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2. Realisationsprinzip (Ertragsantizipationsverbot, Anschaffungswertprinzip)

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(1) Aufgaben des Realisationsprinzips: Nach dem Realisationsprinzip darf ein Ertrag erst dann ausgewiesen werden, wenn er am Absatzmarkt durch einen Umsatz oder durch einen anderen intersubjektiv nachprüfbaren Tatbestand bestätigt wird. Diesen Grundgedanken formuliert § 252 Abs. 1 Nr 4 HGB wie folgt: „Gewinne sind nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind.“

Das Realisationsprinzip hat zum einen die Funktion, Erträge den einzelnen Perioden willkürfrei zuzurechnen, und zum anderen die Aufgabe, die Erträge erst zu dem Zeitpunkt auszuweisen, zu dem sie ohne Gefährdung des nominellen Eigenkapitals für gewinnabhängige Zahlungen (Ausschüttungen, Gewinnentnahmen, Gewinnbeteiligungen, Ertragsteuern) verwendet werden können. Das Realisationsprinzip bezieht sich zwar insbesondere auf die Erträge aus Umsatzleistungen, aber auch andere Vermögensmehrungen dürfen erst dann als Ertrag ausgewiesen werden, wenn sie in nachprüfbarer Weise bestätigt wurden. Wertsteigerungen von Wirtschaftsgütern erhöhen deshalb den Erfolg des Unternehmens erst dann, wenn das Wirtschaftsgut an Dritte veräußert wird.

Das Realisationsprinzip ist ein Kernbestandteil der vorsichtigen Gewinnermittlung. Es beinhaltet im Wesentlichen ein Ertragsantizipationsverbot. Mit dem Realisationsprinzip eng verbunden ist das Anschaffungswertprinzip, nach dem Wirtschaftsgüter höchstens mit ihren (fortgeführten) Anschaffungs- oder Herstellungskosten bewertet werden dürfen (§ 253 Abs. 1 S. 1 HGB, § 6 Abs. 1 Nr 1, 2 EStG).

Beispiel:

Die G-AG hat vor mehr als 20 Jahren ein Grundstück zum Preis von 200 000 € erworben. Der Verkehrswert für vergleichbare Grundstücke beläuft sich am Abschlussstichtag auf 3 000 000 €. Dem Unternehmen liegt ein ernstzunehmendes Kaufangebot der zahlungskräftigen Interessentin Investor-AG in Höhe von 3 500 000 € vor.

Sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Steuerbilanz darf das Grundstück höchstens mit den Anschaffungskosten von 200 000 € bewertet werden. Einem Ausweis der zwischenzeitlichen Wertsteigerungen steht das Realisationsprinzip in seiner Ausprägung als Anschaffungswertprinzip entgegen. Erst in dem Zeitpunkt, in dem die G-AG das Grundstück veräußert, ist die Differenz zwischen dem erzielten Veräußerungserlös und den Anschaffungskosten als Ertrag zu verbuchen.

Dies gilt auch dann, wenn der Vorstand der G-AG die feste Absicht hat, das Grundstück an die Investor-AG zu verkaufen. Die im Anschluss an den Kaufvertrag vorzunehmende Übertragung des Grundstücks stellt ein wertbegründendes Ereignis dar, das erst in dem Zeitpunkt berücksichtigt werden darf, in dem dieses Ereignis eintritt.

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(2) Realisationszeitpunkt bei Liefergeschäften (Veräußerung von Waren oder Fertigerzeugnissen): Die praktische Bedeutung des Realisationsprinzips wird entscheidend davon geprägt, nach welchen Kriterien sich der Realisationszeitpunkt bestimmt. Allgemein formuliert stimmt der Realisationszeitpunkt mit dem Zeitpunkt überein, zu dem eine Lieferung als ausgeführt gilt. Für den Absatz der betrieblichen Hauptleistung ist dies dann der Fall, wenn aus dem aktiven Wirtschaftsgut „Ware“ bzw „Fertigerzeugnis“ das aktive Wirtschaftsgut „Forderung aus Lieferungen und Leistungen“ wird. Die Differenz zwischen den für die Anschaffung oder Herstellung des veräußerten Wirtschaftsguts angefallenen Aufwendungen und dem Veräußerungserlös erhöht den Gewinn in dem Zeitpunkt, in dem der leistende Unternehmer alles zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen Erforderliche getan hat. Die Gewinne sind in dem Zeitpunkt realisiert, in dem der Unternehmer seine Hauptverpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt hat, dh in dem Zeitpunkt, in dem die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung des Wirtschaftsguts auf den Käufer übergeht.

Der Übergang der Preisgefahr findet grundsätzlich mit Übergabe der Sache statt. Dies ist der Zeitpunkt, in dem der Käufer zum Besitzer des Wirtschaftsguts wird, das Wirtschaftsgut nutzen kann und die Lasten sowie die Gefahr des zufälligen Untergangs zu tragen hat (§ 446 BGB). Beim Versendungskauf ist auf den Zeitpunkt der Übergabe an die Transportperson abzustellen (§ 447 BGB).[1] Solange sich die Wirtschaftsgüter noch im Lager des Verkäufers befinden, gilt der Gewinn noch nicht als realisiert. Dies gilt auch dann, wenn der Käufer die Rechnung bereits im Voraus bezahlt hat. Der bereits bezahlte Betrag ist bis zur Auslieferung der Waren als Verbindlichkeit unter der Position „erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen“ (erfolgsneutral) zu passivieren.

Beispiel:[2]

Die W-AG schließt am 17.10.01 mit der M-GmbH einen Kaufvertrag über die Lieferung von Fahrzeugen zum Preis von 100 000 € ab. Die Fahrzeuge werden am 15.1.02 ausgeliefert. Die M-GmbH leistet am 12.11.01 eine Anzahlung von 30 000 €. Die Restzahlung von 70 000 € ist am 5.2.02 fällig. Das Eigentum an den Fahrzeugen verbleibt bis zur endgültigen Bezahlung beim Verkäufer, der W-AG. Für die Herstellung der Fahrzeuge fallen Aufwendungen von 75 000 € an. Die Herstellung findet im Dezember 01 statt und ist am Abschlussstichtag beendet. Die Garantiefrist läuft zwei Jahre nach Übergabe der Fahrzeuge aus (= 15.1.04).

