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Genossenschaftliche Seefahrt
ОглавлениеFest gefügte Kommandostrukturen an Bord sind zumindest in Nord- und Mitteleuropa kaum älter als 600 Jahre.
Urkunden aus dem 8. Jahrhundert bezeichnen erstmals eine maritime Eidgenossenschaft in Flandern. Schiffsbesatzungen aus Friesland und Flandern wurden 1097 als consodales, also Genossen, bezeichnet. Die wahrscheinlich im 12. Jahrhundert entstandenen Rôles d` Oléron, das älteste in Nordeuropa kodifizierte Seerecht, spricht ebenfalls von genossenschaftlichen Besatzungen. Und natürlich dürfte diese Form des Schiffsbetriebes schon damals auf eine sehr lange Tradition zurückgeblickt haben.
Grundlage für die Gleichstellung der Mannschaft bei der Bordarbeit dürfte vor allem der gemeinsame Besitz des Schiffes gewesen sein. Die Bezeichnung Partner stammt aus dieser Zeit. Denn die Schiffe waren entweder zu gleichen Teilen (Parts) Eigentum der Besatzungsmitglieder oder die Vollanteile oder Parts konnten in Halb- und Viertelparten unterteilt werden. Von den Parten abhängig waren letztendlich auch die Anteile der Partner am Gewinn aus Handel, Fischerei oder Seeräuberei.
Bei dieser Struktur an Bord war für Kapitäne oder Offiziere kein Platz. Der Arbeitsplatz beziehungsweise die Tätigkeit wie Rudern, Segelsetzen oder Steuern, wurde in gewissen Abständen untereinander gewechselt. Bei anderen wichtigen Tätigkeiten wie beispielsweise das Kochen wurde in größeren Abständen gewechselt. Einen Schiffer und andere besondere Berufsbezeichnungen wie Steuermann oder Koch gab es auf den genossenschaftlich betriebenen Fahrzeugen ebenso wenig wie strikte Arbeitsteilung.
Die Gleichstellung aller Besatzungsmitglieder drückte sich auch in der räumlichen Aufteilung der Schiffe aus. Eine Gliederung in Decksbereiche für Mannschaft und Offiziere gab es naturgemäß ebenso wenig wie unterschiedliche Wohnräume in Form von Kojen und Kajüte. Gewohnt und gegessen wurde gemeinsam unter der Back, dem durch ein Deck geschützten Vorschiff. Hier standen der Ofen, Tisch und Bänke und hier lagen die Strohsäcke zum Schlafen. Gegessen wurde aus der großen hölzernen Auftragschüssel, der Back.
Die genossenschaftliche Schifffahrt fand letztendlich dort ihre Grenzen, wo Schiffseigentum und Besatzung auseinanderfielen. Diese Entwicklung ergab sich mit dem Erstarken der hansischen Kaufmannschaft, die immer weniger selbst zur See fuhr, sondern mit dem Führen ihrer Koggen Schiffsführer beauftragte, der wiederum die Mannschaft anheuerte. Trotzdem gab es auch zur Hansezeit immer noch Parten. Sei es, dass sich Kaufleute untereinander ein Schiff teilten, sei es, dass Schiffsführer und Besatzung in gewissem Rahmen und in deutlichen Abstufungen am Gewinn beteiligt wurden.
Bei den ärgsten Feinden der Hansen hatte sich das Genossenschaftsmodell aber noch lange erhalten. Die Vitalienbrüder oder Likedeeler (Gleichteiler), die in hansischen Zeiten die Meere unsicher machten, waren ebenso genossenschaftlich organisiert, wie zum großen Teil die Piraten, die später die Karibik unsicher machten.
Es benötigte eine lange Zeit, bis sich die heute bekannten Hierarchien an Bord gefestigt hatten. Selbst auf den Entdeckerschiffen des 15. und 16. Jahrhunderts gab es noch die Institution des Schiffs-rats, den der Kapitän bei wichtigen Entscheidungen einberufen musste. Es ist kein Zufall und auch nicht anders zu verstehen, dass so manche Entdeckungsfahrt entgegen dem Willen des Kapitäns abgebrochen werden musste, weil die Mannschaft darauf bestanden hatte. Nur zwei Jahrhunderte später wäre dies eine mit Todesstrafe bewehrte Meuterei gewesen.
Und trotz der faktischen Allmacht der Kriegsschiffskapitäne während der Kolonialkriege im 18. und 19. Jahrhundert, konnten noch Reste des Genossenschaftsgedankens beobachtet werden. War nämlich ein feindliches Schiff als Prise gekapert worden, wurde es in der Regel verkauft und die ansonsten faktisch rechtlose Mannschaft hatte einen Anspruch darauf, am Erlös beteiligt zu werden.
Genossenschaftliche Schifffahrt beherrschte noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die skandinavische Küstenfrachtschifffahrt. Und in den zahlreichen Familienbetrieben der europäischen Küstenfischerei aber auch der Flussschifffahrt lebt dieses Prinzip in Ansätzen noch heute weiter.