Читать книгу Incubus Expeditus - Xenocyon Daemonicus - Страница 6

3

Оглавление

21. April 1982, Geburt

Eine mittelgroße kräftige Frau von etwa 30 Jahren mit kurzen, mittelbraunen lockigen Haaren, einer runden Nase, lag in den Wehen. Ihre hellbraunen Augen kniff sie jetzt allerdings sehr zusammen, denn ihr Leib krümmte sich unter den Kontraktionen der Geburt des bald zur Welt kommenden Lebens.

Auf dem Rücken liegend mit gespreizten Beinen lag sie im Krankenhauskittel auf dem Geburtsbett, während die Hebamme zwischen ihre Schenkeln schaute, ob der Muttermund schon offen stand.

Die nächste Wehe war im Anmarsch.

„Pressen, Frau Neumann!“, wurde sie angewiesen.

Die Frau verzog vor Anstrengung und Schmerzen das Gesicht, während sich in ihr der kleine Körper aus dem Geburtskanal wand.

„Na los, pressen Sie!“

Ich presse doch, du dumme Kuh!, dachte die werdende Mutter sichtlich gereizt.

Sie presste und bäumte sich dabei auf. Schließlich spritzte das Fruchtwasser aus ihr heraus.

„Ja, Sie haben’s gleich geschafft!“

Die Gebärende atmete durch und der nächste Schub kam.

„Los, noch einmal pressen!“

Sie konzentrierte sich und presste. Etwas Größeres drang aus ihrem Körper nach außen, erst der Kopf, dann die Schultern und dann der Rumpf, geschafft.

„Rabäääääh!“, machte der neue Erdenbürger, der noch schleimig und glitschig in den Armen der Hebamme zappelte. „Gratuliere, Sie haben einen Sohn!“, sagte diese.

Die Nabelschnur wurde durchtrennt und abgebunden. Und die Nachgeburt, der überflüssige, etwas klumpige Quasizwilling des Neugeborenen, auch Plazenta genannt, machte sich bereit, abgeworfen und entsorgt zu werden, was recht prompt geschah.

Die Schwester untersuchte, wusch und wog ihn, wickelte ihn behutsam in Stoffwindeln und zog ihm einen blauen Strampler an, um ihn seiner Mama zu überreichen. So konnte diese ihn endlich zum ersten Mal im Arm halten und stillen.

Nun kam der bürokratische Teil. Sie schrieb in eine Karteikarte aus grobem roten Karton schon einmal den Zeitpunkt und das Datum der Geburt. Die Größe des Kindes und sein Gewicht.

Dann wandte sie sich zur Mutter des Babys, welches nun an deren Brust saugte, und fragte: „Wie soll der kleine Mann denn heißen, Frau Neumann?“

„Kai“, antwortete diese, sichtlich von der Geburt erschöpft.

Auch das wurde notiert und der Mutterpass ausgestellt.

Die Mutter nebst Baby brachte man bald darauf in ihr Wochenbettzimmer, wo sechs weitere Frauen lagen, von denen einige bereits ihre Kinder geboren hatten – bei einer waren es sogar zwei – und andere hochschwanger auf ihre Entbindung warteten.

Der Kleine schrie und schrie, er litt stark unter Koliken und entwickelte sich nicht so prächtig, wie sein Geschrei vermuten ließ. Er war sonst nicht sehr munter, außer wenn er schrie, wobei sein Gesichtchen oft puterrot anlief. Auch – oder gerade – wenn sie engen Körperkontakt zu ihm hatte.

Frau Neumann war am Verzweifeln, da sie nie wusste, was ihr neugeborener Spross eigentlich wollte, obwohl sie doch alle nötigen Handgriffe ahnte und diese routiniert ausführte. Ihre ältere Schwester hatte nämlich schon zwei Kinder, welche die frisch gebackene Mutter ab und an vom Säuglingsalter an versorgt hatte, wenn das Schwesterherz ihren Männergeschichten nachging.

Die Windel wurde regelmäßig gewechselt, damit er sauber und trocken war. Er wurde zum Stillen angelegt, bis er von alleine von der Brust abließ.

Nichts schien richtig: Egal, was sie tat, trotzdem hörte er nicht auf zu schreien.

Die anderen Frauen waren zwar verständnisvoll – da auch sie wussten, wie das war – aber auch genervt, weil der kleine Schreihals ihre Kinder ebenfalls nicht zur Ruhe kommen ließ.

Die Woche im Krankenhaus verging mehr oder weniger schnell und der Vater, der ja Brötchenverdiener war, und deswegen seine Frau und seinen neugeborenen Sohn kaum besuchen konnte, kam, um die beiden nach Hause zu holen.

Er war ein großer, kräftiger Mann mit Muskeln, die etwa denen der alten griechischen Olympioniken glichen. Er hatte kurze, stachelige, dunkelbraune Haare, himmelblaue Augen, einen Schnurrbart unter einer ziemlichen Hakennase.

Er trug eine abgetragene Jeans, ein weißes Poloshirt und darüber eine alte hellbraune Lederjacke. In der einen Hand hielt er eine braune Schlenkertasche, die seine Autoschlüssel und seine Papiere beinhaltete und in der anderen eine Babyschale für den Transport des Familienzuwachses im Auto.

