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Juni 1986, Kinderquerelen

„Brillenschlange!“, „Brillenschlange!“, „Brillenschlange!“, riefen die anderen Kinder seiner Gruppe in einem entnervenden Singsang. Yvonne, Maik, Christopher und die anderen. Eigentlich fast alle.

Dem Rest war es egal und die Erzieherinnen kümmerten sich nicht drum. Sie hielten es für normale Gruppendynamik und schritten in der Regel nur ein, wenn es jemand meldete.

Aber das machte für gewöhnlich keiner, denn niemand der anderen Kinder wollte als „Petzeliese“ bezeichnet werden.

Sie fuhren fort, Kai auf der Spielwiese – hinter den Büschen bei der Sandkiste – zu drangsalieren, wo er kurz zuvor einen schwarz-lila schillernden großen Käfer entdeckt hatte, den er sich genauer ansehen wollte.

In diesem Moment erschrak er sich, als ein Mädchen „Iiiiiiiiih!“ schrie, den Krabbler zertrat und Kai wegschubste, wo er sie gerade sichtlich erbost fragen wollte, was der Kerf ihr getan hatte. Es war Yvonne, eine schwarzhaarige kleine Göre in einem rosa Kleidchen.

Sie schaute ihn aus großen Augen an und sagte: „Na und? Du siehst schon selber fast wie ein Käfer aus, du Brillenschlange!“

Als sie das sagte, kamen gerade die anderen vorbei und stiegen gleich auf kindlich-grausame Weise in das Geschehen ein.

Sie schubsten Kai auf den Boden, zeigten mit dem Finger demonstrativ auf ihn, lachten und riefen immerzu dasselbe, während er das überhaupt nicht witzig fand.

Einfach so ein Insekt zertreten, das eigentlich recht hübsch war, als es noch ganz war. Es sah doch so faszinierend aus, wie das Tierchen versetzt zueinander immer drei Beine gleichzeitig vorwärts bewegte und mit seinen Fühlern wackelte.

Und was kann er schon für seine Brille? Ohne die sah er nicht einmal die nähere Umgebung scharf. Es nervte ihn, der einzige in der Gruppe zu sein, der eine Brille tragen musste.

Auch sonst konnte er mit den Kinderspielen der anderen wenig anfangen. Wenn er doch oft versucht hatte, sich den anderen anzuschließen, es wollte ihm nicht gelingen, sich Freunde zu machen, oder bei ihren Spielen mitzuhalten.

Aus seinen blauen Augen flossen die Tränen, was die anderen Kinder noch mehr zum Lachen brachte.

Kein Wunder, dass er lieber alleine spielte -

„Kinder! Reinkommen zum Mittagessen!“, riss die altbekannte Stimme der Erzieherin Frau Meyer mit der dunkelbraunen kurzen Dauerwellenfrisur die Kinder aus ihrem Unterfangen. Alle rannten über die Wiese zur gläsernen Eingangstür.

Alle außer Kai, der stattdessen missmutig und wesentlich langsamer hinterhertrottete und sich seine Tränen trocknete.

„Kai, du Bummelletzter, muss man denn immer auf dich warten? Die anderen sind schon da und du? Trödelst nur herum!“, versuchte sie ihn zur Eile anzutreiben, was die Kinder seiner Gruppe wieder zum Lachen brachte.

Er schaute sie nur mit einem leeren, dennoch gereizten, uralten Blick an, der doch irgendwie auszudrücken schien, dass er ihr am liebsten den Kopf abreißen würde, auch wenn das sicher nicht in der Absicht und jenseits der Art des viel zu ruhigen, schüchternen Kindes lag.

Sie wandte den Blick von ihm ab. Er war ihr unheimlich.

Es gab Bratwurst, Sauerkraut und Kartoffeln. Etwas, was Kai schon beim Gedanken zum Würgen brachte, weil sowohl in der Wurst als auch im Kraut die Kümmelkörner nur so wimmelten. Schon von dem Geruch wurde ihm anders... Zu viel Kümmelöl als Baby. Bäh.

