Читать книгу Besteuerung von Unternehmen II - Wolfram Scheffler - Страница 31

III. Auswirkungen des Maßgeblichkeitsprinzips

Оглавление

39

Die Konsequenzen des Maßgeblichkeitsprinzips für einen konkreten Geschäftsvorgang hängen von der Ausgestaltung der für die Handelsbilanz und die Steuerbilanz formulierten gesetzlichen Normen ab:

Die handelsrechtlichen Regelungen kennen entweder zwingende Vorschriften (Pflicht, Verbot), Wahlrechte oder Ermessensspielräume.
Im Bilanzsteuerrecht besteht entweder keine eigene Norm oder in das Steuerrecht sind spezielle Regelungen aufgenommen worden. Das Steuerrecht kann eine zwingende Vorgehensweise (Pflicht, Verbot) vorschreiben oder ein Wahlrecht gewähren. Darüber hinaus gibt es auch im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung Ermessensspielräume.

Zusätzlich bestehen außerhalb des Bilanzsteuerrechts Regelungen, die auf die Höhe der steuerpflichtigen Einkünfte zurückwirken: Zum einen sind spezielle steuerliche Grundsätze zu beachten, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit der Besteuerung von Personen- oder Kapitalgesellschaften, zur Abgrenzung des betrieblichen Bereichs von der privaten Sphäre des Steuerpflichtigen oder zur Vermeidung von internationalen Doppelbesteuerungen gelten. Bei diesen Vorschriften handelt es sich im Regelfall um verbindlich anzuwendende Normen. Zum anderen kann der Steuerpflichtige spezielle steuerliche Wahlrechte in Anspruch nehmen, die in erster Linie der Förderung von Investitionen sowie zur Vermeidung einer Behinderung von unternehmerischen Umstrukturierungen dienen. Diesen auf steuerpolitischen Überlegungen beruhenden Wahlrechten stehen seit der Aufhebung der umgekehrten Maßgeblichkeit durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz keine vergleichbaren handelsrechtlichen Vorschriften mehr gegenüber. Die Übernahme des niedrigeren steuerlichen Werts (§ 254, § 279 Abs. 2 HGB aF) bzw von steuerfreien Rücklagen (§ 247 Abs. 3, § 273 HGB aF) in die Handelsbilanz ist seit dem Jahr 2009 nicht mehr zulässig.

Aus den verschiedenen Kombinationen lassen sich insgesamt neun Fälle bilden. Die wichtigsten Aussagen sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst. Sie werden im Folgenden im Einzelnen beschrieben. Die Reihenfolge der Fälle wurde danach festgelegt, welche Art von Regelungen für die Handelsbilanz vorgesehen ist. Folgt man der Auslegung des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG, wie sie von der Finanzverwaltung vorgenommen wurde, ergeben sich folgende Auswirkungen:

