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Samstag, 12. Mai, abends

„Sagen sie uns, wer sie sind und was sie hier in Frankreich machen!“

Der Ton Jacoberts war scharf und unmissverständlich. Renard lauschte über die Lautsprecher jedem Atemzug seines Mitarbeiters und dessen Gefangenen. Per Bildschirm verfolgte er die Vernehmung voller Spannung und Ungeduld.

„Mein Name ist Carl Bishop, sie haben doch meinen Pass!“, antwortete der Vernommene verzweifelt. „Ich recherchiere für ein Buch hier in Paris.“

„Waren sie schon einmal in Frankreich?“, war wieder der Verhörexperte des französischen Geheimdienstes zu hören. Seine Fragen prasselten wie Nadelstiche auf Bishop nieder: „Wie lange haben sie noch vor zu bleiben? Mit wem haben sie sich hier getroffen? Und was ist das für ein Buch, für das sie recherchieren? Und in wessen Auftrag?“

Der grauhaarige Gefangene starrte sein Gegenüber unverständlich an. Er war schon im Rentenalter, aber schien körperlich noch fit zu sein, die Art Mensch, die sich jeden Morgen noch vor dem Frühstück in Sportschuhen auf den Weg in den Park oder Wald macht, um dort stupide durch die Gegend zu rennen, um dann schweißgebadet den Tag zu beginnen. Für Philippe eine fürchterliche Vorstellung.

„Ich weiß gar nicht, was sie von mir wollen“, antwortete Bishop. „Ich bin seit drei Tagen hier, um mit verschiedenen Juwelieren zu sprechen. Normalerweise wollte ich nach einer Woche wieder zurück in die USA. Ich schreibe ein Buch über unbekannte Uhrmacher. Ich recherchiere nicht im Auftrag, es ist für mein Buch. Was ist daran Verbotenes? Was habe ich denn falsch gemacht?“

Philippe Renard zweifelte nicht an den Worten seines Gefangenen. Er hatte hunderte von Verhören selbst geführt und ebenso viele überwacht und dabei seine Menschenkenntnis perfektioniert. Er brauchte keinen Lügendetektor, er durchschaute jeden. Selbst die abgebrühtesten Agenten zuckten im falschen Moment mit den Mundwinkeln oder den Augenlidern. Diesen Moment verpasste Renard nicht. Eine Augenbewegung im falschen Moment, eine winzige Veränderung der Tonlage, nur ein Bruchteil einer Sekunde reichte ihm aus, seine Gegner zu durchschauen. Selbst über den Bildschirm war sein Instinkt untrüglich. Er brauchte sich noch nicht einmal die Aufzeichnungen anzuschauen, die er wohl geordnet in seinem PC archivierte.

Und dieser Amerikaner war leicht zu durchschauen, seine Geschichte war nicht erfunden, es war noch nicht einmal notwendig sie zu überprüfen, obwohl dies natürlich geschehen würde. Aber trotzdem wollte Renard doch zu gern an das Unwahrscheinliche glauben. Daran, dass dieser Bishop etwas über den Verbleib seines Schatzes wusste. Er war in die Falle getappt, war auf einer der präparierten Internetseiten gelandet, die scheinbar etwas über Jean-Pierre Chevalier preisgab, den genialen Uhrmacher, der für seinen Vater gearbeitet hatte, Entdecker und Konstrukteur des Schatzes, dem schon sein Vater seinerzeit hinterher jagte und er es nun auch schon seit Jahrzehnten tat.

Es klang trotz aller Glaubwürdigkeit seltsam. Warum sollte ausgerechnet ein Amerikaner ein Buch schreiben über einen völlig unbekannten französischen Uhrmacher, der schon seit bald achtzig Jahren tot war und nichts hinterlassen hatte, was man mit ihm in Verbindung brachte? Dies war die Frage, die Renard in diesem Moment quälte, wo Bishop in seinem Netz gegangen war.