Kai zwang sich so gut es ging das Zeug rein und verschwand nach dem Essen ganz schnell auf der Toilette, um zu brechen.

Er verzichtete gern auf den Pudding. Sein Appetit war nach dem Angriff, den Beleidigungen seiner Geschmacksnerven und des Kotzreizes ohnehin im Orkus der Kloschüssel gelandet.

Er spülte noch eben ab und wusch sich das Gesicht, denn er musste – wie alle anderen auch – Mittagsschlaf machen.

Den Nachmittag verbrachte er nach dem Ganzen lieber alleine und auf der Schaukel schwingend, während die anderen sich auf der Wiese einem Ballspiel hingaben.

Zumindest waren sie jetzt abgelenkt und ließen ihn für den Rest dieses echt beschissenen Tages in Ruhe. Bis seine Mama ihn endlich aus dieser Irrenanstalt – für heute – erlöste.

Sie bemerkte bereits seine schlechte Laune und fragte ihn, was wieder vorgefallen ist. Er erzählte ihr: „Das Essen schmeckte nicht, Bratwurst, Wäks! Und die haben mich wieder alle geärgert.“

Sie ging nicht weiter drauf ein, schwieg und dachte nur bei sich: Immer wieder dasselbe... Er wunderte sich, dass sie ihn nicht tröstete oder so.

Der Abend verlief ziemlich ereignislos. Es gab Graubrot mit Leberwurst und seine Lieblingslimonade. Danach kam der Sandmann, wo heute ein Märchen von einer Meerjungfrau gezeigt wurde.

Danach musste Kai schon ins Bett, wo er von seinen Eltern kurz – für seinen Geschmack zu kurz – gedrückt wurde, und bald darauf war er weggedämmert.

Nachtwandler

Als er eingeschlafen war und begann, in die erste Traumphase überzugehen, geschah etwas Merkwürdiges: Eine dunkle, von sich selbst aus in unheiligem Licht leuchtende, wabernde Masse verließ seinen Körper und schwebte über dem Bett, bis sie langsam die Form eines Kindes, Kai in Größe und Gestalt ähnelnd, annahm.

Unterschiedlich waren seine Hautfarbe, die eher fast schwarz war, seine Augen, die rot glühten und geschlitzte Pupillen, wie die einer Katze, aufwiesen.

Außerdem hatte das Wesen spitze, lange Ohren und zwei kleine Ansätze von Hörnern auf seiner Stirn. Im Gegensatz zu Kai hatte es keinen Topfschnitt, sondern seine roten Haare standen wie die Stacheln eines Igels zu Berge.

Die Zähne waren spitz, und die Finger- und Fußnägel glichen gekrümmten Krallen. Umgeben war das Geschöpf von einer flammenähnlichen, wabernden, rot schimmernden Schicht, einer Art Aura, die immer in Bewegung und Veränderung zu sein schien.

Es schaute sich im Zimmer um, während es noch immer über Kais Kopf schwebte, um sich zu orientieren.

Das Zimmer hatte ein Fenster, durch dessen dunkelblaue Vorhänge der abnehmende Mond schien, eine blau gestrichene Spielzeugkiste aus Holz mit darauf abgebildeten gelben und roten Blumen, einen großen, hellbraunen Kleiderschrank, eine ebenso gefärbte Kommode und einem metallenen Bett, das am Kopf- und Fußende Längsgitter hatte. Außerdem hing genau über dem Kopfende ein Blatt Papier mit einer Zeichnung.

Diese hatte er doch vor Kurzem erst angefertigt. Darauf war ein Gesicht abgebildet. Sein jetziges Gesicht. Das eines kleinen, schwarzen gehörnten Teufels mit roter Stachelfrisur.

Sogar ein Name stand da. Wahrscheinlich der, den er sich ausgedacht hatte, mit krakeligen Kinderbuchstaben, die er erstaunlicherweise schon mit seinen viereinhalb Jahren beherrschte: Shynn.