Abb. 4: Grundsätzliche Auswirkungen des Maßgeblichkeitsprinzips

Fall Handelsrecht Steuerrecht Auswirkungen des Maßgeblichkeitsprinzips (Grundsatz) Form der Maßgeblichkeit
1 verbindliche Regelung keine Regelung Wert aus der Handelsbilanz ist in die Steuerbilanz zu übernehmen (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG) Maßgeblichkeit
2 verbindliche Regelung verbindliche Regelung Fall 2a: übereinstimmende verbindliche Regelungen: Handelsbilanz und Steuerbilanz stimmen überein Maßgeblichkeit (deklaratorisch)
Fall 2b: abweichende verbindliche Regelungen: für die Steuerbilanz ist die steuerliche Regelung verbindlich: Handelsbilanz und Steuerbilanz weichen voneinander ab Durchbrechung der Maßgeblichkeit
3 verbindliche Regelung Wahlrecht das steuerliche Wahlrecht kann unabhängig von der handelsrechtlichen Rechnungslegung ausgeübt werden (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG): Handelsbilanz und Steuerbilanz können, müssen aber nicht übereinstimmen keine Maßgeblichkeit
4 Wahlrecht verbindliche Regelung für die Steuerbilanz ist die steuerliche Regelung verbindlich: Handelsbilanz und Steuerbilanz können, müssen aber nicht übereinstimmen (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG) Einschränkung der Maßgeblichkeit
5 Wahlrecht keine Regelung Bilanzierung: handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte werden steuerlich zur Aktivierungspflicht und handelsrechtliche Passivierungswahlrechte werden steuerlich zum Passivierungsverbot, dh Handelsbilanz und Steuerbilanz können, müssen aber nicht übereinstimmen Einschränkung der Maßgeblichkeit
Bewertung: Übernahme des handelsrechtlichen Werts, dh Handelsbilanz und Steuerbilanz stimmen überein Maßgeblichkeit
6 Wahlrecht Wahlrecht das steuerliche Wahlrecht kann unabhängig von der handelsrechtlichen Regelung ausgeübt werden (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG): Handelsbilanz und Steuerbilanz können, müssen aber nicht übereinstimmen keine Maßgeblichkeit
7 Ermessensspielraum keine Regelung Wert aus der Handelsbilanz ist in die Steuerbilanz zu übernehmen (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG) Maßgeblichkeit
8 Ermessensspielraum Ermessensspielraum Fall 8a: Ermessensspielräume stimmen überein: Handelsbilanz und Steuerbilanz stimmen überein Maßgeblichkeit
Fall 8b: handelsrechtlicher Ermessensspielraum geht weiter als der im Steuerrecht zulässige Rahmen (im Steuerrecht uU verbindliche Regelung): Handelsbilanz und Steuerbilanz können, müssen aber nicht übereinstimmen Einschränkung der Maßgeblichkeit
9 keine vergleichbare Regelung spezieller steuerlicher Grundsatz (verbindliche Regelung) die spezielle steuerliche Regelung ist anzuwenden (zB Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften, Abgrenzung des betrieblichen Bereichs von der privaten Sphäre, Vermeidung einer internationalen Doppelbesteuerung) keine Maßgeblichkeit

40

Fall 1: Handelsbilanz verbindliche Regelung – Steuerbilanz keine Regelung: Gilt für die Handelsbilanz eine zwingende Vorschrift (Bilanzierungsgebot, -verbot, eindeutige Bewertungsregel) und existiert im Steuerrecht keine Vorschrift, gilt sowohl für den Ansatz dem Grunde nach als auch für den Ansatz der Höhe nach die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz.[1] Diese Fallgruppe repräsentiert das Maßgeblichkeitsprinzip in idealtypischer Weise.

41

Fall 2: Handelsbilanz verbindliche Regelung – Steuerbilanz verbindliche Regelung: Kennen sowohl das Handelsrecht als auch das Steuerrecht eine zwingende Norm, ist eine Fallunterscheidung zu treffen: Die beiden Regelungen können übereinstimmen (Fall 2a) oder voneinander abweichen (Fall 2b).

Sind die handelsrechtliche und die steuerrechtliche Regelung inhaltlich identisch (Fall 2a), treten keine Abgrenzungsfragen auf. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz wirkt in dieser Situation lediglich deklaratorisch.[2]

Sind für die Handels- und Steuerbilanz jeweils verbindliche Regelungen kodifiziert und unterscheiden sich diese (Fall 2b), ist für die Handelsbilanz die handelsrechtliche Norm und für die Steuerbilanz die steuerrechtliche Vorschrift anzuwenden.[3] Ist der Wertansatz in der Steuerbilanz nicht mit den handelsrechtlichen Regelungen vereinbar, liegt eine Durchbrechung der Maßgeblichkeit vor.