17.10.01: Der Abschluss des Kaufvertrags löst aufgrund des Grundsatzes der Nichterfassung von schwebenden Geschäften keinen Buchungsvorgang aus.

12.11.01: Bank 30 000 € an Anzahlungen 30 000 €

Die Anzahlung ist erfolgsneutral als Verbindlichkeit („erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen“) zu passivieren.

Dezember 01: diverse Aufwendungen an diverse Bestände
(Material, Löhne, …) 75 000 € (Rohstoffe, Bank, …) 75 000 €
Fertigerzeugnisse 75 000 € an Bestandserhöhungen
(Ertragskonto) 75 000 €

Der Herstellungsvorgang verändert den Gewinn des Jahres 01 nicht. Der gewinnmindernden Verrechnung der im Zusammenhang mit der Herstellung der Fahrzeuge anfallenden Personal- und Materialaufwendungen steht in gleicher Höhe die ertragswirksame Erhöhung des Bestands an Fertigerzeugnissen gegenüber.

15.1.02: Forderungen 70 000 €
Anzahlungen 30 000 € an Umsatzerlöse 100 000 €
Bestandsminderungen
(Aufwandskonto) 75 000 € an Fertigerzeugnisse 75 000 €

Im Zeitpunkt der Auslieferung der Fahrzeuge gilt der Gewinn als realisiert. Die Differenz zwischen den Herstellungskosten der Fahrzeuge (Aufwandskonto Bestandsminderungen, 75 000 €) und den Umsatzerlösen (Ertragskonto, 100 000 €) erhöht den Gewinn in dem Zeitpunkt, in dem die Fahrzeuge ausgeliefert werden, um 25 000 €. Abgestellt wird auf den Zeitpunkt, in dem die Preisgefahr übergeht. Nicht entscheidend ist, dass der Käufer, die M-GmbH, erst in dem Zeitpunkt Eigentümer der Fahrzeuge wird, in dem er den Rechnungspreis vollständig bezahlt hat.

5.2.02: Bank 70 000 € an Forderungen 70 000 €

Die Bezahlung der Restschuld beeinflusst als Aktivtausch den Gewinn der W-AG nicht. Da der Gewinn aus dem Verkaufsgeschäft bereits im Zeitpunkt der Auslieferung erfasst wurde, wirkt sich der mit der vollständigen Bezahlung des Rechnungspreises verbundene Übergang des Eigentums an den Fahrzeugen auf den Gewinn des Verkäufers nicht aus.

15.1.04:

Das Auslaufen der Garantiefrist ist kein buchführungspflichtiger Vorgang.

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Hinsichtlich der im geltenden Bilanzrecht vorgenommenen Interpretation des Realisationsprinzips lassen sich folgende Aussagen treffen:

Für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses als Gewinnrealisationszeitpunkt spricht zunächst, dass mit dem Abschluss eines Kaufvertrags häufig der schwierigste Teil des unternehmerischen Leistungsprozesses erbracht ist. Zusätzlich kann angeführt werden, dass mit dem Abschluss eines Kaufvertrags ein nachprüfbarer, dh objektivierter, Tatbestand vorliegt, der darüber hinaus einen Rechtsanspruch des Unternehmens begründet. Zu bedenken ist allerdings, dass im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses häufig die Höhe des aus dem Geschäft entstehenden Gewinns noch nicht mit hinreichender Genauigkeit angegeben werden kann. Insbesondere können die Risiken in den Bereichen Beschaffung, Produktion und Auslieferung noch nicht in intersubjektiv nachprüfbarer Weise konkretisiert werden. Da die Höhe des mit der zu erbringenden Lieferung verbundenen Aufwands (Anschaffungs- bzw Herstellungskosten) noch mit Unsicherheit behaftet ist, scheidet der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aus Objektivierungsüberlegungen und wegen des Vorsichtsgedankens als Realisationszeitpunkt aus.
Leistet der Erwerber im Zeitraum zwischen Abschluss des Kaufvertrags und der Auslieferung eine Anzahlung, kommt es zu keiner (anteiligen) Gewinnrealisation. Der Ertrag kann noch nicht als bestätigt angesehen werden. Kommt es aus irgendeinem Grund nicht zur Auslieferung des Produkts, hat der Verkäufer die erhaltene Anzahlung an seinen Vertragspartner zurückzuzahlen. Im Rahmen des externen Rechnungswesens ist auf Erträge (hier Umsatzerlöse) und nicht auf Einzahlungen (hier erhaltene Anzahlungen) abzustellen.
Der Zeitpunkt des Erwerbs oder der Fertigstellung des zu veräußernden Produkts wird deshalb als Zeitpunkt der Gewinnrealisation abgelehnt, weil unsicher ist, ob sich das auf Lager befindliche Erzeugnis absetzen lässt. Eine Gewinnrealisation tritt auch dann mit der Fertigstellung des Produkts noch nicht ein, wenn für das hergestellte und versandbereite Erzeugnis bereits ein Kaufvertrag vorliegt, da der Kunde solange die Einrede des nicht erfüllten Vertrags geltend machen kann, bis das Wirtschaftsgut ausgeliefert wird (§ 320 BGB).
In der Praxis wird der Realisationszeitpunkt häufig mit dem Zeitpunkt der Rechnungserstellung gleichgesetzt. Hierbei handelt es sich um eine sehr pragmatische Vorgehensweise. Die Ausfertigung einer Rechnung kann nur als Indiz für den zivilrechtlichen Gefahrenübergang gewertet werden. Entscheidend ist, ob die Möglichkeit zur Abrechnung der Lieferung besteht, dh ob der Bilanzierende die von ihm geschuldete Leistung erbracht hat und ob das Wirtschaftsgut den Verfügungsbereich des liefernden Unternehmers verlassen hat. Erst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen entfallen die mit dem Entstehen einer Forderung aus Lieferungen und Leistungen verbundenen Risiken. Würde allein auf die Ausfertigung einer Rechnung abgestellt, könnte der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung durch das bilanzierende Unternehmen beliebig beeinflusst werden. Dies wäre mit dem Objektivierungsgedanken nicht vereinbar.
Für den Zeitpunkt, zu dem der Rechnungspreis bezahlt wird, als Realisationszeitpunkt spricht, dass dieser Zeitpunkt eine eindeutige, intersubjektiv leicht nachprüfbare Erfolgsermittlung ermöglicht und dass das Unternehmen seine Verpflichtungen fast vollständig erfüllt hat. Offen sind lediglich die eventuell noch anfallenden Garantieleistungen. Dennoch wird der Zahlungszeitpunkt abgelehnt: (1) Die Lieferung des Wirtschaftsguts und die Einräumung einer Zahlungsfrist gelten aufgrund des Grundsatzes der Einzelerfassung und Einzelbewertung als zwei voneinander zu trennende Leistungen. Die – zusätzliche – Kreditgewährung ändert nichts daran, dass mit dem Übergang der Preisgefahr der Verkäufer seine vertragliche Hauptverpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt hat und er damit einen Anspruch auf die Gegenleistung des Vertragspartners dem Grunde nach erworben hat; lediglich die Fälligkeit ist noch nicht gegeben. (2) Das Handelsgesetzbuch definiert den Gewinn nicht als Mehrung des Zahlungsmittelbestands, sondern als Differenz zwischen Ertrag und Aufwand, also als Saldo periodisierter Zahlungen. (3) Bei einer Anknüpfung an den Zeitpunkt, zu dem der Rechnungspreis beim Unternehmen eingeht, würde der Zeitpunkt der Gewinnrealisation von der Form der Zahlungsbedingungen sowie den Zufälligkeiten des Zahlungsverkehrs abhängen.
Die Ablehnung des Zeitpunkts, zu dem das Eigentum an dem gelieferten Wirtschaftsgut übergeht, als Realisationszeitpunkt erfolgt weitgehend aus den gleichen Gründen wie die Ablehnung der Gewinnrealisation zu dem Zeitpunkt, zu dem der Rechnungspreis bezahlt wird. Die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts dient der Besicherung der Kaufpreisforderung des Verkäufers. Der Eigentumsvorbehalt ist Bestandteil der als selbständige Leistung angesehenen Kreditgewährung. Der Käufer kann bereits mit Übergang der Preisgefahr über das Wirtschaftsgut verfügen und dieses in seinem Unternehmen einsetzen.
Der Ablauf der Garantiefrist wird deshalb nicht als Realisationszeitpunkt angenommen, weil ansonsten das Vorsichtsprinzip zu stark gewichtet werden würde. Mit Übergabe des Gegenstands hat der Verkäufer seine Hauptleistung erbracht. Die Garantieleistung stellt eine Nebenverpflichtung dar, die nur zu erfüllen ist, wenn das ausgelieferte Produkt nicht fehlerfrei ist. Diese möglicherweise auftretende Verpflichtung schiebt die Gewinnrealisierung nicht hinaus. In der handelsrechtlichen Rechnungslegung wird sie über die Passivierung einer Rückstellung für Garantieverpflichtungen berücksichtigt. Die aufwandswirksame Bildung einer Rückstellung für ungewisse (Garantie-)Verpflichtungen stützt sich auf den Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen der Sache nach. Bei diesem Grundsatz handelt es sich um einen das Realisationsprinzip ergänzenden Periodisierungsgrundsatz.

