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Einführende Worte.

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„Ist der Chela bereit, so ist der Guru da“.

Die Entwicklung der Zivilisation beginnt mit kleinen Gebieten, Stadtgebieten. Sie schreitet über Gaue, über Länder vor, aus deren Zusammenschlusse große Reiche entstehen. An den Grenzen dieser Reiche stoßen benachbarte Zivilisationen zusammen; sie verschmelzen untereinander und dehnen sich aus, einen breiten Gürtel rings um den Erdball bildend.

Hand in Hand mit der äußeren Zivilisation schreitet die geistige Kultur, und als ihre feinste Blüte sprosst die Weltweisheit aus dem wohl vorbereiteten Boden. Wie der Saturn von seinem Ringe, so ist die Zone materieller Zivilisation von einem Gürtel geistiger Kultur umgeben, der einen höheren Plan von ihr darstellt.

In dem Werdegang folgt eine dritte Sphäre höchster Geistigkeit. Jahrtausende zurück liegen ihre Anfänge, doch ihre Träger, die Eingeweihten, waren zum Schweigen verpflichtet und durften ihre geheime Weisheit nur an Suchende weitergeben, die reif dafür waren. So entstanden und gediehen Schulen okkulter Weisheit, sie beeinflussten sich wohl gegenseitig, aber sie walteten und wirkten gesondert. Die örtlichen Lücken zwischen den Brennpunkten der Lehre wurden nicht ausgefüllt.

Die Anhänger Buddhas, die ägyptischen und chaldäischen Priester, die Kabbalisten, selbst noch Priester der westlichen Indogermanen vererbten geheime Weisheit von Priestergeschlecht zu Priestergeschlecht durch mündliche Überlieferung. Manche kostbare Wahrheit mag auf diese Weise verloren gegangen, mancher mystische Kult von volkstümlichen Lehren verdrängt worden sein, wie sie durch das Christentum und den Mohammedanismus die Massen ergriffen. Der Westen scheint einem Aufschwung des Okkultismus weniger günstig gewesen zu sein, als der phantasiereiche Orient. Weder die Sekte der Gnostiker noch auch die späteren Tempelherren oder die Rosenkreuzer und die höheren Freimaurerorden der neueren Zeit entsprechen den Geheimschulen des Ostens, die durch uralte Überlieferung getragen wurden. Einzelerscheinungen wie Merlin, Agrippa von Nettesheim, Faust, Paracelsus1, Cagliostro werden verlacht oder derart mit Sagen umsponnen, dass es kaum möglich ist, den wahren Kern von der Schale lügenhafter Zutat zu scheiden.

Der Gegenwart war es vorbehalten, die esoterische Wissenschaft weiter auszubreiten und einen inneren Zusammenhang in allen Ländern der Erde zu schaffen. Das trostlose Zeitalter des Materialismus, der religiösen und geistigen Anarchie scheint von den führenden Geistern überwunden, als notwendige Reaktion folgt ihr der Höhenflug der Geisteswissenschaften und der Mystik. Die nach Idealen durstende Welt saugt die Tropfen begierig auf, die aus den Geheimschulen durchsickern, und lechzt nach neuer Labung. Die Wissenschaft selbst kommt ihrer metaphysischen Schwester auf halbem Wege entgegen, Phänomene wie Hypnotismus, Somnambulismus und Magnetismus, seinerzeit als Wunder angestaunt, gehören heute nicht mehr zu den okkulten, sondern zu den exakt-wissenschaftlichen Fragen; Chemie und Physik erweitern durch Entdeckungen, wie die der Röntgenstrahlen und der Radio-Aktivität, die ans Mystische grenzen, ihr Gebiet. Sie erheben sich vom materiellen Versuch zu geistigen Höhen. Die durch die Lehre vom Greifbaren herangebildete Zeit verlangt auch für metaphysische Dinge den Beweis und sie wird ihn finden. So ist der Chela (Schüler) vorbereitet und der Guru (Lehrer) ist da.