„Gehen sie einen Kaffee trinken, Jacobert!“, rief er in das Mikrofon, dessen Signal direkt im Ohr seines Mitarbeiters landete. Er würde den Verhörraum verlassen und ca. eine Viertelstunde fortbleiben. Ob er währenddessen tatsächlich einen Kaffee trank oder auch nur vor der Tür wartete war Renard egal. Jacobert wusste, dass sein Chef an dieser Stelle das Verhör weiter führen würde und dass er dabei nicht anwesend zu sein hatte. Es war ein Befehl, dem er Folge zu leisten hatte, weiter nichts. Und Jacobert war ein Mitarbeiter, der seine Befehle ohne zu murren ausführte, egal wie sie lauteten.

Als sein Mitarbeiter den Raum von außen verschlossen hatte, beobachtete Renard zunächst seinen Gefangenen sorgfältig. Dieser rutschte verunsichert auf seinem Stuhl hin und her und blickte sich nervös um. Das war genau, was der Geheimdienstchef erreichen wollte. Es war eine seiner erfolgreichen Methoden. Man musste den Gegner im Ungewissen lassen, ihn in Sicherheit wägen und dann wieder verunsichern. Ein stetiges Wechselspiel, bei dem das Opfer nie ahnen durfte, was passierte und was als Nächstes kam. Und Bishop war offenbar genau der Typ, bei dem dieses Vorgehen Wirkung zeigte.

Plötzlich sprach Renard mit ruhiger, freundlicher Stimme in das Mikrofon: „Bonjour, Monsieur Bishop!“

Der Mann im Verhörzimmer zuckte erschrocken zusammen. Er vernahm die Worte aus unsichtbaren Lautsprechern und versuchte auszumachen, wo die Stimme herkam.

„Wir wollen ihnen nichts Böses“, sprach Renard in sanftem Ton weiter. Er klang wie ein gutmütiger Märchenonkel, der versuchte ein kleines Kind während eines Gewitters zu beruhigen. „Wir machen hier nur unsere Arbeit und versuchen einige Dinge zu verstehen, die die Sicherheit unseres Landes gefährden könnten. Wenn sie eine reine Weste haben und uns die Wahrheit sagen, haben sie nichts zu befürchten.“

„Aber ich sage doch die Wahrheit“ rief Bishop der unsichtbaren Stimme verzweifelt zu.

„Das ist auch gut so. Wenn sie mit uns kooperieren, sind sie im Nu wieder auf freiem Fuß und können ihren Recherchen nachgehen.“ Er machte eine kleine Pause. „Was wissen sie über diesen Jean-Pierre Chevalier, über den sie schreiben?“

Carl Bishop hatte sich etwas beruhigt und blieb nun still auf seinem Stuhl sitzen. Er hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und sein Gesicht in seine Hände gelegt.

„Chevalier war einer von vielen Uhrmachern, die großartige Schmuckstücke entworfen und konstruiert haben, aber dennoch völlig unbekannt blieben“, begann der Verhörte und blickte auf, um ins Nichts zu starren. „Über genau solche Künstler will ich schreiben. Aber es ist schwer, etwas über sie herauszufinden, daher versuche ich mein Glück bei den großen Juwelieren und Uhrenherstellern, vor Allem denen, wo er beschäftigt gewesen war. Ich weiß von Chevalier bislang nur sehr wenig. Nichts, was man nicht bisher schon über ihn lesen konnte. Ich stehe noch am Anfang meiner Suche.“

„Nichts, was man nicht bisher schon über ihn lesen konnte“, wiederholte Renard leise vor sich hin bei ausgeschaltetem Mikrofon. Hatte er jemals schon etwas über Chevalier gelesen? Er, der seit Jahren ganz gezielt nach Informationen über diesen Mann suchte. Es gab diesen Namen nur in den Aufzeichnungen und Berichten seines Vaters. Selbst die Familie dieses Uhrmachers schien nicht mehr zu existieren. Alles, was mit ihm zu tun hatte, war wie vom Erdboden verschwunden, seit er damals von den übereifrigen Schergen seines Vaters dummerweise zu Tode geprügelt wurde. Dieser hatte schon damals die Spur verloren. Es war wie eine herausgerissene Seite eines Buches.

