Читать книгу Kyopo – Weiße Schmetterlinge - Young-Mi Kuen - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеAbends betrat Frau Lee müde und mit schweren Beinen die Küche. Wie jeden Abend war sie geschafft von ihrem Arbeitstag als Krankenschwester. Sie strich ihrer Tochter über die Schulter. Sue deckte gerade den Tisch für ihre Mutter und leistete ihr Gesellschaft beim Essen.
Frau Lee fragte: „Wie war es in der Schule?“
Sue sah ihre Mutter an und antwortete: „ Alles in Ordnung. Wie immer.“
Frau Lee fragte weiter: „Und beim Klavier?“
Sue senkte den Blick unwillkürlich. Dann sagte sie schnell: „Auch alles in Ordnung.“
Frau Lee hielt im Essen inne. Ihre Stäbchen verharrten über dem Teller. Ihre Mutter sah Sue fragend an.
Sue sagte: „Klavierlehrerin Kim war zufrieden. Der Wettbewerb wird bestimmt ein Erfolg.“
Ihre Mutter strahlte. Die Müdigkeit war aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie legte ihre Stäbchen beiseite und strich Sue über die Wange. Dann sagte sie: „Ich bin so stolz auf dich, meine Große!“
Sue lächelte verkrampft. Ihre Mutter griff nach Sues Hand und drückte sie.
Frau Lee sagte: „Du wirst das schaffen, ganz bestimmt.“
Sue nickte verlegen. Sie brachte es nicht über sich, ihrer Mutter zu sagen, dass sie das selbst nicht mehr glaubte. Sue übte schon so viele Stunden Klavier am Tag und doch wurde sie nicht wirklich besser.
Freudestrahlend sagte ihre Mutter: „Warte, ich möchte dir etwas geben!“
Frau Lee verließ die Küche. Sue schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Sie rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. Sue öffnete die Augen und versuchte zu lächeln.
Ihre Mutter kam zurück und setzte sich auf den Stuhl neben Sue. Sue sah ihre Mutter von der Seite an. Ihre Mutter blickte auf die koreanische Box in Box in ihren Händen. So saßen die beiden eine Weile.
Dann fragte Sue vorsichtig: „Mom?“
Ihre Mutter erwachte aus ihren Erinnerungen. Sie sah ihrer Tochter in die Augen. Die Augen der Mutter glänzten. Sehnsuchtsvoll sagte Ihre Mutter: „Ich hätte alles dafür getan, um studieren zu können...“
Sue sagte lächelnd: „Ich dachte, du warst die Beste auf deiner Schule, zu der du immer (Sue grinste) 20 Kilometer durch den Schnee stapfen musstest!“
Ihre Mutter machte eine nicht ernst gemeinte Geste, als würde sie gleich Sue schlagen wollen. Sue stand auf und imitierte Ihre Mutter, wie sie sich wohl als junges Mädchen durch den meterhohen Schnee gekämpft hatte. Dabei "sackte" Sue immer tiefer in den Schnee, bis sie anfing, mit den Armen zu rudern. Theatralisch rief Sue: „Ooooh, ich werde den Weg zur Schule auch finden, selbst wenn ich mich blind durch die Schneemassen kämpfen muss!“
Ihre Mutter lachte. Sie legte den Gegenstand hinter sich auf den Tisch und spielte mit: „Aber was ist das? Da ist ja ... ein TIGER!“ Sie griff nach ihrer Tochter und zog sie zu sich auf den Schoß, während sie laute Schmatzgeräusche machte. Ihre Mutter rief: „Ooooh, junges Mädchenfleisch, wie lange musste ich DARAUF warten!“ Die Mutter tat so, als würde sie Sues Arm essen. Sue kreischte auf. Beide lachten. Frau Lee ließ Sues Arm los. Sie legte einen Arm um Sue. Sue lehnte ihren Kopf an die mütterliche Schulter.
