Читать книгу Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen - Yasar Kirgiz - Страница 10
4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî 4.1.1 Überblick
ОглавлениеBeim Kurmancî handelt es sich um diejenige Varietät des Kurdischen, die von den meisten Kurd*innen gesprochen wird (vgl. Thackston 2006: VII, Turgut 2011: 14). Es wird angenommen, dass kurdische Varietäten weltweit insgesamt von 20 bis 30 Millionen Menschen gesprochen werden (vgl. Haig/Öpengin 2018: 157). Bulut schätzt, dass 65% davon die Kurmancî-Varietät sprechen (vgl. Bulut 2018: XX), also 13 bis 20 Millionen Menschen. Auch Thackston gibt eine vergleichbare Zahl der Kurmancîsprecher*innen an, nämlich 15 bis 17 Millionen (vgl. Thackston 2006: VII).
Das Kurdische stellt nicht eine Sprache, sondern einen Sammelbegriff für verschiedene Varietäten dar (vgl. Chyet 2019: 104, Grond 2018: 45, van Bruinessen 1989: 37). Welche Varietäten zum Kurdischen gehören und ob es sich bei diesen um Sprachen oder um ein Varietätenkontinuum handelt, ist in der Kurdologie und in der Iranistik Gegenstand von Diskussionen (vgl. Haig/Öpengin 2018, Matras 2017), auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann. Der folgenden Karte kann indes ungefähr entnommen werden, wo welche Varietäten gesprochen werden.
Abbildung 3:
Landkarte zu den kurdischen Varietäten (Haig/Öpengin 2018: 159)
Aus der Landkarte geht hervor, dass Kurmancî hauptsächlich in der Südost-Türkei, im Nordirak und im nordwestlichen Teil des Irans gesprochen wird. Es ist außerdem in einem kleinen Gebiet Nordostsyriens sowie Westarmeniens beheimatet. Zur Landkarte ist allerdings anzumerken, dass sie einige Regionen nicht oder nicht adäquat berücksichtigt, in denen ebenfalls Kurmancî gesprochen wird. Dazu gehören vor allem Gebiete in Zentralanatolien sowie in Nordsyrien um die Ortschaften Afrin, Kobanî und Hasaka (Hesîçe) (vgl. Havrest 1998: 73, Hajo 1982: 1, Strohmeier/Yalçin-Heckmann 2000: 29). Daher ist festzuhalten, dass Syrien neben der Türkei, dem Irak und Iran über eine beachtliche Anzahl an Kurmancîsprecher*innen verfügt, wenn auch diesbezüglich derzeit wie in den anderen Staaten keine genauen Angaben vorliegen. Es ist ebenso bekannt, dass in den großen Städten dieser Staaten, vor allem in Istanbul und Aleppo, große kurmancîsprachige Gemeinschaften leben.
Auch innerhalb des Kurmancî gibt es zahlreiche Varietäten. Inzwischen befassen sich einige Studien mit den lexikalischen und vor allem mit den grammatischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser Varietäten (vgl. Haig/Bulut 2017, Haig/Öpengin 2018, MacKenzie 1961). An der Universität Manchester wurde auch eine Varietätendatenbank angelegt, die aus verschiedenen kurmancîsprachigen Regionen Sprachproben mit Transkriptionen sowie grammatischen und lexikalischen Analysen zur Verfügung stellt. Diese Möglichkeiten bietet die Datenbank im Übrigen auch für andere Varietäten des Kurdischen an.1
Neben der Beschreibung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Varietäten gibt es auch Bemühungen, diese in Gruppen einzuteilen. Haig/Öpengin (2018) unterteilen die Varietäten in drei Gruppen und zeichnen sie in der Landkarte folgendermaßen auf.
Abbildung 4:
Die geografische Verbreitung der Varietäten des Kurmancî2 (Haig/Öpengin 2018: 193)
Auch eine Standardvariante des Kurmancî gibt es, die sich maßgeblich auf das Süd-Kurmancî stützt, jedoch auch Elemente der anderen Varietäten zum Teil integriert (vgl. Haig/Öpengin 2018: 164). Die Standardisierung des Kurmancî erfolgte durch seine Verschriftlichung ab dem Jahr 1932 in der Zeitschrift „Hawar“, die maßgeblich ein Werk von Celadet Bedir Khan war (vgl. Grond 2018: 47). Das Standard-Kurmancî repräsentiert auf dem aktuellen Stand in erster Linie die Schrift- und Mediensprache sowie die Bildungssprache, sofern in Kurmancî Bildung angeboten wird. Der wesentliche Aspekt ist hier, dass der Varietät die nötige Institutionalisierung gefehlt hat, – beispielsweise allgemeinbildende Schulsysteme –, um sich etablieren zu können.
Mit anderen Worten: Aus dem Kurmancî ist keine Hochsprache für alle Kurmancîsprecher*innen hervorgegangen, die von allen erworben wird (vgl. Grond 2018, Maas 2014 für die Begrifflichkeit der Hochsprache). Daher ist dieser Standard nicht allen Kurmancîsprecher*innen vertraut und wird selten gesprochen. Zu diesem Punkt wird in Bezug auf die Darstellung des Forschungsfeldes der Kita und im Weiteren im Hinblick auf die Kompetenz der Kurmancî-Erzieher*innen noch einiges auszuführen sein.
Hier kann aber ergänzt werden, dass die Beschreibung der grammatischen Merkmale des Kurmancî im Abschnitt 4.1.4 weitgehend ausgehend von diesem Standard erfolgt. Des Weiteren wird er bei der Erläuterung der sprachlichen Daten von Studienkindern als Orientierung dienen. Da aber dieser Standard – wie dargestellt – den Sprecher*innen kaum verfügbar ist, wird er für die Analyse der sprachlichen Daten nicht als Norm gesetzt.