„Ich seh ja aus, wie auf dem Bild! Woher wusste ich denn, wie ich jetzt aussehe? Heiße ich jetzt so? Wie komme ich hierher und was mach ich jetzt?“, fragte sich der Kleine, während er auf sein menschliches Alter Ego schaute und sich wunderte, wie er gleichzeitig im Bett liegen und darüber schweben konnte.

Zuerst irritiert, versuchte er dennoch auszutesten, was er außer Schweben noch konnte. Er driftete im ganzen Zimmer herum und versuchte, Dinge zu greifen, was ihm auch gelang.

Er stellte auch fest, dass er jetzt ohne Licht alles erkennen konnte, wie sonst am Tag. Farben, die sich sonst nur im Hellen unterscheiden ließen und sogar was darüber hinaus ging, konnte er problemlos sehen. Und das zu allem Überfluss gestochen scharf, ohne Brille.

Als er weiter durch die Luft glitt, stellte er fest, dass er plötzlich nicht mehr im Kinderzimmer war, sondern in der Wohnstube.

Diese schien er durch die Wand betreten, beziehungsweise beschwebt, zu haben. Shynn drehte sich um, damit er zurück in sein Zimmer kam. Auch das gelang problemlos.

Dass er nicht nur schweben, sondern auch fliegen konnte, hatte er damit auch raus. Er überlegte, was er nun mit sich anfangen sollte, da er das erste Mal außerhalb seines Körpers agierte.

Ihm kam der vergangene Tag und was ihm passiert war wieder in den Sinn: Der Spott der anderen und der arme, totgetretene Käfer.

„Nun wird zurückgeärgert!“, nahm er sich vor.

Etwas anderes fiel seinem noch kindlichen Gemüt anscheinend nicht ein. Es trieb ihn sogar regelrecht dazu. Schließlich sah er jetzt aus wie ein Teufel, also konnte er sich auch wie einer benehmen.

Er verließ das Zimmer direkt durch die Außenwand und flog in die klare, wolkenlose Nacht hinein. Draußen schaute er sich erneut um und betrachtete sein Wohnhaus genauer.

Eine schmucklose beige Fassade in einer großen Plattenbausiedlung. Der zweite Stock links am Eckhaus.

Gegenüber war ein Parkplatz, dem eine Wiese folgte. Danach kam eine Hauptstraße. Auf der anderen Straßenseite war eine Einfamilienhaussiedlung und eine modern gebaute Kirche.

Außer den realen Eindrücken von Mondlicht und orangenem Schein der Straßenlaternen, spürte Shynn noch etwas anderes: Anwesenheiten von Lebewesen, lange bevor er sie sehen konnte.

Und er hörte die Geräusche nachts umherstreifender Wesen. Katzen vorrangig, die sich balgten, Hunde die bei jedem Geräusch kläfften, Marder, die unter den Autos gern die Kabel benagten, Nachtinsekten mit ihrem leisen Summen, während sie von Lichtern angezogen wurden oder zu unergründlichen Zielen hinflogen.

Zudem auch fremdartige Auren, die seiner eigenen ähnelten – andere Nachtgespenster wie ihn – denen er lieber aus dem Weg gehen wollte, da er sie nicht kannte.

Er versuchte, die Kinder aus seiner Gruppe ausfindig zu machen, weil er ihre Wohnorte nicht kannte. Er war schließlich noch nie bei einem von ihnen gewesen. Als ob sie ihn je eingeladen hätten...

Er versuchte sich auf sie zu konzentrieren, intensiv an sie zu denken...

Da! Da waren sie! Alle nicht sehr weit von ihm entfernt. Leicht rosa, die Aura von Yvonne. Grün, die von Maik. Auch das helle Blau von Christopher bemerkte er. Und die der anderen.

Prima!, dachte er nur und rieb sich diebisch grinsend die Hände. Als er damit fertig war, machte er sich auf den Weg zum Nächstbesten, Patrick, der wohnte nicht weit von hier.

Dämonenbengel

Immer der Präsenz folgend, schwebte Shynn durch die betreffende Wand in Patricks Zimmer, welches gut aufgeräumt war.

