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II. Inhalt des Maßgeblichkeitsprinzips

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Ausgangspunkt des Maßgeblichkeitsprinzips bildet § 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG. Diese Vorschrift sieht vor, dass Gewerbetreibende, die ihren Gewinn durch einen Betriebsvermögensvergleich ermitteln, für den Schluss des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen haben, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Für gewerblich tätige Steuerpflichtige, die aufgrund von handels- oder steuerrechtlichen Vorschriften buchführungspflichtig sind (§ 140, § 141 AO) oder die freiwillig eine Buchführung einrichten, bildet folglich ein den GoB entsprechender Abschluss die Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung.

Das Maßgeblichkeitsprinzip bezieht sich auf jeden einzelnen Geschäftsvorfall. Es gilt für jedes einzelne (aktive oder passive) Wirtschaftsgut. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz beschränkt sich nicht auf das Gesamtergebnis.

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Die Interpretation des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG ist nicht eindeutig. Für die Auslegung dieser Vorschrift sind prinzipiell zwei Positionen denkbar:

materielle Maßgeblichkeit
formelle Maßgeblichkeit.

Die materielle Maßgeblichkeit ist erfüllt, wenn die Steuerbilanzansätze mit den handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften abstrakt vereinbar sind. Es wird auf die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung als solche abgestellt, nicht auf den konkreten Wertansatz. Nach der materiellen Maßgeblichkeit dürfen Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte in den beiden Rechnungslegungsinstrumenten in unterschiedlicher Weise ausgeübt werden. Handels- und Steuerbilanz können übereinstimmen, sie müssen es aber nicht. Nach der materiellen Maßgeblichkeit wird die steuerliche Gewinnermittlung durch handelsrechtliche Regelungen nur insoweit eingeschränkt, als die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung den Rahmen darstellen, innerhalb dessen die Steuerbilanz (eigenständig) gestaltet werden kann.

Die formelle Maßgeblichkeit stellt zwischen der Handelsbilanz und der Steuerbilanz eine wesentlich engere Verknüpfung her als die materielle Maßgeblichkeit. Nach der formellen Maßgeblichkeit gelten in der Handels- und Steuerbilanz nicht nur die gleichen Rahmenbedingungen, vielmehr ist der in der Handelsbilanz enthaltene konkrete Wert in die Steuerbilanz zu übernehmen.

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§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG sieht vor, dass der handelsrechtliche Wertansatz nicht übernommen werden muss, wenn im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts ein davon abweichender Ansatz gewählt wird. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist die materielle Maßgeblichkeit der formellen Maßgeblichkeit vorzuziehen. Aufgrund des allgemein für die Besteuerung geltenden Grundsatzes der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit (§ 38 AO) ist jedoch im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung dem Objektivierungsgedanken eine hohe Bedeutung beizumessen. Will man im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit (Tatbestandsmäßigkeit und insbesondere Tatbestandsbestimmtheit der Besteuerung) den Ermessensspielraum des Bilanzierenden so weit wie möglich einschränken, sind die Anforderungen an den Nachweis für den gewählten Bilanzansatz im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung streng zu formulieren:

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– Im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung sollten grundsätzlich keine Wahlrechte gewährt werden. Durch die Vorgabe verbindlicher Bilanzierungs- und Bewertungsregeln für die Steuerbilanz ist (eher) gewährleistet, dass die Besteuerungsgrundlagen eindeutig formuliert sind, sodass die Steuerpflichtigen die Verteilung des Gesamtgewinns auf die einzelnen Perioden nicht selbst festlegen können. Die Einschränkung des Umfangs der Wahlrechte dient gleichzeitig dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.

Eine Ausnahme gilt für Wahlrechte, die auf Vereinfachungsüberlegungen beruhen (wie Wahlrechte zum Einbezug von den Gemeinkosten in die Herstellungskosten, die von geringem Wert sind und nur schwer zuordenbar sind, sowie Festbewertung und Gruppenbewertung zur Vereinfachung der Inventur). Aufgrund der mit dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit untrennbar verbundenen Objektivierungsüberlegungen ist allerdings zu fordern, dass derartige Wahlrechte in der Steuerbilanz in gleicher Weise auszuüben sind wie in der handelsrechtlichen Rechnungslegung.

