung die bedingungslose Kapitulation.

Die preußischen Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Schlesien und Brandenburg sowie die Länder Mecklenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen wurden von den Russen besetzt. Auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) teilten die Siegermächte das Deutsche Reich in Besatzungszonen auf. Entgegen vorheriger Vereinbarungen schlug Stalin vor, sämtliche Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie Polen zu schenken. Seine erstaunliche Begründung war, dass dort ohnehin wenige Deutsche lebten. Um nicht der Lüge überführt zu werden, ließ er den Termin für die erste anberaumte Sitzung der Potsdamer Konferenz platzen und in der Zwischenzeit in einem Streifen von ungefähr 200 km östlich der Oder-Neiße-Linie alle Deutschen vertreiben. Auch wenn es diesbezüglich in Großbritannien und in den USA heftigen Widerstand gab, so wurden letzten Endes auf dieser Konferenz die Oder-Neiße-Grenze als die Ostgrenze Nachkriegsdeutschlands und die Aussiedlung/Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten beschlossen. Mein Eindruck ist, dass die Siegermächte zum Zeitpunkt dieses verhängnisvollen Beschlusses nicht wussten, wie viele Ostdeutsche davon betroffen waren … Die Zahl der Menschen, die dadurch ihre Heimat verloren, wird in der Literatur mit zwischen 11 und 15 Millionen angegeben, wobei ich die letztgenannte Zahl für wahrscheinlicher halte. Viele von ihnen fanden ihre zweite Heimat in der von den Westalliierten regierten Zonen bzw. später in der BRD, aber auch viele in der sowjetisch besetzten Zone bzw. später in der DDR. Ich habe selbst erlebt, wie noch Ende der 1960er-Jahre Spätaussiedler aus Schlesien in die DDR kamen …

Das Gebiet zwischen Elbe/Werra und Oder/Neiße sowie zwischen Rügen und dem Vogtland galt bis 1945, geografisch gesehen, als die Mitte Deutschlands. Fälschlicherweise wurde und wird dieses Gebiet immer wieder als Mitteldeutschland bezeichnet. Die Verunsicherung bei der Begriffsbestimmung hat meines Erachtens drei Gründe: Zum einen liegt es daran, dass die Brandenburger und Berliner sich nicht als Norddeutsche fühlen, zum anderen daran, dass der Begriff Mitteldeutschland in den letzten 220 Jahren der deutschen Geschichte eine große Veränderung seiner Bedeutung erfahren hat. So galt in der Zeit des Heiligen Römischen Kaiserreiches Deutscher Nation der Gebietsstreifen zwischen (einschließlich) dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich Sachsen als Mitteldeutschland. Seit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Jahre 1871 zählten zu Mitteldeutschland Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen und nach dem Ersten Weltkrieg nur noch die drei letztgenannten Gebiete. Es ist wohlgemerkt nur eine grobe Zeiteinteilung. Der dritte Grund ist, dass von 1949 bis zur staatlichen Anerkennung der DDR im Jahre 1972 mit dem Abschluss des Grundlagenvertrages aus ideologischen Gründen die Menschen, die in der DDR lebten, von der Bundesregierung und von den bundesdeutschen Leitmedien als „Mitteldeutsche“ oder als „Bürger in der SBZ“ bezeichnet wurden.5 Zwischen 1972 und 1989 kam es in der BRD in den Medien vermehrt zu der Bezeichnung „Ostdeutschland“ bzw. „Ostdeutsche“. Spätestens nachdem die DDR und die BRD 1990 im Zwei-plus-vier-Vertrag auf die Ostgebiete verzichtet hatten, setzte sich für die ehemaligen DDR-Bürger endgültig der Begriff „Ostdeutsche“, oder auch mit negativer Konnotation der Begriff „Ossi“, durch.

Ich habe mit dieser Bezeichnung etwas Bauchschmerzen, denn was ist mit den Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten? Was ist mit den 2,8 Millionen Russlanddeutschen, die nach dem Scheitern der Gründung einer neuen Wolgadeutschen Republik zwischen 1989 und 1995 nach Deutschland, mehrheitlich in die neuen Bundesländer, zogen? Was ist mit den Westdeutschen, die Aufbauhilfe betrieben und schon 30 Jahre auf dem Gebiet der ehemaligen DDR leben? Richard Schröder, ehemaliger Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP), fragte in einem Beitrag in der FAZ nicht zu Unrecht, ob ein Westdeutscher, der bereits 30 Jahre im östlichen Teil der BRD lebe, immer noch ein Westdeutscher sei.6 Allerdings stimme ich nicht seiner Aussage zu, dass der „Ostdeutsche“ nur eine Erfindung sei. Ich werde es auch in meinem Buch begründen.