Man wusste zwar schon von der Geheimlehre der Hindus durch Pythagoras, Bardesanes2, einige Gnostiker und verschiedene Philosophen, wie den leuchtenden Turm der Gelehrsamkeit, Albiruni3. Allein so recht in das Bewusstsein der Welt trat ihre Lehre erst durch die Taten der Engländer. Seit der Schlacht bei Plassey (1787) war halb Indien den Engländern anheimgefallen und nur wenige Jahrzehnte später schickten sich schon britische Forscher an, die indischen Schätze der Weisheit auszubeuten und auch für das Abendland nutzbar zu machen. Der Romantiker Friedrich Schlegel führte die Deutschen in das Studium jener Schätze ein. Jahrzehntelang tobte der Streit um den Wert der Hindu-Gedanken. Sehr bald aber erlangten diese einen maßgebenden Einfluss auf das deutsche wie überhaupt auf das europäische Geistesleben. — Wieder verfloss ein halbes Jahrhundert. —

Jetzt aber erkannten hervorragende Hindu die Zeit für gekommen, um mit ihren uralten Geheimlehren hervorzutreten und sie ihren „Brüdern im Westen“ zugänglich zu machen. Die erwachte Kulturwelt verlässt vereint die Streitgebiete der Erde, um die Gefilde eines geahnten luftigen Reiches zu erforschen, Aviatik der Geister, die mit den physischen Flugversuchen parallel geht. Ein dritter, höherer Plan schließt sich zum Ringe um die beiden anderen.

Den Verbreitern der indischen Lehren voran schreitet Svami Vivekananda, dem das vorliegende Werk von einem Yogi Ramacharaka gewidmet ist. Der Yogi, ein Okkultist höchsten Wissens und tiefster Weisheit hält sich hinter seinen Schriften verborgen. Seine Werke sollen Jahrhunderte alte Weisheit reden, er selbst will schweigen. So ist es auch unmöglich, von dem Yogi biographische Daten zu erlangen.

Ramacharaka in abgeklärter Weisheit sieht wohl ein, was von dem übersprudelnden Abendländer gern übersehen wird, dass körperliche und geistige Entwicklung miteinander Hand in Hand gehen müssen.

Der Abendländer neigt immer zu Extremen, eine Gruppe verpönt die Körperkultur als minderwertig und von höheren Dingen abziehend, die andere vernachlässigt die Geisteskultur und gibt sich in Sporten aller Art aus. Wenige Abendländer nur wissen das Gleichgewicht ihrer Kräfte zu gewinnen.

Die „Wissenschaft des Atmens“ befasst sich mit einer vernünftigen Körperkultur, die durch richtiges Atmen erzielt wird. Die okkulte Grundlage, auf der die Schrift beruht, ist schon längst den Yogis der Hindu geläufig.

Ramacharakas Lehren sind trotz ihrer Einfachheit, oder besser, eben deshalb von allseitiger Wirkung.

Er führt den Schüler, der sie treu ausübt, bis zu hohen Stufen erreichbarer Vollkommenheit. Aber es fordert verständnisvolle Arbeit, bis zu jenen höheren Graden vorzudringen; mancher Fehlgang mag die ersten Schritte begleiten und die Erfolge sind langsam und fast unmerklich. Plötzlich tritt die Tatsache über die Schwelle des Bewusstseins: die Macht über den Willen und die Beherrschung geistiger Heilformen ist errungen! Durch eine bloße Atmungsübung weichen Krankheit und Sorge, während die Umgebung noch mühselig ihrem Schnupfen mit Rezepten aus der lateinischen Küche beizukommen sucht.

So ist das Werk in Wahrheit „ein Geschenk an die westlichen Brüder“ wie Yogi Ramacharaka es will, und der Dank des Westens sei ihm in diesen Worten ausgesprochen.

Wien.

S. von der Wiesen.


Die Wissenschaft des Atmens

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