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Kapitel 4

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Am nächsten Morgen machte Sue wie jeden Morgen das Frühstück. Sie selbst trank nur Kaffee. Dann packte sie ihre Schulsachen zusammen und holte die Dose hinter ihren Büchern hervor. Sie steckte den Anhänger der Mutter in die Tasche. Bevor Sue ging, drückte sie ihrem Bruder einen nassen Waschlappen ins Gesicht. Song quiekte und vergrub seinen Kopf unter dem Kissen. Genervt sagte er: „Ich hab heute später Schule!“ Sue zog ihren Bruder auf: „Ja, klar, du hast ja IMMER später Schule. Fischkopp!“

Dann knallte sie die Tür zu und ging.

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In der Schule herrschte der übliche Wahnsinn. Die meisten Schüler beschäftigten sich mit ihren Handys oder ärgerten jemanden, der Rest versuchte zu überleben.

Frau Kopke nickte Katrin zu. Katrin las vor: „Die Ferien habe ich mit meinem Pferd Merlin verbracht. Leider ist Merlin krank geworden.“ Katrin seufzte tief und schwer, bevor sie fortfuhr: „Merlin hatte schlimme Blähungen und keiner wusste, warum. Ich dachte, mein Merlin stirbt.“

Max rief: „TOTGEFURZT!“ Die Klasse lachte. Katrin errötete. Bevor sie etwas antworten konnte, ging die Tür auf. Sues Augen wurden groß. Es wurde ganz still.

Der Direktor (Mitte 50) betrat mit JANA (15 Jahre) den Klassenraum. Jana hatte lange Haare mit pink, blau und lila gefärbten Strähnen. Ihre Ohren waren mehrmals durchstochen und deutlich waren ein kleiner Pentagrammohrstecker und das Zeichen für Anarchie zu sehen. Jana hatte stark getuschte Wimpern, ihre Lippen waren dunkelblau angemalt. Sie hatte einen Minirock an, unter dem eine Netzstrumpfhose hervorguckte.

Ein paar Jungs gaben bewundernde Pfiffe von sich. Der Direktor sah die Jungen mahnend an und sagte: „Ich möchte euch Jana Mertens vorstellen. Sie wiederholt die Klasse. Ich erwarte von euch, dass ihr sie in eure Gemeinschaft aufnehmt. Ich wünsche einen erfolgreichen Tag!“ Er nickte zum Abschied der Lehrerin zu, dann ging der Direktor.

Die Lehrerin begrüßte Jana und ließ sie neben Sue Platz nehmen. Sue beobachtete aus dem Seitenwinkel, wie sich Jana setzte. Jana ließ ihre große Schultertasche deutlich hörbar auf den Boden fallen.

Frau Kopke nahm Tim dran: „Tim, möchtest du uns von deinen Ferien erzählen?“

Tim sah nur die Lehrerin an, während er vorlas: „Ich war bei Onkel Carlos in Spanien, der hat mich mitgenommen zu Stierkämpfen und wir haben gewettet, wer gewinnt. Ich hab auf den Torrero gesetzt, aber ich habe gehofft, dass der Stier gewinnt, weil… wenn ein Stier stirbt, dann dampft sein Körper und… es riecht komisch…“

Max machte Würgelaute. Andere Schüler stimmten ein. Nur Janas Augen funkelten.

Laut fragte Jana: „Und was für eine Farbe hat das Stierblut?“ Alle sahen Jana an. Frau Kopke seufzte.

Tim klang sehr unsicher: „Es ist rot… wie Menschenblut.“

Ein paar Schüler gaben Würgelaute von sich.

Jana bohrte weiter: „Was hast du denn gefühlt, als du dem sterbenden Stier zugesehen hast?“ Frau Kopke warf Jana einen mahnenden Blick zu.

Tim sagte: „Weiß nicht. Gar nichts, glaube ich.“

Janas Stimme wurde lauter: „Du hast also ein paar sterbenden Stieren zugesehen und GAR NICHTS dabei gefühlt?“ Verunsichert sah Tim Frau Kopke an. Frau Kopke mahnte: „Jana! Das reicht jetzt!“

Alle beobachteten Jana. Jana wich dem Blick von Frau Kopke nicht aus. Das untere Augenlid von Frau Kopke zuckte nervös. Frau Kopke ging in den Angriff über: „Gut, Jana, dann erzähl uns doch etwas von DEINEN Ferien.“

Tim erschien nun etwas kleiner. Jana grinste. Sie erzählte: „Meine Sommerferien habe ich in Frankreich verbracht. In einem Schloss mit einem weißen Plüschteppich, der so dick war wie eine Matratze! Und einen Butler hatten wir auch!“

Katrin sagte ungläubig: „Einen Butler! Ja, klar...“

Jana sah Katrin provozierend an. Katrin schürzte die Lippen. Jana verdrehte die Augen.