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Ergebnis: Gewinne aus der Veräußerung von Waren oder Fertigerzeugnissen (Liefergeschäften) gelten zu dem Zeitpunkt als realisiert, zu dem die Preisgefahr auf den Abnehmer übergeht. Gewinne aus Umsatzgeschäften sind auszuweisen, wenn der Vergütungsanspruch des leistenden Unternehmers so gut wie sicher ist.[3] Zu diesem Zeitpunkt hat der leistende Unternehmer die vertraglich vereinbarte Leistung erbracht. Die mit der Erbringung der betrieblichen Hauptleistung zusammenhängenden Beschaffungs–, Produktions- und Absatzrisiken sind entfallen. Offen sind lediglich noch Zahlungsrisiken sowie Risiken aus Garantieverpflichtungen. Diese Risiken werden bilanziell im Zusammenhang mit der Bewertung der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen bzw durch die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (Garantierückstellungen) berücksichtigt. Wie die Aktivierung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zeigt, wird nicht auf den unmittelbaren Zufluss an Zahlungsmitteln abgestellt, vielmehr ist es ausreichend, wenn in nächster Zukunft mit dem Zufluss von Zahlungsmitteln fest gerechnet werden kann (unmittelbarer Zahlungsmittelzufluss) oder wenn durch die Entstehung eines Anspruchs, der abgetreten oder beliehen werden kann, ein mittelbarer Zahlungsmittelzufluss vorliegt.

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(3) Realisationszeitpunkt in weiteren Fällen: Der Grundgedanke, dass bei der Lieferung von Waren oder Fertigerzeugnissen der Gewinn zu dem Zeitpunkt als realisiert gilt, zu dem die Preisgefahr auf den Käufer übergeht, lässt sich auf andere Geschäftsvorfälle übertragen:[4]

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(a) Bei (Dienst-)Leistungen ist der Gewinn durch Einbuchung einer Forderung zu dem Zeitpunkt zu realisieren, zu dem die vertraglich geschuldete Leistung erbracht worden ist und die Möglichkeit besteht, die Abrechnung zu erstellen. Bei zeitraumbezogenen Dienstleistungen, die sich aus einzelnen abgrenzbaren Leistungen zusammensetzen, sind die Erträge entsprechend der Erbringung der Leistung zu realisieren.[5]

Beispiel:

Ein Lehrgang zur Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung dauert von November 01 bis September 02. Insgesamt werden 50 Tagesseminare durchgeführt. Von diesen finden im Jahr 01 sechs statt. Die verbleibenden 44 Tagesseminare werden im Jahr 02 angeboten. Den Teilnehmern wird für den gesamten Kurs eine Gesamtvergütung in Rechnung gestellt.

Die Erlöse aus dem Vorbereitungslehrgang sind entsprechend der Anzahl der durchgeführten Seminare erfolgswirksam zu verrechnen. Nach dem Realisationsprinzip sind im Jahr 01 6/50 der Gesamtvergütung als Umsatzerlöse gewinnwirksam zu verbuchen. 44/50 des Kursentgelts werden im Jahr 02 realisiert.