42

Fall 3: Handelsbilanz verbindliche Regelung – Steuerbilanz Wahlrecht: In der Situation, in der einer verbindlichen handelsrechtlichen Vorschrift ein steuerrechtliches Wahlrecht gegenübersteht, ist die handelsrechtliche Vorschrift für die Steuerbilanz nicht bindend, vielmehr kann das steuerliche Bilanzierungs- oder Bewertungswahlrecht unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden. Es besteht keine Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz. In Abhängigkeit davon, wie das steuerliche Wahlrecht ausgeübt wird, können die Handels- und Steuerbilanz übereinstimmen oder voneinander abweichen (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG).

Die Möglichkeit, steuerliche Wahlrechte unabhängig von der handelsrechtlichen Rechnungslegung ausüben zu können, gilt zum einen für die Verrechnung von überhöhten Abschreibungen (Sonderabschreibungen, erhöhte Absetzungen, Bewertungsabschläge), die Passivierung von steuerfreien Rücklagen und das im Umwandlungssteuergesetz bei bestimmten Umstrukturierungen gewährte Wahlrecht zwischen der Auflösung von stillen Reserven bzw der Fortführung der Buchwerte. Bei diesen Wahlrechten handelt es sich um Lenkungsnormen, die dazu dienen, Investitionen zu fördern oder eine Behinderung von unternehmerischen Umstrukturierungen zu vermeiden. Für diese auf dem Lenkungszweck der Besteuerung beruhenden speziellen steuerlichen Wahlrechte gibt es seit der Aufhebung der umgekehrten Maßgeblichkeit in der Handelsbilanz keine vergleichbare Regelung mehr. Damit ist es folgerichtig, dass für diese speziellen steuerlichen Wahlrechte keine Bindung an die Handelsbilanz besteht.[4]

Nimmt der Steuerpflichtige eines der speziellen steuerlichen Wahlrechte nicht in Anspruch, stimmt der handelsrechtliche Wertansatz mit dem in der Steuerbilanz überein. Will er von dem positiven Zeiteffekt von überhöhten Abschreibungen und steuerfreien Rücklagen oder von den im Umwandlungssteuergesetz enthaltenen Wahlrechten profitieren, muss sich der Steuerpflichtige im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung für einen anderen Wert als in der Handelsbilanz entscheiden. Diese Wahlrechte bestehen nur für die Steuerbilanz, in der Handelsbilanz existieren derartige Wahlmöglichkeiten nicht. Der steuerbilanzielle Wert liegt unter dem Wertansatz in der Handelsbilanz.

Nach Ansicht der Finanzverwaltung können zum anderen auch alle anderen steuerlichen Wahlrechte unabhängig von der Vorgehensweise in der handelsrechtlichen Rechnungslegung ausgeübt werden.[5] Bei der Erläuterung des Inhalts des Maßgeblichkeitsprinzips wurde jedoch begründet, dass der zusätzlich zu berücksichtigende Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit (§ 38 AO) dazu führt, dass in der Steuerbilanz Wahlrechte so weit wie möglich zu vermeiden sind. Da für die steuerliche Gewinnermittlung dem Objektivierungsgedanken eine hohe Bedeutung zukommt, ist die Ansicht der Finanzverwaltung mit den Zielen der steuerlichen Gewinnermittlung nicht vereinbar. Die dadurch eingeräumten steuerplanerischen Gestaltungsmöglichkeiten werden aber von den Steuerpflichtigen selbstverständlich positiv beurteilt.

Voraussetzung für die Ausübung von steuerlichen Wahlrechten ist, dass die Wirtschaftsgüter, die nicht mit dem handelsrechtlich maßgeblichen Wert in der steuerlichen Gewinnermittlung ausgewiesen werden, in besondere, laufend zu führende Verzeichnisse aufgenommen werden. In den Verzeichnissen sind

der Tag der Anschaffung oder Herstellung,
die Anschaffungs- oder Herstellungskosten,
die Vorschrift des ausgeübten steuerlichen Wahlrechts und
die Höhe der vorgenommenen Abschreibungen

nachzuweisen (§ 5 Abs. 1 S. 2, 3 EStG). Wird das Verzeichnis nicht oder unvollständig geführt, kann das steuerliche Wahlrecht nicht genutzt werden. Das Verzeichnis ist zeitnah zu erstellen, eine nachträgliche Erstellung ist nicht ausreichend.[6]

