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Die Hohenaus

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Die Hohenaus fielen in der Berliner Gesellschaft auf.9 Dazu trug schon der wirklich ungewöhnliche Größenunterschied bei, der zwischen beiden Ehepartnern bestand. Charlotte oder, wie sie meist genannt wurde, Lotka von Hohenau überragte ihren Mann um Haupteslänge. Friedrich von Hohenau (1867–1914) wurde deshalb und wohl auch wegen seiner homosexuellen Veranlagung als „Loloki“ bezeichnet, was so viel hieß wie, kleines Lottchen‘. Die übrigens vier Jahre ältere Charlotte von Hohenau (1863–1933) war jedoch nicht nur groß, sondern auch ausgesprochen sportiv. Sie war eine passionierte Reiterin, die ihre Reitkünste auch oft und überaus gern vor der Hofgesellschaft vorführte. Dabei konnte sie zugleich ihre offensichtlich gute Figur präsentieren, was von den anwesenden Männern gern gesehen, von den Frauen dagegen etwas missgünstig betrachtet wurde.

Eine, wie sie sich selbst charakterisierte „Dame, die keineswegs prüde, aber an Anstand und Sitte gewöhnt ist“, mokierte sich in einem an den Zeremonienmeister von Kotze adressierten anonymen Brief darüber, dass Gräfin Hohenau bei einer anderen und noch dazu offiziellen Hofveranstaltung „mit völlig entblößten Busen“ erschienen sei.10 Doch nicht nur ihr Busen, auch ihr Gesicht soll, wie es in einem anderen anonymen Brief heißt, von „classischer Schönheit“ gewesen sein. Für eine weitere Briefschreiberin war es jedoch ein „Puppengesicht“ mit einer, was immer das zu bedeuten hatte, „impertinenten Nase“.11 Bemängelt wurden auch ihre „angegangenen Zähne“ und scharf kritisiert wurden ihre „lüsternen Blicke“, die sie hohen und höchsten Herren der Hofgesellschaft zugeworfen haben soll.

Diese, ihre „lüsternen Blicke“ waren offensichtlich erfolgreich. Jedenfalls wurde in mehreren Briefen vermeldet, dass die „meisten Männer nicht die Energie“ besitzen würden, „der bestrickenden Schönheit dieser Frau zu widerstehen“.12 Für die Schwäche dieser Männer wurde jedoch bezeichnenderweise nicht deren geschlechtliche Gier, sondern die „Manie der Gräfin Hohenau“ verantwortlich gemacht, die „förmlich danach lechzt, mit allen Prinzen in möglichst nahe bzw. geschlechtliche Beziehung zu treten“. Außerdem empfinde Charlotte von Hohenau einen „nicht zu beherrschenden Kitzel, wenn es gilt, einer jungen Ehefrau den neu vermählten Gatten abspenstig zu machen“.13 Die Geilheit oder, wie es in einem anderen Brief heißt, die „ganz aparte Art von Tollheit“ der Gräfin sei „stadtbekannt“ und führe dazu, dass sie sich „jedem Prinzen an den Hals wirft und“ – nun wird es wirklich etwas vulgär – „ganz unaufgefordert die Röcke hochhebt“.14 Damit benehme sie sich „schlimmer wie (sic) das mannstollste Weib“, weshalb sie in einem in Gedichtform gehaltenen anderen anonymen Brief kurz und geradezu vernichtend mit einem bei den damaligen Prostituierten gern verwandten Vornamen als „Lottchen von Preußen“ bezeichnet wurde.15

Verehrter Herr von Kotze!

Es ist allgemein aufgefallen, daß bei der

diesjährigen Cour die Gräfin Hohenau mit völlig

entblößten Busen erschienen ist, ohne daß

einer der Kammerherrn diese Dame entfernt

oder auch nur dieselbe auf das Unpassende ihres

Anzugs aufmerksam gemacht hätte.

Sie würden sich ein großes Verdienst erwerben

wenn Sie dahin wirken möchten, daß

Bestimmungen getroffen und bekannt gegeben

werden, wieweit die Decolletirung bei Hofe

zulässig ist, damit an der Hand solcher

Normatifs eine ähnliche Schamlosigkeit künftig

inhibirt werden kann.