Die erfolgswirksame Aufteilung der Umsatzerlöse entsprechend der erbrachten Leistung des Seminaranbieters ist unabhängig davon, ob die Teilnehmer die Kursgebühr vor Beginn des Lehrgangs vollständig bezahlen, im Verlauf des Lehrgangs Raten entrichten oder die Gesamtvergütung nach Abschluss des Lehrgangs überweisen.

Bei Vermittlungsleistungen ist der Anspruch auf die Abschlussprovision in dem Zeitpunkt zu aktivieren, in dem die Vermittlungsleistung erbracht wurde, dh zu dem der vermittelte Vertrag zustande gekommen ist.[6]

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(b) Bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens gelten Wertsteigerungen dann als realisiert, wenn die Wirtschaftsgüter veräußert worden sind und die wirtschaftliche Verfügungsmacht auf den Käufer übergegangen ist. Beim Verkauf eines Grundstücks ist deshalb nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der notarielle Kaufvertrag abgeschlossen oder zu dem der Eigentumsübergang in das Grundbuch eingetragen wird. Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem die Nutzung des Grundstücks sowie die damit verbundenen Gefahren und Lasten vom Veräußerer auf den Erwerber übergehen.[7] Für Anteile an Kapitalgesellschaften (Aktien, GmbH-Anteile) gilt analog, dass der Veräußerungsgewinn erst realisiert ist, wenn ein Kaufvertrag abgeschlossen wurde, die mit den Anteilen verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf den Erwerber übergegangen sind.[8]

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(c) Ansprüche auf Schadensersatzleistungen (zB Forderungen aus Vertragsverletzungen, unerlaubten Handlungen oder ungerechtfertigten Bereicherungen) sind dann auszuweisen, wenn an der Berechtigung des Anspruchs keine Zweifel mehr bestehen. Aufgrund der häufigen Diskussionen über die Berechtigung von Ansprüchen auf Schadensersatzleistungen dem Grunde und der Höhe nach können sie im Regelfall erst dann als realisiert betrachtet werden, wenn der Anspruch vom Zahlungsverpflichteten anerkannt wird oder wenn über den Anspruch rechtskräftig entschieden wurde.[9] Wird der Anspruch vom Zahlungsverpflichteten zum Teil anerkannt, gilt er hinsichtlich dieses Teilbetrags als realisiert. Zusätzliche Voraussetzung für eine ertragswirksame Vereinnahmung der Schadensersatzleistung ist, dass der Zahlungsverpflichtete voraussichtlich auch in der Lage ist, die anerkannte Verpflichtung zu erfüllen. Er muss also nicht nur zahlungswillig sein, sondern auch zahlungsfähig.

Diese Überlegungen gelten analog für die bilanzrechtliche Behandlung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen.

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(4) Bedeutung des Objektivierungsgedankens: Bei der Interpretation des Realisationsprinzips sind nicht nur formalrechtliche Kriterien heranzuziehen. Für die Realisierung eines Gewinns im bilanzrechtlichen Sinne wird keine absolute Sicherheit gefordert. Vielmehr ist es ausreichend, wenn die Erträge als so gut wie sicher („quasisicher“) anzusehen sind. Ansprüche gelten als realisiert, wenn sie nicht mehr mit ungewöhnlichen Risiken behaftet sind. Insofern ist auf die wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen. Bei der Interpretation des Realisationsprinzips ist jedoch strittig, in welchem Umfang von den rechtlichen Gegebenheiten abgewichen werden darf. In diesem Zusammenhang besteht ein Zielkonflikt zwischen den Periodisierungsgrundsätzen (stärkere Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse) und dem Objektivierungsgedanken (stärkere Betonung von rechtlichen Kriterien). Wie dieser Zielkonflikt gelöst werden kann, wird anhand von zwei Beispielen verdeutlicht:

Dividendenansprüche bei Mehrheitsbeteiligungen sowie
langfristige Fertigung.

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(a) Mehrheitsgesellschafter einer Kapitalgesellschaft können auf der Gesellschafterversammlung (Hauptversammlung) den Beschluss, in welcher Höhe die von dem Tochterunternehmen erzielten Gewinne ausgeschüttet werden, entsprechend ihrer Vorstellungen beeinflussen. Wird bei der Konkretisierung des Realisationsprinzips ausschließlich auf formalrechtliche Kriterien abgestellt, kann auch ein Mehrheitsgesellschafter den Anspruch auf die Dividendenzahlungen erst nach Vorliegen eines (rechtswirksam getroffenen) Gewinnverwendungsbeschlusses ertragswirksam vereinnahmen. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse wird von diesem Grundsatz in Teilbereichen abgewichen. Danach kann unter bestimmten Voraussetzungen der Mehrheitsgesellschafter den Anspruch auf die Zahlung der Dividenden bereits mit Ablauf des Wirtschaftsjahres des Tochterunternehmens als realisiert behandeln (phasengleiche Vereinnahmung von Beteiligungserträgen).

Beispiel:

Der Einzelunternehmer M hält in seinem Betriebsvermögen 100% der Anteile an der T-AG. Es wurde kein Gewinnabführungsvertrag (§ 291 AktG) abgeschlossen. Bei beiden Unternehmen stimmt das Wirtschaftsjahr mit dem Kalenderjahr überein. Der Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns der T-AG für das Wirtschaftsjahr 01 wird am 4.6.02 getroffen.

Bei einer Betonung der rechtlichen Kriterien wird der Gewinnverwendungsbeschluss als wertbegründendes Ereignis betrachtet. Der Realisationszeitpunkt stimmt mit dem Tag überein, an dem der Gewinnverwendungsbeschluss (rechtswirksam) getroffen wird. Damit hat der Einzelunternehmer M die Dividenden am 4.6.02, dh im Jahr 02, gewinnwirksam zu verbuchen. Der Beteiligungsertrag wird zu dem Zeitpunkt verbucht, zu dem aus Sicht des Mutterunternehmens der Anspruch gegenüber dem Tochterunternehmen hinsichtlich der Zahlung des Beteiligungsertrags (rechtlich) entsteht.

