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„Ehrenwort“ – eine Einleitung

Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass ...“ – pflegen heutige Politiker häufig zu sagen, wenn sie lügen oder eine Lüge leugnen wollen. „Eine Weltgeschichte der Lüge“ ist treffenderweise mit diesem lügenhaften Satz überschrieben worden. Verfasst bzw. herausgegeben ist diese „Weltgeschichte der Lüge“ von dem bekannten Kabarettisten Dieter Hildebrandt, der sein ganzes kabarettistisches Können aufbringt, um diese Politiker nicht nur der Lüge zu überführen, sondern auch der Lächerlichkeit preiszugeben. Letzteres gelingt schon deshalb, weil nicht nur das „Ehrenwort,“ sondern auch die „Ehre“ selbst heute als so veraltet gelten, dass sie geradezu lächerlich wirken.

Nur unverbesserliche alte und rabiate neue Nazis huldigen noch einer „Ehre“, die durch „Blut“ besiegelt und durch „Treue“ zum „Führer“ in der NS-Zeit bewiesen sein soll, in Wirklichkeit aber gerade durch den Kontext von „Blut“ und „Treue“ völlig diskreditiert worden ist. Wo heute „Ehre“ draufsteht, ist meist viel Faschistisches drin. So bei neofaschistischen Gruppen, die den Wahlspruch der verbrecherischen SS „Unsere Ehre heißt Treue“ übernommen haben und sich „Blut und Ehre“ oder englisch: „blood and honor“ nennen. Nein, mit „Ehre“ ist heute kein Staat mehr zu machen. Sie, die Ehre, wird heute bestenfalls belächelt und schlimmstenfalls als faschistisches Überbleibsel verachtet.

Beim „Ehrenmann“ ist es nicht viel anders. Hier denkt man mehr an die „ehrenwerte Gesellschaft“ der Mafia mit ihren merkwürdigen blutigen Riten, wie sie in Hollywood-Filmen so schön dargestellt und ausgemalt werden. Mit solchen „Ehrenmännern“ wollen wir genauso wenig zu tun haben wie mit den „Männern unter dem Totenkopf“ der Waffen-SS, die ihre Männlichkeit und Ehre mit und durch „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ unter Beweis gestellt haben.

Nun sind wir Männer, aber Männer, die mit der nicht leicht zu beantwortenden Frage konfrontiert sind, welche Männlichkeit es denn dann sein soll: Die weiche Männlichkeit der androgynen, langhaarigen und in bunte und wabbelnde Gewänder gekleideten Hippies und Aussteiger der 1960er-Jahre, die harte Männlichkeit der Lederjacken tragenden Rocker und Biker oder die, sagen wir mal so, leistungsorientierte der Banker, Manager und Politiker in ihren Nadelstreifenanzügen, deren Stil und Habitus auch von vielen der heutigen jungen Männer imitiert werden, die ebenfalls Banker, Manager oder wenigstens Politiker werden wollen.

Die sonst allgegenwärtige und stilbildende Werbung bietet auch keinen Ausweg, jedenfalls keinen bindenden und verpflichtenden. Gibt es doch auch hier verschiedene und miteinander konkurrierende Bilder von Männlichkeit. Einige von ihnen sind zudem wieder verschwunden. Dazu ist der einst so werbewirksame und männliche Malboro-Mann zu zählen, der dem Verbot der Tabakwerbung zum Opfer gefallen ist. (In Vergessenheit geraten ist auch der Werbespruch, den ich als passionierter Pfeifenraucher immer so schön gefunden habe, wonach „der Mann drei Dinge braucht“, nämlich Pfeife, Feuer und eine bestimmte Tabak-Marke.)

Was ich hier, zugegebenermaßen verkürzt, zum Ausdruck bringen wollte, ist schlicht Folgendes: Männlichkeit und Ehre gelten heute entweder als abgenutzt und veraltet oder sind so diffus geworden, dass sie uns Männern (aber wohl auch Frauen) keinen Halt und keine Orientierung mehr bieten können. Männlichkeit und Ehre sind schlicht „out“, ja „mega out“.