Er wusste, dass der Junge im Kindergarten immer penibel angezogen und ziemlich eingebildet war. Nun wusste er, was er hier zu tun hatte.

Er nahm die Kleiderkommode auseinander, indem er die ganzen Klamotten herauswühlte. Die besten Sachen zerriss er in tausend Fetzen. Die schlechteren bemalte er mit Filzstiften.

Von den Socken und Handschuhen machte er immer einen Teil eines Paares kaputt, und den anderen sortierte er wieder in die Schubladen ein.

Die Schnürsenkel fummelte er aus den Schuhen heraus und ließ diese verschwinden.

Zufrieden mit seinem Werk verschwand er aus Patricks Zimmer, bedauernd, dass er den Ärger, den dieser morgen von seinen Eltern bekommen würde, nicht mitverfolgen konnte.

Dafür sah er ihn im Kindergarten... wenn der sich noch hin traute. Er kicherte in sich hinein.

Enrico machte er auch sogleich seine Aufwartung. Der wohnte gleich nebenan. Ihm verdarb er mit Hilfe von viel Salz und Pfeffer sein Lieblingsmüsli in der Schachtel. Zudem füllte Shynn noch etwas davon in die Trinkflasche des Kindes, die schon für den kommenden Tag bereit stand, mit Saft gefüllt zu werden.

Auch hier würde er das angeekelte Gesicht nicht sehen können, bei dem er sich so schon totgelacht hatte, wenn er es im Kindergarten auf diese Weise verzog.

Dessen runde Nase hatte dann unglaublich lustige Falten. Na ja, Enrico sah einfach mit jeder Grimasse komisch aus. Darüber lachten sich die meisten der Kinder krumm.

Maik, einer der Schlimmsten von allen, besuchte er als Nächsten. In dessen Zimmer sah es anders aus. Der rothaarige Junge mit den Sommersprossen schlief nämlich immer umringt von seinen Kuscheltieren, die er scheinbar dringend zum Schlafen brauchte.

Das war einfach: Er riss Bärchen und Häschen und allen anderen Plüschtierchen die Nähte auf, kehrte das Innerste nach außen und verteilte alles im ganzen Zimmer.

Seiner zwei Jahre älteren, ebenso rothaarigen Schwester, die genau wie Maik auch immer auf ihm herumhackte und im Nachbarzimmer schlief, köpfte er die ganzen Puppen, welche sie, ähnlich ihrem Bruder, im Bett um sich herum zu drapieren pflegte.

Ihre beiden Lieblingspuppen – die blonden Barbies aus den Westpaketen, andere Anziehpuppen und Babypuppen, die meisten waren nach der Aktion etwas… kopflos. Manche wurden auch arm- oder beinlos. Oder alles los. Egal. Das Ergebnis zählte.

Der dunkelblonde Christopher, der im Sommer sehr gebräunt war, wohnte ein paar Straßen weiter weg. Auch dort sah er sofort, was er tun konnte: Chris liebte Ballspiele, er forderte die anderen immer dazu auf.

Er hatte verschiedene Bälle. Sein liebster jedoch war ein einfacher Fußball mit sämtlichen Originalunterschriften der Spieler seines Lieblingsvereins.

Shynn schwebte in die Küche und nahm sich ein scharfes Messer und versuchte damit durch die Wand ins Kinderzimmer zu kommen.

Dies gelang ihm nicht. Anscheinend konnte er keine festen Gegenstände mit durch Wände nehmen. Na ja, dann eben nicht. Leise öffnete er stattdessen die Tür.

Der Kleine suchte den Raum ab. In einem Korb in der Ecke lagen die Bälle, welche Chris besaß. Das Messer kurz weglegend nahm er die Bälle alle aus dem Korb.

Dann griff er die Klinge wieder auf und stach auf jeden einzelnen Ball ein. Zischhhhhhhhhhh machte es, als die Luft aus ihnen entwich.

Zufrieden war er noch nicht, da ja noch das Wichtigste fehlte: Chris’ Lieblingsball. Der sollte auch mal wissen, wie sich Verlust anfühlte, schließlich hat der Kacker letztens sein (Kais) Lieblingsbilderbuch zerrissen und in den Dreck geworfen.