43

Fall 4: Handelsbilanz Wahlrecht – Steuerbilanz verbindliche Regelung: Besteht für die Handelsbilanz ein Bilanzierungs- oder Bewertungswahlrecht, während die Steuergesetze für diesen Sachverhalt eine zwingende Vorschrift kennen, wird das handelsrechtliche Wahlrecht in der Steuerbilanz durch die verbindliche steuerliche Regelung verdrängt. Unabhängig davon, wie in der Handelsbilanz das dort bestehende Wahlrecht ausgeübt wird, ist der Wert in der Steuerbilanz derjenige, der für die steuerliche Gewinnermittlung vorgegeben ist.[7] Es kommt zu einer Einschränkung der Maßgeblichkeit. In Abhängigkeit von der Art und Weise der Ausübung des im Rahmen der handelsrechtlichen Rechnungslegung bestehenden Wahlrechts sind zwei Alternativen möglich. Wird handelsrechtlich aus den verschiedenen Möglichkeiten der Wert gewählt, der in der Steuerbilanz zwingend anzusetzen ist, stimmen Handelsbilanz und Steuerbilanz überein. Entscheidet sich der Bilanzierende handelsrechtlich für einen Wert, der zwar handelsrechtlich zulässig ist, aber von dem Wert abweicht, der für die Steuerbilanz vorgeschrieben ist, fallen die beiden Bilanzen auseinander.

44

Fall 5: Handelsbilanz Wahlrecht – Steuerbilanz keine Regelung: Gilt für die Handelsbilanz ein Bilanzierungswahlrecht und existiert steuerrechtlich keine Vorschrift, kommt es zu einer Einschränkung der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz. Für den Ansatz dem Grunde nach bedeutet dies, dass handelsrechtliche Ansatzwahlrechte für die steuerliche Gewinnermittlung nicht übernommen werden können, vielmehr ist in der Steuerbilanz die Bilanzierung eindeutig festgelegt:[8]

Wirtschaftsgüter, für die handelsrechtlich ein Aktivierungswahlrecht besteht, sind bei fehlender steuerlicher Norm in der Steuerbilanz aktivierungspflichtig.
Für passive Wirtschaftsgüter, die handelsrechtlich bilanziert werden können, gilt bei fehlender steuerlicher Norm steuerrechtlich ein Passivierungsverbot.

Die Begründung für diese Einschränkung von Bilanzierungswahlrechten in der Steuerbilanz liegt in der stärkeren Betonung des Objektivierungsgedankens.

Bei Sachverhalten, für die handelsrechtlich ein Bewertungswahlrecht besteht und im Steuerrecht eine eigenständige Norm fehlt, müsste konsequenterweise für die steuerliche Gewinnermittlung bei Aktiva der höchste in der Handelsbilanz zulässige Wert angesetzt werden, während bei Bewertungswahlrechten für Passiva in die Steuerbilanz die handelsrechtliche Wertuntergrenze übernommen werden müsste.[9] Von der Finanzverwaltung wird allerdings die Auffassung vertreten, dass bei Bewertungswahlrechten der handelsrechtliche Wert in die Steuerbilanz zu übernehmen ist (Maßgeblichkeit nach § 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG).[10] Auf welche Argumente sich dieser Widerspruch zwischen handelsrechtlichen Bilanzierungswahlrechten (Einschränkung der Maßgeblichkeit) und handelsrechtlichen Bewertungswahlrechten (Maßgeblichkeit) sowie damit verbunden die andere Interpretation der Maßgeblichkeit stützt, wird von der Finanzverwaltung nicht erläutert.