Gerade deshalb ist es interessant und möglicherweise sogar lehrreich, den Blick in eine Zeit zu werfen, in der Männlichkeit und Ehre einen ganz anderen und viel höheren Stellenwert besaßen. In der Zeit des Kaiserreichs (von der wir aber nur die letzte und nach dem letzten Kaiser benannte wilhelminische Phase behandeln werden) war dies ohne Zweifel der Fall. Hier waren und wollten Männer noch Männer, genauer „Ehrenmänner“ sein, die sowohl ihre „Männlichkeit“ wie ihre „Ehre“ durch die Austragung von Duellen bewiesen. Diese damals „hegemoniale“ Männlichkeit ist jedoch schon während des Wilhelminismus heftig kritisiert und infrage gestellt worden.

Die Kritik war wesentlich durch einen Skandal beeinflusst, der nach einem Mann bezeichnet worden ist, der Leberecht von Kotze hieß und von Beruf Zeremonienmeister war. Was sind Zeremoniemeister und wer war Leberecht von Kotze?

Zeremonienmeister oder englisch masters of ceremony gibt es heute noch. Sie leiten und regeln Feste und andere öffentliche und geheime Veranstaltungen, treten bei Hochzeiten und Beerdigungen sowie beim Karneval und im Fernsehen auf, wo sie auch „showmaster“ genannt werden. Verschiedene andere Institutionen und Organisationen wollen und können offensichtlich auf die Dienste von besoldeten und ehrenamtlichen Zeremonienmeistern nicht verzichten. Die Reihe ist lang. Sie reicht von den Freimaurerlogen über okkulte Geheimbünde bis zur katholischen Kirche, die ihre Zeremonienmeister „Zeremoniarien“ nennt. Eine besondere Bedeutung hatten und haben zum Teil immer noch die Zeremonienmeister an den Fürstenhöfen. Hier waren und sind sie für die Organisation und Gestaltung von höfischen Festen und Audienzen sowie die Verleihung von Orden und Titeln verantwortlich. Außerdem achten sie auf die allgemeine Etikette und die Einhaltung des sonstigen Hofzeremoniells. So war es auch am Hofe Kaiser Wilhelms II. Hier gab es insgesamt elf Zeremonienmeister, die von einem Oberzeremonienmeister angeleitet wurden und einem Oberhofmarschall unterstanden.

Einer von ihnen war der 1850 als Sohn eines Majors geborene von Kotze, der zunächst wie sein Vater Offizier geworden war, um dann die Armee im Rang eines Rittmeisters zu verlassen und Zeremonienmeister am Hofe Kaiser Wilhelms II. zu werden. Dieses Amt übte er bis 1896 aus. Nach seinem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Hofdienst hat er sich auf seine Güter im Riesengebirge zurückgezogen, wo er 1920 verstarb.

Insgesamt kein normaler, aber auch kein spektakulärer Lebenslauf. Der Zeremonienmeister Leberecht von Kotze wäre heute völlig vergessen, wenn er nicht in den bereits erwähnten Skandal verwickelt worden wäre. Er dauerte von 1891 bis 1896 und soll nach der Auffassung sowohl einiger Zeitgenossen wie späterer Historiker die Grundfesten des sogenannten persönlichen Regiments Kaiser Wilhelms II. unterhöhlt und damit zum Untergang des deutschen Kaiserreichs beigetragen haben. Über diese in der bisherigen Forschung bereits erkannte und behandelte politikgeschichtliche Wirkung hinaus hatte der Kotze-Skandal jedoch auch eine kultur- und geschlechtergeschichtliche Bedeutung. Ist der Skandal um den Zeremonienmeister von Kotze doch auch als Faktor und Indikator des Wandels von Männlichkeit und Ehre im deutschen Kaiserreich zu begreifen und zu analysieren.