Wenn ich von den „Ostdeutschen“ schreibe, dann möchte ich den Personenkreis einschränken auf die Bürger, die bis 1990 in der ehemaligen DDR lebten, ihre Kinder. Die Vertriebenen aus den Ostgebieten sind in meine Betrachtungen also mit einschlossen, weil sie in der DDR sozialisiert wurden. Die Russlanddeutschen haben neben ihren Erlebnissen in der Sowjetunion als eine unterdrückte nationale Minderheit zumindest teilweise die gleiche Erfahrung mit der sozialistischen Gesellschaft und ihren politischen Vertretern gesammelt wie die DDR-Bürger. Sie kamen auf Betreiben des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl nach der Wende in die neue BRD, hatten also keine einschlägigen Erfahrungen mit dem Alltag in der DDR. Die Bürger der alten BRD, die nach 1990 in die neuen Bundesländer kamen, wurden lediglich mit den Folgen der Diktatur des Proletariats konfrontiert, konnten sich viele Erscheinungen nur durch Hörensagen und eine nicht immer korrekte westdeutsche Geschichtsschreibung erklären. Wenn sie aus beruflichen Gründen in die neuen Bundesländer kamen, so waren oftmals die westdeutschen Netzwerke ihr Bezugspunkt.

Auch wenn es etwas hart klingen mag, so ist es meiner Meinung nach für die Betrachtung, warum der „Ostdeutsche“ so ist, wie er ist, sinnvoller, den Betrachtungskreis auf die ehemaligen DDR-Bürger, ihre Kinder und Kindeskinder zu beschränken. Denn die heutigen Widersprüche zwischen „Ost“ und „West“ resultieren aus den Erfahrungen aus der DDR und während der gesellschaftlichen Transformation in den 1990er-Jahren und Anfang der 2000er-Jahre, aus den in der DDR gehegten Wünschen nach einem besseren (vereinigten) Deutschland, die teils erfüllt, größtenteils aber nicht erfüllt wurden. Der von mir eingegrenzte Personenkreis bildet in „Ostdeutschland“ die Mehrheitsgesellschaft.

1.2 Warum die Westdeutschen so wenig über die ehemaligen DDR-Bürger wissen

Die Erklärung für dieses Phänomen darin zu suchen, dass der Sieger die Geschichte schreibt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Trotzdem ist sie mir zu einfach. Tatsache ist, dass bis heute Westdeutsche führende Positionen bei den Leitmedien innehaben. Einige von ihnen schreiben über die DDR mit einer gewissen politischen Verblendung und mit Hochmut, andere mit der Absicht, Westdeutsche und Ostdeutsche gegeneinander auszuspielen, und eine dritte Gruppe von Journalisten lässt aus Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit jegliche notwendige Sorgfalt beim Verfassen von Artikeln fehlen.

Spätestens seit der Flüchtlingskrise im Jahre 2015, als es in den neuen Bundesländern zu Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik Merkels kam, trat eine vierte Gruppe von Journalisten, aber auch von Politikern, in Erscheinung, die die neuen Bundesbürger beschimpften und die Hass und Zwietracht schüren wollten zwischen den Menschen im Westen und im Osten Deutschlands. Es sind die Transatlantiker und Befürworter einer zentralistisch regierten EU und einer in weiterer Zukunft anvisierten Weltregierung. Besonders hervorgetan hat sich die Wochenzeitung „Die Zeit“. Pikanterweise sind deren Journalisten fast schon Dauergäste bei der Bilderberg-Konferenz und somit transatlantisch eingenordet. Bei dieser Zeitschrift konnte ich die meisten Artikel finden, die sehr einseitig über die neuen Bundesländer berichteten. Hier wird der Eindruck erweckt, als wäre die Grenze zwischen West und Ost einzig und allein daran zu erkennen, wo die Menschen nach der Vorstellung dieser Journalisten „fremdenfeindlich“ sind und AfD wählen und wo nicht. Die Beschimpfung dieses Teils Deutschlands als „Dunkeldeutschland“ durch den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck7 geht in die gleiche Richtung. Auf die lange Zeit verschwiegenen Demütigungen und Benachteiligungen der Ostdeutschen komme ich noch zu sprechen. Das Auseinanderdividieren von West und Ost hat den Vorteil, Schlagzeilen zu produzieren, um die Zeitungsauflage zu erhöhen, aber auch bestimmte Entwicklungen zu befördern oder zu verhindern. Für Angela Merkel wäre es äußerst peinlich, wenn sie von den aufmüpfigen ehemaligen DDR-Bürgern wie einst Erich Honecker mit Schimpf und Schande aus ihrem Amt verjagt werden würde. Sie, die wahrlich keine Bürgerrechtlerin ist, ist erst Anfang Dezember 1989, als die größte Gefahr vorbei war, rechtzeitig aus der Deckung gekommen und auf den (politischen) Zug Richtung „Wiedervereinigung“ aufgestiegen. Sie ist, wenn man ihren Worten glauben darf, eine glühende Verfechterin einer neuen Weltordnung, einer Weltregierung, wo letztendlich die USA, die Finanzelite, die Konzerne und andere Protagonisten den Ton angeben.8 Die „Vereinigten Staaten von Europa“ sind nur ein Zwischenschritt auf dem Weg dahin. Mit ihrer Flüchtlingspolitik und der damit einhergehenden Islamisierung Deutschlands/Europas sollen die Entnationalisierung vorangetrieben und der Widerstand der autochthonen Bevölkerung gebrochen werden. Der Politologe Yascha Mounk von der Universität Harvard in Cambridge (Großbritannien) sprach am 20. Februar 2018 bei der ARD-Fernsehsendung „Tagesthemen“ ganz unumwunden von einem „historisch einzigartigem Experiment“ …9 Der Sturz Merkels wäre natürlich ein schwerer Verlust für die Protagonisten einer New World Order (NWO). Die ehemaligen DDR-Bürger werden daher als gefährliche Antagonisten dieses Vorhabens gesehen.

