Читать книгу Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen - Yasar Kirgiz - Страница 17
4.2.2 Morphologie
ОглавлениеDie Unterscheidung der Genera wird im Deutschen vom Nomen bestimmt, aber nicht am Nomen markiert (vgl. Kaltenbacher/Klages 2007: 85). Spätestens seit Wegener (1995) wird über die Unterscheidung der Genera die Diskussion geführt, ob sie – zumindest zu einem gewissen Anteil – regelgeleitet erfolgt. Wegener stellt fest, dass anhand von fünf Regeln bei 65,4% der Nomen des Grundwortschatzes des Deutschen vorhergesagt werden kann, welches Genus sie zugewiesen bekommen (vgl. Wegener 1995: 93). Eine der Regeln ist das natürliche Geschlechtsprinzip (NGP), während die anderen Regeln sich auf die formalen Eigenschaften der Nomen beziehen. Wenn beispielsweise ein Nomen des Grundwortschatzes auf Schwa -e endet, wird es mit 90,5% Wahrscheinlichkeit das feminine Genus haben, wie etwa die Hose, die Jacke, die Nase (vgl. Wegener 1995: 89ff.). Auch andere Arbeiten wie die von Köpcke/Zubin (1996) und Koeppel (2018) schließen sich diesem Ansatz an und versuchen, neue Regeln herauszuarbeiten, nach denen das Genus der Nomen vorausgesagt werden kann.
Neben der Tatsache, dass diese Regeln weder den gesamten Wortschatz noch auch nur den Grundwortschatz erfassen, wird von diesen Autor*innen selbst angemerkt, dass sie meistens ohne Ausnahmen nicht auskommen (vgl. Wegener 1995: 94). Dennoch sind vor allem Wegener (1995) und Koeppel (2018) der Meinung, dass sowohl beim Erwerb des Deutschen als Zweitsprache als auch beim Lernen des Deutschen als Fremdsprache diese Regeln in Anspruch genommen werden sollten. Damit soll dem Eindruck, dass die Zuweisung des Genus im Deutschen systemlos und völlig arbiträr sei, entgegengesteuert werden. „Der fälschliche Eindruck von Willkürlichkeit und Sinnlosigkeit des Genus ist nicht nur demotivierend, sondern kann dazu führen, dass in der Rezeption die vorhandenen sprachlichen Regularitäten im Input für den Erwerb nicht oder nicht optimal genutzt werden.“ (Koeppel 2018: 4)
Diese Sichtweise wird in der Spracherwerbsforschung aber nicht generell akzeptiert, bzw. einige Autor*innen vertreten die Ansicht, dass das Genus der Nomen in den meisten Fällen einzeln ohne Regularitäten erworben oder gelernt werden muss (vgl. Grimm/Schulz 2014: 37). Dies ist beispielsweise die Sichtweise von Schulz/Tracy, die den Erwerb oder das Lernen des Genus in der theoretischen Erläuterung des Instruments LiSe-DaZ als Domäne von „item-by-item-Lernen“ definieren (Schulz/Tracy 2011: 20).
Die Unterscheidung der Kasusformen in Kasussprachen wie Deutsch ist insofern von Bedeutung, als mit ihnen in der Regel syntaktische und semantische Rollen im Satz unterschieden werden. So bringt im Deutschen meistens der Nominativ das Subjekt, der Akkusativ das direkte Objekt und der Dativ das indirekte Objekt zum Ausdruck (vgl. Kauschke 2012: 77). Des Weiteren reguliert der Kasus innerhalb der Präpositionalphrase die Korrelation zwischen dem Kopf der Nominalphrase – dem Nomen – und der Präposition. Folglich wird der Kasus auf der Satzebene vom Verb, das die syntaktischen und semantischen Rollen festlegt, und in der Präpositionalphrase von der Präposition regiert (vgl. Marx 2014: 103).
Wenn auch der Kasus vom Verb oder von der Präposition regiert wird, so ist seine Versprachlichung abhängig vom Genus und gleichermaßen vom Numerus (vgl. Kauschke 2012: 77). Wegener geht ein Stückchen weiter und vergleicht die Wechselwirkungen des Genus-, Numerus- und Kasuserwerbs für Sprachlerner*innen mit einem „Teufelskreis“: „Um die Flexive als Genus-, Kasus- und Numerusmarker zu erkennen und zu klassifizieren, muß er [der Sprachlerner] die anderen Formen des Paradigmas kennen, um das Paradigma aufzubauen, muß er aber zuvor die Flexive als Genus-, Kasus- und Numerusmarker klassifiziert haben.“ (Wegener 1995: 97)
Das Genus bestimmt nicht nur den Ausdruck der Elemente, wie z.B. den definiten Artikel, mit denen Kasusformen ausgedrückt werden, sondern darüber hinaus zum Teil, welche Kasusformen überhaupt voneinander unterschieden werden. Im Nominativ und Akkusativ werden beispielsweise nur im Fall von maskulinen Nomen die beiden Kasusformen voneinander unterschieden. Ebenso variiert der Ausdruck des Kasus auch nach dem Numerus. In diesem Zusammenhang kann als Beispiel aufgeführt werden, dass die Unterscheidung der maskulinen Nomen im Nominativ und im Akkusativ nur im Singular stattfindet. Im Plural entfällt die Unterscheidung.