Und nun wollte ihm dieser Amerikaner hier weismachen, dass es etwas über Chevalier zu lesen gab? Da war doch etwas faul, das sagte ihm plötzlich sein Instinkt.

„Bis eben haben sie noch die Wahrheit gesagt“, wandte er sich wieder an den Mann, der im Keller auf seinem Stuhl nun wieder anfing, nervös hin- und herzurutschen. „Ich glaube, sie haben mir noch mehr zu erzählen. Aber wir reden morgen weiter, dann haben sie Zeit zum Nachdenken. Und dann erzählen sie mir, was ich schon gelesen haben könnte über diesen Chevalier. Und auch das, was ich noch nicht gelesen haben kann.“

„Aber sie können mich doch nicht…“ Mehr war von Bishop nicht mehr zu hören, Philippe hatte die Verbindung unterbrochen.

Er schaltete auf den anderen Kanal, um wieder Jacobert zu kontaktieren: „Bringen sie ihn in eine dunkle Zelle und geben sie ihm ein nettes Pfeifen aufs Ohr. Wir werden uns morgen weiter mit ihm unterhalten.“

Er beobachtete auf seinem Bildschirm, wie Bishop unter Protest aus dem Vernehmungszimmer abgeführt wurde. Der Gefangene beteuerte immer wieder, dass er doch alles gesagt habe, was er wisse und dass man ihm doch die Möglichkeit gewähren müsse, seine Angehörigen zu kontaktieren. Aber wie befohlen, führte ihn der hünenhafte Jacobert in eine der kleinen Zellen am anderen Ende des Korridors, wo er eingeschlossen wurde. Auch hier war für Renard die Überwachung per Ton und Kamera oder sogar Wärmebild möglich. Bishop würde hier weiter ohne Essen und Trinken im Dunkeln einen Tag aushalten. Der hohe und schrille Pfeifton, der das Gehör schmerzte, würde ihn am Schlafen hindern und morgen schon wäre er am Ende seiner Kräfte und würde alles erzählen, was Renard wissen wollte.

Zu oft hatte der Geheimdienstler diese Prozedur schon angewandt. Bei normalen Menschen, die nicht für solche Situationen ausgebildet waren, funktionierte das fehlerlos. Legal war das natürlich nicht, noch in irgendeiner Weise gemäß den Menschenrechten, aber das interessierte Renard überhaupt nicht. Für ihn zählte das Ergebnis. Und wenn die Gefahr bestand, dass einer seiner „Gäste“ gegen seine Vorgehensweise vorgehen könnte, wurde er eben rechtzeitig vom Gegenteil überzeugt oder gleich beiseite geschafft. Wie viele Touristen wurden täglich in den Metropolen dieser Welt Opfer von Gewaltverbrechen, da fiel einer mehr oder auch nicht auf. Und Renard hatte schon einige entsorgt.

Zufrieden lehnte sich Philippe in seinem Sessel zurück. Er hatte das Gefühl ein Mosaiksteinchen gefunden zu haben, nur musste es noch in der richtigen Position an der richtigen Stelle im Gesamtbild platziert werden. Aber das hatte Zeit bis morgen, auch wenn dann Sonntag war. Für ihn gab es ohnehin keine Werktage und Wochenenden. Er tat, was eben zu tun war und wann auch immer es zu tun war.

Das Internetcafé erwies sich als ziemliche Absteige und Brian würde es nicht wundern, wenn es sich nur einmal mehr um eine Scheinfassade für einen Drogenumschlagplatz handelte. Zwielichtige Gestalten gingen hier ein und aus, wobei die wenigsten sich an einen der PC-Bildschirme setzten. Der Betreiber war scheinbar Marokkaner, eine große Nationalflagge seines Landes hing an der Wand, gespickt mit Islamsprüchen, die Brian allerdings nicht verstand. Der Geruch von Wasserpfeifen erfüllte den relativ kleinen Raum, sodass man kaum Luft bekam. Die Getränkeauswahl beschränkte sich auf Tee, Mokka und Wasser, dafür war sie kostenlos. Wirklich wohl fühlte er sich nicht, aber allzu lang wollte Brian sowieso nicht hier verweilen und jetzt noch einmal woanders zu suchen war ihm zu zeitaufwändig.