Dies ist die These bzw. hier noch Hypothese, welche in dem vorliegenden, bewusst knapp gehaltenen und allgemein verständlich geschriebenen Buch bewiesen werden soll. Dabei bin ich folgendermaßen vorgegangen: In den ersten beiden Kapiteln werden Ausgangspunkt und Hintergrund des Kotze-Skandals beschrieben, der mit einem Sexskandal innerhalb der Hofgesellschaft begann. Dabei ging es zum einen um Ehre, Männlichkeit und (hetero- und homosexuelle) Sexualität und zum anderen um Ehre, Männlichkeit und (adliges und nichtadliges) Klassenbewusstsein.

In den folgenden zwei Kapiteln wird der weitere Verlauf des Skandals skizziert, der sich vom Hof- zum politischen Skandal auswuchs, wobei die persönliche Intervention des Kaisers kritisiert und sein persönliches Regiment skandalisiert wurden. Hinzu kam die geschlechtergeschichtliche Bedeutung. Ging es doch auch um Probleme und Diskurse von Männlichkeit und Weibischkeit sowie Männlichkeit und Ehre. Konkret um die schließlich erfolgreichen Versuche Kotzes, seine ihm zunächst abgesprochene Männlichkeit und Ehre durch die Austragung von verschiedenen Duellen wiederherzustellen.

Diese allgemeinen und keineswegs nur von Kotze allein geteilten Vorstellungen und, was die Duelle angeht, auch Praktiken von Männlichkeit und Ehre wurden, wie im fünften Kapitel gezeigt wird, in der Öffentlichkeit scharf kritisiert. Das hat ganz wesentlich zum Untergang der (von mir so genannten) alten Männlichkeit und ihrer Ersetzung durch eine neue Männlichkeit beigetragen, die ich als atavistisch einstufe.

Doch bevor darauf im siebten Kapitel einzugehen ist, wird im sechsten Kapitel noch ein Blick auf das weitere Schicksal von zwei scheinbaren Randfiguren des Skandals geworfen. Einer war der Rechtsanwalt Fritz Friedmann, der Kotze verteidigt und die erste größere Veröffentlichung über den Kotze-Skandal geschrieben hat. Der andere war der Journalist Maximilian Harden, der den Kotze-Skandal mit seinen zeitgenössischen Artikeln aufgedeckt und seinen weiteren Verlauf ganz wesentlich mit beeinflusst hat. Mit ihrem Eintreten für Kotze und mit ihrer Skandalisierung des Falls Kotze haben sich Friedmann und Harden bei Hofe und in der Hofgesellschaft nicht gerade beliebt gemacht. Ihre in diesem Fall angewandten juristischen und journalistischen Methoden wurden selbst skandalisiert. Dabei wurde ständig auf ihre jüdische Herkunft verwiesen. Dadurch erhielt der Kotze-Skandal einen antisemitischen Subtext. Dies bietet den Anlass, das Verhältnis von bzw. den Diskurs über Männlichkeit und Antisemitismus einer näheren Untersuchung zu unterziehen.

In der „Männlichkeit, Ehre und kein Ende“ überschriebenen Zusammenfassung wird schließlich gezeigt, dass und warum die Vorstellungen und die während und wegen des Kotze-Skandals geführten Diskurse von Männlichkeit und Ehre trotz, ja gerade wegen ihres unzeitgemäßen und teilweise sogar lächerlich wirkenden Charakters eine ernste und wichtige historische Bedeutung hatten. Das bietet last but not least den Anlass, über unsere Bilder und Vorstellungen von Männlichkeit und Ehre nachzudenken und die Frage zu stellen, ob sie wirklich besser und zeitgemäßer sind.

Dies ist bewusst als Frage formuliert. Mit dem vorliegenden Buch möchte ich niemanden belehren, sondern – hoffentlich – viele unterhalten. Wendet es sich doch an ein breites historisch interessiertes Publikum, das Geschichte aus einer anderen Perspektive erzählt bekommen möchte.

Skandal im Jagdschloss Grunewald

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