Dass der Kasus von Verb und Präposition regiert wird, aber sein Ausdruck auch vom Genus und Numerus abhängig ist, bedeutet, dass sein Erwerb dem Kind sowohl syntaktische als auch morphologische Entschlüsselungen abverlangt und es vor eine komplexe Aufgabe stellt.
Das Deutsche unterscheidet zwei Numeri, den Singular und den Plural. Während das Genus nicht und der Kasus selten am Nomen markiert wird, ist es für die Unterscheidung der Numeri zentral, wobei seine Grundform der Singular ist. Im Umkehrschluss heißt dies, dass es nur den Plural markiert, und zwar immer, sofern keine phonetischen Einschränkungen etwa durch die Schwa-Regel vorliegen (vgl. Wiese 2012: 201). Um den Plural am Nomen zu versprachlichen, müssen Erwerber*innen sowie Lerner*innen eine Auswahl aus fünf Morphemen treffen: -(e)n, -e, "-(e), (")-er und -s (vgl. Wegener 1995: 19). Die Klammern zeigen, dass drei Morpheme jeweils zwei Varianten haben. Dieses Repertoire an Pluralausdrücken am Nomen stellt für Kinder eine Herausforderung dar (vgl. Kauschke 2012: 77).
Im Gegensatz zum Kasus, aber ähnlich wie im Fall des Genus, wird auch der Erwerb des Numerusausdrucks von einigen Spracherwerbsforscher*innen als ein Bereich des Einzellernens (item-by-item-Lernen) betrachtet. Schulz/Tracy vertreten beispielsweise in ihrem Ansatz zur Erläuterung des Instruments LiSe-DaZ diese Sichtweise und ermitteln daher weder den Genus- noch den Numeruserwerb mit dem Instrument:
Ebenfalls ausgeblendet bleiben Bereiche sprachlichen Wissens, die sich durch Unregelmäßigkeit und viele Ausnahmen auszeichnen und daher in hohem Maße auf dem sogenannten item-by-item-Lernen, d. h. dem Speichern von Einzelfällen, basieren. Dazu zählen in Deutsch das grammatische Genus (der Löffel, die Gabel, das Messer), die Pluralbildung der Nomina (Haus – Häuser, Mutter – Mütter, Wagen – Wagen, Ball – Bälle etc.) […]. (Schulz/Tracy 2011: 20, Herv. i. Orig.)
Für die Distinktion der Genera, der Kasusformen und der Numeri kommt – insgesamt betrachtet – dem ersten Konstituenten der Nominalphrase, der in den meisten Fällen wiederum ein definiter oder indefiniter Artikel ist, eine große Rolle zu. Diese beiden Elemente haben sich im Althochdeutschen aus dem Demonstrativ bzw. dem Zahlwort „eins“ herausgebildet (für einen Überblick siehe Szczepaniak 2011: 73ff.). Sie drücken selbstverständlich auch die Definit- bzw. Indefinitheit aus, so dass sie in der Gesamtheit der ausgedrückten grammatischen Kategorien hoch fusionierende Elemente im Sprachsystem des Deutschen sind. Des Weiteren ist die Form- und Funktionsbeziehung nicht eindeutig, sondern mehrdeutig. Der kann beispielsweise Maskulin, Nominativ, Singular sein; es kann aber auch Feminin, Dativ, Singular sein (vgl. Wegener 1995: 94). Dass diese morphologischen Kategorien der Nominalphrase in mehrdeutigen Elementen fusioniert werden, führt offensichtlich dazu, dass ihre Differenzierung den Kindern im Spracherwerbsprozess nicht leichtfällt (vgl. Kauschke 2012: 78, Ruberg/Rothweiler 2012: 118).
