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Letzte Jahre in Schlesien

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Meine Erinnerungen an den Vater sind ähnlich blass wie das Zusammenleben mit den Geschwistern zu Freystädter Zeiten. Beim Vater liegt das daran, dass ich ihn leider viel zu selten bewusst erleben durfte. Die Ausfahrten im Sportcabrio kenne ich nur von Fotografien. Neben dem Vater, gut eingepackt in den Armen der Mutter. Zuletzt besaß der Vater einen DKW, mit dem er einmal bergab mit Rückenwind stolze 80 Stundenkilometer auf den Tacho zauberte. Damit wurden Ausflüge nach Neusalz, Glogau und Sagan unternommen. Ich erinnere mich nur noch an intensiv nach Teer duftende Kähne, die bei Neusalz am Ufer der Oder festgezurrt, still vor sich hin dümpelten. Das familiäre Drumherum ist verschüttet. Ebenso gelegentliche Besuche bei der Konditorei Hanke am Marktplatz in Freystadt. Neben dieser Konditorei existierte ein Friseursalon, den die Mutter in regelmäßigen Abständen zur Erneuerung ihrer Dauerwelle aufsuchte und dabei von mir, zwecks Reduzierung der eigenen Haarpracht, begleitet wurde. Die eigene Schur gestaltete sich kurz und schmerzlos. Die Mutter saß dagegen eine gefühlte Ewigkeit unter der Haube. Ich vertrieb mir währenddessen die Zeit vor dem Laden, indem ich mit schwingenden Armen und lautem Zischen Lokomotive spielte. Als im Winter bei Kälte mit jedem Zischlaut Dampf aus dem Mund strömte, war ich davon so begeistert, dass der Berufswunsch für kurze Zeit vom Arzt zum Lokomotivführer wechselte. Man sollte sich mit der Realisierung seiner Berufswünsche Zeit lassen.

Nur aus Schilderungen der Mutter – von den Geschwistern bestätigt – erfuhr ich, dass man den Jüngsten gerne bezüglich seiner Strapazierfähigkeit auf die Probe stellte. Im Sportwagen angegurtet bot die Kurve beim Übergang von der Hesse- in die Lorenzstraße das richtige Terrain zur Erprobung des „Elchtestes“, den der Sportwagen nicht bestand, der kleine Bruder aber unbeschadet über sich ergehen ließ. Auch die Fahrt mit demselben Vehikel die steile Bodentreppe hinab verlief ohne ernsthaftere Blessuren.

Es herrschte eine wohltuende kindliche Sorglosigkeit, die z. B. den älteren Bruder dazu ermunterte, bei seiner jüngeren Schwester als Figaro tätig zu werden. Mit kühnem Schnitt ging er der weiblichen Lockenpracht zu Leibe – das Schwesterchen trug einige Wochen eine recht futuristische Frisur …Zur Weihnachtszeit hatte das Krippenspiel Konjunktur: Unter der Bettdecke leuchtete der ältere Bruder mit der Taschenlampe auf die Geschwister herab und rief nicht ohne Pathos: „Siehe, ich verkündige euch große Freude!“ Die Freude war etwas einseitig, als die Mutter dahinterkam. Eigentlich hätten die Kinder zu dieser Zeit längst schlafen sollen.

Wie alte Fotografien zeigen, hat der Vater wohl sehr liebevoll mit den beiden älteren Geschwistern gespielt, ich war dafür einfach noch zu klein. Mein Vater geriet zur Konkurrenz, wenn er für kurze Zeit von der Front auf Heimaturlaub nach Hause kam. Dann fiel das nachmittägliche Spielen mit der Mutter aus, weil sich – für mich völlig unverständlich! – die Eltern nach dem Mittagessen zu Bett begeben wollten. Als ich dann hinter verschlossener Schlafzimmertür geradezu beängstigende, sehr ungewöhnliche Geräusche vernahm, war meine Geduld erschöpft: Wütend trommelte ich mit den kleinen Fäusten gegen die Tür und forderte Einlass. Es gibt Dinge, für die sich der Sohn noch heute gerne bei seinen Eltern entschuldigen würde …

Auch die Begleitung des Vaters durch das kleine Städtchen anlässlich eines Heimaturlaubs, blieb in keiner guten Erinnerung. Er trug zwar eine ungemein schicke Uniform, die er aber mit solch raumgreifenden Schritten spazieren führte, dass ich kaum zu folgen vermochte. Dieser Dauerlauf wurde immer wieder durch zeitraubende Gespräche mit irgendwelchen Bekannten unterbrochen, wobei man sich sehr angelegentlich nach dem jeweiligen Befinden erkundigte. Dies war wiederum für den Sohnemann geradezu ätzend langweilig. Weil er das sehr deutlich zu erkennen gab, konnte der Vater noch nicht einmal mit einem gut erzogenen Sprössling glänzen. Nein, die Beziehung zwischen Vater und seinem Jüngsten war nicht gerade das, was man als Erfolgsgeschichte bezeichnen würde. Die Verhältnisse, sie waren halt nicht so …

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