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Aribert von Anhalt und andere Homosexuelle am Hofe Wilhelms II.
ОглавлениеAn erster Stelle ist der enge und intime Freund Friedrich von Hohenaus, Prinz Aribert von Anhalt (1864–1933), zu nennen, der mit der Prinzessin Louise von Schleswig-Holstein verheiratet war.21 Diese Ehe war auf Vermittlung Wilhelms II. zustande gekommen, der gehofft hatte, das enge Verwandtschaftsverhältnis Louise von Schleswig-Holsteins mit dem englischen Königshaus für politische, genauer außenpolitische Zwecke ausnützen zu können.22
Das offensichtlich nicht ganz normale Eheleben von Louise und Aribert von Anhalt gewann damit eine hoch politische Bedeutung. Scheute sich Louise doch nicht, die homosexuelle Veranlagung ihres Ehemanns publik zu machen, als sie wenige Jahre später die Scheidung einreichte, um danach wieder ihren Mädchennamen anzunehmen. Beides – die Scheidung und noch mehr die Annahme ihres alten Familiennamens – war mehr als ungewöhnlich und stieß auch auf entsprechende Kritik des Kaisers und einiger anderer Mitglieder seiner Familie. Sie wurde jedoch von Louises Vater, Prinz Christian von Schleswig-Holstein, mit der Drohung zurückgewiesen, die gesamte und von allen Beteiligten als „schmutzig“ empfundene Geschichte dem Bundesrat anzuzeigen. Doch dies wollte Wilhelm II. „unter keinen Umständen“ zulassen. Wäre doch sonst vor und in diesem hohen politischen Organ über die Homosexualität eines Mitglieds des Hochadels und Angehörigen des kaiserlichen Hofes diskutiert worden.
Nicht verhindern konnte Wilhelm II. jedoch, dass die homosexuelle Veranlagung auch weiterer hoher Herren der Hofgesellschaft, von denen einige zu seinem engsten Freundeskreis gehörten, aufgedeckt und entsprechend skandalisiert wurde. Dies zunächst wiederum bei Scheidungsklagen, die von den Ehefrauen ausgingen und mit dem Hinweis auf die homosexuelle Veranlagung ihrer Ehemänner begründet wurden. So 1897 bei der Ehescheidung von Philipp Eulenburgs Bruder Friedrich, der ein Jahr später wegen seiner dabei aufgedeckten und unter strenger Strafe stehenden Homosexualität mit Schimpf und Schande aus der Armee ausgeschlossen wurde.23
1898 wurde auch die Ehe des damaligen Militärattachés an der deutschen Botschaft in Wien, Kuno Graf von Moltke, geschieden. Anlass war wiederum die homosexuelle Veranlagung Moltkes, die durch und wegen des Scheidungsprozesses offengelegt wurde.24 Kuno Moltke selbst wurde aber nicht angeklagt und konnte seine berufliche Laufbahn fortsetzen. Er wurde vom Kaiser zum Flügeladjudanten Wilhelms II. und dann zum Standortkommandanten Berlins im Rang eines Generalleutnants ernannt.
Diese Karriere verdankte er wiederum seinem engen, ja intimen Freund Philipp Eulenburg, zu dessen Freundeskreis Moltke gehörte, der nach dem Schloss Eulenburgs in der Uckermark Liebenberger Tafelrunde oder Liebenberger Kreis genannt wurde. Im Liebenberger Kreis wollten wiederum einige Zeitgenossen die geheimnisvolle und immer mächtiger werdende Hofkamarilla sehen, die verdächtigt wurde, einen wachsenden Einfluss auf den Kaiser und damit auf die politischen Geschicke ganz Deutschlands auszuüben. Sie ist bereits von Bismarck unter deutlichem Hinweis auf die Homosexualität ihrer Mitglieder, allen voran Philipp Eulenburg, als „Kamarilla der Kinäden“ bezeichnet worden.