Stellt man eher auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ab, ist der Gewinnverwendungsbeschluss als werterhellendes Ereignis zu interpretieren. Da mit der Entstehung einer Dividendenforderung und damit mit dem Zufluss von Zahlungsmitteln fest gerechnet werden kann, gelten die Beteiligungserträge mit Ablauf des Wirtschaftsjahres der T-AG als realisiert, dh am 31.12.01. Bei einer phasengleichen Vereinnahmung der Beteiligungserträge hat M die Dividenden bereits im Jahr 01 zu versteuern, dh vor dem Zeitpunkt, zu dem der Anspruch rechtlich entsteht. Bei einer phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungserträgen werden diese beim Gesellschafter in dem Jahr ausgewiesen, in dem das Tochterunternehmen die Gewinne erwirtschaftet.

Die materielle Auswirkung der Diskussion um den Anwendungsbereich der phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungserträgen hat zwar mit der Änderung des Körperschaftsteuersystems im Jahr 2000 und der damit verbundenen (teilweisen bzw vollen) Steuerbefreiung von Dividenden (§ 3 Nr 40 EStG, § 8b Abs. 1, 4 KStG) an Bedeutung verloren. Die dabei herangezogenen Argumente sind aber für die Interpretation des Realisationsprinzips sowie für das Verhältnis zwischen Handels- und Steuerbilanz weiterhin sehr bedeutsam. Die Entwicklung der Rechtsprechung zeigt, dass der Zielkonflikt zwischen den Periodisierungsgrundsätzen und dem Objektivierungsgedanken im Zeitablauf in unterschiedlicher Weise gelöst wurde. In diesem Zusammenhang zeigt sich erneut, dass es sich bei den GoB nicht um ein eindeutig formuliertes und starres System handelt, sondern bei der Konkretisierung der einzelnen Unterprinzipien und bei der Festlegung der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen subjektive Wertentscheidungen des Bilanzierenden unvermeidlich sind. Die Entwicklung der Rechtsprechung lässt sich vereinfachend in folgende Phasen einteilen:

Der Bundesgerichtshof ging zunächst davon aus, dass ein Mehrheitsgesellschafter unter bestimmten Voraussetzungen den Anspruch auf Auszahlung der Dividenden bereits mit Ablauf des Wirtschaftsjahres der Tochtergesellschaft vereinnahmen kann.[10] Das handelsrechtliche Wahlrecht zur phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungserträgen wurde in der Steuerbilanz zu einer Aktivierungspflicht (Einschränkung des Maßgeblichkeitsprinzips bei handelsrechtlichen Bilanzierungswahlrechten, Fall 5).[11]
In den folgenden Jahren hat der Bundesfinanzhof den Anwendungsbereich der phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungserträgen immer mehr ausgedehnt.[12]
Der Europäische Gerichtshof hat unter Hinweis auf die hohe Bedeutung des Grundsatzes der Bilanzwahrheit, genauer der Anforderung, dass der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens–, Finanz- und Ertragslage vermitteln soll, die Möglichkeit der phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungserträgen als mit der 4. EG-Richtlinie (heute Rechnungslegungsrichtlinie) vereinbar angesehen.[13]
Im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat der Bundesgerichtshof aus dem handelsbilanziellen Wahlrecht eine Pflicht zur phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungserträgen gemacht.[14]
Im weiteren Verlauf kam es in der Finanzrechtsprechung zu einer gegenläufigen Entwicklung. Der Bundesfinanzhof tendiert nunmehr dazu, die objektiv-formale Betrachtung und das Stichtagsprinzip höher zu gewichten als den Grundsatz der Bilanzwahrheit und die dahinter stehende Forderung nach einem Einblick in die tatsächliche Vermögens–, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens. In der aktuellen Finanzrechtsprechung wurde aus dem ursprünglichen steuerbilanziellen Gebot zur phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungserträgen für die Steuerbilanz ein Verbot zur phasengleichen Vereinnahmung von Beteiligungserträgen. Der Anspruch auf Dividendenzahlungen kann nach der derzeitigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in der Steuerbilanz nur noch unter äußerst restriktiven Bedingungen vor dem Zeitpunkt aktiviert werden, zu dem der Gewinnverwendungsbeschluss getroffen wird.[15]

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Ergebnis dieser Entwicklung der Rechtsprechung ist, dass nach aktueller Rechtslage Gewinne aus der Beteiligung an einem Tochterunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft in der Steuerbilanz des Mutterunternehmens grundsätzlich erst zu dem Zeitpunkt als realisiert gelten, zu dem der Beschluss über die Gewinnverwendung getroffen wird. Zu diesem Zeitpunkt wird das Forderungsrecht „Anspruch auf Dividendenzahlungen“ rechtlich begründet. Der Gewinnverwendungsbeschluss gilt als wertbegründendes Ereignis, durch das das selbständige Wirtschaftsgut „Dividendenforderung“ entsteht. Konsequenz ist, dass insoweit das Realisationsprinzip in der Handelsbilanz anders interpretiert wird als in der Steuerbilanz. Es kommt zu einer Durchbrechung der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz: Es existieren zwei verbindliche, sich widersprechende Vorgehensweisen (Fall 2b): Ein Mehrheitsgesellschafter muss (unter bestimmten Voraussetzungen) in der Handelsbilanz seine Beteiligungserträge bereits mit Ablauf des Wirtschaftsjahres der Tochterkapitalgesellschaft vereinnahmen, während für die steuerliche Gewinnermittlung davon ausgegangen wird, dass der Realisationszeitpunkt mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, zu dem der Gewinnverwendungsbeschluss getroffen wird. Stimmt das Wirtschaftsjahr mit dem Kalenderjahr überein, werden die Beteiligungserträge in der handelsrechtlichen Rechnungslegung eine Periode früher erfasst (im Beispiel im Jahr 01) als in der Steuerbilanz (im Beispiel im Jahr 02). In der handelsrechtlichen Rechnungslegung wird den Periodisierungsgrundsätzen ein höheres Gewicht beigemessen als dem Objektivierungsgedanken. Demgegenüber fällt für die steuerliche Gewinnermittlung über die stärkere Betonung von rechtlichen Kriterien der Abwägungsprozess zugunsten der Objektivierungsüberlegungen aus.