Der Mann hatte seinen hellgrauen Wagen direkt in der Nähe des Krankenhauses geparkt und strebte auf den Eingang zu.

Drinnen meldete er sich am Empfang, wo er sofort mit: „Guten Tag, Herr Neumann. Sie sind bestimmt hier, um Ihre Frau und Ihr Kind abzuholen?“ begrüßt wurde. „Ich nehme an, sie kennen jetzt den Weg“, setzte sie schalkhaft fort. Dabei spielte sie auf die Tatsache an, dass er sich beinahe verlaufen hatte, als er seine Frau einen Tag nach der Geburt besucht hatte.

Mit einem leichten Grinsen antwortete er: „Ja. Noch einmal passiert mir das nicht, aber der Hausmeister hat mir ja geholfen!“

Die Empfangsschwester grinste zurück und konterte: „Sehen Sie, Sie haben hier schon Bekanntschaften geschlossen!“, was er mit einem Lacher quittierte.

Seine Frau wartete schon auf ihn, weil noch die Abschlussuntersuchung stattfand und er auch alles mithören sollte, was der Arzt über den Zustand des gemeinsamen Kindes zu sagen hatte.

Sie brauchten auch nicht lange warten, da sie heute die einzigen waren, welche die Geburtsklinik verlassen wollten.

„Familie Neumann, bitte!“

Eine junge Ärztin hielt die Tür des Arztzimmers auf und wartete auf die Familie.

Sie hatte mittellange dunkelbraune Haare, die zu einem Mittelscheitel gekämmt waren, ein längliches Gesicht mit ebenso langer Nase und graue Augen. Um den Hals trug sie ein Stethoskop, unter ihrem weißen Arztkittel eine schmucklose blaue dünne Bluse und einen grauen Rock aus derbem Stoff.

Sie begrüßte die Familie: „Guten Tag, ich bin Dr. Lehmann“, während sie beiden Eltern die Hand schüttelte. „Bitte setzen Sie sich“, sagte sie weiterhin und wies auf die Stühle, die ihrem braunen Ledersessel gegenüberstanden.

„Ihr Sohn Kai ist zwar so weit gesund“, setzte Dr. Lehmann ohne Umschweife fort. „Er entwickelt sich auch... Aber nicht so, wie er es eigentlich sollte. Er nimmt zu, aber langsamer als andere Kinder. Er wiegt so viel, dass er gerade den unteren Normalbereich schneidet. Er trinkt mehr als ausreichend, aber irgendwie ist es verwunderlich, dass er weniger zunimmt. Ansonsten ist er gesund, er hat alles am Körper, was dran sein muss. Also machen Sie sich mal keine Sorgen, das wird schon. Für die Koliken kann ich Ihnen Kümmelöl empfehlen, welches Sie in diesem Fall auf Kais Bauch reiben.“

Im Mutterpass wurden die relevanten Daten eingetragen und die frisch gebackenen Eltern wieder aus dem Sprechzimmer hinauskomplimentiert.

Erste Zeit

Kais erste Jahre setzten sich so fort wie sie begannen: Er wuchs etwas langsamer als gleichaltrige Kinder und hinkte diesen mit den Entwicklungsschritten ebenfalls ein bisschen hinterher, sodass er seine Zähne erst nach einem Jahr bekam und mit anderthalb lernte zu laufen.

Die Koliken überwand er zwar schnell, essen tat er auch mehr als genug, aber er war tollpatschig und konnte sich nicht so koordinieren, wie es gleichaltrige Kinder bereits taten. Ständig stieß er an und verletzte sich. Und er war häufig krank.

Er schrie, und das immer noch oft und laut. Obwohl seine Eltern sehr geduldig waren, stießen sie mit ihm an ihre Grenzen. Vor allem, wenn ihm was nicht passte, er mit dem Kopf gegen die Wand schlug oder kratzte und biss.

Sie konnten die Bemerkungen der Leute, von wegen „Der braucht mal eins hinter die Ohren!“ schon nicht mehr hören. Denen zu sagen, dass sie sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollten, hatten sie schon lange aufgegeben.

Keiner kam darauf, dass er auf äußere Reize teilweise sehr sensibel reagierte.

Also Augen zu und durch. Kann ja nur besser werden.

In der Kinderkrippe fiel der Junge nicht sonderlich auf, weil Kinder mit zwei, drei Jahren zwar den Kontakt zu ihresgleichen suchen, aber im Normalfall noch nicht gemeinsam spielen, eher nebeneinander.

In dieser Zeit gestalteten sich seine seltenen Kontaktversuche so: Er lief zu den anderen Kindern, sie liefen vor ihm davon. Er hielt es für ein lustiges Spiel. Warum nicht?

Erst als Kai in den Kindergarten wechselte, kristallisierte es sich heraus, dass er Kontakt zu den anderen wollte. Sehr sogar. Entweder war er laut den Betreuern zu unbeholfen oder die Kinder ließen ihn nicht in ihre Nähe.