Endlich fand er ihn. Unter dem Bett sorgsam verwahrt, das Geschenk seines großen Bruders zu seinem letzten Geburtstag.

Der spielte ja in dem Verein in der C-Jugend und hatte sogar ein paarmal Kontakt zu den Spielern der ersten Liga, die ihm eben alle den Ball unterschrieben hatten. Shynn nahm den Ball in die Hand und stach erneut mit dem Messer auf das Lieblingsteil ein. Mehrmals.

Er zerschnitt die Nähte und stach richtiggehend in die Namen ein. Als er damit fertig war, legte er das Messer auf den Spieltisch.

Jetzt war er zufrieden. Familiendrama vorprogrammiert.

Eine fehlte noch. Die konnte sich auch auf etwas gefasst machen. Yvonne! Das Mädchen wohnte noch ein Stück weiter in völlig anderer Richtung. In der Siedlung.

Den Weg zu ihr fand er spielend. Er musste nur dieser eklig-zuckersüßen rosa Spur folgen, bei der es ihn schauerte. Kleine verwöhnte Prinzessin!

Natürlich hatte sie ein riesiges Zimmer in einem eigenen Haus, welches sie mit ihrer Familie bewohnte. Rosa Tapete, rosa Gardinen, rosa Bettwäsche... Scheußlich! Er rümpfte die Nase.

Hier waren es ihre Stifte, die ihm ins Auge fielen. Er überlegte, was er Schönes malen sollte und dachte daran, sich an den Kritzeleien zu orientieren, die er unterwegs gesehen hatte. Solche, wie sie die Jugendlichen an manchen verborgenen Ecken anbrachten.

Er nahm sich einen Stift und machte sich an die Arbeit. Auch selbstgezeichnete Bilder des Mädchens nahm er sich vor und versah sie mit ziemlich schweinischem Zusatzmaterial.

Die besseren Motive hatte er sich jedoch für die Wände aufgehoben: Bestimmte Körperteile oder Menschen bei der Notdurft brachte er an, aber auch Paare – in verschiedenen Stellungen zugange – krakelte er in einem Kinderstil an die Tapete.

Schreiben tat er lieber nicht. Denn das konnte die dumme Trine nicht. Er war der einzige, soweit er das wusste, der das in dem Alter schon halbwegs zustande brachte.

Wenn das morgen keinen Ärger gab. Die werden sich freuen. Hihihi! Auch hier hatte er ganze Arbeit geleistet.

Er stellte aber fest, dass die Nacht bald vorbei war und das Schwarz des Himmels sich langsam bläute. So machte er sich davon, gespannt, ob er die Ergebnisse seiner Untaten mitbekommen würde.

Kaum zu Hause, schwebte er durch die Wand in sein Kinderzimmer und hin zu seinem Körper, während er anfing, sich allmählich in Luft aufzulösen.

Er wurde etwas durchsichtig, wie er an seinen Händen feststellte. Immer transparenter wurde er, bis er nur ein fast nicht vorhandener Schemen war, der schlussendlich komplett verschwand...

Alles nur ein Traum?

Bald darauf wachte Kai auf. Ihm war schlecht. Seine Träume hatten ihn verwirrt. Er hatte von einem kleinen schwarzen Teufel geträumt, den er schon in früheren Nachtgesichtern sah. Den er sogar einmal gemalt und ihm auch einen Namen gegeben hatte: Shynn.

Dieser Teufel schwebte über seinem Kopf, in seinem eigenen Zimmer.

Wie kann das sein???

Und was der da alles angestellt hatte. Mit wem? Die sahen alle aus, wie die aus meiner Gruppe. Unmöglich!

Autsch! Der Kopf schmerzte etwas. So ein leichtes Drücken im vorderen Schläfenbereich. Appetit hatte er auch kaum.