Gegen einen vorab zu entrichtenden Nutzungsbetrag durfte sich der Amerikaner an einen der Computer setzen. Sie waren nicht die neuesten und schnellsten Geräte, erfüllten aber ihren Zweck. Ausdrucke kosteten extra, das Kopieren war möglich, aber nur auf dort zu erwerbenden CDs. In irgendwelche privaten Accounts würde sich Brian von hier aus bestimmt nicht einloggen, das Sicherheitsrisiko war ihm dann doch zu hoch. Wer weiß, was diese Geräte alles speicherten. Aber im Internet ein wenig zu recherchieren schien ihm doch gefahrlos.

Er nahm sich ein Glas Wasser und setzte sich unter den neugierigen Blicken der Anwesenden an einen Computer am Rand des Raumes.

Den Notizzettel parat gelegt gab Brian den ersten Suchbegriff ein. Er startete mit den Initialen JPC, wofür er natürlich tausende von Treffern angezeigt bekam. Selbst in Verbindung mit Begriffen wie Uhrmacher, Uhrenmanufaktur, der Jahreszahl 1935 und dergleichen bekam er kein sinnvolles Ergebnis. Von Waliser Tonkannen über eine Gebäudereinigungsfirma bis zu zahlreichen mehr oder weniger originellen Abkürzungen fand er alles, aber nichts, dass im Entferntesten mit Uhren zu tun hatte. Dieser Weg schien also wenig erfolgversprechend.

Über einige Initialen gestolpert schien es aber eine gewisse Tendenz zu immer wiederkehrenden Vornamen zu geben. Mit der Einschränkung auf deutsche, französische oder sogar schweizerische Namen ergaben sich eine Vielzahl an Johannes-Paul, Jean-Paul, Johann-Peter, Jean-Pierre, Jan-Peter und Jan-Philipp. Brian notierte die Namen und suchte jeden einzelnen in Verbindung mit den üblichen Uhren-Begriffen ab. Es war eine mühselige Arbeit. Er holte sich noch ein Glas Wasser, die dicke Luft im Raum trocknete seinen Mund aus.

Über eine halbe Stunde war schon vergangen und Brians Augen tränten bereits vom intensiven Starren auf den Bildschirm in Verbindung mit der schlechten Luft, als ihm plötzlich ein Treffer angezeigt wurde, der ihn augenblicklich aufmerken ließ: „Jean-Pierre Chevalier, Uhrmacher aus Genf, geboren 1869, verstorben 1935, arbeitete unter anderem bei Favre-Leuba, dort verantwortlich für innovative Neuentwicklungen.“

Brian stockte der Atem. War das sein Mann? Möglich. Die Initialen, die Epoche, alles passte. Sogar das Jahr seines Todes stimmte mit der Jahreszahl auf der Uhr überein. Aber warum hatte er seine Initialen auf eine Uhr graviert? War dies vielleicht seine eigene Entwicklung, die nicht für eine Manufaktur erstellt wurde? Dann wäre die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es sich doch um ein Einzelstück handelte. Und das bedeutete, es hätte einen immensen Wert.

Wusste vielleicht die süße Verkäuferin mehr über die Herkunft der Uhr? Aber sie zu finden glich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aber hatte sie nicht gesagt, sie käme nächsten Samstag nochmals auf den Flohmarkt? Das wäre vielleicht die Chance, sie noch mal zu treffen und nach der Uhr zu befragen. Er musste ja nichts über den tatsächlichen Wert erwähnen. Vielleicht könnte er das Mädchen doch auf ein Abendessen einladen, somit hätte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Dafür müsste er allerdings noch eine Woche warten. So lange wollte er wiederum nicht in Paris bleiben. Aber je nach dem, was sich noch mit seinem Vater ergab, müsste er ohnehin noch hierbleiben. Oder er kam noch einmal wieder. Er wollte die Chance nicht versäumen mehr über seinen Neuerwerb zu erfahren.