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(b) Die Auswirkungen des Zielkonflikts zwischen den Periodisierungsprinzipien sowie dem Objektivierungsgedanken zeigen sich auch bei der langfristigen Fertigung. Die langfristige Fertigung ist dadurch gekennzeichnet, dass sich bei einem Vertrag, der mit einem Kunden über ein konkretes Projekt abgeschlossen wurde, der Leistungserstellungsprozess über mehrere Perioden erstreckt. Betont man – wie der Bundesfinanzhof bei Dividendenansprüchen aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft – den Objektivierungsgedanken sehr stark, ist zur Festlegung des Zeitpunkts der Gewinnrealisierung in erster Linie auf rechtliche Kriterien abzustellen. Nach dieser Betrachtung gelten die Erträge aus dem Absatz der betrieblichen Hauptleistung zu dem Zeitpunkt als realisiert, zu dem die Preisgefahr auf den Abnehmer übergeht. Bei einer langfristigen Fertigung bedeutet dies, dass die Umsatzerlöse erst in dem Jahr zu erfassen sind, in dem das Projekt vollständig abgeschlossen ist, dh zu dem Zeitpunkt, zu dem das erstellte Wirtschaftsgut dem Käufer übergeben und von diesem abgenommen wird. In den Jahren, in denen das Produkt erstellt wird, dürfen noch keine Umsatzerlöse und damit kein Gewinn ausgewiesen werden. Diese Form der Gewinnrealisierung bei langfristiger Fertigung wird als Completed-Contract-Method bezeichnet.

Die Betonung der rechtlichen Kriterien hat zur Konsequenz, dass bei langfristiger Fertigung, wie sie für Bauprojekte und im Anlagenbau typisch ist (Beispiele: Errichtung eines Kraftwerks oder eines Staudamms, Produktion eines Schiffes), die Umsatzerlöse erst nach Abschluss des Leistungserstellungsprozesses verbucht werden können. Die Umsatzentwicklung und damit der Gewinnausweis nehmen einen unregelmäßigen Verlauf.

Beispiel:

Einem Hersteller von Kraftwerken gelingt es, im Jahr 01 den Auftrag für die Erstellung des Kraftwerks A zu erlangen. Die Bauphase erstreckt sich über die Jahre 02–04. Im Jahr 03 wird der Auftrag für das Kraftwerk B erteilt, das nach Abschluss der Bauarbeiten im Jahr 06 an den Besteller übergeben werden.

Der Hersteller weist lediglich im Jahr 04 (Übergabe des Kraftwerks A) und im Jahr 06 (Übergabe des Kraftwerks B) Erträge aus. In den Jahren 01, 02, 03 und 05 werden keine Umsatzerlöse verbucht.

Das Beispiel zeigt allerdings auch, dass regelmäßige Auftragseingänge und Auftragsabrechnungen zu einer Verstetigung des Erfolgsausweises führen. Würde der Hersteller jedes Jahr einen Auftrag für ein Kraftwerk des gleichen Typs erhalten, dessen Erstellung jeweils die gleiche Zeitdauer in Anspruch nimmt, würde nach Fertigstellung des ersten Kraftwerks in jedem Jahr (tendenziell) der gleiche Ertrag ausgewiesen.

Stellt man bei der Interpretation des Realisationsprinzips nicht ausschließlich auf rechtliche Kriterien ab, sondern misst den Periodisierungsgrundsätzen und damit wirtschaftlichen Kriterien ein höheres Gewicht bei, hat eine anteilige Gewinnrealisierung entsprechend dem Verlauf des Fertigstellungsprozesses zu erfolgen. Bei der – im angelsächsischen Bereich üblichen – Percentage-of-Completion-Method wird jedes Jahr der Teil des geschätzten Gesamterfolgs ausgewiesen, der auf die im abgelaufenen Wirtschaftsjahr durchgeführte Fertigstellung entfällt. Die Anwendung der Percentage-of-Completion-Method setzt erstens voraus, dass der Gesamterfolg, also die zu erwartenden Erlöse sowie die bereits angefallenen und insbesondere die zukünftig noch anfallenden Aufwendungen, mit hinreichender Sicherheit ermittelbar sind. Zweitens muss ein Aufteilungsschlüssel bekannt sein, nach dem der aus dem Projekt zu erwartende Gesamterfolg auf die Perioden verteilt werden kann, in dem die Fertigung durchgeführt wird.

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Überträgt man die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Zeitpunkt der Vereinnahmung von Erträgen aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft auf die Diskussion über den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung bei langfristiger Fertigung, scheidet die Percentage-of-Completion-Method für die Steuerbilanz aus, obwohl in der handelsrechtlichen Rechnungslegung im Hinblick auf die Internationalisierung der Rechnungslegung der Anwendungsbereich der fertigungsbegleitenden Gewinnrealisierung immer weiter ausgedehnt wird.[16] Aufgrund der höheren Gewichtung des Objektivierungsgedankens in der Steuerbilanz und des stärkeren Abstellens auf die Informationsfunktion im Rahmen der handelsrechtlichen Rechnungslegung kommt es zu einer unterschiedlichen Interpretation des Realisationsprinzips. Im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung werden aufgrund des Grundsatzes der Rechtssicherheit (Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit) rechtliche Kriterien stärker betont, während in der handelsrechtlichen Rechnungslegung aufgrund der Informationsfunktion mehr auf die wirtschaftlichen Verhältnisse abgestellt wird. Der Gewinn wird in der Steuerbilanz erst nach Abschluss des Gesamtprojekts ausgewiesen, während es im Rahmen der handelsrechtlichen Rechnungslegung während des Fertigstellungsprozesses sukzessive zu einem Ausweis von Erträgen kommt. Bei der langfristigen Fertigung wird der Gewinn in der Steuerbilanz später ausgewiesen als in der Handelsbilanz.

Trotz Maßgeblichkeitsprinzip stimmt der Realisationszeitpunkt in der Steuerbilanz nicht in jedem Fall mit dem Zeitpunkt überein, zu dem in der Handelsbilanz Gewinne als realisiert gelten. Die Begründung für dieses Auseinanderfallen liegt aber nicht in dem Ziel, für die steuerliche Gewinnermittlung die Ertragsbesteuerung vorzuverlagern oder die Aufwandsverrechnung in spätere Perioden zu verschieben. Vielmehr wird die Percentage-of-Completion-Method im Steuerrecht mit dem Argument abgelehnt, über die stärkere Betonung des Objektivierungsgedankens die steuerbilanzpolitisch nutzbaren Ermessensspielräume der Steuerpflichtigen einzuschränken.

