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KAPITEL 1

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Hände griffen in Schälchen mit getrocknetem Tintenfisch. Erdnüssen. Salzigem Gebäck.

Aus dem Aschenbecher stieg der Qualm von Zigaretten empor. Eine Hand griff nach der Zigarette und führte sie zum Mund. In den dunklen Augen blitzte Triumph auf – bis der kleine Song (10 Jahre) auf die Karten in der Hand deutete. Song fragte: „Bist du der König, Papa?“ Songs Vater stöhnte laut auf und warf die Karten nach dem Kind. Auch die anderen Kartenspieler lachten.

Während die Männer die Karten neu mischten, saßen die koreanischen Frauen mit ihren Töchtern draußen auf der Terrasse. Sie legten den Boden der Terrasse mit viel Zeitungspapier aus. Dann setzten sich die Frauen auf den Boden und begannen, Gemüse klein zu schneiden. Ein paar Meter weiter kam Frau Chang, Cerins Mutter, aus dem Badezimmer. In ihrem Haar waren Lockenwickler. Mit Stolz verkündete sie: „Cerin wird gleich auf dem Klavier vorspielen.“ Die anderen Frauen sahen Cerin (8 Jahre) anerkennend an.

Frau Lee, Mutter von So-Young, schimpfte: „Was soll das, So-Young?“ Die anderen Frauen schauten neugierig zu So-Young (7 Jahre), die neben ihrer Mutter saß. In ihren Händen hielt sie ein Stück Gurke, das sie zu einem Schmetterling geschnitzt hatte. Ihre Mutter nahm den Gurkenschmetterling und warf ihn auf den Haufen für Abfälle. Frau Lee schimpfte weiter: „Werde endlich vernünftig!“ So-Young sah ihre Mutter unsicher an und verteidigte sich: „Aber das habe ich doch getan, damit niemand dieses Jahr sterben muss!“

Die anderen Frauen sahen sich an – und brachen in Gelächter aus. Frau Lee war das ganz offensichtlich unangenehm. Genervt sagte sie zu ihrer Tochter: „Geh schon spielen, So-Young, hier störst du nur!“ Schnell stand So-Young auf und verließ mit hochrotem Kopf die Terrasse. Sie ging an den Kartenspielenden Männern vorbei und beneidete ihren Bruder Song um seine Unbeschwertheit. Song wurde gerade von ihrem Vater in die Luft geworfen. Der hatte es gut, er konnte einfach Spaß haben. Mit einem Seufzen ging So-Young weiter. Im langen Flur der Changs stellte sie sich vor den Garderobenspiegel und betrachtete sich nachdenklich. Plötzlich bewegte sich die Tür der Bibliothek. So-Young drehte sich um. Frau Chang, die Mutter von Cerin, verließ mit wütendem Gesicht die Bibliothek. Schnell versteckte sich So-Young hinter einem Mantel. Sie hörte Frau Chang sagen: „Mein Herz IST nicht verschlossen!“ Dann rauschte Frau Chang, vor der alle Kinder, Mütter und sogar einige Väter Angst hatten, in die Küche. So-Young atmete auf. Ihr Blick wanderte wieder zu der offenen Bibliothekstür. Irgendetwas zog So-Young magisch an. Langsam, wie unter Trance, betrat So-Young die Bibliothek.

Wuchtige Bücherregale aus dunklem Eichenholz zogen sich an den Wänden entlang. So-Youngs Finger strichen ehrfürchtig über die kostbaren Ledereinbände, die aus einer Welt stammten, die ganz anders war als die Welt, in der So-Young lebte. Plötzlich veränderte sich das Licht. So-Young drehte sich erschrocken um – und erblickte eine alte Frau, die regungslos vor einem koreanischen Landschaftsbild saß, das alle paar Sekunden in einer anderen Farbe beleuchtet wurde. Die alte Frau hatte ein sehr gütiges Gesicht und klare Augen, die So-Young liebevoll ansahen. Ihr graues Haar war, im Gegensatz zu allen anderen alten koreanischen Frauen, die So-Young gesehen hatte, nicht zu einem strengen Dutt zurecht gemacht, sondern fiel offen über die Schultern.

Schüchtern sagte So-Young: „Verzeihung, ich wollte nicht stören.“

Die Wahrsagerin lächelte So-Young an und sagte: „Du störst nicht. Komm, setz dich zu mir.“

So-Young setzte sich hin und hielt gehorsam ihre Handfläche der Wahrsagerin hin. Die Wahrsagerin studierte konzentriert die Linien. Angespannt sah So-Young die Wahrsagerin an und fragte: „Geehrte Frau, werde ich sterben?“

Die Wahrsagerin sah So-Young überrascht an. Dann sagte sie: „Jeder stirbt, doch deine Zeit ist noch lange nicht gekommen. Tu, wovon du überzeugt bist - kritisiert wirst du sowieso!“

So-Young sah die Wahrsagerin enttäuscht an. Die Wahrsagerin blickte durch sie hindurch. So-Young verlor sich in den dunklen Augen der Wahrsagerin…

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Jahre später

Im Sportstadion herrschte ein Höllenlärm. Die zahlreichen koreanischen Familien und Freunde feuerten lautstark die Läuferinnen (14-16 Jahre) an. Einige Meter weiter wurde gegrillt. Riesige Behälter voller Kimchi, dem koreanischen eingelegten Chinakohlsalat und unzählige Reiskocher wurden auf den Tischen verteilt.