„Mama! Ich mag nicht in den Kindergarten gehen. Kann ich heut zu Hause bleiben?“

Diese war noch ziemlich verschlafen. Ihr war das gar nicht recht, weil sie heute nämlich Haushaltstag hatte und sie sagte: „Hab dich nicht so! Sei froh, dass du dahin gehen kannst! Andere Kinder kriegen das auch hin! Man kann’s auch übertreiben. Sei doch mal etwas härter, du kleines Sensibelchen!“

Kai mochte es nicht, wenn sie ihn so nannte, und wenn sie seine Sorgen und Nöte nicht ernst nahm. In seinem Kopf sah er den kleinen schwarzen Teufel, der genauso wütend schaute wie er selber, mit demselben Gesichtsausdruck wie sein eigener.

So musste er doch wieder in den Kindergarten. Schon als sich alle die Jacken auszogen, bemerkte er die komische Stimmung. Einige Eltern waren missmutig, wenn nicht ziemlich verärgert.

Ihre dazugehörigen Kinder waren kleinlaut, unsicher oder ebenfalls sauer. Alle sahen zudem auch aus, als verstünden sie die Welt nicht mehr. Oder ihre kleinen Welten wurden ziemlich in Mitleidenschaft gezogen.

Bei Yvonne, Christopher und Maik hing nämlich der Haussegen schief. Was da wohl passiert ist?, fragte sich Kai ziemlich ahnungslos.

Und was war mit Patrick los? Den hätte Kai fast nicht erkannt. Er lief in alten abgetragenen Klamotten herum, zwei verschiedene Socken hatte er auch an und einen Gesichtsausdruck, als sei ihm das echt peinlich und unangenehm.

Genau den gleichen wie dessen Mama aufsetzte; auch ihr war es peinlich, mit Patrick so in der Öffentlichkeit herumlaufen zu müssen.

Er konnte es kaum fassen, aber Patricks Klamotten und wie er aussah, das erinnerte ihn an seinen Traum. Der schwarze Teufel hatte sich ja darin an Kindersachen ausgelassen und diese futschisiert.

Christopher, Yvonne, Maik und Patrick fingen unabhängig voneinander zu heulen an, weil sie genau wussten, dass der Ärger heute Nachmittag zu Hause noch für sie weiterging.

Obwohl sie nicht mal verstanden, wer ihre Sachen zerstört hatte und auch nicht einsehen wollten, beziehungsweise konnten, dass außer ihnen kein anderer dafür infrage kam. Sie selber hatten doch gar nichts gemacht. So dachten sie und beharrten auch darauf.

Kai nahm sich vor, seine Ohren zu spitzen, um mitzukriegen, was bei denen passiert war.

Enrico hingegen benahm sich fast normal. Aber dem dunkelhaarigen Jungen schien sein Frühstück nicht gemundet zu haben. Er rieb sich immer mit der Hand über die Zunge, wie als hätte etwas ganz furchtbar geschmeckt. Er schaute etwas weniger missmutiger als die anderen.

Beim Frühvesper passierte es: Enrico holte sich seine Trinkflasche und hob an, einen Schluck zu sich zu nehmen, als er plötzlich ausspuckte und die Flasche fallen ließ, deren Inhalt sich über den PVC-Boden ergoss.

Sein Gesicht, zur Faust geballt, sah fast so aus, als bestünde es nur noch aus einer einzigen Falte, die quer von einem Ohr zum anderen ging. „BÄÄÄÄÄH!“, machte er. „Eeeeeklig! Der Saft schmeckt ja widerlich!“

Alle Kinder, die das mitbekamen, lachten sich über das Schauspiel halb tot. Sie fanden Enricos Gesichtsfasching auch immer wieder lustig, gingen sie doch davon aus, dass das eben nur Spaß war.

Kai lachte auch, aber er ahnte, dass das mit seinem Traum zusammenhing. Er lachte mehr, weil er wusste was darin mit der Trinkflasche, oder vielmehr dem Inhalt, geschehen war.