Er war ein durchaus aufgeweckter und neugieriger Junge, aber im Umgang mit anderen mehr als unsicher. Auf seine Weise eben. Besonders.

Meistens lachten sie über ihn. Er redete kaum. Nicht selten waren es komische Laute. Oder seine Sätze wurden zu komplex. Seine Stimme war meist leise und monoton.

Oder er blieb irgendwo hängen, stieß sich mehr als die anderen Kinder, denn seine Bewegungen schienen unkoordiniert.

Manchmal bewegte er seine Arme blitzschnell, wenn er diese in die Haltung riss, die er eigentlich einnehmen wollte und dabei häufig über sein Ziel hinausschoss.

Es kam auch vor, dass er jemanden erschreckte, wenn er plötzlich neben oder hinter demjenigen stand.

Unterm Strich: Er war den meisten Menschen auf irgendeine Weise unheimlich. Entweder gingen sie ihm aus dem Weg, oder sie fuhren ihn aus heiterem Himmel wegen nichts an.

Bestenfalls wirkte er auf die meisten Menschen schüchtern und in sich gekehrt.

Auch seinen Eltern erging es so. Sie waren deswegen stark im Zwiespalt, denn einerseits liebten sie ihn, es war ihr Kind, andererseits konnten sie ihm keine Nähe geben. Irgendetwas hielt sie zurück.

Zum Teil wünschten sich beide einen Jungen, der sich normal entwickelte, auch wenn es ihnen nur darum ging, ihn auf diese Welt gut vorzubereiten.

Sie puschten ihn, wenn es um Fähigkeiten ging, die er ihrer Ansicht nach, in einem bestimmten Alter haben müsste. Das tat ihm nicht gut, weil er auf irgendeine Art spürte, dass er irgendwie... unzureichend war. Einerseits wollte er vieles alleine rauskriegen, andererseits brauchte er für dies oder das sein eigenes Tempo.

Er klagte mehrmals bei seiner Mutter über Unwohlsein oder diffuse Kopfschmerzen, weswegen er öfter in die Kinderklinik musste. Allerdings fand man dort keine Ursache dafür.

Mit vier Jahren fiel er einmal vom Klettergerüst, wobei er sich den Kopf stieß. Das gab eine ordentliche Gehirnerschütterung, aufgrund derer er zwei Tage im Kinderkrankenhaus verbringen musste.

Danach musste er zu Hause acht Tage lang Bettruhe halten, was ihm sehr schwer fiel, denn ihn zog es aus unerfindlichen Gründen hinaus, in die Natur.

Die allgemeinen Gesundheitsuntersuchungen, welche im Kindergarten jährlich von den Ärzten vorgenommen wurden, ergaben nur, dass er schlecht sah und deswegen eine Brille brauchte.

Dass die anderen Kinder so gar nichts mit ihm anfangen konnten, fand Kai ziemlich doof. Er zog sich mehr und mehr zurück, obgleich es von seiner Seite her Versuche gab, auf die anderen Kinder zuzugehen.

Sie verstanden ihn nicht. Konnten sie auch nicht. Vor allem, wenn der kleine Junge jemanden mit seinen tiefblauen, durchdringenden Augen ansah. Die wenigsten konnten das aushalten. Sie wandten meist den Blick ab, weil ihnen das unangenehm war.

Auch vielen der Erzieherinnen war dieser Junge zum Großteil in einer tiefen Ebene unangenehm. Sie konnten für diese Wahrnehmung genauso wenig, wie er an sich was hätte ändern können. Er verstand das ja nicht. Wie auch?

Weil er mit der Situation irgendwie umgehen musste, lief er oft über die Wiesen oder in Sträuchern herum, wenn er welche fand, um kleine Tiere zu beobachten.

Jedes noch so kleine Fleckchen Grün wurde von ihm genauestens unter die Lupe genommen. Er liebte die Pflanzen, die Tiere und die Natur insgesamt einfach.

Er erfand sogar einen Fantasiefreund. Einen kleinen gehörnten Teufel, von dem er öfter träumte. Vor allem sah er ihn fliegen, irgendwo hochklettern, springen oder rennen.

Der war schwarz, hatte rote Haare und rote Augen und Krallen wie ein Hund oder eine Katze an Händen und Füßen.

Das imaginäre Wesen hatte etwas Wildes an sich. So wie Kai manchmal, vor allem, wenn er doch einmal wütend wurde.

Oft stellte sich der Junge vor, wie es wäre, gemeinsam mit dem für andere unsichtbaren Geschöpf, herumzutoben oder zu lachen.

Er brauchte ja auch wenigstens einen Freund, der ihn verstand. Ganz alleine für sich. Deswegen redete der Kleine viel mit sich selbst, meist in einer eigentümlichen Sprache.

Irgendwann versuchte er den erfundenen Freund zu malen. Er bekam aber nur den Kopf hin, denn menschliche Körper gelangen ihm in dieser Zeit noch nicht.

Er gab ihm auch einen Namen, den er mit den Buchstaben schrieb, die er bereits kannte: Shynn.

Incubus Expeditus

Подняться наверх