Hinsichtlich der Verbalphrase ist festzuhalten, dass sie in Deutsch die Person, den Numerus und das Tempus sowie den Modus1 markiert, wobei die Kategorien der Person und des Numerus wie in Kurmancî zusammenfallen und mit dem Subjekt des Satzes in Kongruenz stehen. Für die Markierung der Person und des Numerus stehen in Deutsch die Morpheme -e, -st, -t, -en und -Ø zur Verfügung (vgl. Eisenberg 2013a: 179ff.). Hinsichtlich -e und -st besteht in der Verbalphrase zwischen Form und Funktion ein Verhältnis der Eindeutigkeit. Während -e immer die erste Person Singular zum Ausdruck bringt, ist -st für die Kodierung der zweiten Person Singular zuständig. In Bezug auf -en und -Ø besteht nicht hinsichtlich der Person, aber hinsichtlich des Numerus ein Eindeutigkeitsverhältnis. Das Morphem -en bringt immer den Plural zum Ausdruck, aber in einem Fall die erste Person Plural und in einem weiteren Fall die dritte Person Plural. Das Nullmorphem -Ø kodiert dagegen den Singular, und zwar in einem Fall die erste Person Singular und in einem weiteren Fall die dritte Person Singular, was sowohl bei der Markierung des Präteritums als auch bei der der Modalverben zur Geltung kommt. Was das Morphem -t angeht, so ist es sowohl in Bezug auf die Person als auch in Bezug auf den Numerus mehrdeutig. Es kann nämlich sowohl die dritte Person Singular als auch die zweite Person Plural sein (vgl. Ruberg/Rothweiler 2012: 117).
Insgesamt ist festzuhalten, dass hier im Gegensatz zu den nominalen Kategorien die fusionierenden Elemente seltener vorkommen, und dass zwischen Form und Funktion in vielen Fällen ein Eindeutigkeitsverhältnis besteht. Darüber hinaus werden die Person und der Numerus in der Verbalphrase nur an einem Element markiert, und zwar am finiten Verbteil. Diese Eigenschaften der Markierung erleichtern offenbar den korrekten und schnellen Erwerb dieser Kategorien und somit auch den der Subjekt-Verb-Kongruenz. In diesem Zusammenhang stellt Kauschke fest, dass Kinder, sobald sie angefangen haben, Verben flektiert anzuwenden, wenige Fehler bei der Kongruenz machen (vgl. Kauschke 2012: 80).
Interessanterweise ist die Person- und Numerusmarkierung in Kongruenz mit dem Subjekt ein Bereich, in dem sich der kindliche Spracherwerb und das Sprachlernen durch Erwachsene voneinander unterscheiden. Letztere stoßen hierbei nämlich auf Schwierigkeiten. Dies gilt nicht nur für das Erlernen des Deutschen, sondern auch für andere Sprachen mit einem vergleichbaren Sprachsystem (vgl. Schulz/Tracy 2011: 35).
In Bezug auf das Tempus ist festzuhalten, dass seine Flexion dadurch reguliert wird, ob das zugrunde liegende Verb ein regelmäßiges (schwaches) oder unregelmäßiges (starkes) ist. Während es bei der Flexion des Letzteren hinsichtlich der Tempusmarkierung zu Stammänderungen durch den Ablaut kommen kann (singe, sang, gesungen2), bleibt bei dem Ersteren der Stamm gleich (lege, legte, gelegt3). Die Flexion der Tempusmarkierung wird bei den regelmäßigen Verben also mit dem Einsatz des Morphems -t vollzogen (vgl. Eisenberg 2013a: 179). In den Beispielen dient die erste Form der Präsensbildung, die zweite der Präteritumbildung und die letzte Form der Bildung des Partizips II. Bei den ersten beiden Formen handelt es sich um eine synthetische Tempusmarkierung, was bedeutet, dass es im Satz nur ein Hauptverb gibt, das auch das Tempus markiert. Bei der letzten Form handelt es sich dagegen um eine analytische Tempusmarkierung, die besagt, dass im Satz neben dem Hauptverb auch ein Auxiliarverb zur Verfügung steht, welches das Tempus markiert (vgl. Wurzel 1996). Mit dem Partizip II wird in Kombination mit dem Auxiliarverb das Perfekt, das Plusquamperfekt und das Futur II gebildet. Das Futur I wird dagegen mit dem Auxiliar und dem Infinitiv gebildet.
Die Reihenfolge des Erwerbs der Tempusmarkierung scheint Präsens, Perfekt, Präteritum und Futur I zu sein. Dies steht auch im Verhältnis zur Intensität der Nutzung dieser Tempusformen. Das bedeutet, dass das Präsens im kindlichen Sprachgebrauch das meistgenutzte Tempus ist und ebenso, dass das Perfekt gegenüber dem Präteritum bevorzugt wird. Futur I wird im kindlichen Sprachgebrauch selten in Anspruch genommen (vgl. Kauschke 2012: 82). Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Erwerb der Tempusformen des Futurs II und des Plusquamperfekts nach den genannten Tempusformen erfolgt und diese auch selten genutzt werden.
Auch bei der Markierung des Tempus scheinen Kinder nicht auf große Schwierigkeiten zu stoßen. Nur hinsichtlich der Tempusmarkierung der unregelmäßigen Verben sind Verzögerungen bei den Perfektformen zu verzeichnen. Kinder probieren hierzu verschiedene Varianten aus und flektieren sie zum Teil auch wie die regelmäßigen Verben (vgl. Grießhaber 2010: 57f.). Dies ist im Übrigen ein Phänomen, das auch in vergleichbaren Sprachsystemen, beispielsweise im Englischen, vorkommt (vgl. van Horne 2019: 270).