All dies war bereits in den 1890er-Jahren zumindest am Hof und innerhalb der Hofgesellschaft bekannt, ist aber erst zehn Jahre später durch den Journalisten Maximilian Harden öffentlich gemacht und skandalisiert worden. Wegen der publizistischen Enthüllungen Hardens kam es zu mehreren Prozessen zwischen Harden und Moltke sowie schließlich auch gegen Eulenburg.25 Dabei wurden auch verschiedene pikante Details über die als „abartig“, „entartet“ und schlicht „schweinisch“ angesehenen sexuellen Praktiken dieser schon von Bismarck verächtlich als „Kinäden“ bezeichneten und damit als „Lüstlinge“ und „Päderasten“ gescholtenen Homosexuellen am Hofe Wilhelms II. bekannt.
Mit geheuchelter moralischer Entrüstung und offenem Spott wurden auch die sonstigen Umgangsformen und Anreden der Angehörigen des Liebenberger Kreises kommentiert. So wurde Philipp Eulenburg intern und in den Briefwechseln „Phinchen“ oder „Philinchen“ gerufen. Kuno Moltke hörte auf die schönen und ebenfalls allessagenden Namen „Tütü“ und „Schätzchen“. Und den Kaiser bezeichneten die Liebenberger nicht selten als „das Liebchen“, womit sie einen nicht zu übersehenden Hinweis auf dessen zumindest bisexuelle Neigungen gaben.26 Dadurch wurde natürlich das Ansehen des Kaisers sowie seines Hofes schwer beschädigt.
Strafverfolgung bei Homosexualität
Strafgesetzbuch Fassung vom 15. Mai 1871
§ 175
„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen
Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist
mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte erkannt werden.“
Fassung vom 1. September 1935
§ 175
(1) Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich
von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.
(2) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig
Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von
Strafe absehen.
§ 175a
Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit
Gefängnis nicht unter drei Monaten wird bestraft
1. ein Mann, der einen anderen Mann mit Gewalt oder durch Drohung
mit gegenwärtiger Gefahr Leib oder Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu
treiben, oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;
2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Missbrauch einer durch
ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten
Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu reiben oder sich ihm
zur Unzucht missbrauchen zu lassen;
3. ein Mann über einundzwanzig Jahre, der eine männliche Person
unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben
oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;
4. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder
von Männern sich zur Unzucht missbrauchen lässt oder sich
dazu anbietet.“
Fassung vom 25. Juni 1969
§ 175 Unzucht zwischen Männern
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren wird bestraft:
(2) 1. ein Mann über achtzehn Jahre, der mit einem anderen Mann unter
einundzwanzig Jahren Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht
missbrauchen lässt.
2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Missbrauch einer durch
ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten
Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm
zur Unzucht missbrauchen zu lassen,
3. ein Mann, der geschäftsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von
Männern sich zur Unzucht missbrauchen lässt oder sich dazu anbietet.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist der Versuch strafbar.
(3) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht 21 Jahre alt
war, kann das Gericht von Strafe absehen.
Fassung vom 23. November 1973
§ 175 Homosexuelle Handlungen
(1) Ein Mann über achtzehn Jahren, der sexuelle Handlungen an einem
Mann unter 18 Jahren vornimmt oder von einem Mann unter 18
Jahren an sich vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn
1.der Täter zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war
oder
2.bei Berücksichtigung des Verhaltens desjenigen, gegen den die Tat
sich richtet, das Unrecht der Tat gering ist.
Fassung vom 10. März 1994
§ 175
(weggefallen)
Noch schlimmere Folgen hatten diese Skandalisierungen für diejenigen, welche der Homosexualität überführt oder auch nur verdächtigt wurden. Verschiedene Männer, von denen die meisten hohe und höchste Ämter und Stellen am Hof, im Staat und vor allem in der Armee innegehabt haben, sind mit Schimpf und Schande entlassen worden und teilweise wegen des Verstoßes gegen den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuchs (s. S. 34) verurteilt worden. Einige haben sich dagegen wie Wilhelm von Hohenau der Entlassung und möglichen Bestrafung durch Flucht ins Ausland entzogen. Sechs haben sich, um diesem Schicksal zu entgehen und um weitere Schande von sich abzuwenden, das Leben genommen.
Doch warum? Warum riefen diese „schmutzigen Geschichten“ über das Sexleben dieser homosexuellen Herren und der erwähnten, etwas lebenslustigen Damen am Hofe Wilhelms II. so viel Aufregung hervor?