Brian notierte sich die Informationen auf seinem Zettel. Er versuchte im Netz noch weitere Informationen über Chevalier zu finden, aber hatte keinen Erfolg, dieser Uhrmacher war doch offenbar eher unbekannt. Es gab noch ein paar Einträge, die allerdings ins Leere liefen und keine wirklichen Informationen enthielten.

Nun galt es, noch etwas über die Krone in Erfahrung zu bringen. Wenn er das fehlende Teil eventuell sogar hier vor Ort finden könnte, wäre eine vollständige Instandsetzung kurzfristig möglich.

Die Neuigkeiten hatten ihn jetzt dermaßen erregt, dass er durstig geworden war. Er holte sich bei dem Marokkaner ein weiteres Glas Wasser, der ihn gleichzeitig darauf hinwies, dass die bezahlte Stunde gleich um sei, und der Betrag für die nächste Stunde fällig wurde. Brian bezahlte und begab sich wieder ungeduldig an seinen Bildschirm. Offensichtlich benahm er sich dabei so auffällig, dass ihn die Männer in dem Raum wieder beobachteten. Einer von ihnen, der nicht weit von ihm entfernt ebenfalls an einem PC saß, beugte sich sogar extrem weit herüber, um scheinbar erkennen zu können, was sein Bildschirm anzeigte. Dabei erkannte Brian eine Tätowierung an seinem Hals, die einen springenden Panther zeigte. Der Mann war offenbar ebenfalls Nordafrikaner, Tunesien, Algerien oder diese Ecke. Er war etwa Ende zwanzig und entsprach optisch dem Klischee des Straßengangsters, durchtrainiert und Angst einflößend, trotzdem hatte er kein unfreundliches Lächeln auf den Lippen. Er trug eine seltsame Kombination aus Jogginganzug und schwarzem Ledermantel. Brian kannte diese Kombination aus den Ghettos der amerikanischen Großstädte, aber auch in Berlin liefen kleine Dealer, die sich für besonders cool hielten in einer solchen Aufmachung herum. Offensichtlich hatte der Araber schon länger die geöffneten Seiten auf Brians PC verfolgt und dort Bilder von Uhren erkannt, denn jetzt kam er zu Brian herüber und flüsterte in stark arabisch akzentuiertem Englisch: „Wenn du Original Uhren brauchst, kann ich dir welche besorgen. Super Preis. Rolex, Breitling, was suchst du?“

Brian hob abwehrend die Hände und antwortete höflich: „Nein danke, ich bin nicht auf der Suche nach Uhren. Sehr freundlich von ihnen, aber ich brauche nichts!“

„Hey Mann“, versuchte der Araber ihn zu überzeugen und grinste breit. „So billig kommst du da nie wieder ran. Kann dir auch andere Sachen besorgen. Handys, Fernseher. Oder brauchst du guten Stoff? Das Beste vom Besten. Was brauchst du? Sag schon, Mann!“

„Nein, wirklich“, beteuerte Brian. „Ich brauche gar nichts, Danke!“

Ein zweiter Mann hatte sich plötzlich dazu gesellt und sah Brian misstrauisch an. Er setzte dabei ein falsches Lächeln auf und seine Goldzähne blitzten. Auch er hatte dieses Panther-Tattoo auf dem Hals. Obwohl kleiner und kräftiger als der andere hatten die beiden doch eine gewisse Ähnlichkeit.

Hätte ich doch besser einen anderen Ort gesucht, dachte sich Brian und versuchte dennoch freundlich aber bestimmt auszusehen. Er wollte nicht auch noch in ein Handgemenge verwickelt werden. Mit den beiden Gangstern hätte er es noch aufnehmen können, aber wahrscheinlich hätte er die ungefähr acht anderen Männer auch direkt gegen sich gehabt. Unauffällig zog er seinen Jackenärmel etwas nach unten, um seine Armbanduhr zu verdecken. Sein Lieblingsstück von Mont-Blanc, nicht sehr wertvoll, aber eine Marke, die der Araber bestimmt in seinem Sortiment gebrauchen könnte. Plötzlich griff der Mann in seine Tasche und Brian zuckte, bereit sich gegen seinen Angreifer zu werfen, sollte dieser jetzt eine Waffe zücken. Aber der Hehler zog nur eine Visitenkarte heraus, streckte sie Brian entgegen und beugte sich noch näher zu ihm hinunter.