45

Fall 6: Handelsbilanz Wahlrecht – Steuerbilanz Wahlrecht: Besteht sowohl für die Handelsbilanz als auch für die Steuerbilanz ein Wahlrecht, kann das steuerliche Wahlrecht unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden (§ 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG), dh in diesem Fall besteht keine Maßgeblichkeit.[11] Dies gilt unabhängig davon, ob die Wahlrechte in den beiden Rechnungslegungskreisen inhaltlich übereinstimmen oder ob das steuerliche Wahlrecht enger abgegrenzt ist als das handelsrechtliche Wahlrecht. In Abhängigkeit von der Ausübung der Wahlrechte können Handels- und Steuerbilanz übereinstimmen oder auseinanderfallen.[12]

Die Auffassung der Finanzverwaltung steht im Widerspruch zu den Zielen der steuerrechtlichen Rechnungslegung. Aufgrund dem ergänzend heranzuziehenden Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit (§ 38 AO) müssten bei einem Nebeneinander von handelsrechtlichem Wahlrecht und steuerlichem Wahlrecht der für die handelsrechtliche Rechnungslegung gewählte Wert in die Steuerbilanz zu übernehmen sein. Da für die steuerliche Gewinnermittlung dem Objektivierungsgedanken eine hohe Bedeutung zukommt, sollte das Wahlrecht in der Steuerbilanz nicht anders ausgeübt werden dürfen als in der Handelsbilanz. Sowohl für Ansatzwahlrechte als auch für Bewertungswahlrechte müsste die (formelle) Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz gelten.

46

Fall 7: Handelsbilanz Ermessensspielraum – Steuerbilanz keine Regelung: Gilt für die Handelsbilanz ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nur durch eine Ermessensentscheidung konkretisiert werden kann, und besteht im Steuerrecht keine Regelung, stimmen Handels- und Steuerbilanz überein. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz ergibt sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 EStG.[13] Eine unterschiedliche Auslegung desselben Ermessensspielraums in den beiden Bilanzen wäre willkürlich. Sie würde gegen den Grundsatz der objektivierten Gewinnermittlung verstoßen.

47

Fall 8: Handelsbilanz Ermessensspielraum – Steuerbilanz Ermessensspielraum: Gilt für die Handelsbilanz ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nur durch eine Ermessensentscheidung konkretisiert werden kann, und besteht im Steuerrecht gleichfalls ein Ermessensspielraum, ist danach zu differenzieren, ob für die steuerliche Gewinnermittlung derselbe oder ein inhaltlich vergleichbarer unbestimmter Rechtsbegriff verwendet wird (Fall 8a) oder ob für die steuerliche Gewinnermittlung die Bandbreite der möglichen Alternativen durch einen enger abgegrenzten Ermessensspielraum eingegrenzt wird oder durch eine verbindliche Regelung vollständig aufgehoben wird (Fall 8b).[14]

Stimmt der Ermessensspielraum in den beiden Bilanzen überein (Fall 8a), ist dieser in der Steuerbilanz in gleicher Weise auszulegen wie in der Handelsbilanz. Eine unterschiedliche Auslegung desselben Ermessensspielraums in den beiden Bilanzen wäre willkürlich. Sie würde gegen den Grundsatz der objektivierten Gewinnermittlung verstoßen. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG gilt uneingeschränkt.

Wird bei einem unbestimmten Rechtsbegriff der in der Handelsbilanz bestehende Ermessensspielraum für die steuerliche Gewinnermittlung durch eine verbindliche Regelung oder einen enger abgegrenzten Ermessensspielraum verringert (Fall 8b), liegt eine Einschränkung der Maßgeblichkeit vor. Diese Situation ist inhaltlich mit dem Fall 4 vergleichbar. Der Unterschied liegt nur darin, dass nicht ein Ansatz- oder Bewertungswahlrecht gewährt wird, sondern bei der Auslegung des Gesetzes ein Interpretationsspielraum besteht. Anstelle einer abzählbaren Anzahl an Alternativen existiert eine Bandbreite möglicher Werte.