Es kommen noch zwei weitere Gesichtspunkte hinzu, warum sie von den Mainstream-Medien angefeindet werden: Die DDR-Bürger haben es notgedrungen gelernt, zwischen den Zeilen von Nachrichten zu lesen. Sie haben sich sowohl beim Ost- als auch beim Westfernsehen informiert und sich ein eigenes Urteil gebildet. Bei ihnen haben heutzutage die Medien und die Politiker einen wesentlich schwereren Stand als bei den Westdeutschen. An den zweiten Gesichtspunkt denkt kaum jemand: In den letzten 20 Jahren sind in den Leitmedien (neben den Transatlantikern) immer mehr Journalisten nachgerückt, die eine linksgrüne Weltanschauung vertreten.10 Diese sind bereits in der Mehrheit und auf die ehemaligen DDR-Bürger sauer, weil sie schuld daran sind, dass das sozialistische Gesellschaftsmodell, dem die Journalisten anscheinend nachtrauern, gescheitert ist. Etwas zugespitzt formuliert: Es gibt eine linksgrüne/transatlantische Querfront gegen die ehemaligen DDR-Bürger.

Auch wenn der Westdeutsche täglich schon beim Frühstück eine nicht korrekte Darstellung der DDR durch die Leitmedien präsentiert bekommt, so liegt es auch an ihm, sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen. Aus vielen Gesprächen/Telefonaten habe ich von ihnen immer wieder gehört, dass sie selbst nach mehr als 20 Jahren der Vereinigung nicht die ehemalige DDR besucht haben. Mein Eindruck ist es, dass zwar 90 Prozent der Ostdeutschen Westdeutschland mindestens einmal besucht haben, aber umgekehrt nur vielleicht 60 bis 70 Prozent der Westdeutschen die neuen Bundesländer. Anscheinend sind billige Auslandsurlaube wichtiger, als das eigene Vaterland näher kennenzulernen.

1.3 Wie heute offiziell die DDR gesehen wird und eine kleine Richtigstellung

Wenn es bei offiziellen Stellen um die Charakterisierung der DDR geht, so müssen folgende Punkte immer enthalten sein:

• Tote an der Unrechtsgrenze,

• Diktatur der SED,

• die umfassende Überwachung der Bevölkerung durch die Staatssicherheit,

• Zwangseinweisung von Kindern bei politischen Häftlingen,

• Meinungsdiktatur,

• Unterdrückung der Kirche,

• akuter Wohnungsmangel,

• Enteignung und Verstaatlichung privater Betriebe,

• Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft,

• Gleichmacherei,

• Mangelwirtschaft usw.

Das ist zweifellos richtig. Etwas Positives über die DDR zu sagen, erscheint manchem schon als etwas anrüchig. Ohne gleich dieses System reinzuwaschen, möchte ich einige positive Dinge aufzählen. Nach meinem Geschichtsverständnis müssen alle Facetten des Diskussionsgegenstandes betrachtet werden. Es mag zwar sein, dass einige positive Erscheinungen systembedingt sind, sie haben aber real existiert und das Denken, das Selbstbewusstsein der ehemaligen DDR-Bürger, mehr oder weniger beeinflusst.