Eine Sonderstellung nehmen Sonderabschreibungen, erhöhte Absetzungen, Bewertungsabschläge und steuerfreie Rücklagen ein (zB Übertragung von stillen Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter nach § 6b EStG oder R 6.6 EStR, Sonderabschreibungen zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe nach § 7g Abs. 5, 6 EStG, erhöhte Absetzungen für Gebäude in einem Sanierungsgebiet nach § 7h EStG oder für Baudenkmäler nach § 7i EStG) und die im Umwandlungssteuergesetz enthaltenen Wahlrechte, beim Wechsel der Rechtsform die stillen Reserven aufzulösen oder die bisherigen Buchwerte fortzuführen. Ihre Zielsetzung besteht darin, Investitionen zu fördern (Gewährung eines positiven Zeiteffekts) bzw unternehmerische Umstrukturierungen nicht durch die Auflösung und sofortige Besteuerung von stillen Reserven zu behindern (Vermeidung eines negativen Zeiteffekts). Diese auf dem Lenkungszweck der Besteuerung beruhenden Wahlrechte können nach § 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG unabhängig von der Vorgehensweise in der Handelsbilanz ausgeübt werden. Insoweit muss das Maßgeblichkeitsprinzip nicht beachtet werden.[1]

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Ermessensspielräume wirken sich in gleicher Weise auf die ertragsteuerliche Bemessungsgrundlage aus wie Ansatz- und Bewertungswahlrechte. Ermessensspielräume unterscheiden sich von Wahlrechten lediglich dadurch, dass sie gesetzlich nicht kodifiziert sind. Ermessensspielräume resultieren zum einen aus unbestimmten Rechtsbegriffen und zum anderen aus Meinungsverschiedenheiten über die Interpretation gesetzlicher Vorschriften. Die folgende beispielhafte Aufzählung verdeutlicht die große Bedeutung von Ermessensspielräumen im Rahmen der steuerlichen Bilanzierung. Es bestehen Spielräume bei der Ermittlung der Herstellungskosten (zB Abgrenzung der angemessenen, notwendigen, auf den Zeitpunkt der Herstellung entfallenden Gemeinkosten, Form der Gemeinkostenschlüsselung, Art der Berücksichtigung von Beschäftigungsschwankungen), bei der Feststellung des Prozentsatzes für Pauschalwertberichtigungen von Forderungen und für Rückstellungen für Garantieverpflichtungen, bei der Konkretisierung des Teilwerts von Aktiva oder von Rückstellungen, bei der Abgrenzung zwischen Erhaltungs- und Herstellungsaufwand von Baumaßnahmen, bei der Abgrenzung zwischen werterhellenden und wertbegründenden Ereignissen sowie bei der Abgrenzung zwischen voraussichtlich vorübergehenden und voraussichtlich dauernden Wertminderungen und bei der Schätzung des auf die private Nutzung entfallenden Anteils bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern.

Ermessensspielräume lassen sich definitionsgemäß niemals vollständig vermeiden. Die Gestaltungsspielräume der Steuerpflichtigen lassen sich jedoch einschränken, wenn bei Ermessensspielräumen eine Pflicht zur Angabe der zugrunde gelegten Daten und Annahmen gefordert wird. Darüber hinaus ist zu verlangen, dass Ermessensspielräume in der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz in gleicher Weise ausgelegt werden. Eine abweichende Auslegung ist als willkürlich und damit als unzulässig anzusehen.