In Eimern voller Eiswasser schwammen Coladosen.

Laut rief Frau Lee: „So-Young! Schneller! Du musst gewinnen!“ Als Sue die Stimme ihrer Mutter hörte, blickte sie auf - und stolperte über eine Hürde. Obwohl sie sich sofort wieder aufrappelte, wurde Sue von einem anderen Mädchen überholt. Das Gesicht von Frau Lee verlor das Interesse. Frau Lee stand etwas abseits von der Menge. Einige der anderen Koreaner warfen ihr verächtliche Blicke zu.

Mit einem enttäuschten Gesicht stieg Sue vom Dritten Platz des Siegertreppchens herab und trottete zu ihrer Familie. Ihr Bruder Song (16 Jahre) klopfte Sue anerkennend auf die Schulter. Ihre Mutter seufzte tief und sagte dann: „Nicht so schlimm, hm? Das nächste Mal wirst du bestimmt Erste!“ Wortlos gab Sue ihrer Mutter den Pokal, den Frau Lee, ohne einen Blick darauf zu werfen, in ihrer großen Handtasche verstaute, wo bereits ein anderer Pokal vom Schwimm-Contest lag.

Während die anderen Familien unabhängig von Sieg oder Niederlage ihrer Kinder fröhlich zusammen saßen und Teller voller Reis, Kimchi und Bulgogi, das traditionelle koreanische Feuerfleisch, verschlangen, saß die Familie Lee alleine abseits an einem Tisch und aß schweigend. Ihre Mutter und Song aßen mit gutem Appetit. Sue stocherte in ihrem Essen herum. Sie sah, wie Frau Park und Frau Kim, die früher oft zu Besuch gekommen waren, zu ihnen hinüber sahen und tuschelten. Als sie Sues Blick bemerkten, starrten sie schnell in eine andere Richtung. Sue betrachtete ihre Mutter, die müde aussah. Sie wusste genau, dass ihre Mutter Song und ihr etwas verschwieg, doch Sue konnte sich noch keinen Reim auf dieses merkwürdige Verhalten der anderen machen.

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Ein paar Tage später begleitete Sue in der Koreanischen Schule die kleinen Kinder (6-8 Jahre) auf dem Klavier. Die kleinen Kinder standen neben ihren Tischen und sangen die koreanische Nationalhymne. Es klopfte. Song betrat das Klassenzimmer. Sue blickte ihren Bruder fragend an. Song zog genervt die Augenbrauen hoch. Sues Blick wanderte weiter zu einem Mädchen, das mit dem Gesicht zur Wand in einer Ecke stand. Die Arme des Mädchens waren auf dem Rücken und ihre Finger waren ineinander verschränkt. Das Gesicht war gegen die Wand gedrückt. Sue verspielte sich. Genervt brach die Lehrerin die Singerei mit einer Handbewegung ab. Die Kinder setzten sich. Die Lehrerin sah Song an: „Was willst du?“ Song deutete auf Sue und sagte: „Frau Lehrerin, entschuldigen Sie die Störung. Die älteren Schüler brauchen Sue und diesen Raum.“

Seufzend klatschte die Lehrerin in die Hände und rief: „Kinder, packt eure Bücher zusammen, wir gehen in einen anderen Raum!“ Die Schüler wechselten den Raum.

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Sue begleitete nun die älteren Mädchen (10-12 Jahre), die in der Mitte des Raumes einen Folkloretanz unter den wachsamen Augen der Lehrerin probten.

Am nächsten Tag, es war ein Sonntag, führten die Mädchen ihren Tanz in farbenfrohen, flatternden Kleidern vor. Der Festsaal war mit vielen Papierblumen geschmückt, die von den Eltern gebastelt worden waren und die nun stolz im Kreis um die Tänzerinnen standen und die Aufführung mit Kameras für die Ewigkeit dokumentierten.

Als die Vorführung zu Ende war, ertönte begeisterter Applaus. Die Tänzerinnen erhielten einen kleinen Pokal. Auch Sue bekam Beifall und einen kleinen Pokal. Ihre Mutter, Frau Lee, klopfte Sue stolz auf die Schulter und sagte: „Meine Künstlerin!“ Sue lächelte verlegen. Ihre Mutter verstaute Sues Pokal in ihrer Handtasche. Song verdrückte sich mit ein paar Jungs aus dem Saal.

Nun wurden Tische und Stühle zusammengestellt. Frauen brachten geschäftig große Essensbehälter in den Saal.

Sue stand mit ihrer Mutter am Buffet. Ihre Mutter wollte ihr etwas Fleisch auf den Teller tun, doch Sue schüttelte bloß den Kopf. Eine Koreanerin (50), die neben Sue stand, sah Sue skeptisch an und fragte sie auf Koreanisch: „Mädchen, warum willst du das gute Fleisch nicht essen?“

Sue nahm sich wortlos etwas Gemüse und ging weg. Die Koreanerin sah Sues Mutter empört an und sagte: „Frau Lee, was ist das für ein Benehmen??“

Sues Mutter antwortete entschuldigend: „Kinder! So-Young versteht alles, aber sie spricht kein Koreanisch.“

Die Koreanerin sah fassungslos aus. Der Gesichtsausdruck wechselte in pure Verachtung. Dann lachte sie laut und rief: „Was für eine Idiotin! Kann noch nicht mal ihre eigene Sprache sprechen!“

Kyopo – Weiße Schmetterlinge

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