Dann fragte Sue: „Mom?“
Ihre Mutter fragte zurück: „Kind?“
Sue rief aufgeregt wie ein kleines Mädchen: „Ich spiele Klavier und du singst! So wie gaaaaanz früher!“
Ihre Mutter winkte ab: „Ach nein, es ist schon so spät! Wir stören die Nachbarn.“
Sue versuchte es weiter: „Oooooch, Moooom! NIE willst du singen!“
Frau Lee sagte ernst: „Ach, Sue, jetzt hör auf damit!“
Frau Lee ließ ihre Tochter los und schob sie auf den Stuhl neben sich. Sue zog eine beleidigte Schnute. Frau Lee nahm die Box in Box wieder in ihre Hände. Feierlich sagte Frau Lee: „Ich möchte dir das hier geben.“
Sue sah zu, wie ihre Mutter behutsam die koreanische Box in Box öffnete und einen Gegenstand hervorholte, der in ein Seidentuch eingewickelt war. Im Inneren kam eine koreanische Münze zum Vorschein. Frau Lee nahm die Münze vorsichtig in die Hand und legte sie in Sues Hand. Sue betrachtete ehrfurchtsvoll die Münze.
Frau Lee sagte: „Ich habe sie von meiner Mutter bekommen und nun schenke ich sie dir.“
Sue schluckte. Sie hatte einen Knoten im Hals. Ihre Mutter bemerkte das nicht - auch ihr Blick war auf die Münze in Sues Hand gerichtet. Frau Lee fuhr fort: „Diese Münze beschert dem Träger ein langes Leben, Reichtum, Gesundheit und Frieden. (...) Diese Münze wird dir Glück bringen.“
Sue war gerührt. Sie umarmte ihre Mutter und sagte leise auf Koreanisch: „Danke, Mutter. Danke für Ihr Vertrauen.“
Überzeugt sagte Frau Lee: „Du wirst den Wettbewerb gewinnen. Das weiß ich.“
Sues Augen waren voller Zweifel. Ihre Mutter konnte das in der Umarmung nicht sehen. Leise wiederholte Sue: „Ja, ich werde den Wettbewerb gewinnen.“
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Später, als ihre Mutter schon schlief, saß Sue an ihrem Schreibtisch und sah aus ihrem Fenster. Das Mondlicht erhellte Sues Zimmer und erschuf eine friedliche Atmosphäre. Unten auf der Straße führte, wie jeden Abend, ein Mann seinen Hund aus. Ein Paar spazierte eng umschlungen Richtung Park. Sue sah wieder auf ihren Schreibtisch. Vor ihr lag das leere Notenheft aufgeschlagen. Sie legte es beiseite und entdeckte darunter einen Flyer des Jugend musiziert Wettbewerbs.
Auf dem Flyer lag der Anhänger der Kette. Sue seufzte. Sie griff routiniert in das Bücherregal und zog eine Dose hervor. Sue legte die Kette mit dem Anhänger in die Dose und versteckte sie wieder hinter den Büchern. Dann legte sie sich schlafen.
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Die Sonne schien. Es war sehr heiß. Ein Gänseblümchen reckte sich der Sonne entgegen. Das Gänseblümchen war das einzige Lebewesen auf der grauen, betonierten Straße.
Plötzlich ertönte das Geräusch von Maschinen. Das Gänseblümchen sah sich um. Es konnte nichts erkennen. Rechts - Straße, links - Straße.
Plötzlich drangen wie durch einen verzerrten Verstärker Schritte in die Soundkulisse.
Hilfe suchend sah das Gänseblümchen die Sonne an, aber die war längst verschwunden. An ihrer Stelle schimmerte der Anhänger der Mutter, dunkler als die Sonne.
Die Schritte wurden lauter.
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Nass geschwitzt wachte Sue auf. Ihr Herz klopfte. Sie horchte. Eine Stufe knarrte laut. Jemand horchte, ob das Knarren wahrgenommen wurde. Dann gingen die Füße die letzten Schritte. Eine Tür wurde achtlos geschlossen. Sue atmete schwer aus.
Leise schloss sie hinter sich die Tür - viel leiser als ihr Bruder. Song war betrunken. Er summte einen Rap-Song vor sich hin und rauchte eine Tüte. Sue bemühte sich, leise zu sprechen: „Kannst du nicht mal Rücksicht auf andere nehmen, die auch in diesem Haus leben müssen?“
Song warf ihr einen genervten Blick zu, während er die Tüte abaschte. Genervt sagte er: „Ja, ja, geh pennen.“