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Diese Grundsätze können auf Werkverträge übertragen werden, die zwar aus mehreren Teilleistungen bestehen, die aber für den Abnehmer nur in ihrer Zusammenfassung von Nutzen sind. So setzt sich beispielsweise bei einem Gerüstbauvertrag die Leistung aus der Lieferung des Gerüsts, dem Aufbau des Gerüsts, der Überlassung des Gerüsts für einen bestimmten Zeitraum und dem Abbau des Gerüsts zusammen. Die einzelnen Teilleistungen sind für den Abnehmer isoliert nicht von Nutzen. Dies bedeutet, dass das Gerüstbauunternehmen den gesamten Gewinn erst im Zeitpunkt der vollständigen Leistungserbringung, dh mit der Beendigung des Abbaus des Gerüsts, realisiert.[17]

Zu einer gegenläufigen Entwicklung kam es kurzfristig bei Anzahlungen, die im Zusammenhang mit Werkverträgen stehen. Bei Abschlagszahlungen an Architekten und Ingenieure nach § 8 Abs. 2 HOAI 1996 wurde steuerrechtlich eine Gewinnrealisierung bereits zu dem Zeitpunkt angenommen, zu dem der Anspruch auf die Abschlagszahlungen entstanden ist.[18] Diese Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs führt dazu, dass die Gewinnrealisierung zum Teil vor der abschließenden Leistungserbringung vorzunehmen ist. Diese Rechtsprechung zu einem Sonderfall zu einer inzwischen nicht mehr geltenden Honorarordnung hat die Finanzverwaltung nicht nur auf die aktuelle Honorarordnung dieser Berufsgruppe ausgedehnt, sondern allgemein auf Ansprüche auf Abschlagszahlungen nach § 632a BGB.[19] Konsequenz dieser vorübergehend vertretenen Ansicht war, dass das Realisationsprinzip zwar gleichfalls für die handelsrechtliche Rechnungslegung anders ausgelegt wurde als für die steuerliche Gewinnermittlung. Allerdings erfolgte entgegen den vorstehend für die langfristige Fertigung formulierten Überlegungen bei derartigen Abschlagszahlungen der Gewinnausweis in der Steuerbilanz früher als in der Handelsbilanz. Nach heftiger Kritik[20] hat die Finanzverwaltung ihre Auffassung geändert, dh sie wendet die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nunmehr nur auf Abschlagszahlungen an, die bis zum 17.8.2009 nach § 8 Abs. 2 HOAI 1996 vertraglich vereinbart wurden.[21]

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(5) Beurteilung: Das Realisationsprinzip stellt zusammen mit dem Anschaffungswertprinzip sicher, dass Anschaffungsvorgänge und Produktionsprozesse solange erfolgsneutral sind, bis sich die Werterhöhungen soweit konkretisiert haben, dass an ihrer Verwirklichung keine grundsätzlichen Zweifel mehr bestehen. Ansprüche sind zu dem Zeitpunkt zu realisieren, zu dem sie entstanden sind, m.a.W. wenn sie so gut wie sicher sind. Vollständige Sicherheit wird nicht verlangt, da diese erst im Zeitpunkt des Zahlungseingangs besteht. Mit dem Abstellen auf die „Quasisicherheit“ der Erträge bzw Ansprüche, dh auf das Fehlen von als wesentlich angesehenen Risiken, wird nicht nur dem Vorsichtsprinzip Rechnung getragen, sondern gleichzeitig auch dem Objektivierungsgedanken.

Die Interpretation des Realisationsprinzips ist nur dann eindeutig, wenn man generell auf rechtliche Kriterien abstellt, wie den Übergang der Preisgefahr nach § 446, § 447 BGB oder das Entstehen eines Rechtsanspruchs. Löst man sich zumindest teilweise von rechtlichen Kriterien, ist der Inhalt des Realisationsprinzips unbestimmt. Dies hat die Diskussion um den Zeitpunkt der Realisation von Ansprüchen auf Zahlung von Dividenden, die gegenüber einer Tochterkapitalgesellschaft bestehen, und um den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung bei langfristiger Fertigung deutlich gezeigt. Stellt man stärker auf wirtschaftliche Verhältnisse ab, hängt die Auslegung des Periodisierungsgrundsatzes zumindest teilweise von subjektiven Wertentscheidungen ab. Folgt man diesem Ansatz, hat der Bilanzierende festzulegen, in welchem Umfang er bereit ist, das Konzept einer objektivierten Gewinnermittlung zurückzudrängen, um auf diese Weise im Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu vermitteln. In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist zunehmend eine stärkere Betonung des Objektivierungsgedankens festzustellen. Das grundsätzliche Abstellen auf rechtliche Kriterien in der Finanzrechtsprechung führt dazu, dass in Teilbereichen die Erträge in der Steuerbilanz später zu realisieren sind als in der handelsrechtlichen Rechnungslegung. Da die Entwicklungen in den beiden Rechnungslegungskreisen gegenläufig verlaufen sind, haben sich die Unterschiede vergrößert.