Max fragte: „Was haste denn in dem Schloss gemacht?“

Jana antwortete: „Ich habe meine Mutter besucht. Sie ist Künstlerin und lebt in Frankreich, weil das Licht dort besser ist.“

Wieder sagte Katrin ungläubig: „Das Licht, na klar...“

Jana drehte sich zu Katrin um: „Du hast wohl gar keine Ahnung, was? Das Licht ist am wichtigsten beim Malen - wusstest du das etwa nicht?“

Katrin errötete. Sie wich Janas Blick aus. Jana gab weiter an, doch Sue hörte nicht mehr zu. Sues Blick wanderte in Janas offen stehende Tasche: Puderdose. Tabak. Lippenstifte. Eine Netzstrumpfhose in Verpackung. Kondome. Ein knallroter Nothammer.

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Zuhause bereitete Sue wie jeden Mittag das Essen zu. Wieder trug sie die Atemschutz-Maske und stellte die Pfanne auf die Herdplatte. Sue drehte die Herdplatte auf und stellte die höchste Stufe der Dunstabzugshaube ein. Dann briet Sue das vorbereitete Fleisch an.

Als sie fertig war, betrat Song die Küche. Sie aßen zusammen. Song sah sich die Liste an und fragte: „Und, was gibt es heute Aufregendes?“

Sue warf ihrem Bruder einen wütenden Blick zu und antwortete: „Keine Angst, du hast genug Zeit für deine GESCHÄFTE!“

Song lachte und sagte gönnerhaft: „Du wirst mir noch den ARSCH küssen, wenn ich dir eine Putze kaufe!“

Nachdem Sue aufgeräumt hatte, übte sie Klavier. Sie spielte das Wettbewerbs-Stück, doch Sue geriet aus dem Takt. Seufzend stellte sie das Metronom an und betrachtete das Plastik-Lineal auf dem Klavier. Zögernd nahm sie es in die Hand und steckte es sich selbst in den Hosenbund.

Nach dem Klavierüben ging Sue einkaufen. Sie kaufte ein Holzlineal, Kräuter und Gemüse und Briefmarken.

Plötzlich durchbrach ein lauter Schrei die Monotonie im Einkaufszentrum. Sue drehte sich um. Jana saß hinter einem älteren Jungen (18) auf einem Motorrad. Sie brausten durch das Einkaufszentrum. Die Menschen wichen erschrocken aus, einer rief: „Mensch, pass doch auf!“

Jana kreischte fröhlich: „Heeeeelau! Heeelau!“ und warf Süßigkeiten aus einer Tüte. Ein pink leuchtender Lolli flog in die Luft. Sue fing ihn auf. Jemand rief: „Was soll denn das? Es ist doch gar kein Karneval!“

Jana brauste an Sue vorbei, ohne sie zu erkennen. Ihr Gesicht strahlte. Sue musste wider Willen lächeln.

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Abends erzählte Sue ihrer Mutter von Jana. Frau Lee freute sich. Sie sagte: „Es freut mich, dass du eine Freundin gefunden hast.“

Sue sagte: „Ach Mom... so weit sind wir noch nicht!“

Frau Lee lachte und sagte: „Ach ja, bei euch ist ja alles immer so kompliziert.“

Sue lenkte ihre Mutter ab: „Fällt dir nichts auf?“

Frau Lee betrachtete Sues Gesicht.

Sue schüttelte den Kopf: „Kalt!“

Frau Lee betrachtete die Fensterbank.

Sie bemerkte den Strauß Blumen. Erwartungsvoll sah sie Sue an: „Gibt es etwas zu feiern?“

Sue antwortet: „Einfach nur so. Du kriegst ja sonst keine Blumen wie andere Mütter von ihren Männern.“

Frau Lee war gerührt. Sie sagt: „Danke, Sue. Du bist die beste Tochter, die man sich wünschen kann.“

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Es war schon spät. Ihre Mutter schlief schon. Sue saß an ihrem Schreibtisch und sah hinaus. Wie jeden Abend führte ein Mann seinen Hund aus. Ein Paar spazierte eng umschlungen Richtung Park.

Sue sah wieder auf ihren Schreibtisch. Vor ihr lag das unbeschriebene Notenheft. Sue nahm den pink farbenen Lolli von der Fensterbank und betrachtete ihn: In dem dunklen Zimmer gab der Lolli ein fluoreszierendes Leuchten von sich. Das Licht des Mondes traf auf den Lolli, der einen rosa Schimmer auf das blanke Notenheft warf. Für einen kurzen Moment flackerten Notenhälse auf.

Sue war fasziniert. Ein leichter rosa Schimmer war in dem Dunkel ihrer Pupillen zu sehen.

Sue klappte schnell das Notenheft zu und versteckte es unter der Schreibtischunterlage, die die Kontinente der Welt zeigte. Vielleicht konnte man das Leuchten konservieren... Sue griff nach der Dose hinter den Büchern. Sie legte den pink farbenen Lolli vorsichtig in die Dose und versteckte sie wieder hinter den Büchern.

Kyopo – Weiße Schmetterlinge

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