Eine Dame, die keineswegs prüde, aber

an Anstand und Sitte gewöhnt ist.

Anonymer Brief an Leberecht von Kotze, 1892

Loloki und Lotka bei Mondenschein

Im Schlitten welch reizendes Paar,

Loloki nicht groß und Lotka nicht klein

So stimmen sie auf ein Haar.

Im Sommer sieht man die beiden nur

Zu Roß in Wald und Feld,

Der Zwerg dann schneidet scharf die Cour

Die Riesen ihm gefällt.

Und im Winter zu sehen wie Loloki springt

Beim Tanzen ist eine Lust,

Die Nase allerhöchsten reicht

Bis hinauf zu Lotka’s Brust.

So bleibt er verschont von dem duftenden Hauh

Der aus dem Munde aufsteigt.

Und Lotka ist sehr zärtlich auch

So lang kein Prinz sich zeigt.

Doch wenn der Fichi kommt Hohenlohe der Wicht,

Prinz Stolberg und wie sie heißen.

Dann kennt Lotka Loloki nicht

Dann ist sie Lottchen von Preußen.

Anonymer Brief an Friedrich Graf von Hohenau, Februar 1891

Das war wirklich starker Tobak, der in diesen Briefen verabreicht wurde, welche mit Sicherheit von einer Frau und mit großer Wahrscheinlichkeit von Charlotte von Meiningen geschrieben worden sind. Womit hatte Charlotte von Hohenau das verdient? Einmal mit ihrer unbestreitbaren Schönheit und ihrem, wie man heute sagen würde, Sex-Appeal. Zum anderen aber auch mit der ebenfalls unbestreitbaren Tatsache, dass sie ihre sexuelle Anziehungskraft auch angewandt hat. Die Liste ihrer männlichen Eroberungen ist lang.

An erster Stelle ist Wilhelm II. zu nennen, der ein nachgewiesenes Verhältnis mit der Gräfin hatte. Allerdings war Wilhelm da noch Kronprinz und auch noch nicht verheiratet. Ob Charlotte von Hohenau, wie in einem Brief gemunkelt wurde, es geschafft hat, erneut von den „kräftigen Armen“ des inzwischen verheirateten Kaisers „umfangen“ zu werden,16 ist schon deshalb zweifelhaft, weil Wilhelm II. bekanntlich gar keine „kräftigen Arme“ hatte.

Ein weiterer Teilnehmer an der Grunewald-Party, Prinz Friedrich Karl von Hessen, soll vor seiner Ehe mit der Schwester des Kaisers, Margarete, ebenfalls ein Geliebter der Gräfin gewesen sein. Daher ist die offensichtlich von Charlotte von Meiningen ausgehende Vermutung, dass Charlotte von Hohenau versuchen würde, Margarete den gerade vermählten Mann auszuspannen, nicht völlig unwahrscheinlich. Vermutete und nachgewiesene sexuelle Beziehungen soll Charlotte von Hohenau ferner mit Bismarcks Sohn Herbert, dem Prinzen (und späteren Reichskanzler) Max von Baden, dem Oberhofmarschall Hugo von Reischach (von ihm wird noch die Rede sein) sowie dem Angehörigen der russischen Botschaft und Teilnehmer an der Grunewald-Party, Ludwig Freiherr von Knorring, unterhalten haben. Jedenfalls ist all dies in den anonymen Briefen bzw. mit den beigelegten pornographischen Fotos behauptet worden.

Doch auch wenn längst nicht alles wahr und bewiesen ist, was man über Charlotte von Hohenaus Sexleben wusste oder zu wissen meinte, eine, normale‘ und ihrem Ehemann treue Ehefrau war sie ohne Zweifel nicht. Andererseits war es auch keine normale Ehe, welche die Hohenaus führten. Schließlich war Friedrich von Hohenau schwul,17 was fast ebenso „stadtbekannt“ war bzw. gemacht wurde wie die außerehelichen Aktivitäten Charlotte von Hohenaus. Dennoch oder vielleicht sogar gerade deshalb ist aus dieser Ehe auch ein Sohn hervorgegangen. Dabei handelte es sich um Wilhelm bzw. Willi von Hohenau (1884–1955), der offensichtlich die reiterliche Passion seiner Mutter geerbt hatte und zu einem der erfolgreichsten Renn- und Turnierreiter Deutschlands geworden ist.