„Falls du es dir anders überlegst, ruf mich an. Egal, was du brauchst. Frauen, Waffen, Autos. Ich mach dir einen Freundschaftspreis. Für amerikanischen Freund. Ich bin sicher, wir können gute Geschäfte machen.“

Damit drehte sich der Araber unvermittelt um und verließ nach einem kurzen Nicken Richtung Besitzer gemeinsam mit seinem Kumpel das Lokal.

Brian atmete tief durch und sah sich um. Keiner der Anwesenden schien durch den Zwischenfall irritiert zu sein, offensichtlich waren solche Geschäfte hier an der Tagesordnung. Er versuchte sich wieder auf seinen Bildschirm zu konzentrieren, hatte aber Mühe sich von den Gedanken an das soeben Geschehene nicht ablenken zu lassen. Die Visitenkarte, die nur mit einer Handynummer, einem Panther und dem Namen Farid bedruckt war, steckte er in die Jackentasche. Vielleicht würde man es hier als Affront betrachten, ließe er sie hier liegen.

Die Suche nach der Durowe-Krone war nicht so langwierig, wie Brian es befürchtet hatte. Es gab viele Informationen dazu, jedoch nichts, was von Interesse war. Brian suchte ja vielmehr nach einem Anbieter. Konkretes fand er allerdings nicht, dennoch einige Adressen von Juwelieren, die Einzelteile anboten, allerdings nur in Zusammenhang mit einer Reparaturleistung. Auf einer Internet-Verkaufsplattform allerdings gab es tatsächlich einen Anbieter namens „Watch out for watches“, der Ersatzteile für Uhren anbot und als Beispiel unter Anderem Uhren von Jean-Pierre Chevalier nannte. Dies war insofern verwunderlich, da der Schweizer ja scheinbar gar keine Uhren in eigenem Namen konstruiert hatte. Oder hatte Brian doch etwas übersehen? Wie auch immer, die Firma schien ihren Sitz in Paris zu haben, was ihm natürlich entgegen kam. Er beschrieb auf der Kontaktseite des Anbieters, welches Ersatzteil er suchte und gab seine Email-Adresse an mit der Bitte um schnelle Antwort. Er notierte sich auch diese Informationen auf seinem Notizzettel, der damit nicht nur vollgeschrieben war, sondern auch nahezu abgearbeitet. Jetzt musste nur noch der russische Text übersetzt werden. Schade, dachte Brian mit einem Schmunzeln, dass es nicht arabisch war, sonst hätte er vielleicht seinen neu gewonnenen Freund von vorhin dazu befragen können. Er schloss sorgfältig alle geöffneten Seiten, löschte Cookies und Verlauf im Browser und beendete den Internetzugang. Dann stellte er sein leeres Glas auf den Tresen und verabschiedete sich höflich.

Als Brian aus dem Haus trat merkte er erst, wie sehr seine Augen brannten und wie sehr er die verpestete Stadtluft genoss, die ihm wie purer Sauerstoff im Vergleich zu den Nebelschwaden in dem Internetcafé erschien. Er hatte nun Hunger bekommen und machte sich auf die Suche nach einem Restaurant. Nachdem er schon am Mittag nur ein Sandwich gegessen hatte, wollte er sich an diesem Abend doch etwas Besseres gönnen. Alles in Allem war es ja ein erfreulicher und ereignisreicher Tag gewesen. Morgen war Sonntag und Brian überlegte beim Dahinschlendern, was er da unternehmen könnte. Die Polizei brauchte er erst gar nicht aufzusuchen, die würden ihn nur auf Montag vertrösten. Und sonst hatte er nichts mehr zu tun. Vielleicht würde er irgendwo einen Russen finden zum Übersetzen. Und er musste seine Mails checken. Und vielleicht würde er ja doch noch den Eiffelturm besuchen können.

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