48

Fall 9: Handelsbilanz keine vergleichbare Regelung – Steuerbilanz eigenständige ertragsteuerliche Regelung: Im Zusammenhang mit der Besteuerung von Unternehmen kennt das Steuerrecht spezifische Regelungen, um die für Einzelunternehmen sowie für Personen- und Kapitalgesellschaften gewünschte Konzeption umzusetzen, um bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte den betrieblichen Bereich von der privaten Sphäre des Steuerpflichtigen abzugrenzen sowie um bei grenzüberschreitend tätigen Unternehmen internationale Doppelbesteuerungen zu vermeiden. Für die Besteuerung von Unternehmen unterschiedlicher Rechtsform, für den ertragsteuerlichen Grundsatz der Trennung von Einkommenserzielung und Einkommensverwendung sowie für die Maßnahmen zur Vermeidung von internationaler Doppelbesteuerung bestehen keine vergleichbaren handelsrechtlichen Regelungen. Es ist unstrittig, dass im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung die jeweiligen allgemeinen steuerlichen Regelungen anzuwenden sind. Aufgrund von konzeptionellen Abweichungen besteht keine Maßgeblichkeit.

49

Zusammenfassung: Die Verbindungen zwischen handelsrechtlicher und steuerrechtlicher Gewinnermittlung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Grundsätzlich ist der Handelsbilanzansatz für die steuerliche Gewinnermittlung dem Grunde und der Höhe nach zu übernehmen, außer

es besteht eine steuerliche Regelung, die für die Bilanzierung oder die Bewertung eine abweichende Regelung vorschreibt, oder
in der Handelsbilanz besteht ein Bilanzierungswahlrecht und im Steuerrecht ist keine Regelung vorgesehen oder
für die Steuerbilanz besteht nach dem Gesetz oder nach einer Verwaltungsanweisung ein Wahlrecht und dieses steuerliche Wahlrecht wird so ausgeübt, dass der Wert in der Steuerbilanz vom in der Handelsbilanz angesetzten Wert abweicht.

50

Die Interpretation des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG im Sinne der formellen Maßgeblichkeit und die damit verbundene Einschränkung einer eigenständigen Wahlrechtsausübung in der Steuerbilanz auf Wahlrechte, mit denen eine spezielle steuerliche Zielsetzung verfolgt wird, könnte mit dem zusätzlichen Einbezug des Grundsatzes der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit begründet werden. Dieser zu den allgemeinen Besteuerungsprinzipien gehörende Grundsatz hätte zur Konsequenz, dass für die steuerliche Gewinnermittlung der Objektivierungsgedanke eine bedeutsame Rolle spielen würde. Allerdings legt die Finanzverwaltung § 5 Abs. 1 S. 1 EStG isoliert aus. Stellt man ausschließlich auf den Wortlaut ab, kann man die Auffassung vertreten, dass steuerliche Wahlrechte unabhängig von der Vorgehensweise in der Handelsbilanz ausgeübt werden dürfen. Bedeutsam sind diese unterschiedlichen Interpretationen insbesondere im Fall 3 (soweit es sich nicht um spezielle steuerliche Wahlrechte im Zusammenhang mit dem Lenkungszweck der Besteuerung handelt) und im Fall 6.

Bei verbindlichen steuerrechtlichen Regelungen (Fälle 2 und 4), fehlenden steuerlichen Regelungen (Fälle 1, 5 und 7), bei speziellen steuerlichen Grundsätzen (Fall 9) und bei den speziellen steuerlichen Wahlrechten im Zusammenhang mit dem Lenkungszweck der Besteuerung (Untergruppe des Falls 3) treten bei der Auslegung des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG grundsätzlich keine Abweichungen auf. Übereinstimmung müsste auch bei Ermessensspielräumen bestehen (Fall 8), da eine unterschiedliche Auslegung von Ermessensspielräumen unabhängig davon als willkürlich anzusehen ist, ob man aus § 5 Abs. 1 S. 1 EStG eine formelle Maßgeblichkeit oder eine materielle Maßgeblichkeit ableitet.

Besteuerung von Unternehmen II

Подняться наверх