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Entgegen diesen systematischen Überlegungen wird die Neuregelung des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG von der Finanzverwaltung im Sinne einer materiellen Maßgeblichkeit interpretiert. Diese Aussage wird zwar nicht explizit formuliert. Sie leitet sich aber implizit daraus ab, dass in dem BMF-Schreiben zu den Auswirkungen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes[2] ausgeführt wird, dass Wahlrechte, die sich aus einer eigenständigen steuerlichen Regelung ergeben, unabhängig von der Vorgehensweise im handelsrechtlichen Jahresabschluss ausgeübt werden können. Diese Ausnahme vom Maßgeblichkeitsprinzip gilt nach Ansicht der Finanzverwaltung generell, nicht nur für die Regelungen, die einen speziellen steuerlichen Hintergrund aufweisen (Sonderabschreibungen, erhöhte Absetzungen, Bewertungsabschläge und steuerfreie Rücklagen sowie im Umwandlungssteuergesetz enthaltene Wahlrechte). Der Umfang der in der Steuerbilanz eigenständig auszuübenden Wahlrechte geht sehr weit, weil sich steuerliche Wahlrechte nicht nur aus dem Gesetz (insbesondere EStG) ergeben können, sondern nach der Auffassung der Finanzverwaltung auch aus Verwaltungsvorschriften, wie Richtlinien (insbesondere EStR) und BMF-Schreiben.[3]

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Ergebnis: Folgt man der Auffassung der Finanzverwaltung, lässt sich der Inhalt des Maßgeblichkeitsprinzips seit der Änderung des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz wie folgt beschreiben:

Abb. 3: Inhalt des Maßgeblichkeitsprinzips

Der Handelsbilanzansatz ist für die steuerliche Gewinnermittlung dem Grunde und der Höhe nach zu übernehmen, außer § 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG
• es besteht eine steuerliche Regelung, die für die Bilanzierung oder die Bewertung eine abweichende Regelung vorsieht oder spezielle steuerliche Norm geht vor
• in der Handelsbilanz besteht ein Bilanzierungswahlrecht und im Steuerrecht ist keine Regelung vorgesehen oder Einschränkung der Maßgeblichkeit durch die Finanzrechtsprechung
• für die Steuerbilanz besteht nach dem Gesetz oder einer Verwaltungsanweisung ein Wahlrecht und dieses steuerliche Wahlrecht wird so ausgeübt, dass der Ansatz in der Steuerbilanz vom in der Handelsbilanz angesetzten Wert abweicht. § 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG

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Von einer Maßgeblichkeit wird gesprochen, wenn für die steuerliche Gewinnermittlung der Wertansatz aus der Handelsbilanz zu übernehmen ist. Insoweit stimmen Handels- und Steuerbilanz überein. Von der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz bestehen jedoch Ausnahmen. Bei den Ausnahmen ist danach zu differenzieren, inwieweit Bilanzierung und Bewertung im Rahmen der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung übereinstimmen können bzw voneinander abweichen müssen. In diesem Buch wird folgende Dreiteilung vorgenommen:

Zu einer Einschränkung der Maßgeblichkeit kommt es, wenn aufgrund von Bilanzierungs- oder Bewertungswahlrechten oder aufgrund von Ermessensspielräumen nach den handelsrechtlichen Regelungen mehrere Ansätze zulässig sind und in der Steuerbilanz ein bestimmter Wert vorgeschrieben ist. Liegt eine Einschränkung der Maßgeblichkeit vor, können Handels- und Steuerbilanz übereinstimmen, sie müssen es aber nicht.
Eine Durchbrechung der Maßgeblichkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass eine steuerrechtliche Norm einen Ansatz erfordert, der mit der handelsrechtlichen Regelung nicht vereinbar ist. Bei einer Durchbrechung der Maßgeblichkeit weichen Handels- und Steuerbilanz zwingend voneinander ab.
Besteht für die Steuerbilanz ein Wahlrecht, kann dieses steuerliche Wahlrecht bei Aufstellung der Steuerbilanz eigenständig ausgeübt werden. Die handelsrechtliche Behandlung dieses Sachverhaltes ist für die steuerliche Gewinnermittlung nicht bindend. Insoweit besteht keine Maßgeblichkeit. In Abhängigkeit davon, wie das Wahlrecht bei der Aufstellung der Steuerbilanz ausgeübt wird, können die beiden Bilanzen den gleichen Wert aufweisen, sie müssen es aber nicht. Für die Besteuerung von Unternehmen gelten in Teilbereichen spezielle Regelungen, um im Zusammenhang mit Investitionsförderungsmaßnahmen, der Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften, der Abgrenzung des betrieblichen Bereichs von der privaten Sphäre sowie zur Vermeidung einer internationalen Doppelbesteuerung bestimmte Zielsetzungen zu erreichen. Diese speziellen steuerlichen Vorschriften gehen den handelsrechtlichen Gewinnermittlungsgrundsätzen vor, dh insoweit besteht gleichfalls keine Maßgeblichkeit.