Ich sehe eine Richtigstellung auch deshalb als notwendig an, weil viele ältere Westdeutsche beklagen, dass sich für sie seit dem Anschluss der DDR an die BRD vieles verändert habe. Außerdem gelten für sie die Ostdeutschen, was wohl ganz bewusst von den Mainstream-Medien befördert worden ist, als „Jammerossis“. Hier möchte ich darauf hinweisen, dass sich für die ehemaligen DDR-Bürger außerhalb der eigenen Familie, Verwandtschaft und Bekanntschaft komplett alles verändert hat! Insofern ist auch die Bezeichnung „Wiedervereinigung“ irreführend, weil diese suggeriert, als hätten 1990 bei den Verhandlungen zwei gleichberechtigte Partner einander gegenübergesessen. In Wahrheit hat die ehemalige DDR alle Gesetze von der BRD übernommen. Es gab einige befristete Ausnahmeregelungen. Darauf komme ich noch zu sprechen.

Folgende positive Dinge fallen mir im Zusammenhang mit der DDR ein:

• Arbeitsplatzsicherheit,

• wohnungsnahe Arbeitsplätze,

• erschwingliche Mieten für Wohnungen für jedermann,

• abgesicherte Grundversorgung in der ländlichen Gegend (Dorfkonsum, Landarzt, Briefkästen, zuweilen Postaußenstelle, Dorfkneipe),

• sehr gute Grundlagenausbildung in den Schulen (ähnlich wie in Finnland),

• ein einheitliches Bildungssystem,

• Lehrstellenangebote für alle Jugendliche,

• großes Freizeitangebot für Jugendliche (Sport- und Kulturorganisationen, Jugendklubs),

• Polikliniken (mehrere Arztpraxen unter einem Dach),

• konsequente Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau,

• große Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander,

• relativ geringe Kriminalität,

• pünktliche Eisenbahnzüge,

• Transport des überwiegend größten Teils der Güter auf der Schiene,

• weniger chemiebelastete Lebensmittel,

• viel weniger Menschen mit Allergien als in Westdeutschland,

• zentrale Erfassung von Krankheitsbildern in der Bevölkerung,

• größere Parteienvielfalt (rein auf dem Papier; allerdings nützte diese effektiv nichts) als in der BRD und

• keine Rundfunkzwangsgebühren.

5 Anmerkung: In meinen späteren Betrachtungen der wirtschaftlichen Entwicklung der SBZ/DDR habe ich, wenn es zum Vergleich auf die Zeit der 1930er- und 1940er-Jahre zurückgeht, das oben umrissene Gebiet in Abgrenzung zu "Mitteldeutschland" als "mittleres Deutschland" bezeichnet.

6 Schröder, Richard (2018): Die Erfindung der Ostdeutschen. FAZ vom 03.10.2018. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/politik/‌inland/pegida-und-chemnitz-was-ist-mit‌-dem-osten-los-15814890.html (zuletzt abgerufen am 30.09.2020).

7 Ondreka, Lukas (26.08.2015): Joachim Gauck, die Ossis und Dunkeldeutschland. In: Süddeutsche Zeitung vom 26.08.2015. Online verfügbar unter https://www.sueddeutsche.de/‌politik/bundespraesident-joachim-gauck‌-die-ossis-und-dunkeldeutschland-1.2622780 (zuletzt abgerufen am 05.10.2020).

8 So äußerte Angela Merkel am 4. Juni 2011 auf dem Evangelischen Kirchentag in Dresden: "Wenn man eine wirkliche Weltordnung will, eine globale politische Weltordnung haben möchte, dann wird man nicht umhinkommen, an einigen Stellen auf Souveränität zu verzichten und Rechte an andere abzugeben." Siehe PHOENIX (04.06.2014): "Evangelischer Kirchentag. Angela Merkel fordert öffentlich neue Weltordnung." In: PHOENIX vor Ort vom 04.06.2011. Online noch verfügbar unter http://bewusstsein-online.de/index.‌php?mact=News,cntnt01,detail,0&cntnt01articleid=100&cntnt01returnid=15 (zuletzt abgerufen am 05.10.2020).

9 Tagesschau.de (Hrsg.) (20.02.2018): "Yascha Mounk, Politikwissenschaftler Harvard University, sorgt sich um den Fortbestand der Demokratie". Online verfügbar unter https:‌//‌www.tagesschau.de/multimedia/video/video-378713.html (zuletzt abgerufen am 05.10.2020).

10 Rasch, Michael (08.11.2018): "Das Herz des deutschen Journalisten schlägt links." In: Neue Zürcher Zeitung vom 08.11.2018. Online abrufbar unter https://www.nzz.ch/international/das-herz-des-deutschen-journalisten-schlaegt-links-ld.1434890 (zuletzt abgerufen am 05.10.2018).

Der Ostdeutsche, das unbekannte Wesen

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