„Was ist hier los??“, meckerte Frau Meyer. „Enrico! Was soll die Sauerei? Musst du dich schon wieder zum Clown machen? Hol sofort den Lappen und mach das weg! Oder denkst du, ich habe Lust hinter dir herzuwischen? Du bist schon fast fünf, also sei den anderen Kindern ein Vorbild. Danach darfst du den Vormittag in der Ecke verbringen!“

Damit war der Tag also auch für Enrico gelaufen, und das endgültig. Er fiel ebenfalls in das Heulkonzert der anderen ein.

Kai konnte das nicht glauben.

Als sich die Lage gegen Mittag etwas beruhigt hatte, saßen sie alle beieinander und unterhielten sich. Kai tat, als malte er irgendwas und belauschte die anderen. Er stellte nämlich fest, dass er sie auf einmal aus dieser Entfernung klar und deutlich hören konnte.

„... meine Kuscheltiere sind alle kaputtgemacht worden. Bei meiner Schwester sind die Puppen auch auseinander“, berichtete Maik den anderen sichtlich aufgebracht.

„Bei mir waren’s meine schönen Bälle. Und *schnief* mein Lieblingsfußball... Das verzeiht mir mein Bruder nie... *heul* Hat mir vorhin eine gehauen“, schluchzte Christopher.

„Meine Wände sind bemalt. Und meine Bilder sind auch alle kaputt. Auch bemalt! Mit Pullermännern und so was. Eklig!“, sagte Yvonne. Auch sie war sichtlich wütend und irritiert.

„Meine Anziehsachen sind auch kaputtgemacht worden. Meine Lieblingssachen. Und Socken fehlen. Nun muss ich immer unterschiedliche anhaben. Wie ein Clown im Zirkus“, flennte Patrick bittere Tränen.

„Und wer war das?“, fragte der eine oder andere.

„Wisst ihr es auch nicht?“

„Äh-äh!“, machten alle.

„Meine Eltern glauben mir nicht, dass ich das nicht war.“

„Meine auch nicht.“

„Meine auch nicht.“

Maik antwortete: „Unsere auch nicht. Meine Schwester hat auch gesagt, dass sie das nicht war, weder meine Kuscheltiere noch ihre Puppen.“

„Mein Vati sagte, dass ich eine Weile Stubenarrest bekomme.“

„Ja, Ärger krieg ich auch.“

„Und ich erst. Hab richtig Angst.“

Der festen Überzeugung, das alles nur geträumt zu haben, wunderte sich Kai über das Gesagte immer mehr.

Oder doch nicht? Kann das sein?

Ihm wurde klar, dass er den Ärger abbekam, wenn er das jemandem erzählte. Außerdem würde ihm das niemand glauben, dass sein Traum von anderen die Sachen kaputtmacht...

Ihm tat das auf der einen Seite leid. Andererseits haben sie ihn gestern auch ziemlich geärgert. Sie waren sich anscheinend keiner Schuld bewusst. Woher auch?

Vielleicht ließen sie ihn heute in Ruhe. Und das taten sie, denn sie hatten andere Dinge im Kopf, denn zum Teil hatten sie schon ihre Strafe.

Den Rest machten später ihre Eltern. Vielleicht hörten sie dann endlich auf, so gemein zu sein, hoffte er.

Die anderen Kinder hörten nicht auf. Aber sie waren nicht mehr so schlimm wie an diesem Tag. Es schien so, als ob in ihnen etwas zerstört wurde. Sie hatten schließlich Erfahrungen gemacht, die ihre Welt gründlich durcheinander brachten.

Der hellblonde und sehr bleiche Patrick war nicht mehr so schnöselig und ging niemandem mehr mit seinen Klamotten auf die Nerven: er bekam diese nur noch fast ausschließlich gebraucht.

Maik hielt sich oft nur noch abseits, ebenso seine Schwester.

Christopher und sein Bruder sprachen kaum noch miteinander, und die Lust an Ballspielen war ihm auch abhanden gekommen. Er durfte auch nicht mehr zu den Spielen seines Bruders.

Und Yvonne? Die hatte wochenlang Stubenarrest und wurde von da an nicht mehr so verwöhnt wie früher.

Die kleine „Ärgere-Kai-Bande“ löste sich mehr oder weniger auf.

Incubus Expeditus

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