Der Unterschied zwischen der ersten und der dritten Fallgruppe besteht darin, dass bei der ersten Fallgruppe die handelsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten weiter gehen als in der Steuerbilanz (Einschränkung der Maßgeblichkeit), während bei der dritten Fallgruppe sich die Wahlrechte aus steuerlichen Regelungen ergeben, die nach Ansicht der Finanzverwaltung unabhängig von der Vorgehensweise im Rahmen der handelsrechtlichen Rechnungslegung ausgeübt werden können (Wahlrechtsausübung ohne Bindung an die Handelsbilanz) oder weil für das Steuerrecht spezielle Regelungen gelten, die so in der handelsrechtlichen Rechnungslegung nicht bestehen.

Beispiel 1:

Für die Bewertung eines Wirtschaftsguts besteht handelsrechtlich ein Wahlrecht. Als Untergrenze ist ein Wert von 10 000 € anzusetzen. Die Obergrenze beläuft sich auf 12 000 €. Zusätzlich sind Zwischenwerte zulässig.

Wird für die Steuerbilanz eine Bewertung mit 11 500 € vorgeschrieben, wird die Maßgeblichkeit eingeschränkt. Die steuerliche Regelung sieht eine Bewertung vor, die innerhalb der im Handelsrecht gewährten Bandbreite liegt. In Abhängigkeit von der Ausübung des Bewertungswahlrechts in der Handelsbilanz stimmen Handels- und Steuerbilanz überein (Wert in der Handelsbilanz 11 500 €) oder weichen voneinander ab (bei jeder anderen Ausübung des handelsbilanziellen Wahlrechts).

Beispiel 2:

Wird in der Handelsbilanz ein Wert von 12 000 € vorgegeben und ist für die Steuerbilanz eine Bewertung mit 13 000 € verpflichtend, kommt es zu einer Durchbrechung der Maßgeblichkeit. Handels- und Steuerbilanz können aufgrund von zwei sich widersprechenden, verbindlichen Regelungen nicht übereinstimmen.

Beispiel 3:

Ist in der Handelsbilanz ein Wirtschaftsgut aufgrund einer verbindlichen Regelung mit 12 000 € zu bewerten, während für die Steuerbilanz aufgrund einer Sonderabschreibung eine Bewertung zwischen 8 000 und 12 000 € zulässig ist, besteht keine Maßgeblichkeit. Wird in der Steuerbilanz auf die Inanspruchnahme der Sonderabschreibung verzichtet, stimmen Handels- und Steuerbilanz überein. Zu einer Abweichung kommt es, wenn in der Steuerbilanz das spezielle steuerbilanzielle Wahlrecht ausgeübt wird.

Beispiel 4:

Bezieht eine Kapitalgesellschaft von einer anderen Kapitalgesellschaft Dividenden, bleiben diese ertragsteuerlich grundsätzlich außer Ansatz, sofern die Mindestbeteiligungsquote von 10% erreicht ist (§ 8b Abs. 1, 4 KStG), allerdings gelten 5% der Dividenden als nichtabziehbare Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 KStG). Diese Regelung des Körperschaftsteuersystems dient dazu, eine Mehrfachbelastung mit Körperschaftsteuer zu vermeiden. Im handelsrechtlichen Einzelabschluss ist diese Zielsetzung ohne Bedeutung. Die Dividenden sind deshalb in voller Höhe ertragswirksam zu verbuchen. Die konzeptionelle Abweichung führt dazu, dass keine Maßgeblichkeit besteht. Die Zielsetzung des Körperschaftsteuersystems geht den allgemeinen steuerlichen Gewinnermittlungsregeln vor.

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