Graf Hohenau hat die ihm nachgesagte homosexuelle Veranlagung auch ausgelebt. Bekannt, ja geradezu berüchtigt waren die wilden Partys, die er allein, aber auch zusammen mit seiner Frau in seinem Haus in der Berliner Yorckstraße gab. Einige anonyme Briefschreiber wussten davon und fühlten sich gar an ein „Bordell“ erinnert.18 Doch in der Öffentlichkeit schwieg man darüber sowie über die weiteren homosexuellen Eskapaden des Grafen – jedenfalls zunächst.

Spätestens mit den 1891 einsetzenden und dann auch weiter fortgeführten anonymen Briefen wurde jedoch die homosexuelle Veranlagung des bzw. der Grafen Hohenau (Friedrichs Bruder Wilhelm soll auch homosexuell gewesen sein19) aufgedeckt. Dabei wurden die homosexuellen Praktiken der Grafen und ihrer intimen Freunde in einer völlig eindeutigen und äußerst drastischen Weise in Wort und Bild beschrieben. Dies hätte die Polizei, die bald Kenntnis von diesen Briefen und Bildern hatte, zum Einschreiten veranlassen müssen. Schließlich stand Homosexualität in gleich welcher Form unter strenger Strafe. Dennoch wurden weder die Grafen Hohenau noch ihre intimen Freunde zu diesem Tatbestand vernommen oder gar verhaftet.20 Der Grund für dieses Nichteinschreiten der Polizei und der Staatsanwaltschaft ist einfach. Die Grafen Hohenau waren keineswegs die einzigen Homosexuellen am Hofe Wilhelms II.

Herr Graf!

Es ist wirklich hohe Zeit, daß Sie ein ernstes Wort mit Ihrem

Bruder sprächen. Die Art und Weise, wie die Frau Erzprinzessin von

Meiningen und andere K. Hoheiten Ihre Schwägerin verwöhnt haben, ist

besonders der letzteren so zu Kopf gestiegen, daß sie sich hochstehenden

Personen gegenüber völlig vergisst und die Regeln der Höflichkeit und

Artigkeit völlig außer acht lässt.

Stadtbekannt ist, daß Ihre Frau Schwägerin nicht eher ruht, bis sie mit

sämmtlichen Prinzen auf du und du und, wenn irgend möglich, in geschlechtliche

Berührung gekommen ist. Es ist schier unbegreiflich und eine ganz aparte

Art von Tollheit, daß diese sich sonst so zimperlich gebärdende

Person sich jedem Prinzen[ ohne Weiteres an den Hals wirft und,

wie diese Herrn theils selbst erzählt haben, ganz unaufgefordert die Röcke

hochhebt – schlimmer wie das mannstollste Weib! Und Ihr Bruder drückt

nicht nur die Augen zu, sondern protegirt dies in jeder Weise, ohne sich

klar zu machen, daß gerade in den Augen der Personen welche Ihnen Ihre

morganatische Geburt vorwerfen, dieser Makel am wenigsten dadurch getilgt wird,

daß man seine Frau zur Prinzen H----[dies ist in weiten Kreisen

ihr Beiname] macht.

Geradezu läppisch ist auch die Art wie Ihre Schwägerin in Nachahmung

wirklich vornehmer Personen Empfangsabende im Sinne setzt und in den

Zeitungen dafür Reclame macht nur um ihre Salons zu füllen, die von solchen

wirklich vornehmen Leuten nach Möglichkeit gemieden oder doch

nur gezwungen aufgesucht werden. Wir würden über dieses ganz parvenuartige

Gebahren kein Wort verlieren aber wir erwarten von Ihrer

Schwägerin, wenn wir ihr in der Welt begegnen, diejenige Höflichkeit und

Artigkeit, welche sie vornehmen Leuten schuldet. Alle Vorstellungen an

Ihren völlig beherrschten Bruder geben wir als nutzlos auf, hoffen und

erwarten aber von Ihnen, dem an der Ehre des Namens liegen muß, eine gute

Einwirkung und gründliche Belehrung der Betreffenden.

Einer für Viele.

Skandal im Jagdschloss Grunewald

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