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Zur Beurteilung des Realisationsprinzips ist von den Zielen der Ertragsteuern auszugehen. Bei den Ertragsteuern ist das Markteinkommen des Steuerpflichtigen zu erfassen. Bei Gewinneinkünften wird das Markteinkommen mit einer Veränderung des Reinvermögens (Betriebsvermögens) des Steuerpflichtigen gleichgesetzt. Dieser umfassende Einkommensbegriff entspricht dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, da sowohl die regelmäßig fließenden Einkünfte besteuert werden als auch aperiodische Vermögensänderungen einschließlich Veräußerungsgewinne erfasst werden. Zu klären ist allerdings, zu welchem Zeitpunkt Vermögensmehrungen das steuerpflichtige Einkommen erhöhen. Als Leitbilder stehen die Reinvermögenszugangstheorie und die Reinvermögenzuwachstheorie zur Wahl: Die Reinvermögenszugangstheorie stellt auf Marktvorgänge ab. Vermögensmehrungen sind erst zu dem Zeitpunkt zu erfassen, zu dem sie dem Bilanzierenden in Form von liquiden Mitteln zugeflossen sind („Barrealisation“). Nach dem zurzeit geltenden Verständnis des Realisationsprinzips sind Vermögensmehrungen zu dem Zeitpunkt gewinnerhöhend auszuweisen, zu dem sie am Markt bestätigt sind, m.a.W. ab dem Zeitpunkt, zu dem sie so gut wie sicher sind. Aufgrund der im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung aufgestellten hohen Anforderungen an den Objektivierungsgrundsatz steht die Festlegung des Realisationszeitpunkts der Reinvermögenszugangstheorie sehr nahe. Fallen Umsatzakt und Entrichtung des Kaufpreises zusammen, führt das geltende Bilanzsteuerrecht zum gleichen Ergebnis wie die Reinvermögenszugangstheorie. Bei Verkäufen auf Ziel beschränkt sich die Zeitdifferenz auf das dem Käufer eingeräumte Zahlungsziel. Das Realisationsprinzip ist deshalb mit dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit der Besteuerung (Grundsatz der Rechtssicherheit) vereinbar. Demgegenüber sind nach der Reinvermögenszuwachstheorie Vermögenszuwächse bereits zu dem Zeitpunkt zu erfassen, zu dem sie wirtschaftlich verursacht sind. Dieser Ansatz entspricht zwar betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Aufgrund der damit verbundenen Ermittlungsprobleme steht die Reinvermögenszuwachstheorie aber im Konflikt mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Darüber hinaus kann die Reinvermögenszuwachstheorie dann zu Liquiditätsproblemen führen, wenn die Steuerzahlungen vor dem Zufluss von Zahlungsmitteln fällig werden. Bei einem Abstellen auf die Reinvermögenszuwachstheorie müssten deshalb die Steuerschulden bis zum Zufluss von liquiden Mitteln gestundet werden.

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Ergebnis ist, dass das Realisationsprinzip in seiner derzeitigen Form, dh in Anlehnung an die Reinvermögenszugangstheorie, akzeptabel ist: Materiell wird dadurch nahezu das gleiche Ergebnis erreicht wie bei der (betriebswirtschaftlich vorzuziehenden) Reinvermögenszuwachstheorie mit Stundung der Ertragsteuern bis zum Zeitpunkt des Zahlungseingangs. Allerdings ist das Realisationsprinzip wesentlich einfacher zu handhaben.[22] Insgesamt betrachtet ist es deshalb positiv zu werten, dass für die steuerliche Gewinnermittlung der Ertragsausweis an die Vereinnahmung der damit verbundenen Einzahlungen angenähert wird (beispielhaft verdeutlicht anhand der Behandlung von Beteiligungserträgen sowie der Gewinnrealisation bei langfristiger Fertigung). Demgegenüber wird in der Handelsbilanz durch eine Vorverlagerung der Ertragsverbuchung in größerem Umfang eine Periodisierung der Einzahlungen vorgenommen. Ein derartig frühzeitiger Ertragsausweis entspricht eher der Informationsfunktion der Handelsbilanz (Ausweis von „richtigen“ Werten). Mit der Zahlungsbemessungsfunktion der Steuerbilanz ist sie nicht vereinbar (Verwendung von „verlässlichen“ Werten).

Diese Aussage bedeutet gleichzeitig, dass im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung die (fortgeführten) Anschaffungs- oder Herstellungskosten die Bewertungsobergrenze bilden müssen. Das Anschaffungswertprinzip darf in der Steuerbilanz nicht durch eine Bewertung mit dem beizulegenden Zeitwert (Fair Value) verdrängt werden. Eine Bewertung mit dem beizulegenden Zeitwert stellt ein Instrument dar, um die Informationsfunktion der (handelsrechtlichen) Rechnungslegung zu erfüllen. Mit der Zahlungsbemessungsfunktion der steuerlichen Gewinnermittlung ist sie nicht vereinbar. Die Ablehnung einer Bewertung zum beizulegenden Zeitwert führt dazu, dass das Stichtagsprinzip eng auszulegen ist. Es ist auf die am Bilanzstichtag geltenden Preisverhältnisse abzustellen. In der Zukunft zu erwartende Preissteigerungen sind (noch) nicht zu berücksichtigen. Darüber hinaus folgt aus dieser Grundentscheidung, dass bei Forderungen und Verbindlichkeiten eine Abzinsung nur dann vorzunehmen ist, wenn den betrachteten Leistungsbeziehungen ein Kreditverhältnis zugrunde liegt.

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Diese traditionelle Interpretation des Realisationsprinzips gilt allerdings nicht mehr uneingeschränkt. Die Entwicklungen in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass in zwei Bereichen in der Handelsbilanz vom Anschaffungswertprinzip abgewichen wird. Die damit verbundene Neuinterpretation des Realisationsprinzips wirkt sich in einem Fall auch in der Steuerbilanz aus:[23] (1) Finanzinstrumente, die von Kreditinstituten zu Handelszwecken gehalten werden, sind sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Steuerbilanz mit dem beizulegenden Zeitwert abzüglich eines Risikoabschlags zu bewerten (§ 340e Abs. 3 HGB, § 6 Abs. 1 Nr 2b EStG). Damit wird in beiden Bilanzen nicht auf am Markt realisierte Wertsteigerungen abgestellt, sondern auf am Markt realisierbare Wertsteigerungen. (2) Bei auf fremde Währung lautenden aktiven Wirtschaftsgütern ist bei einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr in der Handelsbilanz der Stichtagswert anzusetzen (§ 256a S. 2 HGB). Demgegenüber bleibt es hinsichtlich der Erfassung von Währungsgewinnen in der Steuerbilanz bei den allgemeinen Regeln, dh die Anschaffungskosten bilden die Wertobergrenze (§ 6 Abs. 1 Nr 2 EStG). Nur bei einer Restlaufzeit von über einem Jahr bilden sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Steuerbilanz die Anschaffungskosten die Bewertungsobergrenze (§ 253 Abs. 1 S. 1 HGB, § 6 Abs. 1 Nr 2 EStG).

Besteuerung von Unternehmen II

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